FOCUS_2022-43_Vorschau
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
DOKUMENTARFILM<br />
Kommt und folgt mir! Leonie begann mit 14,<br />
Videos von sich ins Netz zu stellen. Heute hat sie<br />
1,4 Millionen Follower auf der Plattform TikTok<br />
Instagang<br />
Die Doku Girl Gang zeigt den Alltag des Berliner<br />
Teenie-TikTok-Stars Leoobalys – intim und verstörend<br />
Ein paar Millionen könnten<br />
sie in den nächsten Jahren<br />
schon verdienen. Das verspricht<br />
ein Social-Media-<br />
Manager Leonie und ihren<br />
Eltern bei einem Meeting. Es<br />
gibt nur ein Problem: Leonie<br />
muss authentischer werden. „Das fehlt<br />
dir komplett“, sagt der Manager und äfft<br />
das Mädchen mit den langen roten Haaren<br />
nach. Aber jetzt bitte nicht als Kritik<br />
verstehen!<br />
Leo ist 14 Jahre alt, als sie anfängt,<br />
Videos von sich ins Internet zu stellen.<br />
Schon ein paar Jahre später gibt sie<br />
Interviews für die „Bravo“, füllt Einkaufszentren<br />
mit kreischenden Mädchen<br />
und macht Werbung für Burger<br />
und Nagellack. Immer begleitet von<br />
ihren Eltern, die – auch aufgrund der<br />
unangenehmen Erfahrung mit dem Social-Media-Manager<br />
– das Management<br />
für ihre Tochter selbst übernommen ha -<br />
ben. Und das hat sich gelohnt: Knapp<br />
1,4 Millionen Follower hat sie heute auf<br />
TikTok. 1,6 Millionen bei Instagram. In<br />
ihren Videos tanzt sie im Garten, wälzt<br />
sich im Bikini am Strand, macht sich<br />
einen Zopf, küsst ihre Mutter, ihren<br />
Hund, albert mit ihrem Vater herum.<br />
Und sie macht Werbung. Fast Fashion,<br />
Fast Food. Die ganz großen Firmen. Die<br />
Familie hat es geschafft, Pool im Garten<br />
und Urlaub auf den Malediven.<br />
Schätzungen zufolge nutzen über 20<br />
Millionen Menschen in Deutschland die<br />
chinesische Social-Media-Plattform Tik-<br />
Tok. Die meisten sind unter 30. Um diese<br />
Zielgruppe zu erreichen, setzen immer<br />
mehr Firmen auf Influencer-Marketing.<br />
Früher waren es die Beatles, dann die<br />
Boygroup Take That: Stars, denen junge<br />
Mädchen kreischend entgegenjubeln,<br />
während die Eltern verständnislos den<br />
Kopf darüber schütteln. Heute sind es<br />
TikTok-Stars. Wem die Namen Dixie<br />
D’Amelio, Dannero und Enyadres nicht<br />
bekannt sind, wer nicht versteht, warum<br />
Mädchen vor ihren Handys stumm die<br />
Lippen bewegen, der gehört zur neuen<br />
Generation abgehängter Eltern. Nicht<br />
nur denen sei die Doku „Girl Gang“, die<br />
vom aufregenden Leben der Influencerin<br />
Leoobalys erzählt, dringend empfohlen.<br />
Konfettikanonen und Luftballons<br />
Kreisch! Fans jubeln Leonie bei einem Auftritt<br />
im Einkaufszentrum zu. Ihre Werbekunden<br />
freut’s. Influencer-Marketing nennt man das<br />
Denn der Filmemacherin<br />
erging es ähnlich.<br />
Susanne Regina<br />
Meures studierte Fotografie,<br />
Kunstgeschichte<br />
und Film in London<br />
und Zürich. Schon ihre<br />
Diplomarbeit „Raving<br />
Iran“ über zwei DJs aus<br />
Teheran war 2016 ein<br />
großer Festivalerfolg.<br />
Ihr zweiter Dokumentarfilm<br />
„Saudi Runaway“ galt als Oscar-<br />
Hoffnung. Nun kommt ihr drittes Werk<br />
„Girl Gang“ in die Kinos.<br />
In das Thema sei sie „reingerasselt“,<br />
erzählt sie im Interview: „2017 saß ich<br />
in einem Park und habe Mädchen dabei<br />
beobachtet, wie sie Pantomimen und<br />
Lip-Sync-Tänze gemacht haben und sich<br />
dabei gegenseitig gefilmt haben. Als ich<br />
sie ansprach, erzählten sie mir, dass sie<br />
Musicallys aufnehmen, das ist der Vorgänger<br />
von TikTok.“ In dem Moment ist<br />
ihr klar geworden, dass sie keinen Bezug<br />
mehr zu der jungen Generation hat. Also<br />
wollte sie mit den Kids reden, auf der<br />
Straße, in Schulen, in Parks, über Instagram.<br />
„Ich wollte einen Film machen, der<br />
von ihrer Lebensessenz handelt.“<br />
Mit über 160 Mädchen hat sie gesprochen.<br />
Von Klimaaktivistinnen über Spiel -<br />
platzraucherinnen bis hin zu den Insta-<br />
Girls. Auf einer Jugendmesse hat Meures<br />
dann Leonie kennengelernt. Die ideale<br />
Protagonistin. Wenige Tage danach<br />
haben sie angefangen zu drehen. Vier<br />
Jahre später ist daraus ein vielschichtiger<br />
Film geworden. Er wurde auf 40 Festivals<br />
weltweit gezeigt, hat ein paar Preise<br />
gewonnen und steht auf der Shortlist<br />
des Europäischen Filmpreises. „Ich<br />
wollte eigentlich einen Film über eine<br />
Mädchengruppe machen“, sagt Meures,<br />
„aber dann habe ich festgestellt, dass<br />
hier die Geschichte in den Dynamiken<br />
der Familie liegt.“<br />
Ein Reihenhaus in Ostberlin, ein Ringlicht,<br />
davor ein junges Mädchen, das<br />
Karriere machen will. Hund Maja, Katze<br />
Claudi, Mutter Sunny, Papa Andy, das<br />
sind die Balys, dazu passend der Internetname<br />
der Tochter: Leoobalys. Der Film<br />
begleitet die Familie bei ihren Versuchen,<br />
Content zu erstellen, mit Luftballons,<br />
die im Wind nicht so<br />
wollen, wie sie sollen.<br />
Mit Konfettikanonen<br />
und Engelsflügeln.<br />
Der Vater kontaktiert<br />
die Einkaufszentren und<br />
potenzielle Werbekunden,<br />
weiß, dass man in<br />
Werbevideos keine Markenklamotten<br />
tragen<br />
kann. Die Mutter hilft<br />
bei der Recherche –<br />
Fo t o s : Rise and Shine Cinema<br />
102 <strong>FOCUS</strong> <strong>43</strong>/<strong>2022</strong>