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betrachten,

lesen und

erzählen

zwischen bild

und text –

einblicke in die

spezifische

ästhetik von

bilderbüchern

noch da, stumm, resigniert, mit roter Nase und kalten Händen. Nur ein

Mal spricht ein Fahrer das Kind an und rät ihm hier zu warten, bis die

Mutter kommt. Es beginnt zu dämmern. Das Kind steht da, starr wie das

Haltestellenschild der Straßenbahn. Es ist verstummt. „Der Wind bläst kalt,

und auch wenn eine Straßenbahn kommt, fragt das Kind nicht mehr, es

steht nur noch da und wartet, mit seiner purpurroten Nase.“ Dann fängt

es auch noch an zu schneien. Die Flocken werden immer dichter und füllen

die Bilddoppelseite fast aus. Den Kopf in den Nacken gestreckt, an den

unteren Bildrand gedrängt, nimmt das Kind den Schnee aus der Froschperspektive

wahr. Die Lage spitzt sich zu. Auf der folgenden Seite sehen wir

das dichte Schneetreiben quasi durch die Augen des verzweifelten Kindes,

dessen Blick mittlerweile tränenverschleiert ist. Keine Mutter ist in Sicht!

Auch auf der letzten Seite taucht sie scheinbar nicht auf. Wir blicken auf

die Dächer der Stadt. Sie sind mit Schnee bedeckt. Plötzlich durchfährt uns

ein Schreck! Was ist mit dem Kind? Steht es immer noch an der Haltestelle

im Schnee? Kommt seine Mutter überhaupt jemals wieder? Beim genauen

Betrachten des Bildes sehen wir, dass der Schein trügt. Die Mutter ist da.

Sie ist gekommen, zwar sehr spät, aber sie ist da und geht jetzt Hand in

Hand mit ihrem Kind durch die Straßen – nach Hause?

Beispiel 2:

Chen Jianghong:

Han Gan und das Wunderpferd

Wer vermag das Gemeinsame zwischen den Kulturen besser zu beschreiben,

als diejenigen, die sich zwischen den Kulturen bewegen? Chen Jianghong

wuchs in China auf und studierte Kunst in Tinajin und Beijing. Seit 1987

lebte er als freischaffender Künstler in Paris und hat seinen Arbeits- und

Lebensmittelpunkt seit einigen Jahren in Berlin. Die Erfahrung unterschiedlicher

Kulturen macht sich in seinen Bilderbuchillustrationen bemerkbar,

für die er meist traditionelle Tuschtechniken verwendet, sie aber häufig

mit zeitgenössischen künstlerischen Arbeitsweisen verknüpft. Bemerkenswert

an seinen Bilderbüchern ist, dass seine Geschichten ihren Ausgangspunkt

häufig in alten Kunstwerken finden. So auch in der Geschichte „Han

Gan und das Wunderpferd“. Chen Jianghong geht von einem Meisterwerk

des Malers Han Gan aus, der vor mehr als 1.200 Jahren in China lebte

und für seine Pferdedarstellungen berühmt war. Das Werk „Pferde und

Reitknechte“ in Tusche und Farbe auf Seide ist im Museum Cernuschi in

Paris zu sehen. An dieses Gemälde anknüpfend, erzählt Chen Jianghong

eine ganz eigene Geschichte Han Gans und malt diese wie der Altmeister

auf Seide. Chen Jianghong beschreibt Han Gan in seinem Bilderbuch

als Künstler, der schon als Kind am liebsten zeichnete. Pferde faszinierten

ihn. Nicht müde werdend, stellte er sie immer wieder in ihrer Lebendigkeit

und Schönheit dar. Eines Tages erkannte ein Meister sein Talent

und ermöglichte ihm, seine Pferdestudien und Malereien weiterzuentwickeln.

Auf seine Begabung aufmerksam geworden, machte der Kaiser ihn

zum Mitglied seiner Hofgilde. Auch hier widmete er sich, gegen die Tradition,

der Darstellung von Pferden. Man begann Geschichten über seine

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