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POLITIK<br />
Warten zwei AfD-Männer<br />
in einer Schlange.<br />
Sagt der eine:<br />
„Da werden wir ja<br />
gleich getrennt. Ich<br />
links, du ins KZ.“<br />
Der andere lacht.<br />
Die Szene ist kein<br />
geschmackloser Scherz, sondern die<br />
antisemitische Realität am Rande eines<br />
Parteitags der AfD in Thüringen. Die<br />
Organisatoren hatten zwei Tische zur<br />
Anmeldung der Delegierten aufgebaut,<br />
der linke für Mitglieder von A bis J, der<br />
rechte von K bis Z. Wäre den beiden<br />
bewusst gewesen, dass ein Journalist<br />
hinter ihnen steht, sie hätten den Impuls<br />
beim Anblick der zwei Buchstaben vielleicht<br />
unterdrückt.<br />
Vielleicht auch nicht. Die Thüringen-<br />
AfD ist sogar für die Verhältnisse der<br />
Rechtsaußenpartei extrem. An einem<br />
Samstag im November kommt sie in der<br />
Pfiffelburg in einem Örtchen namens Pfiffelbach<br />
in der Nähe von Weimar zusammen,<br />
um ihren Anführer Björn Höcke<br />
als Chef zu bestätigen. Der Hotelkomplex<br />
entstand gegen Ende der 80er Jahre.<br />
Die regionale Filmförderung preist die<br />
Pfiffelburg als Drehort wegen ihrer „DDRtypischen<br />
Ausstattung“. In den Saal<br />
passen 1000 Leute, die Planer der LPG<br />
Oßmannstedt hatten Großes vor. Denn<br />
in Pfiffelbach schaute regelmäßig Erich<br />
Honecker samt Entourage vorbei, um die<br />
für sie zusammengetriebenen Hasen bei<br />
der Staatsjagd zu erschießen.<br />
Björn Höcke betritt diesen Saal am Parteitag<br />
wie ein leitender Angestellter sein<br />
Büro. Er trägt beigefarbenen Trench und<br />
eine Aktenmappe unterm Arm, sagt jovial<br />
„grüß dich“, erkundigt sich nach dem<br />
Wohlbefinden und sieht nicht aus wie<br />
jemand, der das Land aus den Angeln<br />
heben könnte. Kein Marsch, keine Inszenierung,<br />
nirgends.<br />
Mit den Chiffren für Eingeweihte<br />
Dabei ist genau das seine Mission.<br />
Höcke, 50 Jahre alt, sieht sich als Führer<br />
„der Ersten von morgen“. Zu Ehren<br />
des verstorbenen Hitler-Stellvertreters<br />
Rudolf Heß wählte ein Neonazi diese<br />
Formulierung in einer Todesanzeige.<br />
Kennt kaum jemand, der sich nicht kultisch<br />
mit Nazis beschäftigt. Der Sportund<br />
Geschichtslehrer Höcke nutzt gern<br />
Chiffren für Eingeweihte. Er sieht sich<br />
als Vollstrecker des unbewussten Willens<br />
eines manipulierten Volkes, das von einer<br />
„fremdbestimmten Bundesregierung“<br />
unterjocht werde.<br />
Leitender<br />
Angestellter<br />
Björn Höcke ist der<br />
Fraktions- und Landesvorsitzende<br />
der<br />
AfD in Thüringen.<br />
Seine Wirkung<br />
reicht weit über das<br />
Bundesland hinaus<br />
Aufbau Ost<br />
Sie haben ihn alle unterschätzt, die AfD-Vorsitzenden, die<br />
irgendwann entnervt aufgaben. Björn Höcke entfaltet aus<br />
Thüringen heraus eine unheimliche Kraft. Warum eigentlich?<br />
TEXT VON JAN-PHILIPP HEIN UND ANJA MAIER<br />
44 <strong>FOCUS</strong> <strong>48</strong>/<strong>2022</strong>