Dietrich's Neues! Magazin 2023

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Neues! Magazin | Ausgabe 2023 Unter einem Dach Wenn die Bäume im Wald hinter der Hochschule für nachhaltige Entwicklung im brandenburgischen Eberswalde sprechen könnten, würden sie vermutlich auch vom April 1945 erzählen: Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gab es hier schwere Kämpfe. Dabei bohrten sich Munitionssplitter durch die Rinde vieler Bäume bis tief ins Holz. Eine schwere Verletzung, die den Buchen aber auf lange Sicht das Leben rettete: Die Sorge, dass die Metallstücke die Maschinen im Sägewerk zerstören könnten, machte die Stämme für die Waldbauern wertlos. Die Bäume durften lange stehen bleiben. Viele fielen später einem Sturm zum Opfer, aber einige alte Exemplare haben überlebt und gehören heute zu den ältesten des Eberswalder Stadtwaldes. „In einem kommerziell genutzten Wald werden Buchen schon mit etwa 120 Jahren oder gar vorher gefällt“, sagt Professor Pierre Ibisch bei einem Spaziergang. „Dabei könnten sie bis weit über 400 Jahre alt werden und ihren Artgenossen mit ihrer ‚Erfahrung‘, gerade im hohen Alter, sehr von Nutzen sein.“ „Auch wenn die Bäume nicht sprechen können, kommunizieren sie andauernd und auf vielerlei Art“, erklärt Ibisch, der den Lehrstuhl für „Nature Conservation“ an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung innehat. „Sie sind sowohl über ihre Wurzeln als auch durch ein weit verzweigtes Netz von Pilzen verbunden. Zudem gibt es auch vielerlei Austausch etwa mit Mikroorganismen in den Bäumen – ein Aspekt, der lange Zeit völlig unterschätzt wurde.“ Die großen Buchen am Eingang zum Eberswalder Forst sind also alles andere als einsame, stumme Riesen. Ibisch zeigt auf ein kleines, gerade mal 50 Zentimeter hohes Bäumchen, das im Schatten eines großen Baumes steht. Ibisch vermutet, dass dieses zarte Pflänzchen schon acht oder so¬gar zehn Jahre alt sein könnte. „Es wächst sehr langsam, weil es unter dem geschlossenen Blätterdach der großen Nachbarin wenig Licht bekommt und nur eingeschränkt Photosynthese betreiben kann.“ Dass der kleine Baum überhaupt an diesem schwierigen Standort überlebt, kann mit der Funktionsweise des Waldes zusammenhängen. „Das funktioniert mutmaßlich auch, weil die alten Bäume den jungen indirekt über das Wurzel-Pilz-Geflecht mitversorgen“, erklärt der Professor. Ein Verhältnis also wie bei den Menschen zwischen Mutter und Kind? „Ob der Samen des kleinen Baumes tatsächlich aus den Eckern des großen stammt, können wir nicht sicher sagen“, sagt Ibisch. Aber das Verwandtschaftsverhältnis spiele hier vermutlich auch keine große Rolle. Vielmehr gehe es um das große Ganze. „Wenn jeder Baum in das Gesamtnetzwerk der Bäume und der mit ihnen lebenden Organismen investiert, profitiert der ganze Wald davon. Und Gemeinschaft ist das, was am Ende zählt.“ Schließlich sehen Ibisch und seine Kolleginnen und Kollegen Bäume schon lange nicht mehr als einzelne Pflanzen, sondern den ganzen Wald als eine Art Überorganismus oder, wissenschaftlich ausgedrückt, als Holobiont. Urwald? Weniger als ein Prozent der Wälder in Deutschland sind heute noch naturbelassen. Einen Primärwald, also einen Wald, den Menschen noch nie genutzt haben, gibt es hierzulande nicht. Der älteste deutsche Wald liegt auf der Ostseeinsel Vilm (Foto links): Dort wurde seit mehr als 450 Jahren kein Baum mehr gefällt 22
Eine einzige Buche gibt pro Tag bis zu 500 Liter Wasser über ihre Blätter an die Luft ab und beeinflusst so das Mikroklima. In ihren Blättern wandeln Bäume Kohlendioxid in Zucker um. Forschende fanden heraus, dass verschiedene Baumarten untereinander über die Wurzeln Kohlenstoffhandel betreiben. Möglicherweise gewinnt das Ökosystem dadurch an Stabilität und ist so bei Trockenheit oder Schädlingsbefall besser geschützt. 23
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