2022
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Freitag, 16. September 2022
Die Geschichte des Atelier Manus in Kürze
Das heutige Atelier Manus nahm
1972 mit drei Mitarbeitenden seinen
Anfang. 1976 kam es unter
dem Namen Holzbildhauer- und
Kunsthandwerkatelier des Oberwalliser
Invalidenverbandes zum
Arbeitsbeginn in der Werkstätte
im Glisergrund. Die Schnitzerei-
Abteilung wurde ins Leben gerufen.
1984 wurde die Stiftung
Holzbildhauer- und Kunsthandwerkatelier
des Oberwalliser Invalidenverbandes
gegründet. Die
Gründungsräte waren Hugo Roten,
Meinrad Heldner, Albert Bass,
Stefan Escher, Dr. Theo Pfammatter,
Walter Borter und Walter
Blatter. Der erste Geschäftsführer
hiess Stefan Escher. Im
Laufe der Jahre kamen verschiedene
Abteilungen wie Handbuchbinderei
und Montage hinzu.
1995 wurde der Name von
«Holzbildhauer- und Kunsthand-
werkatelier des Oberwalliser Invalidenverbandes»
zu «Atelier Manus»
geändert. 2015 ging der
bisherige Geschäftsführer in
Pension. Christian Escher trat
seine Stelle an. Das Atelier Manus,
eine private Stiftung zur Förderung
der beruflichen und sozialen
Integration von Menschen
mit Behinderung, ist heute auch
ein Dienstleistungsunternehmen
mit zwölf Abteilungen und 190
Mitarbeitenden an verschiedenen
Standorten. Sie generieren
einen Umsatz von 6,5 Millionen
Franken und liegen damit bezüglich
Wirtschaftlichkeit und Wertschöpfung
im Kreis der grösseren
Oberwalliser KMU-Betriebe. Albert
Bass gibt das Amt als Stiftungsratspräsident,
das er seit
2016 innehatte, im Jubiläumsjahr
an Esther Waeber-Kalbermatten
weiter.
Der Tag der offenen Tür
Zur Feier des 50-Jahr-Jubiläums
findet am Samstag, 17. September,
von 9.30 bis 15.00 Uhr ein
Tag der offenen Tür statt. Nach
den Begrüssungsreden der neuen
Stiftungsratspräsidentin Esther
Waeber-Kalbermatten und des
langjährigen Atelier-Manus-Mitarbeiters
Sven Lochmatter warten
Speis und Trank, Live-Musik
sowie Kinderanimation auf die
Besucher.
dstück am Standort der Atelier-Manus-Werkstätten am Jesuitenweg ist inzwischen vollständig ausgenutzt.
Bilder: Andrea Soltermann
Person natürlich fest angestellt
werden und unsere Begleitung
endet. Und wenn es nicht funktioniert,
kann sie jederzeit zu uns
zurückkommen. Das ist eine Absicherung
für alle und wir haben
sehr gute Erfahrungen damit
gemacht. Hier hat der Kanton
eine wirklich gute Massnahme
geschaffen.
1972 ging es beim Atelier
Manus, damals noch unter
anderem Namen, mit einigen
wenigen Mitarbeitern los.
Welche Rolle haben Armeesocken
und Schnitzereien
dabei gespielt?
Die treibenden Kräfte waren Hugo
Roten und Meinrad Heldner,
beide selber von Gehbehinderungen
betroffen. Sie waren
der Meinung, es brauche mehr
Beschäftigungsmodelle für Menschen
mit Behinderungen. Die allererste
Tätigkeit war dann eine
Heimarbeit, und zwar Socken
stricken für die Armee. Danach
kam das Schnitzen dazu. Das Bedürfnis
nach Arbeitsplätzen für
Menschen mit Behinderungen
ist gewachsen und Schnitzen ist
ja auch nicht jedermanns Sache.
So hat man im Atelier Manus
nach und nach immer mehr Bereiche
erarbeitet.
Bis 1993 war die Schnitzerei
die Haupteinnahmequelle.
Wie sieht es heute aus?
Die Schnitzerei ist inzwischen
beinahe unser kleinster Bereich.
Wir sind heute sehr breit auf-
gestellt. Das hat auch wirtschaftliche
Gründe. Wenn bei wenigen
Abteilungen ein Grosskunde
abgesprungen ist, hatten plötzlich
viele Leute keine Arbeit
mehr. Dem hat man entgegengewirkt,
indem man sich auch innerhalb
der Abteilungen diversifiziert
hat.
Was ist heute das wichtigste
Standbein?
Rein personenmässig ist es die
Montage mit 25 Mitarbeitenden.
Wirtschaftlich gesehen sind
unter anderem die Brockenstube
und die Paletten-Fabrikation
umsatzstark. Das ist ebenfalls
ein Aspekt, den die Stiftung
seit jeher auszeichnet: Wir versuchen
immer, wirtschaftlich zu
arbeiten.
Das jüngste Angebot, den Velo-Kurierdienst
ViaVelo, gibt
es erst seit März 2022. Wie hat
er sich bisher bewährt?
Wir haben viele positive Rückmeldungen
dazu bekommen.
Sowohl von den Mitarbeitenden
als auch von den Kunden.
Wir haben niemanden, der den
ganzen Tag Velo fährt, aber alle
Mitarbeitenden des Atelier Manus,
die diesen Dienst übernehmen
wollen, dürfen das auch.
Wir haben eigens aus diesem
Grund Spezialvelos angeschafft.
Inzwischen haben wir
erfreulich viele Anfragen, sodass
wir uns überlegen, daraus
eine eigene Transportabteilung
zu machen.
Welche anderen Angebote
könnten in Zukunft dazukommen?
Es werden wohl vor allem Angebote
sein, die auf Inklusion
ausgerichtet und in der Gesellschaft
eingebettet sind. So
wie es etwa beim café weri
oder eben bei ViaVelo der
Fall ist. Wir achten bei unseren
Angeboten auch jeweils darauf,
dass sie ergänzender Natur
sind. Lieber belegen wir Nischen
oder gehen Partnerschaften
ein, als dass wir uns in eine
Konkurrenzsituation begeben.
Das Atelier Manus bietet über
1000 verschiedene Produkte
und Dienstleistungen an. Welches
sind die Bestseller?
Klassische Produkte wie Käseoder
Wursthobel, Pfeffermühlen
und Arvenprodukte kommen
bei unseren Kunden immer
sehr gut an. Aber auch Upcycling-Produkte
sind im Moment
sehr gefragt. Wir arbeiten
zum Beispiel gerade mit Stefanie
Heinzmann zusammen. Sie
hat uns eine übergrosse Blache
aus einem Anlass zur Verfügung
gestellt. Daraus haben
wir Rucksäcke und Taschen
hergestellt.
Hat sich die Beliebtheit
von verschiedenen Produkten
über die Jahre hinweg
verändert?
Gerade die Corona-Zeit hat einen
Trend in Richtung lokal,
nachhaltig und sozial ausge-
löst. Wir hatten plötzlich Anfragen
von Grossunternehmen
für Paletten, die diese davor
im Ausland eingekauft haben.
Während der Pandemie haben
sie dann gemerkt, wie abhängig
sie von Lieferketten und
der politischen Stabilität in verschiedenen
Ländern sind. Da
hat sich unsere Strategie ausgezahlt,
wann immer möglich vor
Ort einzukaufen.
Das Atelier Manus beschäftigt
aktuell 190 Mitarbeitende.
Kennen Sie alle davon?
Ich würde sagen, ich kenne
98 Prozent der Leute, die bei uns
einen Anstellungsvertrag haben.
Bei den meisten weiss ich auch,
woher sie kommen und was sie
neben der Arbeit noch so beschäftigt.
Aber generell wünsche
ich mir schon noch mehr persönliche
Präsenz. Ich arbeite seit
diesem Jahr in jeder Abteilung jeweils
einen halben Tag lang mit.
Das sind interessante Stunden
für alle Beteiligten.
Wie lautet das Geheimnis
hinter der Erfolgsgeschichte
des Atelier Manus?
Mich beeindruckt, wie sehr sich
die Leute mit dem Betrieb identifizieren,
vom Stiftungsrat über
das Personal und bis zu den
Mitarbeitenden.
In einem Interview von vor
zehn Jahren sagten die damaligen
Stiftungsräte, baulich
gebe es beim Atelier
Manus keinen Bedarf mehr,
neue Arbeitsplätze könnten
geboten werden, aber beim
Personalbestand sei man am
oberen Limit angekommen.
Einverstanden?
Wenn man sich die Entwicklungen
der letzten Jahre anschaut,
sieht man, dass es ganz anders
gekommen ist. Es zeichnet
uns als Stiftung aus, dass wir
versuchen, Trends, Notwendigkeiten
und Möglichkeiten zu erfassen
und darauf zu reagieren.
Am Standort der Werkstätten
am Jesuitenweg in Glis sind wir
rein baulich tatsächlich an unsere
Grenzen gelangt, die Fläche
ist jetzt wirklich ausgenutzt. Es
wird eine der grossen künftigen
Herausforderungen für die Stiftung
sein, Bauland als Reserve zu
beschaffen.
Worin liegen die anderen
Herausforderungen? In der
Arbeitsplatznachfrage?
Die Nachfrage schwankt im Verlauf
der Jahre jeweils ein wenig.
Was wir wissen: Es gibt im
Oberwallis wenig Arbeitsplätze
im Bürobereich und solche für
Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen.
In diesen Bereichen
wird es in Zukunft noch
mehr Bedarf geben. Wir sind
derzeit daran, Personal dafür zu
schulen. Der Fokus wird jedoch
nicht unbedingt auf Arbeitsplätzen
in unseren Lokalitäten liegen,
sondern nach Möglichkeit integrativ
in den Unternehmungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes.
Schlussendlich werden wir aber
auch in Zukunft nur das anbieten,
was von Menschen mit
Behinderungen gewünscht und
gefordert wird. Das ist unsere
Aufgabe und unsere Existenzberechtigung.
Welche Wünsche haben Sie
für die Zukunft des Atelier
Manus?
Ich würde mir wünschen, dass
Menschen mit Behinderungen
mit einem normalen Lebensstil
keine finanziellen Sorgen haben
müssen. Viele Betroffene kommen
über das Existenzminimum,
das ihnen die IV-Rente garantiert,
nicht hinaus. Sie sind auf
Ergänzungsleistungen angewiesen.
Wenn sie zusätzlich arbeiten,
kann jeder Franken, den
sie dazuverdienen, auf der anderen
Seite wieder abgezogen
werden. Ausserdem würde ich
mir wünschen, dass Menschen
mit Behinderungen ein selbstverständlicher
Teil der Gesellschaft
werden und ein selbstbestimmtes
Leben nach ihren individuellen
Vorstellungen führen
dürfen. Und natürlich, dass wir
weiterführen können, was die
Personen vor uns in den letzten
50 Jahren geleistet haben,
und dass sich das Atelier Manus
nach wie vor gesund entwickelt.
Ich habe das Privileg, gemeinsam
mit unserem Stiftungsrat
ein schönes Werk nach aussen
zu vertreten. Das Herz der
Stiftung aber sind unser Personal
und unsere Mitarbeitenden.
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