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Wallis

«Es gibt wohl

nicht viele Chefs,

bei denen sich

Angestellte

bedanken, dass sie

arbeiten dürfen»

Das Atelier Manus feiert sein 50-Jahr-Jubiläum. Was mit einigen

wenigen Sockenstrickerinnen für die Schweizer Armee begonnen

hat, ist heute ein Betrieb mit 190 Mitarbeitenden. Geschäftsführer

Christian Escher wirft einen Blick zurück und voraus.

Mitten im Wohngebiet: Das Grundstück am Standort der Atelier-Manus-Werkstätten am Jesuitenweg ist inzwischen vollständig ausgenutzt.

Manuela Pfaffen

Christian Escher, Sie sind seit

2015 Geschäftsführer des Atelier

Manus. Davor war es Ihr

Vater Stefan Escher. Ist das

Atelier Manus eine Herzensangelegenheit?

Ja, es ist schon eine Herzensangelegenheit.

Seit ich mich erinnern

kann, hat sich mein Vater

für das Atelier Manus engagiert.

Es war zwar nie mein erklärtes

Ziel, in seine Fussstapfen zu treten,

aber ich habe meine Tätigkeit

hier noch keinen einzigen Tag

bereut.

Was beschäftigt Sie als

Geschäftsführer besonders?

Das Atelier Manus ist inzwischen

sehr gross. Wir haben unseren

Umsatz in den letzten 15

Jahren verdoppelt. Wir betreiben

zwölf verschiedene Abteilungen.

Das sind quasi zwölf kleine

Firmen unter einem Dach.

Es ist spannend, aber auch eine

grosse Herausforderung, sicherzustellen,

dass in allen Abteilungen

ideale Rahmenbedingungen

herrschen. Das ist das eine.

Und das andere?

Wer hierherkommt, hat oft einen

schwierigen Weg hinter sich.

Es gibt persönliche Schicksale,

die einen sehr betroffen machen

und teilweise auch nach der Arbeit

noch beschäftigen. Andererseits

gibt es wohl nicht allzu viele

andere Geschäftsführer und

Chefs im Oberwallis, bei denen

sich Angestellte nach den Betriebsferien

bedanken, dass sie

wieder arbeiten dürfen.

Welche konkreten Ziele verfolgt

die Stiftung Atelier Manus?

Ich würde es aktuell so definieren:

Wir bieten Menschen, die keinen

oder einen erschwerten Zugang

zum allgemeinen Arbeitsmarkt

haben, ein wertschätzendes

Umfeld, eine berufliche Ausbildung

und eine Perspektive.

Braucht man Arbeit, um ein

sinnhaftes Leben zu führen?

Davon bin ich überzeugt. Ich

habe ein eindrückliches Beispiel

aus der Corona-Zeit dafür: Als

der Bundesrat empfohlen hat,

wann immer möglich daheimzubleiben,

haben wir es unseren

Mitarbeitenden freigestellt,

ob sie zur Arbeit kommen oder

bei 100 Prozent Lohnfortzahlung

daheimbleiben wollen. 80

Prozent der Leute kamen in den

Betrieb. Und wer zu Hause geblieben

ist, hat das vor allem

aus gesundheitlichen Gründen

getan. Das zeigt mir, dass Arbeit

mehr ist als der Lohn, den man

Ende Monat erhält. Hierzulande

wird man ja zudem stark über

die Arbeit definiert. Deshalb reden

wir auch nicht von Klienten,

sondern von Mitarbeitenden.

Wenn Ihre Mitarbeitenden erzählen,

dass sie im Atelier Manus

arbeiten, was assoziieren

die Leute Ihrer Meinung nach

damit?

Ich denke, man nimmt uns als

wirtschaftlich orientiertes Unternehmen

mit sozialem Hintergrund

wahr. Wir können fast alles,

wir brauchen einfach mehr

Zeit dafür oder machen es auf

einen anderen Weg. Aber alle

Dienstleistungen und Produkte,

die unser Haus verlassen,

werden verkauft. Damit sind

wir schon sehr nahe am allgemeinen

Arbeitsmarkt. Die Qualität

und der Preis stimmen,

denn keiner kauft aus purem

sozialen Gedanken bei uns. So

haben wir uns auch einen respektablen

Selbstfinanzierungsgrad

erarbeitet.

Seid ihr ein Konkurrent für

das lokale Gewerbe?

Überhaupt nicht. 85 Prozent

unserer Produkte und unserer

Dienstleistungen stehen in keiner

direkten Konkurrenzsituation

zu anderen. Für mich gibt es ausserdem

keinen ersten und zweiten

Arbeitsmarkt. Es gibt nur einen

und wir alle – insbesondere

unsere Mitarbeitenden – haben

das Recht, darauf aufzutreten.

Wo haben wir im Umgang mit

Menschen mit Behinderungen

noch Luft nach oben?

Ein grosses Schlagwort ist sicher

die Wahlfreiheit. Es gibt Mitarbeitende

bei uns, die haben keine

Wahlfreiheit darüber, wo sie

wohnen, arbeiten oder in welchem

Verein sie mitmachen. Ein

anderes Beispiel: Wenn eine Person

mit Mobilitätseinschränkun-

gen in ihrem Rollstuhl eine Zugreise

unternehmen will, kann sie

nicht mit jedem Zug mitfahren.

Sie muss sich teilweise vorher

anmelden, um in den Zug gehievt

zu werden. Da hat sie keine

Wahlfreiheit und wird von den

Umständen behindert. Es wäre

schön, wenn Menschen mit Behinderungen

ein selbstverständlicher

Teil des gesellschaftlichen

Lebens wären.

«Arbeit ist

mehr als der

Lohn, den

man Ende

Monat erhält.»

Christian Escher

Geschäftsführer Atelier Manus

Sie sagten in einem Interview,

Ausbildung und Jobcoaching

auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

werde immer wichtiger.

Inwiefern?

Es ist wann immer möglich unser

Ziel, die Mitarbeitenden in

den allgemeinen Arbeitsmarkt

zu integrieren. Das geschieht

auch regelmässig. Mehrere unserer

Leute arbeiten Voll- oder

Teilzeit in anderen Unterneh-

men, zum Beispiel bei der Post.

In einem ersten Schritt bleiben

sie bei uns angestellt. Sie

und das Unternehmen werden

von uns professionell begleitet.

Wir als Atelier Manus stellen

dem betreffenden Unternehmen

Ende Monat die Leistung

dieser Mitarbeitenden in Rechnung.

Wenn sich das Unternehmen

und unser Mitarbeitender

sicher genug fühlen, kann die

Christian Escher ist seit 2015 Geschäftsführer des Atelier Manus.

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