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Tabuthema Frauenarmut - Zonta Club Karlsruhe e.V.

Frauenarmut hat viele Gesichter. Tun wir etwas!

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Den Frauen half insgesamt,<br />

dass sie Bescheidenheit, zumal<br />

als Mädchen, in den harten<br />

Nachkriegsjahren gelernt<br />

hatten und aus allem etwas<br />

machen konnten.<br />

>> besonders verwundbar: „Wie schnell kann etwas WELCHE STRATEGIEN ENTWICKELN FRAUEN, DIE<br />

kommen“, so eine Interviewte, die auf ihre Zusatzarbeit<br />

zur Rente angewiesen war. Wenn z. B. eine Krankheit<br />

das Weiterarbeiten unmöglich macht, was dann? Diese<br />

Antizipation oder bereits beginnende Vulnerabilität in<br />

körperlicher Hinsicht wird besonders prekär erlebt, weil<br />

kein materielles Polster oder ein zweites Haushaltseinkommen<br />

diese mit dem Alter kommenden Unsicherheiten<br />

auffangen kann. Verwundbar machen die fragilen<br />

SICH BEREITS IN ARMUT BEFINDEN, UM IHR LEBEN<br />

ZU MEISTERN UND LEBENSWERT ZU MACHEN.<br />

HABEN SIE ERFAHRUNGEN HIERZU GEMACHT?<br />

Wir waren insgesamt sehr berührt von der oft klaglosen<br />

täglichen Leistung im Kampf gegen Armut. Eine Interviewte<br />

brachte es auf den Punkt: Sie sei nur am „Laufen<br />

und Rennen“ (nach Sonderangeboten) und am Rechnen,<br />

was sie sich noch leisten kann.<br />

Arrangements des Wirtschaftens: Mieterhöhung,<br />

gesundheitliche Einbußen, wie lange kann ein Minijob<br />

noch ausgeführt werden? Was passiert, wenn man<br />

Heimkosten aufbringen muss? Diese Sorgen bekommen<br />

angesichts der knappen Mittel, besonders in einem<br />

Single-Haushalt, ein besonderes Gewicht.<br />

Abhängig zu werden schien den Frauen, die lange Zeit<br />

gewohnt waren, für sich selbst und andere zu sorgen,<br />

außerdem in der Regel für die Gesellschaft unzumutbar.<br />

Die Haltung wiederum führt unseren Beobachtungen<br />

und Interview-Befunden nach dazu, dass möglichst<br />

autark gelebt und gewirtschaftet wird, und man sich<br />

an die materiellen und physischen Einschränkungen<br />

anpasst. Manche Frauen bräuchten z. B. längst Hilfe im<br />

Haushalt, doch bleiben sie, bis es überhaupt nicht mehr<br />

geht, autark, und verzichten weiter. Diese frauen- und<br />

generationenspezische Haltung des Selbst-Zurechtkommen-Müssens<br />

und „An die nächste Generation-<br />

Geben-Wollens“ verhindert, dass man selbst in seiner<br />

Bescheidenheit und Zurückhaltung Unterstützung holt.<br />

Die Folge ist häufig aber Rückzug und Einsamkeit.<br />

Ein Kaffee mit Freundinnen war nicht mehr drin.<br />

Rückzug eine häufige Folge. Nicht einmal den eigenen<br />

Kindern wurde gesagt, dass man das Fahrgeld nicht<br />

aufbringt, um sie zu besuchen. Die Frauen, die ein<br />

Leben lang für die Familie da waren, wollten nun „niemandem<br />

zur Last fallen“. Auch das Sozialamt wurde nur<br />

mit großer Scham betreten, wenn überhaupt. Lieber<br />

wurde ein Minijob ergriffen, sofern der eigene Körper<br />

dies noch erlaubte. Andere sparten und verzichteten,<br />

die Möbel wurden geschont, Kleidung aufgetragen, medizinisch<br />

Notwendiges nicht mehr gemacht, Abonnements<br />

gekündigt. Es wurde beim Kochen improvisiert,<br />

am Monatsende gab es halt schon mal nur Spiegeleier.<br />

Den Frauen half insgesamt, dass sie Bescheidenheit,<br />

zumal als Mädchen, in den harten Nachkriegsjahren<br />

gelernt hatten und „aus allem etwas machen konnten“.<br />

Einzelne tauschten oder verkauften Selbstgemachtes<br />

oder engagierten sich in Ehrenämtern; die Aufwandsentschädigung<br />

war für sie genauso hilfreich wie die<br />

sozialen Kontakte.<br />

Foto Robert Haas<br />

DER GENDER PENSION GAP IST AUCH IN DEN<br />

LETZTEN JAHREN NICHT WESENTLICH GESUNKEN.<br />

WAS IST IHRER ANSICHT NACH ZU TUN? WELCHE<br />

POLITISCHEN MASSNAHMEN SIND ERFORDERLICH?<br />

Das Problem muss von zwei Ebenen aus angegangen<br />

werden. Zunächst ist es wichtig, dass die Politik im<br />

Großen die Weichen des immer noch gegenderten<br />

Arbeitmarktes anders stellt und hilft, die Familienrollen<br />

gleichgewichtiger werden zu lassen. Minijobs und Teilzeitarbeit<br />

bringen einfach keine oder weniger Rentenpunkte.<br />

Frauen verfangen sich häufig in diesen auf Dauer<br />

gestellten Teilzeitpositionen. Das Ehegattensplitting<br />

gehört abgeschafft, weil es diese Rolle der Frauen als<br />

Zuarbeiterinnen in einer Eineinhalb-Ernährerfamilie<br />

begünstigt und weiter verfestigt. Damit Frauen früher<br />

wieder in den Arbeitsmarkt auch in Vollzeit zurückkehren<br />

können, ist es unerlässlich auch die Kinderbetreuung<br />

weiter auszubauen. Desweiteren müssen die Renten<br />

konsolidiert werden, sie wurden in den letzten Dekaden<br />

immer weiter strukturell abgesenkt. Vielleicht sind die<br />

von der neuen Koalition angestrebten aktienbasierten<br />

Zusatzrenten eine Lösung aus der Rentenmisere. Die<br />

zweite Handlungsebene betrifft die Frauen selbst, die<br />

Frau Prof. Dr. Irene Götz ist Dekanin der Fakultät für Kulturwissenschaften an der<br />

Ludwig-Maximilian-Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind<br />

Altersforschung; Identitätspolitik/nationale Selbst- und Fremdbilder; Arbeits- und<br />

Organisationsethnographie; Biographieforschung; Neuer Nationalismus in Europa;<br />

Familienforschung. Sie ist u.a. Gutachterin für die Deutsche Forschungsgemeinschaft,<br />

den Schweizerischen Nationalfonds und die VW-Stiftung sowie Gastautorin in Spiegel<br />

Online und Zeit Online.<br />

beizeiten reflektieren sollten, wie sie – durch entsprechende<br />

Berufswahl und partnerschaftliche Arrangements<br />

in der Familie – ein auskömmliches Alterseinkommen<br />

sichern können und dabei ein Stück weit autark bleiben.<br />

Die heutigen Renterinnengenerationen hatten, das zeigt<br />

unser Buch, sich zu wenig noch um (eigenes) Geld<br />

gekümmert, das muss sich dringend ändern.<br />

VIELEN DANK<br />

Buch-Tipp:<br />

Besonders Frauen sind im Alter oft von Armut<br />

bedroht. Wie kommen sie mit wenig Geld<br />

zurecht? Welche Strategien entwickeln sie,<br />

um dennoch am sozialen und kulturellen<br />

Leben teilzuhaben?<br />

In „Kein Ruhestand“ nimmt uns Prof. Dr.<br />

Irene Götz (Hrg.) mit in ein Leben all jener<br />

Frauen, die mit Altersarmut umgehen müssen;<br />

Verlag Antje Kunstmann GmbH; 20 Euro.<br />

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