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Brot und Spiele - Münchner Feuilleton

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<strong>Münchner</strong> <strong>Feuilleton</strong><br />

I KULTUR · KRITIK · KONTROVERSEN I<br />

JANUAR<br />

NR. 04 · 14.01. – 11.02.2012 · 2,50 EURO · www.muenchner-feuilleton.de<br />

MUSIK SEITE 20<br />

»Wagner hat die Musikgeschichte<br />

verändert«<br />

Unter der musikalischen Leitung von<br />

Kent Nagano wird 2012 Richard Wagners<br />

»Ring des Nibelungen« neu auf<br />

die Bühne der Bayerischen Staatsoper<br />

gebracht. Ein Mammutprojekt.<br />

FILM SEITE 04<br />

Foto: Wilfried Hösl<br />

»Die Welt braucht das Kino«<br />

Regisseur Edgar Reitz spricht über sein<br />

neues Filmprojekt, Untreue im Filmgeschäft<br />

<strong>und</strong> die Eitelkeit der Melancholie.<br />

STADTBILD SEITE 08<br />

© Edgar Reitz Filmproduktion<br />

Ein Blick in die gepackten Koffer:<br />

Den Weg zurück ins Leben, nach dem<br />

Holocaust, zeichnet eine Ausstellung<br />

im Jüdischen Museum nach – speziell<br />

auch in Föhrenwald bei Wolfratshausen,<br />

einer der Anlaufstellen <strong>und</strong> Zwischenstationen<br />

jüdischer Überlebender.<br />

MÜNCHNER KÖPFE SEITE 15<br />

Der Urbayer <strong>und</strong> der Anarchist:<br />

An die Schauspieler Beppo Brem <strong>und</strong><br />

Jörg Hube erinnern zwei durchaus<br />

unterschiedliche Ausstellungen.<br />

BÜHNE SEITE 18<br />

Kritikenr<strong>und</strong>schau: die jüngsten<br />

Premieren an den Kammerspielen<br />

<strong>und</strong> im Residenztheater.<br />

LITERATUR SEITE 24<br />

Foto: Arno Declair<br />

Die Kritiker-Jury empfiehlt »Die<br />

deutsche Seele« von Thea Dorn<br />

<strong>und</strong> Richard Wagner als eines der<br />

Sachbücher des Monats. Für den<br />

Historiker Wolfgang Benz ist das Werk<br />

eine Ansammlung von Banalitäten.<br />

MÜNCHNER FEUILLETON<br />

BREISACHERSTRASSE 4 I 81667 MÜNCHEN<br />

Foto: Gila Sonderwald<br />

Der nackte Wahnsinn: Das ist das, was echten Künstlern ja angeblich aus den Augen blitzt. Sie sind Grenzgänger im Kampf<br />

um Gleichgewicht, Geld <strong>und</strong> Anerkennung. Hoffnungsfroh am Jahresanfang, bis die Förderungen bekannt gegeben werden.<br />

Bleibt man im Spiel? Fliegt man raus? Welche Tür ist die richtige? Umschulen? Das Lustspielhaus zeigt<br />

Michael Frayns Theater-Albtraum mit aller Lust am Schmerz, den die Darsteller aufzubieten haben. Mehr auf Seite 17.<br />

<strong>Brot</strong> <strong>und</strong> <strong>Spiele</strong><br />

Kunst ist teuer – Wirtschaftskrisen sind es auch. Deshalb ist das Gejammer über Unternehmen,<br />

die sich aus der Kulturförderung zurückziehen, gerade groß. Aber mal im Ernst: Zu welcher Zeit<br />

haben Künstler sich denn nicht über den Geiz der Geldgeber beschwert?<br />

Dagobert Duck, die reichste Ente der Welt,<br />

besitzt laut Berechnung führender Donaldisten<br />

ein Barvermögen von 13 Trillionen, 224<br />

Billionen, 567 Milliarden, 778 Millionen<br />

Talern <strong>und</strong> 16 Kreuzern. Sein gesch<strong>und</strong>ener<br />

Neffe Donald versucht nun schon beinahe ein<br />

Comicjahrh<strong>und</strong>ert lang, ihm zumindest ein<br />

paar Taler zu entlocken. Ähnlich dürften sich<br />

auch viele Kulturschaffende fühlen, die verzweifelt<br />

versuchen, bei Unternehmen ein paar<br />

Euro locker zu machen, um ihr Festival, ihre<br />

Performance, ihre Ausstellung fi nanzieren zu<br />

können.<br />

Kunst ist teuer – Wirtschaftskrisen sind<br />

es leider auch. Und deshalb ist das Geschrei<br />

gerade besonders groß, denn aus der Kulturförderung<br />

zieht sich ein Dagobert natürlich<br />

als erstes zurück, wenn es ihm an den Geldspeicher<br />

geht. Das ist sehr schade. Dennoch<br />

ist der aktuell besonders laut geäußerte<br />

Unmut über die Knausrigkeit der Privatwirtschaft<br />

übertrieben. Denn erstens wurde<br />

immer <strong>und</strong> zu jeder Zeit über den Kulturgeiz<br />

geschimpft – auch in wirtschaftlich besseren<br />

Zeiten. Und zweitens kann man halt niemanden<br />

zur Kulturförderung zwingen.<br />

Künstler <strong>und</strong> Förderer gehen von zwei<br />

unterschiedlichen Moralvorstellungen aus,<br />

die man schlecht gegeneinander ausspielen<br />

kann: Der Kulturjünger schreit nach dem<br />

Mäzen, der uneigennützig gibt <strong>und</strong> sich nicht<br />

einmischt, einfach so, der guten Sache<br />

wegen. Die Privatwirtschaft aber ist Anhänger<br />

des Euergetismus, in dem das Mäzenatentum<br />

als Herrschaftsprinzip verstanden<br />

wird <strong>und</strong> man auf <strong>Brot</strong> <strong>und</strong> <strong>Spiele</strong> baut:<br />

LIEBE LESERINNEN UND LESER !<br />

Schenk dem Volk einen Aquädukt <strong>und</strong> es<br />

wird dich lieben <strong>und</strong> akzeptieren (<strong>und</strong> deine<br />

Produkte kaufen).<br />

Heute bauen Siemens, BMW <strong>und</strong> Eon<br />

zwar keine Aquädukte mehr, aber in hellenistischer<br />

Tradition fördern sie (noch) Theater,<br />

Musik, bildende Kunst, Film. Wenn diese Förderung<br />

nicht mehr in den Schlachtplan passt,<br />

dann hat der Künstler: Pech. Das ist blöd, war<br />

aber schon immer so. Zu jedem Zeitpunkt im<br />

Kulturfahrplan ging es irgendeinem Gönner<br />

mal schlechter als zuvor <strong>und</strong> diesem oder<br />

jenem Künstler wurde der Geldhahn zugedreht.<br />

Nach dem Niedergang der Medici, die<br />

die halbe Renaissance fi nanziert hatten, ist<br />

das Abendland auch nicht untergegangen.<br />

Bevor dieser Zeitung, deren Hauptaugenmerk<br />

die Kultur ist, nun die politische Gelbsucht<br />

attestiert wird: Auch das <strong>Münchner</strong><br />

<strong>Feuilleton</strong> baut auf das Geld der Privatwirtschaft,<br />

da wir, mal besser, mal schlechter,<br />

werbefinanziert sind. Speziell in diesem<br />

Bereich ist die Wirtschaftskrise spürbar <strong>und</strong><br />

auch wir wollen, dass Unternehmen sich für<br />

die Kunst engagieren: dauerhaft, großzügig!<br />

– allerdings kann man sich das nur wünschen<br />

<strong>und</strong> nicht rumpelstilzig verlangen.<br />

Das uneigennützige Mäzenatentum, es<br />

ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit.<br />

Charles Dickens, dessen 200. Geburtstag in<br />

diesem Februar begangen wird, hat über solche<br />

Großzügigkeit eine schöne Versuchsanordnung<br />

in einen Roman gepackt: »Große<br />

Erwartungen« erzählt vom jungen Pip, der<br />

durch einen anonymen Gönner gesellschaft-<br />

Schön, dass Sie die Nr. 4 des <strong>Münchner</strong> <strong>Feuilleton</strong>s in Händen halten. Wir wünschen Ihnen viel<br />

Vergnügen mit der neuen Ausgabe. Lassen Sie uns wissen, was Ihnen gefällt <strong>und</strong> was Ihnen fehlt –<br />

wir freuen uns auf Ihre Anregungen! Wenn Sie möchten, dass das <strong>Münchner</strong> <strong>Feuilleton</strong> monatlich zu<br />

Ihnen kommt: Mehr über unser Förderabo fi nden Sie auf S. 23 im Impressum.<br />

lich aufsteigt, wobei sich die Sache mit dem<br />

Mäzen natürlich komplizierter entpuppt als<br />

gedacht. Dickens, der hier nebenbei auch<br />

eine der schönsten Liebesgeschichten der<br />

Literaturgeschichte geschrieben hat, machte<br />

aus der Not eine Tugend <strong>und</strong> sanierte mit<br />

dem Roman als Fortsetzungsgeschichte das<br />

von ihm herausgegebene Magazin »All The<br />

Year Ro<strong>und</strong>«, für das sich zuvor weder ausreichend<br />

Leser noch Geldgeber gef<strong>und</strong>en hatten.<br />

Irgendwie geht es also immer. Die Kultur<br />

ist nicht vom Aussterben bedroht (Fakten-<br />

Check: Beweise auf Seite 2 dieser Ausgabe).<br />

Vielleicht lässt sich das Wehklagen der Kunstszene<br />

ja auch positiv deuten als Ausdruck<br />

sublimierter romantischer Motive, auf dass<br />

das Leid die Schaffenskraft animiere. Bei<br />

Franz Grillparzer heißt es: »Für das Geliebte<br />

leiden ist so süß ...« ||<br />

DAVID STEINITZ<br />

Einen guten Start ins neue Jahr wünscht Ihnen<br />

Ihr MÜNCHNER FEUILLETON<br />

info@muenchner-feuilleton.de


SPOT<br />

SEITE 02 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

Münchens Privatwirtschaft<br />

engagiert<br />

sich trotz ständigen<br />

Krisengeredes weiter<br />

stark für die Kultur.<br />

SVEN SIEDENBERG<br />

Krise? Welche Krise? Die<br />

Wirtschaft in Bayern<br />

brummt. Trotz fauler<br />

Kredite <strong>und</strong> hektischer<br />

Umschuldungen, trotz<br />

schwankender Börsenkurse<br />

<strong>und</strong> schwindender<br />

Bonität. Ach so, das<br />

Energieunternehmen<br />

E.ON hat angekündigt,<br />

dem Theaterfestival »Radikal<br />

jung« die fi nanziellen Mittel<br />

zu streichen. Fies? Und wie! Droht<br />

jetzt der kulturelle Kahlschlag?<br />

Eher nicht.<br />

Haus der Kunst<br />

Hochschule<br />

für Musik<br />

<strong>und</strong> Theater<br />

Volkstheater<br />

Keine Frage: Der Rückzug<br />

von E.ON ist ein herber<br />

Schlag für das Volkstheater,<br />

fungierte der Konzern<br />

doch bisher als Hauptsponsor<br />

des 300.000 Euro teuren Festivals.<br />

Durch die politische Entscheidung,<br />

aus der Atomenergie auszusteigen,<br />

hat sich der Sparzwang für das<br />

Unternehmen jedoch immens<br />

erhöht. Deshalb wird die <strong>Münchner</strong><br />

Firmenzentrale nun im Sommer<br />

geschlossen <strong>und</strong> deshalb fallen 1500<br />

Arbeitsplätze weg. »Unser Engagement<br />

im Kulturbereich ist standortgeb<strong>und</strong>en«,<br />

erklärt E.ON-Sprecherin<br />

Gräfi n von Posadowsky. »Es<br />

macht für uns einfach keinen<br />

Sinn, ein Theaterfestival an<br />

einem Ort zu unterstützen, an<br />

dem wir in Zukunft nicht mehr<br />

präsent sein werden.« Das verstehen<br />

sogar die betroffenen Theatermacher.<br />

»Die Standortschließung<br />

hat nichts mit der Finanzkrise zu<br />

tun«, sagt Volkstheater-Pressesprecher<br />

Frederik Mayet, »sondern mit<br />

der Umstrukturierung des Konzerns.«<br />

Zwar werde es schwierig<br />

ohne das dringend benötigte Geld<br />

von E.ON, aber man sei optimistisch,<br />

einen neuen Sponsor zu fi nden.<br />

»Wir werden jedenfalls alles<br />

tun, um das Festival am Leben zu<br />

erhalten.«<br />

Der Optimismus ist gerechtfertigt.<br />

Gerade hat München wieder den<br />

Titel »Wirtschaftsstärkste Metropole<br />

Deutschlands« verliehen<br />

bekommen. Hier gibt es die<br />

meisten Unternehmenszentralen,<br />

die größte Kauf-<br />

Hochschule<br />

für Fernsehen<br />

<strong>und</strong> Film<br />

NS-Dokumentationszentrum<br />

Spielart<br />

kraft, die üppigsten<br />

Steuereinnahmen.<br />

Und während<br />

anderswo Kultureinrichtungen<br />

wegen der<br />

Finanzkrise schließen (Schauspielhaus<br />

Wuppertal, Rose Museum<br />

Boston) oder mit schmerzhaften<br />

Einschnitten rechnen müssen<br />

(Staatstheater Schwerin, Philadelphia<br />

Orchestra), wurde in der Landeshauptstadt<br />

der millionenschwere<br />

Neubau der Hochschule für Fernsehen<br />

<strong>und</strong> Film eröffnet. Auch gibt es<br />

Geld für das NS-Dokumentationszentrum,<br />

die Sanierung des<br />

Deutschen Theaters sowie für<br />

die Neugestaltung des Stadtmuseums.<br />

Andererseits stimmt es natürlich,<br />

dass die hiesige öffentliche<br />

Hand angesichts der angespannten<br />

Haushaltslage es nicht mehr duldet,<br />

dass Budgets überzogen werden.<br />

Und ja doch, das Geld für die regelmäßigen<br />

Tarifsteigerungen der<br />

Angestellten könnte man auch für<br />

die Kunst selbst gut verwenden.<br />

Aber jenseits vereinzelter Kürzungen<br />

<strong>und</strong> moderater Konsolidierungspakete<br />

in den städtischen <strong>und</strong><br />

staatlichen Kulturetats darf man<br />

erfreut feststellen, dass außer E.<br />

ON bisher kein Unternehmen<br />

sich aus laufenden Public-Private-Partnership-Projekten<br />

in<br />

München zurückziehen will.<br />

Schörghuber unterstützt weiterhin<br />

großzügig das Haus der Kunst,<br />

BMW engagiert sich weiterhin bei<br />

SpielArt <strong>und</strong> dem Dance-Festival,<br />

Allianz fördert weiterhin die Hochschule<br />

für Musik <strong>und</strong> Theater, Philip<br />

Morris gibt weiterhin viel Geld<br />

für das Kunstvermittlungsprogramm<br />

der Pinakotheken<br />

Pinakotheken<br />

aus, die Versicherungskammer<br />

Bayern sponsert<br />

weiterhin »Jugend musiziert«.<br />

Und auch bei Sie-<br />

mens, wo vor zwei Jahren das »Arts<br />

Program“ eingestellt worden ist,<br />

legt man Wert auf die Feststellung,<br />

dass das Kulturprogramm damals in<br />

die Stiftung überführt worden sei.<br />

»Wir heißen seither einfach<br />

anders«, sagt Karolin Timm-<br />

Wachter. Das Budget sei nahezu<br />

Arts Program<br />

gleichgeblieben.<br />

Fragt man Toni Schmid, über Parteigrenzen<br />

hinweg anerkannte Fachkraft<br />

des Bayerischen Kultusministeriums,<br />

was er von dem<br />

anschwellenden Krisengeraune<br />

halte, antwortet er: »Kultur ist<br />

immer in der Krise«. Immer<br />

sei zu wenig Geld da.<br />

Immer gebe es Verteilungskämpfe.<br />

Weshalb es eben<br />

vorkomme, dass Kürzungen<br />

erst einmal beschlossen,<br />

dann aber auch wieder zurückgenommen<br />

werden – wie zuletzt bei<br />

der Bayerischen Staatsbibliothek,<br />

die zunächst mit 1,4 Millionen Euro<br />

weniger auskommen sollte, schließlich<br />

aber nur 200.000 Euro einsparen<br />

musste. Gewandelt habe sich in<br />

der jüngeren Finanzkrisenzeit, fi ndet<br />

Schmid, vor allem das<br />

Klima. »Die Bereit-<br />

schaft, Kooperationen<br />

einzugehen, ist so groß<br />

wie nie.«<br />

Das fi ndet auch Unternehmensberater<br />

Roland Berger, bekennender<br />

Musenfre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kultursponsor.<br />

Sponsoring, so sein Credo,<br />

schaffe eine klassische Win-Win-<br />

Situation. »Die Kulturschaffen-<br />

den profi tieren, weil viele<br />

Projekte sonst nicht realisiert<br />

werden könnten. Die<br />

Unternehmen wiederum<br />

steigern durch Kultursponsoring<br />

ihre Reputation <strong>und</strong> damit<br />

ihren Marktwert.« Sponsoring helfe<br />

zudem, neue K<strong>und</strong>enkreise zu<br />

erschließen, Mitarbeiter zu motivieren<br />

<strong>und</strong> kreative Köpfe zu rekrutieren.<br />

Und handele es sich beim<br />

Sponsoring letztlich nicht auch um<br />

verkappte Konjunkturprogramme?<br />

Deutsches<br />

Theater<br />

Bayerische<br />

Staatsbibliothek<br />

Stadtmuseum<br />

Zum Schluss gute Nachrichten aus<br />

Frankreich. Dort wurde soeben<br />

beschlossen, den Kultur-Etat um<br />

knapp 1 Prozent auf nun 7,9 Milliarden<br />

Euro anzuheben. Die<br />

Franzosen haben scheinbar<br />

verstanden, was Münchens<br />

Kulturreferent Hans-Georg<br />

Küppers schon länger predigt:<br />

»Kultur ist nicht die Sahne<br />

auf dem Kuchen, sondern die Hefe<br />

im Teig.« ||<br />

Dance<br />

Festival<br />

Die<br />

Hefe<br />

im<br />

Teig<br />

Jugend<br />

musiziert


Der<br />

digitale<br />

Hut<br />

geht<br />

um<br />

Anzeige<br />

1<br />

MATTHIAS LEITNER<br />

Schon war die Million beisammen<br />

<strong>und</strong> der »Stromberg«-Kinofi lm mit<br />

Hilfe von Crowdf<strong>und</strong>ing fi nanziert,<br />

noch 2012 wird gedreht. Nachdem<br />

Regisseur Sergej Moya im Dezember<br />

2011 mit seinem Erotikfilm<br />

»Hotel Desire« vorgemacht hat, wie<br />

eine alternative Finanzierung<br />

abseits der altbekannten Förderwege<br />

funktionieren kann <strong>und</strong> sein<br />

Film zum Downdload-Hit geworden<br />

ist, präsentiert sich mit »Stromberg«<br />

das aktuell größte Crowdf<strong>und</strong>ing-<br />

Projekt in Deutschland. Die Macher<br />

hatten eine Woche lang allein über<br />

die Homepage geworben <strong>und</strong> die<br />

Fangemeinde der seit 2004 laufenden<br />

Fernsehserie hat dann für den<br />

Rest gesorgt: das Geld. In den Vereinigten<br />

Staaten ist es mittlerweile<br />

normal, dass große Bands wie Public<br />

Enemy oder Filmemacher wie<br />

Jennifer Fox, die 2011 mit der über<br />

Crowdf<strong>und</strong>ing fi nalisierten Langzeitbeobachtung<br />

eines Gurus, »My<br />

Reincarnation«, auf dem DOK.fest<br />

München zu Gast war, auf Internet-<br />

Plattformen ihre Projekte vorstellen,<br />

um diese dann mit Hilfe einer digitalen<br />

Community zu fi nanzieren. In<br />

Deutschland hat es natürlich wieder<br />

ein bisschen länger gedauert, doch<br />

1<br />

1<br />

seit Ende 2010 können Projekte auf<br />

Seiten wie der <strong>Münchner</strong> Plattform<br />

»mySherpas« oder bei »startnext«<br />

vorgestellt werden. Das Prinzip ist<br />

einfach: Wer genügend Spender für<br />

das selbstdefi nierte Finanzierungsziel<br />

fi ndet, bekommt das Geld <strong>und</strong><br />

kann loslegen, ansonsten erhält<br />

jeder Spender seinen Vertrauensvorschuss<br />

wieder zurück – auf diese<br />

Art wurde beispielsweise auch das<br />

<strong>Münchner</strong>-Magazin »deinblick«<br />

(mehr dazu auf Seite 7) fi nanziert.<br />

Momentan stellt sich auf der Plattform<br />

von »startnext«, neben allerlei<br />

Kurzfi lm-, Foto- <strong>und</strong> Buchprojekten<br />

beispielsweise ein Literaturwettbewerb<br />

der Literaturstiftung Bayern<br />

vor: heute.gestern.morgen. Die<br />

Macher erhoffen sich neben einem<br />

Betrag von 2000 Euro, der schließlich<br />

als Preisgeld in den Wettbewerb<br />

fl ießen soll, vor allem eine junge<br />

netzaffi ne Zielgruppe zu erreichen.<br />

Doch auch wenn der Markt kontinuierlich<br />

wächst, die wenigsten Projekte<br />

erreichen am Ende eine Finanzierung<br />

<strong>und</strong> auch spannende<br />

Vorhaben scheitern zuweilen. So ist<br />

ein Studentenfi lmprojekt, das mit<br />

Hilfe von »Gamecast TV« realisiert<br />

werden sollte, auf »startnext« durch-<br />

gefallen. Das Forschungsprojekt<br />

»Gamecast TV« der Hochschule<br />

Mittweida ist eine Mischung aus<br />

Fernsehen <strong>und</strong> Videospiel, das<br />

künftig als eine Art digitales Filmstudio<br />

für interaktive Erzählungen<br />

in Onlinewelten dienen soll <strong>und</strong><br />

auch schon auf der gamescom in<br />

Köln vorgestellt wurde. Projektleiter<br />

Thomas Schmieder fasst seine<br />

Crowdf<strong>und</strong>ing-Erfahrung folgendermaßen<br />

zusammen: »Was wir vor<br />

allem über Crowdf<strong>und</strong>ing erreicht<br />

haben, ist, dass viele Leute zwar<br />

nicht spenden, aber direkt am Projekt<br />

mitarbeiten wollten. Auf diese<br />

Weise haben wir dann viele Unterstützer<br />

<strong>und</strong> Praktikanten gef<strong>und</strong>en.«<br />

Die Finanzierung des revolutionären<br />

Projekts läuft jetzt über die altbekannten<br />

Wege <strong>und</strong> noch 2012 soll<br />

»Gamecast TV« vorgestellt werden.<br />

Wer sich auf das Abenteuer Crowdf<strong>und</strong>ing<br />

einlässt, sollte also ein<br />

dickes Fell haben, denn als alternative<br />

Finanzierungsform für freie<br />

Kunstprojekte ist Crowdf<strong>und</strong>ing noch<br />

eine Spielwiese: Vielleicht klappt es,<br />

vielleicht nicht, aber so ist es eigentlich<br />

auch immer im Leben. ||<br />

SPOT<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 03<br />

1<br />

Für die einen ist<br />

es digitales Betteln,<br />

für die meisten einfach<br />

eine moderne<br />

Finanzierungsform<br />

<strong>und</strong> vor allem in<br />

Zeiten knapper<br />

öffentlicher Gelder<br />

attraktiv:<br />

Crowdf<strong>und</strong>ing.


FILM<br />

SEITE 04 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

»Die<br />

Welt<br />

braucht<br />

das<br />

Kino«<br />

Seine »Heimat«-Trilogie ist legendär:<br />

Regisseur Edgar Reitz spricht über<br />

sein Serienepos, ein neues Filmprojekt,<br />

Untreue im Filmgeschäft <strong>und</strong><br />

die Eitelkeit der Melancholie.<br />

DAVID STEINITZ<br />

Herr Reitz, ab dem Frühjahr drehen Sie<br />

Ihren nächsten Film. Sind Sie nach so vielen<br />

Jahrzehnten im Filmgeschäft noch aufgeregt?<br />

Ja sicher, immer. Man kann im Filmgeschäft<br />

nie lernen, was man ein für alle Mal zu tun<br />

hat.<br />

Der Film wird dem Geist Ihrer »Heimat«-<br />

Trilogie folgen <strong>und</strong> heißt »Die andere Heimat«.<br />

Worum wird es gehen?<br />

Die Geschichte ist um 1840 angesiedelt, im<br />

Hunsrück, also der Gegend, in der auch die<br />

»Heimat« spielt. Das war die Zeit der Massenauswanderungen.<br />

Nicht nur aus Deutschland,<br />

sondern aus Europa überhaupt haben damals<br />

tausende Menschen ihre Heimat verlassen<br />

<strong>und</strong> sind in die USA oder nach Südamerika<br />

ausgewandert. Vom Hunsrück aus sind die<br />

Leute hauptsächlich nach Brasilien emigriert,<br />

<strong>und</strong> der Film spielt im Vorfeld einer solchen<br />

Auswanderung. Eine Familiengeschichte um<br />

zwei Söhne, es geht um das Thema weggehen<br />

oder hierbleiben.<br />

Warum wieder weiter zurück in die Vergangenheit<br />

<strong>und</strong> nicht näher an die Zukunft,<br />

dort wo die letzte »Heimat« aufhörte?<br />

Diese Geschichte beschäftigt mich schon seit<br />

zwanzig Jahren, ich wollte sie seitdem erzählen<br />

<strong>und</strong> jetzt ist einfach die richtige Gelegenheit<br />

dazu.<br />

»Die andere Heimat« drehen Sie nicht wie<br />

zuvor fürs Fernsehen, sondern fürs Kino.<br />

Ja, das ist ganz eindeutig ein Projekt für die<br />

große Leinwand. Wir werden im Cinema-<br />

Scope-Format drehen. Und das, was ich mir<br />

schon immer gewünscht habe, nämlich in der<br />

Tradition der Kinogeschichte weiterzuarbeiten,<br />

wird hiermit erfüllt.<br />

Und an der Kamera wird wie bei den letzten<br />

beiden »Heimat«-Teilen Ihr Sohn stehen?<br />

Nein, ich arbeite wieder mit Gernot Roll<br />

zusammen, mit dem ich bereits die erste »Heimat«<br />

gemacht habe, eine alte Arbeitfre<strong>und</strong>schaft,<br />

die hier wieder aufgegriffen wird.<br />

Film ist ein Medium, das sehr mit der Zeit<br />

spielt, gerade in ihrem Mammutprojekt »Heimat«.<br />

Sind Filmemacher Melancholiker?<br />

Also das mit der Melancholie ist gerade wieder<br />

so eine Modeerscheinung, durch Lars von<br />

Trier zum Beispiel. Das hat es schon immer<br />

gegeben, um das Jahr 1900 war die Melancholie<br />

auch in Mode. Ich halte davon nichts, das<br />

ist immer ein Zeichen von kultureller Dekadenz.<br />

Ich fi nde, wir müssen unseren Job nicht<br />

anders betrachten als andere. Das Filmemachen<br />

ist in erster Linie ein Handwerk, das<br />

man beherrschen muss. Der Umgang mit den<br />

Inhalten sollte nach Möglichkeit nicht dazu<br />

führen, dass man sich selbst mit seinem Stoff<br />

verwechselt. Es geht immer darum, das, was<br />

man zu erzählen hat, aus seinem eigenen<br />

Innern in die Welt zu tragen <strong>und</strong> es verständlich<br />

zu machen. Der Künstler, der sich im<br />

Weltschmerz der Welt entziehen will, ist eine<br />

eitle Figur. So ein Künstler will sich selbst in<br />

den Mittelpunkt stellen <strong>und</strong> nicht seine<br />

Geschichte.<br />

Eigentlich haben Sie mit »Heimat« die<br />

amerikanischen Serienepen der letzten zehn<br />

Jahre vorweggenommen, diese breit angelegte<br />

Erzählstruktur im Fernsehen. Verfolgen<br />

Sie diese Serien?<br />

Ja, zum Teil schon. Aber ich fand bisher, dass<br />

sie nicht wirklich das weiterentwickeln, was<br />

wir epische Erzählweise nennen. Diese Serien<br />

sind doch sehr stark von einer Suspense-Kultur<br />

geprägt. Jede Folge muss einen Spannungsbogen<br />

haben, in jeder Folge wird nach<br />

einem emotionalen Ergebnis gesucht. Das ist<br />

aber nicht die eigentliche epische Vorgehensweise.<br />

Die führt nämlich ganz im Gegenteil zu<br />

einer Entspannung. Zu einem Zustand, in<br />

dem man anfängt, die Zeit wahrzunehmen,<br />

wo die Zeit selbst zum Thema wird, wo ich<br />

meine eigene Lebenszeit als Betrachter mit<br />

ins Spiel bringen kann. Epos bedeutet Zeiterzählung.<br />

Die amerikanische Kultur leidet aber<br />

unter Zeitmangel. Im Kino fi ndet man diese<br />

epische Erzählweise vor allem in Italien, bei<br />

Ermanno Olmi, Vittorio de Sica, Fellini, Visconti.<br />

Diesem Kino habe ich mich immer sehr<br />

zugehörig gefühlt, aber natürlich auch dem<br />

asiatischen. Kurosawa war ein großer Epiker.<br />

Gehen Sie denn aktuell noch viel ins<br />

Kino?<br />

Natürlich. Was die Kinogeschichte jedes Jahr<br />

aufs Neue beweist, ist, dass sie nach wie vor<br />

kulturell das ist, was die Welt braucht. Das<br />

Kino ist eine Weltkultur, die sich jenseits nationaler<br />

<strong>und</strong> ökonomischer Grenzen abspielt.<br />

Jeder, der für das Kino arbeitet, hat daran teil,<br />

<strong>und</strong> ich habe mich immer als Kinoregisseur<br />

gefühlt – auch bei der »Heimat«-Trilogie. Die<br />

Maßstäbe fürs Erzählen <strong>und</strong> für die Bildästhetik<br />

kommen alle aus dem internationalen<br />

Kino.<br />

Also ist die Unterscheidung zwischen<br />

Kino <strong>und</strong> Fernsehen sek<strong>und</strong>är?<br />

Es geht um das, was man im Französischen<br />

»cinéma« nennt. Eine Erzählweise, die natürlich<br />

mal aus den Lichtspielhäusern hervorgegangen<br />

ist, sich aber inzwischen verselbstständigt<br />

hat. Ich unterscheide nur zwischen<br />

Produktions- <strong>und</strong> Distributionsmedien.<br />

Sowohl die Kinos als auch das Fernsehen sind<br />

Distributionshäuser – mittlerweile auch das<br />

Internet. Aber das ist nicht die eigentliche<br />

gestalterische Ebene, das ist <strong>und</strong> bleibt meine<br />

cineastische Tätigkeit.<br />

Sie haben immer viel unterrichtet. Haben<br />

es junge Filmemacher heute leichter als früher?<br />

Der Anfang ist leichter, die Fortsetzung<br />

schwerer. Obwohl die Regieklassen der Film-<br />

Alle Fotos: © Edgar Reitz Filmproduktion GmbH<br />

hochschulen sehr klein sind, machen doch<br />

deutschlandweit jedes Jahr 50 bis 80 Regisseure<br />

ihren Abschluss. So gut wie jeder von<br />

denen hat die Chance, seinen ersten Film zu<br />

machen, die werden ja alle gefördert. Wenn<br />

der erste Film Erfolg hat, geht es ein bisschen<br />

leichter weiter. Wenn er keinen Erfolg hat,<br />

geht es gar nicht weiter. Und von diesen 50<br />

bis 80 Regisseuren, die alle ihre Träume<br />

haben, bleiben vielleicht fünf übrig. Das ist<br />

das Problem unseres Filmfördersystems: Es<br />

ist ein System der Untreue. Man entdeckt<br />

Leute, pusht sie <strong>und</strong> lässt sie dann sitzen. Das<br />

ist so, als ob man gr<strong>und</strong>sätzlich mit einem<br />

Partner nur einmal ins Bett geht. In dieser<br />

Form kann sich keine wirkliche Liebe entwickeln.<br />

Das empfi nde ich schon seit Jahren als<br />

Skandal.<br />

Und in Ihren Anfängen?<br />

Da war es genau umgekehrt. Der erste Film<br />

war eine Wahnsinnshürde, man hat zehn<br />

Jahre gebraucht, bis man das geschafft hat. In<br />

diesen zehn Jahren hat man das Überleben<br />

gelernt. Die heutigen Filmschüler lernen das<br />

Überleben erst nach dem ersten Film. Und da<br />

habe ich große Zweifel, ob das die richtige<br />

Reihenfolge ist.<br />

Sie waren vor 50 Jahren einer der Unterzeichner<br />

des Oberhausener Manifests, das das<br />

Kino der Väter für tot erklärte <strong>und</strong> den Autorenfi<br />

lm forderte. Fehlt heute im deutschen<br />

Kino eine solche Gruppendynamik wie 1962?<br />

Ach, diese Gruppendynamik hat es doch nie<br />

gegeben. Die Oberhausener Gruppe war keine<br />

Gruppe. Das war ein ziemlich zufällig zusammengewürfelter<br />

Haufen, der sich in einem


China-Restaurant getroffen hatte <strong>und</strong> alle<br />

haben die Erklärung mit unterzeichnet. Richtig<br />

zusammengepasst haben wir nicht, wir<br />

hatten kein gemeinsam erfassbares künstlerisches<br />

Potential. Es sind dann noch einige<br />

Autorenfilmer nachgekommen, die dem<br />

Manifest eigentlich noch zuzurechnen wären,<br />

also Schlöndorff, Fassbinder, Herzog, Wenders<br />

<strong>und</strong> so weiter, die natürlich dazugehört<br />

hätten, die nur zufällig nicht an diesem Abend<br />

mit im Restaurant gesessen haben. Es gab in<br />

dieser Zeit einen Generationsaufbruch, der<br />

aber nicht identisch ist mit der Oberhausener<br />

Gruppe. Das Manifest war ein Bekenntnis zu<br />

einer Haltung, die insgesamt einfach fällig<br />

war.<br />

Mit all der Erfahrung, die Sie sammeln<br />

konnten, was wollten Sie in Ihrer Karriere als<br />

Filmdozent dem Nachwuchs unbedingt mit<br />

auf den Weg geben?<br />

Das Filmemachen ist für mich eine Autorentätigkeit,<br />

<strong>und</strong> eine Autorenschule hat ihre Grenzen.<br />

Zunächst mal würde ich sagen, man ist<br />

ein Autor oder man ist es nicht. Auf der anderen<br />

Seite kann eine Schule das Bewusstsein<br />

für die Ausübung dieser Tätigkeit schaffen.<br />

Wenn man Filme macht, ist man Teil der Filmgeschichte<br />

– <strong>und</strong> dieses Bewusstsein hat man<br />

nicht von Haus aus, das muss eine solche<br />

Schule vermitteln. Außerdem gibt es eine<br />

gewisse Systematik des Nachdenkens über die<br />

Werkzeuge des Filmemachens, auch das kann<br />

eine Schule vermitteln. Was ist eine Kamera,<br />

was ist ein Schnittwerkzeug? Fragen zu stellen,<br />

die man in der Praxis nicht stellt, weil<br />

man meint, man wüsste die Antwort. Alle<br />

»Heimat« - ein Jahrh<strong>und</strong>ertepos deutscher Geschichte<br />

Praktiker glauben, sie wüssten, wie es geht.<br />

Muss ein guter Regisseur immer auch ein<br />

Theoretiker <strong>und</strong> Kritiker des Kinos sein?<br />

Nein. Aber sobald man seinen zweiten oder<br />

dritten Film gemacht hat, gehört das Nachdenken<br />

darüber einfach dazu. Das Filmemachen<br />

ist ein viel zu komplexes Geschäft, als<br />

dass man sich da sein Leben lang spontan <strong>und</strong><br />

intuitiv durchbewegen könnte. Man braucht<br />

das Wissen über den eigenen Job, über die<br />

kulturgeschichtlichen Hintergründe, aber<br />

auch seine Ausdrucksmittel muss man kritisch<br />

betrachten.<br />

Sie haben als Motto einmal formuliert:<br />

»Versuche immer Schritt zu halten mit dem<br />

Leben, damit du es mit der Kamera beschreiben<br />

lernst«. 2012 werden Sie 80, fällt es Ihnen<br />

mittlerweile schwerer, Schritt zu halten?<br />

Das Alter ist eine widersprüchliche Angelegenheit.<br />

Einerseits weiß man immer mehr<br />

<strong>und</strong> kann besser mit vielen Dingen umgehen.<br />

Man hat mehr Übersicht über das eigene Tun.<br />

Andererseits nehmen die Kräfte ab. Man<br />

schafft nicht mehr den 16-St<strong>und</strong>en-Tag, sondern<br />

vielleicht nur noch den 10-St<strong>und</strong>en-Tag.<br />

Aber das ist auch der einzige Unterschied, den<br />

ich merke. ||<br />

EDGAR REITZ<br />

Jahrgang 1932, studierte Germanistik,<br />

Publizistik <strong>und</strong> Theaterwissenschaft<br />

in München. Er war Mitglied<br />

der Oberhausener Gruppe, die 1962<br />

den deutschen Autorenfilm hervorbrachte.<br />

1966 realisierte er seinen ersten<br />

Spielfilm »Mahlzeiten«, der in Venedig<br />

ausgezeichnet wurde. Es folgten<br />

diverse Spiel-, Dokumentar- <strong>und</strong><br />

Experimentalfilme. Reitz verfasste<br />

zahlreiche Schriften über Filmtheorie<br />

<strong>und</strong> Filmästhetik, ab 1994 war er<br />

Professor für Film an der Staatlichen<br />

Hochschule für Gestaltung in<br />

Karlsruhe. Mit der »Heimat«-Trilogie<br />

(1984–2000) hat Reitz ein Jahrh<strong>und</strong>ert-Epos<br />

deutscher Geschichte<br />

geschaffen – mit 54 St<strong>und</strong>en eine<br />

der längsten Erzählungen der Filmgeschichte,<br />

die weltweit große<br />

Anerkennung fand.<br />

Anzeige<br />

FILM<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 05<br />

ll<br />

MÜNCHEN<br />

IM FILM | 4<br />

FLORIAN GAAG<br />

WHOLETRAIN (2006)<br />

Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass ausgerechnet<br />

München immer wieder als Schauplatz<br />

von Florian Gaags Regiedebüt »Wholetrain«<br />

genannt wird? Gaag, der vier Jahre lang auf der<br />

Tisch School of the Arts in New York studiert hat,<br />

kommt zwar aus München, durchs Bild lässt er<br />

allerdings polnische Züge rollen. Denn die Deutsche<br />

Bahn wollte mit seiner Geschichte um zwei<br />

konkurrierende Sprayer-Crews nicht in Verbindung<br />

gebracht werden, weshalb es für deutsche<br />

Bahnhöfe keine Drehgenehmigungen gab; diese<br />

hat Gaag nach langer Suche dann erst in Warschau<br />

bekommen.<br />

Kein <strong>Münchner</strong> Lokalkolorit also, dafür umso<br />

mehr Warschau-Schnappschüsse, <strong>und</strong> in der<br />

Story selbst bleibt der Ort konsequent im Ungewissen:<br />

keine Adressen, keine Schilder an<br />

U-Bahn-Haltestellen oder sonstige Wegmarken.<br />

Wer »Wholetrain« sieht, wird wohl auch erst einmal<br />

Berlin oder Frankfurt fehl-identifi zieren <strong>und</strong><br />

nicht ausgerechnet München – zu dreckig-urban<br />

<strong>und</strong> schmelztiegelhaft kommt die fi ktive Filmstadt<br />

daher. Doch trotz allem: Immer wieder wird die<br />

bayerische Landeshauptstadt als Schauplatz<br />

genannt – die Toilettentüren, Straßenunterführungen<br />

<strong>und</strong> Stromkästen Münchens sind sogar noch<br />

heute mit »Wholetrain«-Werbestickern verziert.<br />

Liegt das vielleicht daran, dass München Sehnsucht<br />

nach ein wenig Subkultur im Kinoformat<br />

hat? Dass es angenehm ist, sich vorzustellen,<br />

Sprayerboss David <strong>und</strong> seine Crew zögen als<br />

maskierte Bilderstürmer mit ästhetischem Ehrgefühl<br />

in der Dose <strong>und</strong> brüderlicher Loyalität im<br />

Herzen durch die Nacht, um die Bahnen des<br />

MVV <strong>und</strong> die Züge der Deutschen Bahn zu<br />

schmücken?<br />

Bei genauem Hinsehen gibt es dann doch<br />

einige, freilich dezente München-Bezüge: Ein Sticker<br />

des alternativen Klamottenlabels Fuckuall,<br />

der auf einem Plattenspieler klebt, ein Logo des<br />

Basketball-Shops k1x auf der Mütze des Sprayer-<br />

Konkurrenten – der noch dazu vom <strong>Münchner</strong><br />

Rapper Roger Reckless gespielt wird – <strong>und</strong> natürlich<br />

an erster Stelle: die rollenden Graffi ti-Kunstwerke<br />

auf den polnischen Zügen. <strong>Münchner</strong><br />

Writer wie Cemnoz, Won oder Ciel haben sie<br />

gestaltet, mussten sich in Warschau gegen Crossings<br />

polnischer Sprüher wehren <strong>und</strong> haben trotz<br />

all der belegten feindlichen Übernahmeversuche<br />

ihren seit Mitte der 80er-Jahre weiterentwickelten<br />

Stil für den Ex-Writer Gaag vor die Kamera<br />

gebracht. Dass »Wholetrain« also am Ende immer<br />

als <strong>Münchner</strong> Kindl adoptiert wird, liegt eben<br />

nicht an irgendwelchen abfotografi erten Stadtwahrzeichen,<br />

nicht an zur Schau gestellter Seppl-<br />

Gemütlichkeit oder einem als typisch <strong>Münchner</strong>isch<br />

identifi zierten Snobismus – das alles hat es in<br />

diesem Fall glücklicherweise einmal nicht zur<br />

Filmreife geschafft. Es liegt vielmehr an einer Kultur,<br />

die klandestin blüht <strong>und</strong> sich zwangsläufi g,<br />

schon aufgr<strong>und</strong> des Strafgesetzbuches, niemals<br />

lautstark zu Wort meldet.<br />

ll<br />

MATTHIAS LEITNER<br />

Hässlich, sexy, liebevoll, arrogant, sonnig,<br />

versoffen, größenwahnsinnig, fantastisch,<br />

fanatisch, widerspenstig, geheimnisvoll ...<br />

In jeder Ausgabe stellen wir einen wichtigen<br />

München-Film vor – der jedes Mal ein neues<br />

Stadtbild enthüllt: Film-München.


FILM<br />

SEITE 06 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

Blut <strong>und</strong> Hoden<br />

Auf dem Filmfest München wurde das Neonazi-Drama »Kriegerin«<br />

im letzten Jahr immerhin zweifach ausgezeichnet, es scheitert letztlich<br />

aber doch an seiner Oberfl ächlichkeit.<br />

TIM SLAGMAN<br />

Der Nationalsozialismus <strong>und</strong> die Bilderproduktion,<br />

das ist eine heikle, vielschichtige<br />

Beziehung. Sie verläuft mindestens von den<br />

fetischisierenden, ordnungsgeilen (Halb-)<br />

Dokumentationen einer Leni Riefenstahl bis<br />

zu heutigen Spielfi lmen, die diese Ästhetik –<br />

mal bewusst, mal unbewusst – zitieren oder<br />

die Geisteshaltung, welche dahintersteckt, zu<br />

ihrem Sujet machen.<br />

»Kriegerin« möchte zur zweiten Kategorie<br />

gehören. Zu einer Sorte Film also, die als<br />

»wichtig« gilt, als aufklärerisch, mindestens<br />

aber als aufrüttelnd. Und in jedem Falle auch:<br />

als politisch. Auf dem diesjährigen <strong>Münchner</strong><br />

Filmfest gewannen Autor David Wnendt, der<br />

den Film als Abschlussarbeit an der HFF Potsdam<br />

auch inszenierte, <strong>und</strong> seine Hauptdarstellerin<br />

Alina Levshin den Förderpreis Deutscher<br />

Film in ihren jeweiligen Kategorien.<br />

Auch die Kritik zeigte sich durchweg angetan,<br />

ein »Besonders wertvoll« von der Filmbewertungsstelle<br />

gab es obendrauf. Die erste Merkwürdigkeit<br />

also – ein politischer Film, der<br />

offensichtlich niemandem wehtut. Denn das<br />

größte Verdienst von »Kriegerin« ist, dass er<br />

ein Lehrbeispiel abgibt für eine typisch fi lmische<br />

Auseinandersetzung mit dem Thema<br />

Rechtsextremismus – eine, die zurückschreckt<br />

vor der Komplexität, die dem Neonazismus<br />

innewohnt, wollte man ihn tatsächlich als<br />

Plötzlich war<br />

Revolution<br />

politisches Phänomen behandeln. Von dem<br />

australischen Skinhead-Schocker »Romper<br />

Stomper« (1992) über »American History X«<br />

(1998) bis zu »Kriegerin« äußert sich der Extremismus<br />

der Hauptfi guren primär stets in<br />

einem Hang zur <strong>und</strong> einem Rausch an der<br />

Gewalt. Bei David Wnendt ist es die 20-jährige<br />

Marisa, die mit ihrer Clique pöbelnd,<br />

prügelnd <strong>und</strong> saufend durch die Gegend um<br />

eine namenlose ostdeutsche Kleinstadt<br />

marodiert – unterlegt mit dröhnend lautem,<br />

eigens für den Film komponierten Nazi-<br />

Rock. In einer tatsächlich effektiv inszenierten<br />

Szene in der S-Bahn, gedreht mit nervöser<br />

Kamera – die manchmal auch durch ein<br />

Handy ersetzt wird, mit dem die Nazis ihre<br />

Untaten dokumentieren – zeigt sich das<br />

ästhetische Programm dieses zeitgenössischen<br />

Subgenres überdeutlich: Statt, wie<br />

Riefenstahl, eine hermetisch in sich geschlossene,<br />

rigide durchreglementierte Welt zu feiern,<br />

bricht der Nazismus in diesen Filmen als<br />

punktuelles Moment des Chaos <strong>und</strong> der<br />

Unordnung aus.<br />

Und selten wurde es so deutlich wie bei<br />

Wnendt, dass diese Gewalt zumeist eine<br />

sexualisierte ist <strong>und</strong> die Sexualität dieser Personen<br />

zwanghaft gewaltförmig. Natürlich lässt<br />

sich die Diagnose, auch jugendlicher Hormonüberschuss<br />

habe etwas mit der Genese<br />

»Neither Allah, Nor Master!« | Foto: Doc & Film International<br />

des Neonazis zu tun, schön saftig ins Bild<br />

pressen. Saftiger jedenfalls als das Problem<br />

der Arbeitslosigkeit (die kurz erwähnt wird),<br />

ein dysfunktionales Elternhaus oder die<br />

rechtsradikalen Ansichten der wichtigsten<br />

Bezugsperson, die für Marisa ihr über alles<br />

geliebter Opa darstellt.<br />

Der Regisseur hat intensiv in der Szene<br />

recherchiert, umso unverständlicher ist seine<br />

irreführende Begeisterung für das bloße<br />

Erscheinungsbild des Extremismus. Viel zu<br />

stiernackig <strong>und</strong> tumb setzt er Marisas Fre<strong>und</strong><br />

Sandro (Gerdy Zint) in Szene, viel zu deutlich<br />

<strong>und</strong> ubiquitär die Symbole <strong>und</strong> Insignien des<br />

NS <strong>und</strong> viel zu widerlich <strong>und</strong> schmierig den<br />

pseudointellektuellen Mentor der Clique.<br />

Dass derart oberfl ächlich sozialisierten Nazis<br />

die Läuterung nicht sonderlich schwerfällt,<br />

liegt auf der Hand – hier tritt sie alsbald in<br />

Form des afghanischen Flüchtlings Rasul<br />

MATTHIAS LEITNER<br />

»Tahrir 2011« | Foto: Pacha Pictures<br />

Hektisch wurden Kameraaugen ausgerichtet<br />

auf den Tahrir-Platz in Kairo, Mikrophone im<br />

donnernden Geschrei Tausender Demonstranten<br />

gepegelt, Druckerschwärze für Leitartikel<br />

<strong>und</strong> Kommentare angerührt. Vor allem<br />

Faszination <strong>und</strong> ungläubiges Staunen haben<br />

den westlichen Medienblick auf den »Arabischen<br />

Frühling« bestimmt. Mittlerweile ist das<br />

Staunen wieder verfl ogen <strong>und</strong> die nächste<br />

Quoten-Sau wird durchs globale Dorf getrieben:<br />

Plötzlich war die Revolution vorbei. Auf<br />

den 8. Mittelmeer-Filmtagen im <strong>Münchner</strong><br />

Gasteig gibt es ein Gegenprogramm zur kurzfristigen<br />

Medienmaschine: Im Eröffnungsfi lm<br />

»Microphone« pilgert ein Heimkehrer ganz<br />

gemächlich durch ein ihm unbekannt gewordenes<br />

Alexandria. Er entdeckt die neue Musik<br />

seiner widersprüchlichen Heimat <strong>und</strong> lernt<br />

dabei die Klüfte in der ägyptischen Gesellschaft<br />

zu sehen <strong>und</strong> zu verstehen. »Microphone«<br />

zeigt das Land vor der Revolution <strong>und</strong><br />

gibt seinen Zuschauern mit auf den Weg:<br />

Nichts geschieht aus heiterem Himmel. Die<br />

Dokumentation »Tahrir 2011 – The Good, the<br />

Bad, the Politician« konzentriert sich dann auf<br />

die 18 Tage währenden Proteste <strong>und</strong> stellt,<br />

aufgeteilt in drei Themenblöcke, die Fragen:<br />

Wer sind die Helden? Welcher Geist versteckt<br />

Alina Levshin als »Kriegerin« | Foto: Ascot Elite<br />

(Sayed Ahmad Wasil Mrowat) in die Handlung.<br />

Letztlich ergibt sich »Kriegerin« dem Faszinosum<br />

seiner Bilder des intensiven Lebens<br />

– <strong>und</strong> den Normierungen der Mainstream-<br />

Dramaturgie. Weder die erschreckend professionellen<br />

Mordserien rechter Terroristen in<br />

Norwegen <strong>und</strong> Deutschland noch die längst<br />

nicht mehr neue Strategie der NPD, auf Seriosität<br />

zu setzen statt auf Konfrontation <strong>und</strong><br />

Aggressivität, lassen sich so auch nur ansatzweise<br />

erschöpfend erklären. Wenn das Kino<br />

versucht, ein gesellschaftliches Problem in die<br />

Psyche einer Figur zu projizieren, gerät es<br />

schnell in die Klemme. ||<br />

»KRIEGERIN«<br />

D 2011. | Regie: David Wnendt | Ab dem 19.1.<br />

im Kino<br />

»Microphone« | Foto: Film Clinic<br />

sich hinter den Uniformen der reaktionären<br />

Polizeitruppen? Was für ein Mensch ist eigentlich<br />

der gestürzte Diktator Husni Mubarak?<br />

Die Mittelmeer-Filmtage bieten in diesem<br />

Jahr ein Programm, das politisch engagiert<br />

die Erzählweisen von Spiel- <strong>und</strong> Dokumentarfi<br />

lm kontrastiert. Die Filme zeugen davon,<br />

dass es fi ktionalen Stoffen zunehmend schwerer<br />

fällt, einer komplexen Wirklichkeit gerecht<br />

zu werden: So ist der Eröffnungsfi lm »Microphone«<br />

zwar gefällig inszeniert, erreicht aber<br />

niemals die erschütternde Dichte von Dokumentationen<br />

wie »Tahrir« oder »Neither Allah,<br />

Nor Master!«, in dem sich die religionskritische<br />

Regisseurin Nadia El Fani mit einer drohenden<br />

islamischen Radikalisierung Tunesiens<br />

nach der Revolte beschäftigt <strong>und</strong> damit<br />

auf eine unbestimmte Zukunft weist. ||<br />

DIE 8. MITTELMEER-FILMTAGE<br />

finden vom 13. bis zum 22. Januar im<br />

<strong>Münchner</strong> Gasteig statt.<br />

Das gesamte Programm finden Sie unter:<br />

www.filmstadt-muenchen.de


»Schlecht<br />

schmeckt besser«<br />

Meterhohe Blutfontänen, lächerliche Pappmonster in wackligen Kulissen,<br />

eingeölte Muskelberge <strong>und</strong> haufenweise Leichen. Trash ist fast<br />

schon ein anerkanntes Genre <strong>und</strong> gerade im Kino hat Scheiße mittlerweile<br />

verschiedenste Geschmacksrichtungen.<br />

RALPH GLANDER<br />

Geschmacksrichtung eins hat natürlich mit<br />

Talent zu tun: »Die Ambition ist größer als das<br />

Vermögen«, sagt Popkulturexperte Stefan<br />

Pannor (Spiegel-Online, Comixene), »sei es<br />

nun das fi nanzielle oder das künstlerische<br />

Vermögen. Wenn man mehr erreichen will,<br />

als man erreichen kann.« Diese Defi nition<br />

sollte aber noch um die nicht ganz unwichtige<br />

Komponente Belustigung erweitert werden.<br />

Ergebnis: Filme, die so schlecht sind, dass<br />

sie für gute Stimmung sorgen – Dilettantismus<br />

als Katalysator für lautes Lachen. Das<br />

wird wohl auf ewig mit dem Amerikaner<br />

Edward D. Wood Jr. verb<strong>und</strong>en sein. Dessen<br />

wohl bekanntestes, weil im »offiziellen<br />

Geschmackskanon« als schlechtestes Werk<br />

erachteter »Plan 9 aus dem Weltall« ist die<br />

Mutter unfreiwilliger Komik im Film. Dabei<br />

war Woods Anliegen nie, die Zuschauer zu<br />

belustigen. Zeit seines Lebens war er davon<br />

überzeugt, seriöse Filme zu drehen. Eine tragische<br />

Tradition des Scheiterns, die bis heute<br />

besteht. Uwe Boll wird wissen, was damit<br />

gemeint ist – oder eben auch nicht.<br />

Geschmacksrichtung zwei hat den gnadenlos<br />

vor sich hin nagenden Zahn der Zeit<br />

als Partner. Manchmal muss etwas erst zum<br />

Trash reifen – vergleichbar etwa mit gutem<br />

Whiskey oder Wein. Der Heimatfi lm der Fünfzigerjahre<br />

etwa, der durch ein verändertes<br />

Wertesystem heute nur noch Belustigung evoziert.<br />

Oder der testosterongeschwängerte<br />

amerikanische Actionfi lm der Achzigerjahre<br />

mit all seinen aufgepumpten Heroen, die sich<br />

meist ironiefrei durch die Reihen kommunistischer<br />

<strong>und</strong> antidemokratischer Feinde ballerten.<br />

Geschmacksrichtung drei setzt sich aus<br />

gänzlich anderen Inhalts- <strong>und</strong> Zusatzstoffen<br />

zusammen: der Intention, der Refl exion <strong>und</strong><br />

der Subversion. Und die wiederum beginnt<br />

Papier<br />

schöpfen<br />

Trotz oder wegen des Internets:<br />

Die Lust auf bedrucktes Papier ist<br />

ungebrochen. Projekte aus München<br />

<strong>und</strong> der Region zeigen, wie das Netz<br />

heute Druck macht.<br />

MARKUS KÖBNIK<br />

Es ist wirklich eine verdammte Drecksarbeit.<br />

Jeder, der schon mal ein Vereinsblättchen, ein<br />

selbstkopiertes Fanzine oder eine Hochzeitszeitung<br />

gemacht hat, weiß, was Blattmachen<br />

heißt: Lange Texte müssen in knappe Spalten<br />

passen, Bilder brauchen mehr Platz als<br />

geplant <strong>und</strong> Seitenzahlen werden relativ. Aber<br />

die verdammte Drecksarbeit lohnt sich – denn<br />

trotz Kindle, iPad <strong>und</strong> Co bietet bedrucktes<br />

Papier auch 2012 für die meisten Menschen<br />

mit der exzessiven Rezeption der Geschmacksrichtungen<br />

eins <strong>und</strong> zwei.<br />

Der Regisseur Thilo Gosejohann beispielsweise<br />

ist bekennender Trash-Gourmet<br />

<strong>und</strong> mit skurrilen Filmen wie »Captain Cosmotic«<br />

<strong>und</strong> »Operation Dance Sensation«<br />

bekannt geworden: »Ich bin Fan der alten<br />

Trash-Schule, also dem Film, der sich selbst<br />

gar nicht als Trash versteht. Es ist doch interessant,<br />

dass zum Beispiel schlechte Kamellen<br />

aus den Fünfzigern, die damals jeder gehasst<br />

hat, heute noch existent sind. Irgendwann<br />

dachte ich dann, dass man so etwas auch<br />

heute für wenig Geld produzieren kann.« Bei<br />

Gosejohann hat dieser Plan bestens funktioniert,<br />

arbeitet er doch mittlerweile für Pro 7<br />

oder schreibt satirische Hörspiele für den<br />

WDR. Angefangen hat aber alles mit seiner<br />

Leidenschaft für den schlechten oder abseitigen<br />

Film.<br />

Spätestens seit Quention Tarantino <strong>und</strong><br />

Robert Rodriguez in ihren Filmen infl ationär<br />

B-Movies <strong>und</strong> Exploitation-Filme zitierten<br />

<strong>und</strong> feierten, ist der vermeintlich schlechte<br />

Geschmack von gestern <strong>und</strong> vorgestern im<br />

Mainstream angekommen. Zahlreiche Filmenthusiasten<br />

unterzogen unter veränderten<br />

Rezeptionsbedingungen zahlreiche Nischenfi<br />

lme einer Neusichtung. Und siehe da: Trash<br />

war nicht mehr gleich Trash. Viele Exploitation-Filme<br />

<strong>und</strong> B-Movies der Vergangenheit<br />

haben weit mehr zu bieten als schlechten<br />

Geschmack: die Suspendierung bürgerlicher<br />

Werte, die Lust am Bizarren, Grotesken <strong>und</strong><br />

Abgründigen.<br />

Heute wird Trash als eigene Kunstrichtung<br />

wahrgenommen mit einer eigenen<br />

Ästhetik, die das Scheußliche <strong>und</strong> Unsinnige<br />

ostentativ zelebriert <strong>und</strong> zum Stilmittel<br />

erhebt. Der Schlüssel dazu ist die Ironie, die<br />

den Zuschauer bei allen geschmacklichen<br />

noch die angenehmste Art zu lesen. Und mit<br />

einem guten Layout <strong>und</strong> den richtigen<br />

Geschichten bekommen Magazine einen<br />

emotionalen Wert, den Homepages <strong>und</strong> Blogs<br />

nur schwer erreichen. Das Netz ist deswegen<br />

aber noch lange nicht das Gegenteil von Print<br />

– es ist eher ein zeitgemäßes Mittel, um neue<br />

Kreise für die analoge Lese-Welt zu erschließen.<br />

So wie beim Magazin »deinblick« aus<br />

München. Blattmacher Chris Schiebel setzt<br />

hier voll auf die Kreativität des Web 2.0 – soll<br />

heißen: Hier schreiben <strong>und</strong> fotografi eren die<br />

Leser ihr eigenes Heft voll. Der Endzwanziger<br />

gibt lediglich online ein Motto für die nächste<br />

Ausgabe vor, die sich dann durch »user generated<br />

content« in einem Zeitraum von vier<br />

Wochen füllt <strong>und</strong> nach einer Auswahl- <strong>und</strong><br />

Layout-Phase in Hochglanz präsentiert wird.<br />

In der Februar- Ausgabe geht es zum Beispiel<br />

um »pattern«, also Muster. Alles, was den<br />

Lesern dazu einfällt, kann eingereicht werden.<br />

Von der Tierfell-Fotoserie bis zur Reportage<br />

über Gesprächsmuster in der Gesellschaft.<br />

Für »deinblick« hat Chris Schiebel seinen<br />

alten Job an den Nagel gehängt <strong>und</strong> hat sich<br />

voll <strong>und</strong> ganz dem »Internetausdrucken«<br />

gewidmet. Er ist sich sicher, dass ein liebevoll<br />

zusammengestelltes Heft den Lesern auf<br />

Dauer mehr Inspiration geben kann, als es<br />

vereinzelte Blogs tun. Mit Erfolg: »deinblick«<br />

<strong>und</strong> ästhetischen Entgleisungen zum Mittäter<br />

des Autors werden lässt. Das erfordert auf der<br />

Macherseite ein gehöriges Maß an Kompetenz<br />

<strong>und</strong> fi lmhistorischem Wissen, denn nur wenn<br />

mit Trash richtig umgegangen wird, versteht<br />

auch ein breiteres Publikum, dass es sich<br />

um Intention <strong>und</strong> nicht um Unvermögen handelt.<br />

||<br />

erscheint in zwei Sprachen <strong>und</strong> wird mittlerweile<br />

in 32 Ländern gelesen.<br />

Mit einen ähnlichen Ansatz wie »deinblick«<br />

will auch Alex Grossmann aus Freising<br />

die Kioske erreichen. Der 25-jährige Verlagskaufmann<br />

versucht gerade das Startkapital<br />

für ein neues Zeitschriftenprojekt zusammenzubekommen.<br />

»Der Blogger« soll das Magazin<br />

heißen, das ab Februar monatlich zu haben<br />

sein soll. Der Name ist Programm: Blogger<br />

aus den verschiedensten Sparten, von Games<br />

bis Datenschutz, sollen das Heft jeden Monat<br />

vollschreiben – mit exklusiven Texten, die<br />

online so nicht zu fi nden sein sollen. »Es gibt<br />

inzwischen so viele Blogger, die gute Sachen<br />

schreiben, dass ich das gerne auch als Printmagazin<br />

hätte. Das ist etwas, was ich selbst<br />

gerne lesen würde <strong>und</strong> hoffentlich auch viele<br />

andere«, sagt der Freisinger über seine<br />

Beweggründe. Wie stark potentielle Leser an<br />

diesem Heftkonzept interessiert sind, kann<br />

jeder zur Zeit im Netz bei der Crowdf<strong>und</strong>ing-<br />

Plattform startnext verfolgen (siehe Text auf<br />

Seite 3). Hier wird gerade für »Der Blogger«<br />

gespendet. Bis zum 20. Januar sollen 15.000<br />

Euro Startkapital zusammenkommen.<br />

Klar: Druck <strong>und</strong> Vertrieb kosten Geld.<br />

Aber auf Papier gedruckte Anzeigen spielen<br />

einiges ein. Manchmal sogar so viel, dass satte<br />

Gewinne übrig bleiben. Wie bei der »Tegern-<br />

FILM | MEDIEN<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 07<br />

Zombies in<br />

Landshut<br />

Fotos: © Martin Faltermeier<br />

Der erste Sci-Fi-Splatter-Zombie-Film vor<br />

kitschiger Fünfzigerjahre- Heimatkulisse<br />

kommt aus Bayern: »Zombies from Outer<br />

Space«. In der B-Movie-Hommage von Autor<br />

<strong>und</strong> Regisseur Martin Faltermeier kann man<br />

beobachten, was wohl passiert wäre, hätten<br />

Ed Wood <strong>und</strong> Luis Trenker jemals zusammen<br />

einen Film gedreht. »Natürlich hat der Film<br />

einen Trash-Faktor«, sagen Regisseur Martin<br />

<strong>und</strong> Kameramann Sebastian Schmidt, »das ist<br />

auch ganz wichtig. Trotzdem haben wir versucht,<br />

alles so gut wie möglich hinzubekommen,<br />

also nicht etwas absichtlich schlecht zu<br />

machen.« Das spiegelt sich auch im So<strong>und</strong>track<br />

wider: Niemand Geringeres als Christoph<br />

Well von der Biermösl Blosn hat eigens für den<br />

Film einen »Zombie-Landler« komponiert.<br />

Die Filmemacher aus dem Landshuter<br />

Umland scheinen alles richtig gemacht zu<br />

haben: »Kurz vor der Premiere war ich schon<br />

nervös <strong>und</strong> habe nicht gewusst, ob die Leute<br />

den Humor wirklich kapieren«, kommentiert<br />

Sebastian die Publikumsreaktionen, »aber alle<br />

anwesenden Generationen haben durch die<br />

Bank gelacht. Sogar meine Oma konnte sich<br />

trotz Blut das Schmunzeln nicht verkneifen.«<br />

Wenn sich sogar die Oma amüsiert, steht dem<br />

großen Mainstream-Erfolg vielleicht tatsächlich<br />

nichts mehr im Wege. Als nächstes wollen<br />

sich die Landshuter auf Filmfestivals bewerben.<br />

»ZOMBIES FROM OUTER SPACE«<br />

D 2011 | Regie: Martin Faltermeier | Vielleicht<br />

schon bald in den Kinos<br />

seer Stimme«, die monatlich über 10.000 Euro<br />

Umsatz macht <strong>und</strong> heute als eins der erfolgreichsten<br />

alternativen Regionalangebote<br />

Deutschlands gilt. Angefangen hat die<br />

»Tegernseer Stimme« 2010 als Lokalblog für<br />

das Tegernseer Tal <strong>und</strong> seit letztem Jahr gibt<br />

es sie nun auch als kostenloses Printmagazin,<br />

das in der Region verteilt wird. Die Vorteile<br />

liegen auf der Hand: Blog <strong>und</strong> Magazin<br />

machen gegenseitig aufeinander neugierig, es<br />

werden unterschiedliche Leserkreise angesprochen<br />

<strong>und</strong> Werbek<strong>und</strong>en sind leichter an<br />

Land zu ziehen, wenn sie wissen, dass auch<br />

bedrucktes Papier im Spiel ist.<br />

Momentan erscheint die Printversion der<br />

»Tegernseer Stimme« alle zwei Monate. Herausgeber<br />

Peter Posztos ist mächtig stolz auf<br />

den Ableger, auch wenn er <strong>und</strong> sein Team<br />

damit ziemlich beschäftigt sind. Aber Posztos<br />

weiß, dass auf Dauer eine gute Leserbindung<br />

heute nur dann besteht, wenn das Beste aus<br />

beiden Welten zusammenkommt: Die schnellen<br />

Möglichkeiten des Web mit der warmen<br />

Beständigkeit des Papiers. Dafür lohnt sich<br />

dann auch die verdammte Drecksarbeit. Egal<br />

ob im Tegernseer Tal, in München oder<br />

anderswo. ||


STADTBILD<br />

SEITE 08 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

Gürtel von Hercz Alexander, nach der Befreiung im KZ Dachau<br />

mitgenommen | Sammlung Esther Alexander-Ihme<br />

LEA HAMPEL<br />

Ein Blick in die<br />

gepackten Koffer<br />

»Rutka Grünberg. Auschwitz, Bergen-Belsen, Flossenbürg.<br />

59521«. Das ist alles. Es steht auf drei mal acht Zentimetern<br />

Papier. Die Konzentrationslager, in denen sie war, ihre Häftlingsnummer,<br />

das war es, was Rutka Grünberg im Jahr 1946<br />

auszumachen schien. Aus heutiger Sicht scheint es absurd,<br />

beinahe befremdlich, diese Informationen auf einer Visitenkarte<br />

zu verewigen. Für Rutka Grünberg war es vermutlich ein<br />

wichtiger Schritt in einen Zustand, der der Normalität zumindest<br />

äußerlich ähnelte, <strong>und</strong> ein Hilfsmittel auf der Suche nach<br />

Resten ihres alten Lebens. Denn durch die Verbreitung des<br />

Aufenthaltsortes war die Chance für überlebende KZ-Häftlinge<br />

am größten, in den Nachkriegswirren doch noch ein Mitglied<br />

der Familie zu fi nden.<br />

Die Visitenkarte ist mit vier anderen Karten ähnlicher<br />

Machart derzeit im Jüdischen Museum in München zu sehen.<br />

Dort befasst sich seit Dezember, unter dem Titel »Juden 4590<br />

– Von da <strong>und</strong> dort. Überlebende aus Osteuropa«, der erste Teil<br />

einer Doppelausstellung mit der Geschichte der Menschen, die<br />

Auschwitz, Bergen-Belsen <strong>und</strong> andere Lager überlebt haben<br />

<strong>und</strong>, zumindest zeitweise, in Deutschland lebten – einem<br />

Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte, das in der öffentlichen<br />

Betrachtung häufi g untergeht angesichts der sechs Millionen<br />

Toten.<br />

In ihren Heimatorten im Osten Europas waren die überlebenden<br />

Juden nicht erwünscht, ihre Häuser zerstört oder von<br />

anderen bewohnt, ihre Familien nur Erinnerung, <strong>und</strong> ihr<br />

Besitz war das, was sie am Leibe trugen. Gleichzeitig hatten sie<br />

nicht mehr als eine Vision, wo sie hin sollten <strong>und</strong> wollten. Sie<br />

waren Gestrandete, die seit 1943 mit dem Terminus »Displaced<br />

Person« bezeichnet wurden: »DP«. Besonders viele kamen<br />

nach Bayern <strong>und</strong> München, 130.000 DPs befanden sich im<br />

Herbst 1947 in der amerikanischen Zone, die als sicherer Ausgangsort<br />

für die Emigration nach Palästina <strong>und</strong> in die Vereinigten<br />

Staaten galt. Weil die Gelegenheit dazu auf sich warten<br />

ließ, wurde in München der Zentralkommission der befreiten<br />

Juden in der amerikanischen Besatzungszone 1945 die einstige<br />

Arbeitersiedlung Föhrenwald nahe Wolfratshausen zugewiesen,<br />

einer von mehreren Orten in Deutschland, wo jüdische<br />

Überlebende selbstverwaltet leben konnten <strong>und</strong> der bis 1957<br />

am längsten von allen existierte. Schon 1946 hatte Föhrenwald<br />

5000 Einwohner, für die hier das begann, was als »Leben auf<br />

gepackten Koffern« bezeichnet wird. Sie waren, wo sie nicht<br />

sein wollten, <strong>und</strong> taten, was ihnen zuvor verweigert war: leben,<br />

stets in der Hoffnung, bald eine richtige Heimat zu haben.<br />

Diesen Weg zurück ins Leben zeigt die Ausstellung in<br />

neun Stationen. Das erste, noch aus Häftlingskleidung<br />

Eine Ausstellung im Jüdischen<br />

Museum stellt das Leben Überlebender<br />

im Lager München-Föhrenwald<br />

nach dem Holocaust dar. Anhand von<br />

Alltagsgegenständen erzählen die<br />

Kuratorinnen ein ebenso wichtiges<br />

wie vernachlässigtes Kapitel deutschjüdischer<br />

Nachkriegsgeschichte.<br />

JUDEN 45/90. VON DA UND DORT –<br />

ÜBERLEBENDE AUS OSTEUROPA<br />

Jüdisches Museum München<br />

| St.-Jakobs-Platz 16 bis 17. Juni Dienstag–Sonntag 10–18 Uhr |<br />

Eintritt 6 Euro<br />

Katalog 14,90 Euro | www.juedisches-museum-muenchen.de.<br />

geschneiderte Kleid <strong>und</strong> provisorische Chanukka-Leuchter<br />

gehören ebenso dazu wie die einstige Geldschatulle des KZ-<br />

Aufsehers, die ein Überlebender als Box für seine Rasierutensilien<br />

verwendete, oder eben jene Visitenkarten. Wie groß der<br />

Hunger nach Ausbildung, Familie, Alltag, Religion, Eigenständigkeit,<br />

Zukunft war, ist jedem Objekt anzusehen, sei es der<br />

einstige Gürtel aus dem KZ, der immer mehr Löcher brauchte,<br />

um die Kleidung am Leib seines schmaler werdenden Besitzers<br />

zu halten, seien es Aschenbecher mit dem Symbol der<br />

»She’erit Hapleta«, des »geretteten Rests«, oder die erste in<br />

Föhrenwald entstandene Zeitung.<br />

Verpackt in Klarsichthüllen oder hinter Plexiglas werden<br />

Überreste des Lebens im Lager nach dem Lager gezeigt. Die<br />

Verpackung schafft Distanz <strong>und</strong> unterstreicht den vorübergehenden<br />

Charakter, die Geschichten dazu schaffen Nähe. Es ist<br />

eine Abstraktion des Einzelschicksals <strong>und</strong> doch scheint jeder<br />

Gegenstand zu rufen: »Ich bin nur einer von vielen!« Davon,<br />

dass es eine Art zeitweiliges Ankommen gab, zeugt das obere<br />

Stockwerk. Hier sind Bilder aus dem heutigen Waldram, dem<br />

einstigen Föhrenwald, zu sehen. Hier tauchen berühmte<br />

<strong>Münchner</strong> Familiennamen <strong>und</strong> -geschichten wie die der Familie<br />

Salamander auf. Hier wird das Leben im Föhrenwald der<br />

späten vierziger Jahre – mit eigener Synagoge, eigenem Thea-


ter, Ritualbad, Schule <strong>und</strong> Geschäften – deutlich, wenn Filme<br />

vom Besuch einstiger Bewohner in der heutigen Siedlung<br />

erzählen <strong>und</strong> Erinnerungen der hier aufgewachsenen Kinder<br />

zu hören sind.<br />

Um die Geschichte der Überlebenden in bisher noch nie da<br />

gewesenem Umfang der Öffentlichkeit zu zeigen, haben die<br />

Kuratorinnen, Jutta Fleckenstein <strong>und</strong> Tamar Lewinsky, zwei<br />

Jahre lang Familien in Deutschland aufgesucht, die ihren<br />

Ursprung in Föhrenwald haben. Sie haben Stücke aus dem F<strong>und</strong>us<br />

der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem entliehen<br />

<strong>und</strong> Einzelteile aus privaten Sammlungen. Auf einen Satz<br />

sind sie immer wieder gestoßen: »Ach, das interessiert Sie?«<br />

Nicht zuletzt deshalb ist es überfällig, dass diese Thematik<br />

in München Raum fi ndet. Es wird als Ironie des Schicksals<br />

bezeichnet, dass die »Hauptstadt der Bewegung« nach Todesmärschen<br />

<strong>und</strong> antisemitischen Pogromen in Osteuropa zu<br />

einer Anlaufstelle wurde. Dabei ist es die eigentliche Ironie<br />

des kulturellen Gedächtnisses der Stadt, dass die wenigsten<br />

<strong>Münchner</strong> wissen, dass das heutige Waldram einst Föhrenwald<br />

hieß <strong>und</strong> für Tausende jüdische Überlebende über mehrere<br />

Jahre Heimat war, wo es gleichzeitig wohl kaum <strong>Münchner</strong><br />

gibt, die nicht wüssten, wofür Dachau steht.<br />

Angesichts des wenigen Wissens in der breiten Öffentlichkeit<br />

– die Geschichtswissenschaft hat sich dem Thema durchaus<br />

ausführlich gewidmet – ist es die Stärke der Ausstellung,<br />

dass das Objekt im Vordergr<strong>und</strong> steht. »Es macht keinen<br />

Unterschied für Ihren Eindruck, ob hier 10.000 oder 100.000<br />

Stück liegen«, erklären immer wieder Mitarbeiter in KZ-<br />

Gedenkstätten, wenn Besucher entsetzt vor Bergen aus Schuhen<br />

oder Brillen stehen, »das bleibt für das menschliche<br />

Gehirn ohnehin unbegreifl ich.« Der gegenteilige Schluss, am<br />

einzelnen Objekt entlang zu erzählen, ist da logisch. Nicht,<br />

dass er das Geschehen plötzlich begreifbarer machen würde.<br />

Aber in diesem Fall liefert er einen überfälligen Blick in den<br />

Anfangszustand jener »gepackten Koffer«, auf denen Juden<br />

nicht zuletzt in München gelebt haben <strong>und</strong> leben <strong>und</strong> die<br />

zwar, laut Charlotte Knobloch, in einigen Fällen ausgepackt<br />

sind, aber eben doch stets griffbereit scheinen. Umso spannender<br />

wird es im Juli, wenn der zweite Teil der Ausstellung<br />

eröffnet wird. Ihm ist das »90« im Titel gewidmet: Es wird um<br />

die Juden gehen, die in den letzten 20 Jahren aus der ehemaligen<br />

Sowjetunion nach München kamen, um ihre Koffer auszupacken.<br />

||<br />

ZARA S. PFEIFFER<br />

Auf dem <strong>Münchner</strong> Marienplatz lässt sich bisweilen ein<br />

Schauspiel beobachten, das bei Beteiligten <strong>und</strong> Unbeteiligten<br />

gleichermaßen Irritationen hervorruft. Eine Gruppe von Menschen<br />

versammelt sich in einer Ecke des Platzes, um mit<br />

Plakaten <strong>und</strong> Transparenten ihren Protest auszudrücken.<br />

Trillerpfeifen werden geblasen <strong>und</strong> Reden<br />

gehalten. Zu bestimmten Zeiten des Tages jedoch wird die<br />

Protestszenerie gestört. Die Reden werden unterbrochen, die<br />

Figuren des Glockenspiels erhalten die Hoheit über den Platz<br />

<strong>und</strong> ziehen ihre Kreise. Das Spiel der 43 Glocken, dem eine<br />

andere Ansammlung von Menschen mehr oder weniger<br />

andächtig lauscht, soll nicht von politischen Reden gestört<br />

werden.<br />

Die Reaktionen der Protestierenden auf diese Auflage<br />

des Kreisverwaltungsreferats reichen von leichter<br />

Belustigung über Befremden bis hin zu deutlich geäußerter<br />

Verärgerung. Nach wenigen Minuten jedoch ist der klingende<br />

Spuk vorbei, die Reden werden wieder aufgenommen, während<br />

sich die Glockenspielversammlung in die umliegenden<br />

Konsumwelten verstreut. Diese pittoresk anmutende<br />

Szene zum Sinnbild für die Protestkultur in München<br />

zu erklären wäre übertrieben. Für den Umgang der<br />

Behörden mit Protesten hingegen fi ndet sich hier ein<br />

wesentliches <strong>und</strong> wiederkehrendes Moment. Proteste sind in<br />

München durchaus nicht unerwünscht, wirklich stören aber<br />

sollten sie bitte nicht.<br />

Die Geschichte der Proteste in München seit 1945 macht genau<br />

dies deutlich. Immer wieder gab es Proteste, die für das gute<br />

<strong>und</strong> weltoffene Ansehen Münchens gerne gesehen<br />

waren. Beispielsweise, als im März 1997 r<strong>und</strong> 10.000<br />

Menschen mit einer Blockade verhinderten, dass die mit<br />

5.000 Teilnehmer/innen <strong>und</strong> Teilnehmern größte neonazistische<br />

Demonstration der Nachkriegsgeschichte ihre Abschlussk<strong>und</strong>gebung<br />

auf dem Marienplatz abhalten konnte. Oder als<br />

im Dezember 1992 mit der Aktion Lichterkette bis zu 400.000<br />

Menschen unter dem Motto »München – eine Stadt sagt nein«<br />

ihre Betroffenheit über rechtsextremistische Gewalttaten<br />

auf die Straße trugen.<br />

Die Proteste 1992 gegen den Weltwirtschaftsgipfel <strong>und</strong><br />

die als ungerecht empf<strong>und</strong>ene kapitalistische Weltordnung<br />

waren dagegen weniger gerne gesehen <strong>und</strong> von massiver<br />

Repression begleitet. Ebenfalls nicht genehm waren die Proteste<br />

gegen die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten<br />

1953/54: Die rigorosen Polizeieinsätze hatten bürgerkriegsähnliche<br />

Zustände in der Innenstadt zur<br />

Folge.<br />

Die Liste der Proteste, die sich in München erlaubt haben, mit<br />

ihren Inhalten <strong>und</strong> Formen die öffentliche Ordnung zu stören,<br />

ist beachtlich. Es fi nden sich nicht nur Demonstrationen <strong>und</strong><br />

K<strong>und</strong>gebungen, sondern auch Blockaden <strong>und</strong> Barrikaden,<br />

STADTBILD<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 09<br />

Bitte nicht stören!<br />

Proteste, die nicht beißen,<br />

sind wie Tiger ohne Zähne<br />

Auch das Jahr 2012 steht im Zeichen des Protestes. Der Arabische Frühling<br />

jährt sich, soziale Unruhen werden durch die Finanzkrise verschärft.<br />

Das <strong>Münchner</strong> <strong>Feuilleton</strong> hat Zarah S. Pfeiffer gebeten, einen historischen Blick<br />

auf die Protestkultur Münchens zu werfen.<br />

Anzeige<br />

M, EINE<br />

STADT<br />

SUCHT<br />

IHREN<br />

MÖRDER<br />

DANIEL KNORR<br />

lothringer13_halle<br />

18.11.2011 –<br />

22.01.2012<br />

Hausbesetzungen <strong>und</strong> Piratensender, Streiks <strong>und</strong> Sabotagen,<br />

subversive Aktionen <strong>und</strong> Farbe an den Wänden. Die Reaktionen<br />

auf potentiell störende Proteste sind bisweilen ebenfalls<br />

beachtlich: Im Februar 2002 wurden beispielsweise sämtliche<br />

Demonstrationen des Bündnisses gegen die NATO Sicherheitskonferenz<br />

für die komplette Zeit der Konferenz verboten,<br />

um vermeintlich anreisende »Chaoten« daran zu hindern, die<br />

schöne <strong>Münchner</strong> Innenstadt zu verwüsten. Trotz dieses Verbots<br />

ließen sich gut 10.000 Menschen ihr Recht zu demonstrieren<br />

nicht nehmen <strong>und</strong> gingen auf die Straße. Gestört wurde an<br />

diesem Wochenende das Ansehen der Stadt weniger durch die<br />

Demonstrieren, sondern vor allem durch das Verbot, den<br />

umfangreichen Polizeieinsatz <strong>und</strong> die zahlreichen Festnahmen.<br />

Wenn angesehene <strong>Münchner</strong> Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger<br />

der Stadt ihren Unmut auf die Straße tragen, ist dies im Rückblick<br />

oft ein gerne gesehenes Zeichen von Demokratiefähigkeit,<br />

die sich auch diejenigen auf die Fahnen schreiben, die<br />

das im entscheidenden Moment noch ganz anders gesehen<br />

haben. Die damit verb<strong>und</strong>ene Vorstellung eines guten <strong>und</strong><br />

erwünschten Protests <strong>und</strong> die Abwertung eines störenden Protests<br />

durch so genannte Störer oder Chaoten verkennt jedoch,<br />

dass Proteste vor allem eines müssen: stören, um auf diese<br />

Weise einen Raum zu schaffen für die Artikulation <strong>und</strong><br />

Demonstration von Kritik. Proteste, die nicht stören, sind wie<br />

Tiger ohne Zähne, sie beißen nicht. ||<br />

ZARA S. PFEIFFER<br />

hat Politikwissenschaften studiert. Sie ist Lehrbeauftragte am<br />

Institut für Soziologie der LMU München sowie am Institut für<br />

Medien der Kunstuniversität Linz <strong>und</strong> arbeitet in der politischen<br />

Bildungs- <strong>und</strong> Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Mehr über die Proteste in München findet sich unter<br />

www.protest-muenchen.sub-bavaria.de <strong>und</strong> in dem Buch:<br />

Auf den Barrikaden. Proteste in München seit 1945.<br />

Herausgegeben von Zara S. Pfeiffer im Auftrag des Kulturreferats<br />

der Landshauptstadt München, Volk Verlag, 2011.<br />

Anzeige<br />

PAINTING TO REMEMBER<br />

ZERSTÖRT DEUTSCHE SYNAGOGEN<br />

ALEXANDER DETTMAR<br />

3.2. – 18.3.2012 | Vernissage 2.2., 20.00 Uhr<br />

Infotelefon Pasinger Fabrik: 089 - 829290-13<br />

www.pasinger-fabrik.com


KUNST<br />

SEITE 10 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

Anzeige<br />

Einblicke, Durchblicke,<br />

Spiegelungen. Sabine Hornigs<br />

meisterhafte Fotoarbeiten<br />

in der Alten <strong>und</strong> Modernen<br />

Pinakothek sowie in der<br />

Galerie Barbara Gross<br />

ermöglichen Einsichten in die<br />

Kunst der Anschauung.<br />

Bildfenster<br />

THOMAS BETZ<br />

Wo die Barer Straße in die Nordendstraße einbiegt, ließ sich in<br />

den letzten Wochen ein trauriges Schauspiel beobachten: In<br />

einem verlassenen Blumenladen starben die Pfl anzen, einige<br />

grünten noch standhaft, andere waren bereits mumifi ziert;<br />

kam man gelegentlich wieder vorbei, wusste man nicht genau,<br />

welche inzwischen wieder den Geist aufgeben hatten. Gewöhnlich<br />

erlebt man solche kleinen Veränderungen im Stadtbild<br />

weniger dramatisch. Ein Laden macht dicht. Danach gibt es im<br />

Schaufenster wenig zu sehen, weil gerade renoviert wird. Kein<br />

pittoresker, eher ein prosaischer Anblick – außer man sieht so<br />

aufmerksam <strong>und</strong> präzise hin wie Sabine Hornig.<br />

Durchblicke <strong>und</strong> Oberflächen<br />

Die Berliner Künstlerin hat seit 2001 eine großangelegte Werkserie<br />

dem Phänomen Fenster gewidmet, darunter zeigen zahlreiche<br />

Motive gespenstische Schaufenster während der Renovierung.<br />

Die fotografi schen Arbeiten verewigen nicht nur<br />

einen scheinbar banalen Zustand, sondern schärfen den Blick<br />

auf die zerstörerische Logik der Konsumgesellschaft. Ein Bild<br />

in der Pinakothek der Moderne bringt es auf den Punkt: Das<br />

Konsumtheater hat gerade geschlossen, weiße Papierbahnen<br />

verhindern den Einblick in die Operationen am Innenleben,<br />

der Slogan »Radikal Reduziert« – es sind nur die Klebespuren<br />

der Beschriftung zurückgeblieben – schwebt schemenhaft im<br />

Weiß, im Grau. Dass der künstlerisch-konzeptuelle Blick auf<br />

die spiegelnde Glasfl äche uns gesellschaftlich einen Spiegel<br />

vorhält, ist nur ein Aspekt. Der Veränderung bei der Immobilie<br />

entspricht das performative Potenzial des Bildes. Fensterglas<br />

<strong>und</strong> Vorhang, auch die Spiegelung, die den Raum abschließen,<br />

werden als Äquivalente der Oberfl äche des Bildes begreifbar,<br />

wie es auch die Tesafi lm-Reste, Schlieren, Farbspritzer, Graffi ti<br />

auf dem <strong>und</strong> Sprünge im Glas bei anderen Werken anzeigen.<br />

Das gemalte Bild wurde in der Renaissance ein Fenster zur<br />

Welt, gewährte einen Blick auf die Wirklichkeit. Ab Ende des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts verstand man das Bild, wie der Maler Maurcie<br />

Denis, ehe es ein Schlachtross, einen weiblichen Akt oder<br />

irgendeine Anekdote verkörpere, zunächst <strong>und</strong> prinzipielle als<br />

eine »glatte, mit Farben in einer bestimmten Anordnung<br />

bedeckte Fläche«. Diese Bildfl äche wurde in der Moderne zum<br />

Träger von Expressionen, Abstraktionen, Konstruktionen. Da<br />

hatte die Fotografi e als Bildmedium sich bereits nobilitiert <strong>und</strong><br />

von überall Wirklichkeitszeugnisse verfügbar gemacht.<br />

(Nebenbei: Gleichzeitig mit dem Siegeszug der Fotografi e<br />

wurde das Schaufenster zum Massenmedium.)<br />

Fensterbilder <strong>und</strong> Bildfenster<br />

Die Metapher des Bildes als »Fenster« stellen Hornigs Arbeiten<br />

ebenso zur Diskussion wie die Ordnung des Bildes. Alles Fotos<br />

enthalten, maßstabsgetreu, den Fensterrahmen, der damit<br />

dem Bilderrahmen als akzentuierte Trennung des Bildes vom<br />

Umraum entspricht. Das unterscheidet ihre Bilder von anderen<br />

Aufnahmen der Fotogeschichte, die zuvor Schaufensterscheiben<br />

<strong>und</strong> Fenster, Spiegelungen, Ein- <strong>und</strong> Durchblicke<br />

faszinierend inszeniert hatten. Die Künstlerin stellt sich in die<br />

Tradition der Fensterbilder, die malerisch das Sehen refl ektierten,<br />

<strong>und</strong> kritisiert mit den ungreifbare Bilder erzeugenden<br />

Fenstern das illusionistische Verständnis der Fotografi e als<br />

wirklichkeitsgetreue Abbildung. Besonders deutlich wird dies<br />

in den Kabinetten der Alten Pinakothek, wo Hornigs Fotos mit<br />

holländischer Genremalerei in Dialog treten. Es gibt motivische<br />

Entsprechungen – der Totenschädel <strong>und</strong> das Loch in der<br />

Mauer passen zum Vanitasstillleben, Fenstergitter zu Butzenscheiben,<br />

die Palme zum Landschaftbild – <strong>und</strong> solche der<br />

künstlerischen Verfahren: Das zufällige Arrangement von<br />

Arbeitmaterialien <strong>und</strong> Relikten im Laden erscheint als ebenso<br />

souverän komponiert wie ein Stillleben, der dunkle Gr<strong>und</strong> der<br />

Gemälde macht auf den dunklen Klang vieler Fotos aufmerksam.<br />

Und die desaströsen Raumverhältnisse demonstrieren<br />

das prekäre Verhältnis von Bild <strong>und</strong> Raum, der Grenzen <strong>und</strong><br />

Zugänge vom Betrachter zum Bild. Hornigs Fenster sind mal<br />

vergittert, die Rahmenkonstruktionen Exempel einer kühlgeometrischen<br />

Bauästhetik, die Innenräume oft leer oder zerstört.<br />

In »Fenster ohne Boden« (2006) ist das Zimmer, in das<br />

man neugierig hineinschaut, ein leerer Schacht ohne Boden,<br />

ein Abgr<strong>und</strong>. Wie die Interieurs ist auch der gespiegelte Stadtraum<br />

mit seinen Fensterfassaden menschenleer. Die Fotografi<br />

n ist aus den Bildern verschw<strong>und</strong>en. Nur einmal assistiert sie<br />

dem Standpunkt des Betrachters. Und bei »Rückfenster« (2004)<br />

in der Pinakothek der Moderne blicken wir durch die Triptychon-Rahmung,<br />

durch einen leeren Raum <strong>und</strong> ein hinteres


Fenster hindurch auf eine entfernte Rückenfi gur: die steht auf<br />

betoniertem Podest in einer grasigen, unbebauten Natur, weitaus<br />

höher, <strong>und</strong> unerreichbar vom gespiegelten Raum des<br />

Betrachters auf der breiten, gepfl asterten Straße.<br />

Kunst der Anschauung <strong>und</strong> des Zwischenraums<br />

Jedes der Bilder erweist sich als Meisterwerk. Nicht wegen der<br />

Ansichten <strong>und</strong> Gegenstände, sondern durch das einheitliche<br />

Verfahren, in dem der Betrachter inszeniert wird. »Durch das<br />

gleiche Glas kann man paradoxerweise nach vorn <strong>und</strong> nach<br />

hinten schauen, ohne sich umzudrehen«, schreibt der Kunsthistoriker<br />

Hans Belting in der Begleitpublikation. Der schön<br />

gestaltete Band, der zwei Aufsätze, ein Verzeichnis aller Werke<br />

sowie ein Interview mit der Künstlerin enthält, informiert auch<br />

darüber, wie sich Hornigs frühere Arbeiten, als Fenster-Skulpuren,<br />

genauer: als Eingriffe in vorhandene Räume, mit dem<br />

Problem des Einblicks <strong>und</strong> Durchblicks auseinandersetzten.<br />

Im New Yorker Museum of Modern Art etwa verbanden 2003<br />

Diapositive auf Glas mit echten Durchblicken <strong>und</strong> echten<br />

Spiegelungen die Spiegellabyrinth-Schichten des Fotomotivs.<br />

Mit einer solchen Situation, dass im Bild sich überlagernde<br />

Refl exionen den Durchblick behindern, konfrontiert eine<br />

Foto-Installation, ähnlich einem Wartehäuschen. Sie zeigt Zwischenräume:<br />

Fenster, Wände, Türen aus Glas, Mauern, Bäume,<br />

Schilder aus Licht. Man steht, ganz Auge, immer auf der falschen<br />

Seite. In Sendling kann man seit 2005 eine große Installation<br />

auf der Fassade der Gr<strong>und</strong>schule an der Pfeuferstraße<br />

erleben. Eine Ausstellung in der Galerie Barbara Gross eröffnet<br />

weitere Begegnungen mit dem fotografi schen Blick <strong>und</strong><br />

der skulpturalen Dynamik von Sabine Hornig. Ihre Arbeiten<br />

zeugen, wie sie selbst sagt, von einer »zweiten Möglichkeit:<br />

einer verborgenen Perspektive gegenüber der nur scheinbar<br />

einzigen«. ||<br />

SABINE HORNIG DURCHS FENSTER<br />

Pinakothek der Moderne, Saal 30 | Barer Straße 40 |<br />

täglich außer Di 10–18 Uhr<br />

Alte Pinakothek, Obergeschoß, Kabinette 15, 16, 19–22 |<br />

Barer Straße 27 | täglich außer Mo 10–18 Uhr | bis 26. Februar<br />

SABINE HORNIG. DURCHS FENSTER<br />

Hrsg. von der Pinakothek der Moderne<br />

Mit Beiträgen von Hans Belting <strong>und</strong> Inka Graeve-Ingelmann<br />

<strong>und</strong> einem Gespräch der Künstlerin mit Sophie Tottie |<br />

Verlag für Moderne Kunst, 2011 | 72 S., 50 Abb. | 28 Euro<br />

SABINE HORNIG STILLEBEN AM FENSTER<br />

Barbara Gross Galerie | Theresienstrasse 56, Hof 1 |<br />

Di–Fr 11–18.30, Sa 11–16 Uhr | bis 29. Februar<br />

Anzeige<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 11<br />

links: »Der zerstörte Raum«, 2006 |<br />

90 x 159 cm (Plexi)<br />

Mitte: »Fenster ohne Boden«, 2006 |<br />

170 x 222,4 x 3 cm (Plexi)<br />

rechts: »Rückfenster«, 2004 |<br />

160 x 190 x 3 cm (Plexi)<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2011<br />

KUNST


BILDENDE KUNST STREIFZUG<br />

SEITE 12 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

ERIKA WÄCKER-BABNIK<br />

R<strong>und</strong> siebzig Galerien gibt es<br />

in München. Hinzu kommen<br />

zahlreiche Institutionen, die<br />

Begegnungen mit zeitgenössischer<br />

Kunst ermöglichen.<br />

Eine aktuelle Auswahl:<br />

DIE TIEFE DER RÄUME<br />

Kai-Uwe Schulte-Bunert<br />

Heiko Räpple<br />

Galerie Filser & Gräf<br />

Tattenbachstraße 18 | bis 31.1. | Di–Fr 11-18,<br />

Sa 11–14 Uhr<br />

Die Konfrontation zweier Künstler <strong>und</strong> ihrer<br />

Werke innerhalb einer Ausstellung kann<br />

schwierig sein. Vor allem dann, wenn sich die<br />

Arbeiten vermeintlich nahe stehen. Die Kombination<br />

von Fotografi e/Malerei <strong>und</strong> Bildhauerkunst<br />

tut dem jeweiligen Werk jedoch<br />

manchmal richtig gut, vor allem dann, wenn<br />

die Wechselwirkung eine inhaltliche oder formale<br />

Klärung fördert oder zumindest ästhetisch<br />

bereichernd wirkt. Ein Beispiel für einen<br />

gelungenen Dialog führt derzeit die Galerie<br />

Filser & Gräf vor, die die Fotoarbeiten von<br />

Kai-Uwe Schulte-Bunert (*1969) zusammen<br />

mit Wandreliefs aus Gips <strong>und</strong> Beton von Heiko<br />

Räpple (*1981) zeigt: Hier der analytischkühle<br />

Fotografen-Blick auf verlassene Spuren<br />

menschlicher Zivilisation vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

einer seltsam entrückten Natur; dort<br />

die unfertig <strong>und</strong> roh wirkenden Abformungen<br />

<strong>und</strong> Abgüsse des Bildhauers, die mit expressiven<br />

Gebärden in den Raum ausgreifen <strong>und</strong><br />

wieder zurückspringen.<br />

Der Dialog, der hier zwischen den Arbeiten<br />

entfacht wird, ist sofort erkennbar. Zuvörderst<br />

wird er vom extremen Kontrast der<br />

künstlerischen Positionen bewirkt: Schulte-<br />

Bunerts Interesse gilt dem Blick auf Architekturen,<br />

die in den präzise austarierten Kompositionen<br />

schattenlose <strong>und</strong> verlassene Relikte<br />

in den Weiten einsamer, in fahles Licht<br />

getauchter Landschaften bilden. Eine unterkühlte<br />

Sichtweise auf Natur, deren suggestiver<br />

Wirkung man sich kaum entziehen kann.<br />

In manchen Arbeiten kehrt sich das Verhältnis<br />

einer proportionalen Ausgewogenheit zwischen<br />

Bauwerk <strong>und</strong> Natur um, etwa wenn eine<br />

fensterlose Fassade formatfüllend den Blick<br />

verstellt <strong>und</strong> nur noch an den Bildrändern<br />

einen schmalen Streifen Himmel <strong>und</strong> Wiese<br />

erkennen lässt.<br />

Heiko Räpple | Zeit | 2009 |<br />

Acrystal, 145 x 104 x 12 cm, Aufl age 2/3 |<br />

© Heiko Räpple, Courtesy Galerie Filser & Gräf<br />

Heiko Räpple schwelgt im Material. Seinen<br />

Reliefs ist die Energie <strong>und</strong> Lust am handwerklichen<br />

Arbeiten mit verschiedenen Werkstoffen<br />

anzumerken. Er jongliert zwischen schwerem<br />

Beton, dessen Oberfl ächen die Spuren<br />

der Holzverschalung zeigen <strong>und</strong> die an den<br />

Wänden zu architektonischen Elementen werden,<br />

<strong>und</strong> leichteren Mischungen, deren Strukturen<br />

beim Abguss ein grafi sches Moment<br />

entstehen lassen. Was ihn beschäftigt, sind die<br />

Gr<strong>und</strong>fragen plastischen Gestaltens – Raum,<br />

Kai-Uwe Schulte-Bunert | ohne Titel | 2009 |<br />

Kodak-Lambda-Print auf Alu-Dibond unter Acrylglas |<br />

60 x 90 cm, Aufl age 1/5 |<br />

© Kai-Uwe Schulte-Bunert, Courtesy Galerie Filser & Gräf<br />

Form <strong>und</strong> Figur – <strong>und</strong> die Dialektik gegensätzlicher<br />

Eigenschaften wie weich <strong>und</strong> hart,<br />

leicht <strong>und</strong> schwer, innen <strong>und</strong> außen, positiv<br />

<strong>und</strong> negativ. Sein ausgeprägtes Interesse an<br />

der Gestaltung von Raum teilt er wiederum<br />

mit Schulte-Bunert: In den Fotografi en bewirken<br />

Diagonalen <strong>und</strong> niedrige Horizonte einen<br />

extremen Tiefensog. Auch motivisch fi nden<br />

sich Parallelen: Betonbauten im Bild, Beton<br />

an den Wänden gegenüber.<br />

Bei aller Faszination verlassen wir die<br />

Galerie dennoch mit einem Gefühl von Déjà<br />

vu: Die kühle Bildsprache der Fotoarbeiten,<br />

die schattenlose, menschenleere Welt, die<br />

Sicht auf die Natur, die Betontrassen, Autobahnbrücken<br />

<strong>und</strong> Heuballen in der nebeligen<br />

Landschaft – kennen wir das nicht alles auch<br />

von Gurski <strong>und</strong> Co, vor allem aber von dem<br />

Leipziger Fotografen Hans Christian Schink?<br />

POLAR. WANDOBJEKTE<br />

Karin Radoy<br />

Galerie Gudrun Spielvogel<br />

Maximilianstraße 45 | bis 18.2. | Mo–Fr<br />

13–18.30, Sa 11–14 Uhr<br />

Für Fre<strong>und</strong>e fi gürlicher Darstellungen oder<br />

expressiver Gesten hat die konkrete Kunst,<br />

also die Kunst, die per definitionem im<br />

Wesentlichen auf mathematisch-geometrischen<br />

Konstruktionen beruht, häufi g etwas<br />

Karin Radoy | Bios, 1010 | 2010, | 2-teilig,<br />

80 x 160 x 25 cm, Acryl auf Holz<br />

Eintöniges, Unnahbares. Eine Galerie, die sich<br />

dieser gegenstandslosen Kunstrichtung verschrieben<br />

hat <strong>und</strong> Künstler vorstellt, die aus<br />

einem reichhaltigen Farben- <strong>und</strong> Formenrepertoire<br />

schöpfend immer wieder faszinierende<br />

<strong>und</strong> verblüffende Werke hervorbringen,<br />

ist die Galerie Spielvogel. Ein solches Versprechen<br />

löst auch die aktuelle Ausstellung mit<br />

Wandarbeiten der Künstlerin Karin Radoy<br />

ein, die, 1957 in Offenbach geboren, die<br />

künstlerischen Errungenschaften der Pioniere<br />

der konkreten Kunst <strong>und</strong> der autonomen<br />

Malerei aus den 60er- <strong>und</strong> 70er-Jahren klug<br />

zu verbinden <strong>und</strong> weiterzuentwickeln versteht:<br />

Ihre kompakten, monochromen Wandobjekte<br />

bestehen jeweils aus zwei Hälften, die schwingenden<br />

Flügeln ähnlich symmetrisch auf eine<br />

Mittelachse ausgerichtet sind. Von ihrer kompakten<br />

Form her massiv <strong>und</strong> statisch, sind sie<br />

durch die wellenartigen Ausformungen in den<br />

Raum hinein jedoch gleichzeitig von verblüffender<br />

Eleganz <strong>und</strong> Dynamik. Das Irritierende<br />

ist das Verhältnis der beiden Teile des jeweiligen<br />

Diptychons zueinander: Sie sind identisch,<br />

<strong>und</strong> doch stehen sie nicht spiegelbildlich<br />

zueinander, sondern sind gegeneinander<br />

verdreht: zwei aufeinander bezogene <strong>und</strong> von<br />

einander unabhängige Teile, die zusammengenommen<br />

ein in sich geschlossenes untrennbares<br />

Ganzes ergeben.<br />

Über die plastische Gestalt hinaus behandelt<br />

Karin Radoy die Objekte als Bildträger für<br />

ihre Malereien: Konsequent <strong>und</strong> mit hoher<br />

Intensität lässt sich die Künstlerin auf die<br />

Autonomie der Farbe ein <strong>und</strong> erprobt ihre<br />

Eigenschaften <strong>und</strong> die daraus resultierende<br />

irrationale Wirkung in unmittelbarem Zusammenspiel<br />

mit den schwingenden Körpern. Die<br />

mit dem Spachtel in 30 bis 40 Schichten <strong>und</strong><br />

Lasuren aufgetragenen Acrylfarben zaubern<br />

marmorierte Oberfl ächen hervor, die in Kombination<br />

mit den dreidimensionalen Bildträgern<br />

den Eindruck erwecken, haptisch erfahrbar<br />

zu sein. In zahlreichen Nuancen entfaltet<br />

die Farbe ein pulsierendes Eigenleben, das<br />

über die Bildfl äche hinaus in einen eigenen<br />

Farb-Raum übergeht.<br />

Die Konzentration der Objekte liegt in der<br />

senkrechten bzw. leicht schrägen Mittelachse,<br />

die die beiden Bildkanten bilden. Als würden<br />

die Körper atmen, scheinen sie dialogisch<br />

gegeneinander zu schwingen. In diesem Dualismus<br />

sieht Karin Radoy den Bezug zu ihrem<br />

eigenen Leben, einer Dualität im Ich. Im Einklang<br />

mit der Tonalität der sorgsam gewählten<br />

Farben vermag diese Dynamik den<br />

Betrachter in einen Zustand der Kontemplation<br />

zu versetzen.<br />

A WOMEN’S VOICE II<br />

Annegret Soltau. Leda Luss<br />

Luyken. Mona Hakimi Schüler<br />

Haleh Gallery<br />

Aufkirchner Straße 4 | 82335 Berg | bis 21.2. |<br />

Do–Sa 11–16 Uhr<br />

Gelegentlich lohnt es sich, den Blick über die<br />

Stadtgrenzen hinaus zu richten: zum Beispiel<br />

nach Berg am Starnberger See. In dem traditionsreichen<br />

Ort hat sich eine kleine, feine <strong>und</strong><br />

äußerst charmant <strong>und</strong> kenntnisreich geführte<br />

Galerie etabliert, die auf Kunst des Mittleren<br />

Ostens spezialisiert ist: Haleh Heydari ist<br />

gebürtige Iranerin. Nach ihrer Ausbildung zur<br />

Restauratorin arbeitete sie als Konservatorin<br />

am Iran Bastan Museum in Teheran. 2006<br />

übersiedelte sie mit ihrer Familie nach Berg<br />

<strong>und</strong> führt seit 2010 ihre Galerie, in der sie auf<br />

den Dialog zwischen Ost <strong>und</strong> West setzt. Ihre<br />

aktuelle Ausstellung vereint drei internationale<br />

Künstlerinnen, die sich mit weiblicher<br />

Identität befassen: die griechische Malerin<br />

Leda Luss Luyken (*1957 in Athen), die Iranerin<br />

Mona Hakimi Schüler (*1977 in Teheran)<br />

<strong>und</strong> die aus Lüneburg stammende Annegret<br />

Soltau (*1946). Gemeinsam ist diesen sehr<br />

unterschiedlichen Künstlerinnen, dass sie<br />

sich in ihren Werken mit dem Bild der Frau,<br />

mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft <strong>und</strong><br />

dem eigenen Ich als Frau auseinandersetzen.<br />

Annegret Soltau kennt man seit den 70er-<br />

Jahren durch ihre Beschäftigung mit der eigenen<br />

Person in verschiedenen Medien. In der<br />

Ausstellung ist sie mit Fotovernähungen vertreten,<br />

in denen sie über ihr Selbstporträt mit<br />

Nadel <strong>und</strong> Faden collageartig Ausschnitte von<br />

anderen Körpern oder Tiermasken näht, die<br />

ihre Identität verändern <strong>und</strong> in Frage stellen.<br />

Auf der Rückseite der Arbeiten wird ein abstraktes<br />

Bild aus Fäden <strong>und</strong> Rissen sichtbar.<br />

Die Rolle der Frau im Iran zwischen Tradition<br />

<strong>und</strong> Moderne, zwischen Islam <strong>und</strong> westlicher<br />

Kultur hinterfragt Mona Hakimi-Schüler in<br />

einem Tableau aus Porträts: einer Variation an<br />

Frauen mit unterschiedlich geb<strong>und</strong>enen<br />

Schleiern, mit Kopftuch <strong>und</strong> Sonnenbrille<br />

oder schulterfrei mit Abendfrisur. Besonders<br />

für westliche Betrachter faszinierend sind<br />

ihre detailreiche Bildcollagen der Serie<br />

»stories I live<br />

by«, in denen<br />

sich Fragmente<br />

von Koranseiten,<br />

arabischen<br />

Schriftzeilen <strong>und</strong><br />

orientalischen<br />

»ich<strong>und</strong>ich«,<br />

Mona<br />

Hakimi-Schüler<br />

Ornamenten mit mythologischen Darstellungen<br />

sowie politischen Szenerien auf teils illustrative,<br />

teils malerische Weise verbinden. Eine<br />

ganz andere künstlerische Position vertritt<br />

Leda Luss Luyken, deren großformatige Bildtafeln<br />

aus Modulen bestehen, die der Betrachter<br />

beliebig neu arrangieren kann. »Now and<br />

Then« etwa spannt den Bogen zwischen antiker<br />

Venus <strong>und</strong> moderner Weiblichkeit. Drei<br />

Künstlerinnen, drei Kulturen, drei Positionen,<br />

die in der kleinen Galerie in Berg ein Anliegen<br />

formulieren: dem Frau-Sein in der gesellschaftlichen<br />

Debatte eine Stimme zu verleihen.<br />

VOYAGER<br />

Björn Dahlem<br />

Galerie Rüdiger Schöttle<br />

Amalienstr. 41 | bis 28.1. | Di–Fr 11–18,<br />

Sa 12–16 Uhr<br />

Ein bisschen ist es, als käme man in eine dieser<br />

Kunst- <strong>und</strong> W<strong>und</strong>erkammern des Barockzeitalters,<br />

in denen Fürsten <strong>und</strong> Adelige Raritäten<br />

aus Kunst, Natur <strong>und</strong> Wissenschaften<br />

zusammentrugen, die ihnen kostbar <strong>und</strong><br />

wichtig erschienen.<br />

Nur dass<br />

diese Museumsvorläuferwesentlich<br />

üppiger ausgestattet<br />

waren<br />

als die reduzierte<br />

Schau in der<br />

Galerie Schöttle.<br />

Björn Dahlem |<br />

M-Konstellation |<br />

2011 | Holz, Stahl,<br />

Kupfer, Styropor,<br />

Vasen, Barometer,<br />

Oliven, Tusche,<br />

Schellack,<br />

250 x 139 x 106 cm |<br />

Courtesy Galerie<br />

Rüdiger Schöttle,<br />

Foto: Ulrich Gebert<br />

Und doch tritt man auch hier mit großem<br />

Staunen an die Vitrinen heran, um zu erk<strong>und</strong>en,<br />

welch w<strong>und</strong>ersame Objekte da so opulent<br />

präsentiert werden <strong>und</strong> aus was für<br />

Gegenständen sie sich zusammensetzen; <strong>und</strong><br />

schließlich, welch geheimnisvolle Botschaft<br />

sie dem Betrachter überbringen. Quelle der<br />

Inspiration des 1974 in München geborenen<br />

Björn Dahlem sind Astrophysik, Kosmologie<br />

<strong>und</strong> Philosophie. Von Hause aus vertraut mit<br />

diesen Gebieten – sein Vater ist Physiker –<br />

<strong>und</strong> mit reichlich Wissen um philosophische,<br />

religiöse <strong>und</strong> kunsthistorische Fragestellungen<br />

ausgestattet, verarbeitet er die unterschiedlichsten<br />

Alltagsgegenstände <strong>und</strong> Materialien<br />

zu poetisch anmutenden Weltmodellen.<br />

Seine Installationen <strong>und</strong> Skulpturen sind voller<br />

Referenzen auf kosmische Phänomene<br />

<strong>und</strong> die Ursprünge des Universums. Sie sehen<br />

aus wie astronomische Modelle aus dem<br />

Deutschen Museum <strong>und</strong> sind doch weit entfernt<br />

von jeglichem wissenschaftlichen<br />

Anspruch <strong>und</strong> den Gesetzen der Physik. Vielmehr<br />

stellen sie ein Konglomerat dar aus<br />

Erkenntnissen der Forschung, aus mythologischen,<br />

religiösen <strong>und</strong> philosophischen Deutungen,<br />

etlichen kunsthistorischen Bezügen,<br />

ein wenig Science Fiction <strong>und</strong> einer Portion<br />

Humor. Diesen fi ndet man vor allem in der<br />

Wahl der Materialien. Der Veranschaulichung<br />

unterschiedlicher Sonnenphasen etwa dienen<br />

dem Künstler neben ein paar bemalten Styroporkugeln<br />

ein schwarzer Samtball <strong>und</strong> eine<br />

verschrumpelte Zitrone. Der goldblättrige<br />

Lebensbaum wiederum steht auf einer Basis<br />

aus Spiegeln <strong>und</strong> Kristallvasen, <strong>und</strong> zu den<br />

Bestandteilen der fragilen »M-Konstellation«,<br />

die sich wie eine Kirchturmspitze oder eine<br />

schwarze Monstranz über einem polygonen<br />

Sockel erhebt, zählen Oliven <strong>und</strong> ein Barometer.<br />

Dieses rätselhafte Objekt nimmt Bezug<br />

auf eine Theorie aus dem Bereich der kosmischen<br />

Gravitationslehre, mit der ein nicht<br />

gelöstes Problem – M = Mystery – physikalisch<br />

beschrieben wird. Auch Björn Dahlem<br />

bietet keine Lösung an. Er versteht seine<br />

Werke als eine Art Denkmodelle, die alle<br />

Facetten von Wissenschaft <strong>und</strong> Weltanschauung<br />

bis hin zu Glaube <strong>und</strong> Hoffnung zur Verfügung<br />

stellen, um die Imagination des<br />

Betrachters herauszufordern. ||


Kunst muss glaubwürdig sein<br />

Wlademir Faccioni bei der Probe<br />

Simone Sandroni<br />

war 1987 in Brüssel Gründungsmitglied<br />

von Ultima Vez <strong>und</strong> arbeitete bis 1992 in der<br />

Compagnie von Wim Vandekeybus. 1996<br />

gründete er in Prag zusammen mit Lenka<br />

Flory die Kompanie Déjà Donné, die vom<br />

Trasimener See aus mittlerweile 26 Länder<br />

Europas, Nordamerikas <strong>und</strong> Asiens bereist hat.<br />

Sandronis Stück »Das Mädchen <strong>und</strong> der<br />

Messerwerfer« wird am zweiten Abend der<br />

»englischen Saison« uraufgeführt, zusammen<br />

mit Werken von Russel Maliphant <strong>und</strong><br />

Kenneth MacMillan (das Münchener <strong>Feuilleton</strong><br />

berichtete in der Dezemberausgabe).<br />

mit den Motorrollern <strong>und</strong> schauen zu <strong>und</strong> hauen wieder ab.<br />

Paare küssen sich <strong>und</strong> verdrücken sich. In einer solchen Indifferenz<br />

<strong>und</strong> Langeweile versuchen sich auch meine HipHopper,<br />

die Zeit zu vertreiben.<br />

Wie arbeiten Sie mit dem Ensemble?<br />

Es ist nicht einfach, Balletttänzer in eine solche Atmosphäre zu<br />

versetzen. Es sind tapfere Performer, sehr diszipliniert, sie<br />

arbeiten intensiv an ihren körperlichen Fähigkeiten, wenden<br />

unendlich Zeit dafür auf, ihren Körper zu formen, sind fantastische<br />

Künstler, sehr präzise <strong>und</strong> fokussiert. Aber wenn ich sie<br />

nun bitte, sich zu öffnen, zu beobachten im gesamten Umkreis<br />

von 360 Grad, dass sie mit ihrem Körper auch darauf reagieren<br />

können, was irgendwo geschieht – natürlich haben sie selbst<br />

totale Körperkontrolle –, dann ist das zwar für sie nicht schwierig,<br />

aber es ist für sie etwas komplett Neues, Ungewohntes. Ich<br />

arbeite hier nur mit dem Ensemble, bringe keine Tänzer von<br />

außen mit ein. So ist es für sie – auch für mich – eine Herausforderung,<br />

glaubhaft zu agieren, nicht nur formal.<br />

Meine Bewegungsprinzipien beruhen auf der Körpermitte<br />

<strong>und</strong> einer fl exiblen Wirbelsäule. Gerade das Gegenteil ihrer<br />

Ausbildung: sie wären damit schon nach einem Jahr aus der<br />

Schule gefl ogen. Es gibt da aber kein Richtig oder Falsch. Balletttänzer<br />

haben, jeder für sich, fantastische Instrumente, <strong>und</strong><br />

die Herausforderung für mich besteht darin, das Beste aus<br />

jedem einzelnen herauszuholen.<br />

Hat sich im Ensemble etwas verändert seit Ihrer Arbeit<br />

»Cambio d´abito«?<br />

Ich war seit 2008 mehrfach am Haus, auch Leute aus der<br />

Besetzung, die mich noch nicht kennen, haben von anderen<br />

schon gehört, dass ich ihnen nicht Spezielles beibringen <strong>und</strong><br />

Ihnen auch nichts wegnehmen möchte. Die Tänzer sind gut<br />

vorbereitet, einige machten diverse Trainings, weil sie wussten,<br />

dass sie mit mir arbeiten werden. Bei mir gibt es keine<br />

statischen Momente, man ist ständig in Bewegung.<br />

Welche Musik wird zu hören sein?<br />

Ich arbeite mit 48Nord zusammen, Ulrich Müller <strong>und</strong> Siegfried<br />

Rössert, aus München. Die Musik hat verschiedene Ebenen.<br />

Sie muss für den Tanz funktionieren. Zweitens muss sie zum<br />

Ambiente <strong>und</strong> zur Atmosphäre passen, die Lenka Flory mit<br />

Bühnenbild <strong>und</strong> Kostümen geschaffen hat. Auf dem Platz passiert<br />

alles mögliche: Er ist umgeben von Musik. Wir sind noch<br />

auf der Suche – das ist schön, denn auch wenn die Zeit kurz<br />

ist, um ein Werk auf die Beine zu stellen, fi nde ich es wichtig,<br />

dass noch geforscht wird, dass man auf Abenteuer ausgeht,<br />

etwas Neues zu fi nden. Eben nicht auf die Bühne zu bringen,<br />

was man schon weiß <strong>und</strong> kann.<br />

Kann Tanz erzählen – nicht im Sinne des klassischen Handlungsballetts<br />

–, hat er narrative Qualität? Erzählen Sie vielleicht<br />

keine Geschichten, sondern davon, wie man Neues entdeckt?<br />

TANZ<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 13<br />

Simone Sandroni choreografi ert mit dem Bayerischen Staatsballett. Ein Gespräch über das Tanzen <strong>und</strong> das Nichtstun.<br />

THOMAS BETZ<br />

In einer späteren Ausgabe von »Das Mädchen <strong>und</strong> der Messerwerfer«<br />

merkt Wolf Wondratschek an, »dass die Geschichte,<br />

die diese Gedichte erzählen, auch als Libretto für ein Ballett<br />

brauchbar sein könnte«. Wie hat der Text Sie gef<strong>und</strong>en?<br />

Ballettdirektor Ivan LiŠka <strong>und</strong> Wondratschek sind Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />

der Autor liebt das Ballett. Schon lange bestand der Wunsch,<br />

daraus ein Ballett zu machen; aber LiŠka suchte noch nach<br />

einem Choreografen. Vor zwei Jahren bekam ich die Anfrage.<br />

Als ich das Poem las, wollte ich mich inspirieren lassen, aber<br />

es funktionierte nicht. Als Gedicht fand ich es w<strong>und</strong>erschön,<br />

aber ich suche die Gr<strong>und</strong>lagen meiner Arbeit nicht irgendwo<br />

draußen, in Musik, in Literatur, sondern im Studio, in den<br />

Menschen, mit denen ich arbeite. Im Leben – nicht in anderen<br />

Kunstwerken. Ich habe auch schon als Opern- <strong>und</strong> Theaterregisseur<br />

mit Textvorlagen gearbeitet, aber da bringe ich auf die<br />

Bühne, was bereits für die Bühne geschrieben ist. Wenn eine<br />

Musik – oder ein Buch – w<strong>und</strong>erbar ist, braucht sie keine<br />

Übersetzung. Denn Kunst verwandelt das Leben. Aus Kunst<br />

wiederum Kunst zu machen, geht mir zu weit.<br />

Sie haben es aber hier getan. Wie?<br />

Aus den fünf Figuren bei Wondratschek machte ich erst einmal<br />

zwei; aus dem kleinen Zirkus wurde ein kaputter Kinderspielplatz.<br />

Was machen sie da? Sie stellen sich zur Schau, sind sehr<br />

gleichgültig, sie haben vieles satt. Es ist übrigens an Wondratscheks<br />

Text schön, dass jedes Gedicht für sich stehen kann, man<br />

braucht nur zufällig eine Seite aufzuschlagen: phantastisch!<br />

Ich arbeite so: beweg dich, geh weg, komm wieder – es ist<br />

an den Bewegungen also nichts deskriptiv, was die Welt des<br />

Textes betrifft.<br />

Sie haben also nicht mit Charakteren begonnen zu arbeiten,<br />

sondern mit einer Atmosphäre?<br />

Nun, ich habe mich eher von der Person Wondratschek inspirieren<br />

lassen, von seiner Hingabe, von seiner Körperlichkeit. Wenn<br />

wir uns unterhielten, sprachen wir nie über die Tanzproduktion,<br />

aber einmal sagte Wolf: »Sie sollten eigentlich nur tanzen, wenn<br />

es sonst nichts zu tun gibt.« Das öffnete mir einen Weg.<br />

Zu dem Mädchen, dem Messerwerfer, den zwei Frauen <strong>und</strong><br />

dem Clown habe ich zwei hinzuerf<strong>und</strong>en, die ich russische Hip-<br />

Hopper nenne. Die sind bei den anderen mit dabei, obwohl sie<br />

dort eigentlich nichts verloren haben. Dann gibt es ein Netz auf<br />

diesem Spielplatz, wie auf einem billigen Asche-Fußballplatz,<br />

<strong>und</strong> dahinter halten sich die gelangweilten Youngsters auf. Apathische,<br />

aggressive Teenager, die nichts tun, die Sachen kaputtmachen,<br />

die für sich selbst tanzen, die Fußball spielen.<br />

Das ist, wie wenn ein Zirkus in einem kleinen Dorf gastiert,<br />

<strong>und</strong> man kommt schon neugierig hin, aber es ist noch zu<br />

früh <strong>und</strong> die Zirkusleute mit ihren zwei Wagen sitzen auf dem<br />

betonierten Fleck <strong>und</strong> essen. Nichts los. Und dann stellen sie<br />

Stühle auf für die Omas <strong>und</strong> die Enkel, dann kommen welche<br />

Liebe zum Tanz<br />

Konsequent forscht die <strong>Münchner</strong> Choreografi n Sabine Glenz in emotionalen <strong>und</strong> atmosphärischen Hybridbereichen, bearbeitet<br />

die situative Qualität einer Live-Performance, mit großem Interesse an Zwischentönen <strong>und</strong> den Abstufungen zwischen<br />

Darstellung <strong>und</strong> Präsenz. In ihrem jüngsten Stück »L.O.V.E.« schickt sie Karen Piewig <strong>und</strong> Zufi t Simon auf das R<strong>und</strong> der<br />

Bühne. Präsent sind dabei noch zwei andere Tänzerinnen – Valeska Gert <strong>und</strong> Rosalia Chladek, Protagonistinnen des<br />

Ausdruckstanzes, die unterschiedlicher kaum sein könnten: die Berlinerin Valeska Gert, exzentrische Kabarett-Frau <strong>und</strong><br />

Schauspielerin mit schneidendem Witz <strong>und</strong> hellwachem politischem Bewusstsein zum einen, zum andern Rosalia Chladek,<br />

die Körperbildung an der Schule Hellerau-Laxenberg studierte <strong>und</strong> später ihr eigenes Tanzsystem entwickelte <strong>und</strong> lehrte.<br />

Emigrantin die eine, Professorin an den Berliner »Meisterstätten für Tanz« <strong>und</strong> der »Deutschen Bühne« ab 1940 die andere.<br />

Deren unterschiedliche Zugriffe auf Tanz <strong>und</strong> Bewegung inspirierten Sabine Glenz zu »Anordnungen für zwei Tänzer«. || tb<br />

Simone Sandroni bei der Probe | Fotos: Wilfried Hösl<br />

Mit Tanz kann man nicht eine Geschichte erzählen, wie in Filmen<br />

oder Büchern. Gleichzeitig glaube ich, dass Tanz Aktion ist, <strong>und</strong><br />

wenn man an der Intensität der Aktion arbeitet, ablesen kann, ob<br />

man darum kämpft oder sich behaglich fühlt, oder sich aussetzt<br />

– man kann damit einiges erreichen. Aber das bedeutet nicht, zu<br />

erzählen: Es trifft geradewegs die Wahrnehmung des Publikums,<br />

ohne den Filter der Frage nach dem Warum. Was passiert gerade<br />

– darum geht es. Nicht um den narrative Weg, die Erklärung.<br />

Ich glaube auch nicht, dass man auf der Bühne realistisch<br />

sein kann, man kann glaubhaft sein. Nun gibt es ja viele Arten<br />

von Theater, keine hat recht, keine ist besser. Für mich kommt<br />

es auf Glaubwürdigkeit an.<br />

Sind Sie als Künstler, wenn man Wondratscheks Text<br />

betrachtet, nicht einerseits mit dem Messerwerfer verb<strong>und</strong>en?<br />

Sie haben Ziegelsteine geworfen <strong>und</strong> gefangen in den 80er-<br />

Jahren bei Ultima Vez, Sie haben Martial Arts geübt, als Tänzer<br />

wie im Zirkus jeden Tag trainiert, sich in den Zustand der<br />

notwendigen Konzentration versetzt. Und sind Sie nicht auch<br />

mit dem Mädchen verb<strong>und</strong>en? Die zwar bei kleineren Kunststücken<br />

mitmacht, dann auch sich den Messern stellt, aber eigentlich<br />

nicht den Formen <strong>und</strong> Konventionen des Zirkus folgt, sondern<br />

offen ist, für alles, was geschieht oder nicht geschieht.<br />

Diese Konstellation schafft dramaturgisch Spannung. Sich<br />

nicht auszustellen. Du gibst dich einer Aktion hin, aber du bist<br />

immer bereit für jede andere Aktion. Ich liebe die Idee, dass<br />

man sich fragt, was wird als nächstes geschehen? Das Unvorhersagbare.<br />

Viele meiner Arbeiten schuf ich basierend auf der<br />

Struktur von Fehlern, von Zufällen: Warum kamst du dazu?<br />

Weil ein anderer dies tat, <strong>und</strong> dann kam etwas Unerwartetes<br />

hinzu. Das liebe ich an der Arbeit. Ich schaue gern aus dem<br />

Fenster, oder sitze irgendwo, <strong>und</strong> beobachte die Leute. Das ist<br />

eine großartige Vorstellung, immer. Duchamps Ready-Mades<br />

berühren mich sehr. Also nimm einen Gegenstand <strong>und</strong> versuche<br />

ihn zu kontextualisieren, versetze ihn in eine andere<br />

Umgebung, mach einen Rahmen darum. Ich habe viel von seinem<br />

Kunstkonzept gelernt. Denn in der Kunst – das ist klar,<br />

dass ich das nicht als erster sage – können wir nichts erfi nden,<br />

wir können nur sammeln, nur auswählen. ||<br />

SIMONE SANDRONI | DAS MÄDCHEN UND DER MESSER-<br />

WERFER || RUSSEL MALIPHANT | AFTERLIGHT | BROKEN<br />

FALL || KENNETH MACMILLAN | LAS HERMANAS<br />

Mo 30. Januar (Premiere) | 19.30<br />

31. Januar, 1.-2. Februar<br />

Prinzregententheater | Prinzregentenplatz 12<br />

Karten: 089 21851970<br />

SABINE GLENZ<br />

L.O.V.E. – ANORDNUNGEN FÜR ZWEI EI TÄNZER<br />

12.-15. Januar | 20.30<br />

schwere reiter | Dachauerstr. 144<br />

Karten: 089 32494270


AUGENWEIDE<br />

SEITE 14 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

Mehr Dimensionalität!<br />

Bernd Rodenhausen, 1963 in<br />

Aschaffenburg geboren, war nach<br />

seinem Schulabbruch u.a. im<br />

Sägewerk, am Fließband, als<br />

Waldarbeiter, Möbelpacker <strong>und</strong><br />

Milchfahrer tätig. 1988 zog er<br />

nach München, studierte Kommunikationsdesign<br />

<strong>und</strong> fabrizierte<br />

erste Comics <strong>und</strong> Cartoons.<br />

Im Cartoonistenduo »FRED &<br />

GÜNTHER« veröffentlichte er<br />

seine Comics in Titanic, Zitty, in<br />

der Süddeutschen Zeitung, im<br />

STERN <strong>und</strong> anderen Printmedien<br />

sowie Sammelalben im Lappan-<br />

Verlag. Seit 2002 arbeitet Bernd<br />

Rodenhausen als freischaffender<br />

Maler, Grafiker <strong>und</strong> Theatermaler,<br />

Bühnenplastiker <strong>und</strong> Requisitenmeister<br />

am <strong>Münchner</strong> Volkstheater.<br />

Seit 2011 ist er Hausillustrator<br />

für Young & Rubicam, Berlin.<br />

Bernd Rodenhausen<br />

Bis 22. Januar sind seine Arbeiten in<br />

einer Gemeinschaftsausstellung mit<br />

dem Bildhauer Esteban Kleist in der<br />

Orangerie am Englischen Garten zu<br />

sehen. Bernd Rodenhausen will den<br />

Blick des Betrachters zur Langsamkeit<br />

zwingen. Das gelingt ihm immer<br />

– <strong>und</strong> die Leute freuen sich.


Beppo Brem <strong>und</strong> Jörg Hube: Zwei<br />

Fernseh-Kriminaler, zwei Musterbayern.<br />

Zwei Ausstellungen erinnern an<br />

die doch recht verschiedenartigen<br />

<strong>Münchner</strong> Schauspieler.<br />

Der<br />

Urbayer ...<br />

Ein Bild von einem Bayern: Beppo Brem | Foto: Sammlung Felix Felzmann /<br />

Valentin-Karlstadt-Musäum<br />

BEPPO BREM IM FILM, FERNSEHEN UND PRIVAT<br />

Valentin-Karlstadt-Musäum im Isartor<br />

Tal 50 | bis 22. Februar | geöffnet Mo, Di, Do 11.01–17.29 Uhr |<br />

Fr, Sa 11.01–17.59 | So 10.01–17.59 | Eintritt 2,99, ermäßigt 1,99<br />

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birkenstraße 3<br />

82346 andechs<br />

tel (08157) 99 75 90<br />

www.ulenspiegeldruck.de<br />

BARBARA REITTER-WELTER<br />

Sie galten als bayerische Urviecher: derb <strong>und</strong> deftig in der<br />

Ausdrucksweise, eigenbrötlerisch im Charakter <strong>und</strong> grobschlächtig<br />

im Auftreten. Zwei Volksschauspieler, die nur nach<br />

außen das Klischee bedienten: Beppo Brem <strong>und</strong> Jörg Hube.<br />

Ein gebürtiger <strong>Münchner</strong> der ältere Brem (1906–1990), ein<br />

»Zuagroaster« aus Neuruppin in Brandenburg Hube (1943–<br />

2009), der jedoch bereits als Einjähriger in den Süden kam.<br />

Beide prägten sich dem breiten Publikum durch Fernsehrollen<br />

ein – Brem durch 117 Folgen seiner unkonventionellen Kriminaler-Figur<br />

Franz Josef Wanninger, Hube durch die TV-Serie<br />

»Die Löwengrube«, in welcher er den Kriminalbeamten Ludwig<br />

Grandauer verkörperte. Dabei waren sie auch an großen Häusern<br />

fürs Charakterfach engagiert, beide am Bayerischen<br />

Staatsschauspiel, Brem auch an Bauernbühnen. Im Valentin<br />

Musäum wird jetzt »Beppo Brem im Film, Fernsehen, Theater<br />

<strong>und</strong> privat« präsentiert, während die Monacensia unter dem<br />

Titel »Mein Kopf ist eine Bombe« Jörg Hube eine erste Erinnerungsschau<br />

widmet.<br />

Beide Ausstellungen sind klein, überschaubar <strong>und</strong> pointiert<br />

in der Inszenierung – auch wenn der Personenkult, die<br />

Akkuratesse, mit der den Biografi en nachgespürt wird, vor<br />

allem aber der Devotionaliencharakter so mancher Exponate<br />

schon befremdlich wirkt. Natürlich machen die diversen<br />

Trachtenhüte des Beppo Brem, mal mit Federbusch, mal mit<br />

Gamsbart, optisch etwas her, besitzen sein Toupet <strong>und</strong> die verschiedenen<br />

falschen Bartmodelle einen gewissen Unterhaltungswert.<br />

Doch zur ernsthaften Aufarbeitung dieser bajuwarischen<br />

Legende tragen sie nur wenig bei. Außer Fotografi en<br />

von Haus <strong>und</strong> Familie, ein paar Karikaturen <strong>und</strong> Ehrungen wie<br />

dem Bayerischen Verdienstorden, der auf einem blauen Kissen<br />

ausgestellt wird, beschränkt man sich auf die Dokumentation<br />

seiner Rollen.<br />

EIN BAYER IN ST. PAULI<br />

Schließlich gilt B.B., so sein Kürzel, als einer der bekanntesten<br />

Protagonisten des deutschen Nachkriegskinos. Er spielte in<br />

Heimtatfi lmen <strong>und</strong> Schwänken wie »Das sündige Dorf«, in Verwechslungskomödien<br />

<strong>und</strong> Militärklamotten, ab Ende der<br />

Sechziger auch in Sexfi lmen mit unsäglichen Titeln (<strong>und</strong><br />

ebenso unsäglicher Handlung) wie »Pudelnackt in Oberbayern«.<br />

Als meistbeschäftigter deutscher Nebendarsteller trat er<br />

zusammen mit Stars wie Heinz Rühmann (»Quax der Bruchpilot«)<br />

oder Curd Jürgens (»Des Teufels General«) auf. Dass er<br />

von Regisseuren wie Kurt Hoffmann oder Helmut Käutner<br />

auch in ernsthaften Charakterrollen eingesetzt wurde <strong>und</strong><br />

neben Episoden aus Ludwig Thomas »Lausbubengeschichten«<br />

auch der berühmteste »Verkaufte Großvater« auf der Bühne<br />

war, wird meist vergessen.<br />

BOMBENSCHÄDEL MIT SPRECHKULTUR<br />

»Der Herzkasperl ist ein Anarchist, einer, der keine Bomben<br />

schmeißt, sondern dessen Kopf eine Bombe ist.« So lautet<br />

einer der vielen überlieferten Sprüche des schwierigen <strong>Münchner</strong><br />

Originals Jörg Hube, das mehr als drei Jahrzehnte in der<br />

Kulturszene als Schauspieler <strong>und</strong> Regisseur, Kabarettist <strong>und</strong><br />

Autor präsent war. Ihn machten die fünf Folgen des Kabarettprogramms<br />

»Herzkasperl« stadtbekannt, die nach dem anfänglichen<br />

Flop bald Kult wurden – <strong>und</strong> deren Witz immer haarscharf<br />

an der Grenze zur exhibitionistischen Selbstentblößung<br />

balancierte. Dass Hube jedoch auch jahrelang als »seriöser«<br />

Darsteller in großen Rollen an den Kammerspielen zu sehen<br />

war, bevor er mit Dieter Dorn ans Residenztheater ging, dass<br />

er als Direktor der Otto-Falckenberg-Schule den Schauspieler-Nachwuchs<br />

ausbildete, all das rufen in der Monacensia<br />

zahlreiche Aufnahmen ins Gedächtnis. Man hat sich jedoch<br />

zur Aufgabe gemacht, den ganzen Hube zu präsentieren – <strong>und</strong><br />

so sieht man in den Vitrinen sogar Kinderbriefe, wo es mit dem<br />

»braf«-Sein nicht so klappt, Zeugnisse, die ihn als »jähzornig«<br />

bezeichnen oder Zeichnungen des Knaben. Sie erzählen aber<br />

auch von der Not eines einsamen Kindes, denn schon mit drei<br />

war das Schauspielerkind Hube ins Kinderheim, später in<br />

Internate gegeben worden – <strong>und</strong> blieb stets unangepasst <strong>und</strong><br />

aufmüpfi g.<br />

Diese Dokumente werfen zumindest biografi sch ein<br />

Schlaglicht auf den Charakter, der ihm bleiben sollte – später<br />

sah sich Jörg Hube selbst als Revoluzzer, der sich gegen alles<br />

aufl ehnte, was ihm bürokratisch oder ungerecht erschien.<br />

Egal, ob im Bürgerleben, in der Stadt oder in der Politik, deren<br />

Exponenten FJS er w<strong>und</strong>erbar zu parodieren verstand – er<br />

blieb, so Kuratorin Eva Demmelhuber, »ein bayerischer Don<br />

Quijote in rostiger Rüstung«. Am interessantesten aber ist sein<br />

geistiger Zettelkasten, seine Manuskripte für satirische<br />

Gedichte oder zynische Pamphlete. »Die einen werden kriminell,<br />

andere werden gleich Terroristen! Und bei wem es zu all<br />

dem nicht langt, der probiert’s halt mit der Kunst!« So selbstkritisch<br />

sah er die eigene Karriere. Auch mit Beppo Brem ist<br />

ein berühmtes Zitat verknüpft: der Karl Valentin zugeschriebene<br />

Spruch »Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit«. Er<br />

stammt aus der Opern-Verfi lmung »Die verkaufte Braut« aus<br />

dem Jahr 1932, in dem Regisseur Max Ophüls den 1,92 Meter<br />

großen Brem neben Liesl Karlstadt <strong>und</strong> Valentin als ungeschlachten<br />

Bauernburschen eingesetzt hatte – ein Rollentypus,<br />

der ihm zeitlebens anhaften sollte. ||<br />

MÜNCHNER KÖPFE<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 15<br />

... <strong>und</strong> der<br />

Anarchist<br />

Jörg Hube als umjubelter Puntila in Bertolt Brechts »Puntila <strong>und</strong> sein<br />

Knecht Matti« in den Kammerspielen, 1998, Regie: Franz Xaver Kroetz |<br />

Foto: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Oda Sternberg<br />

»MEIN KOPF IST EINE BOMBE – JÖRG HUBE.<br />

EIN KÜNSTLERLEBEN«<br />

Monacensia | Maria-Theresia-Str. 23 | bis 8. Juni 2012 |<br />

Mo–Mi, Fr 10.30–18 Uhr, Do 10.30–19 Uhr | Eintritt frei<br />

WERKSTATTGESPRÄCH<br />

7. Februar, 19.00 Uhr<br />

mit der Ausstellungsmacherin <strong>und</strong> Hube-Biografin<br />

Eva Demmelhuber zum Pre-Hearing der Hörproduktion,<br />

die im BR am 11.2. <strong>und</strong> 12.2. gesendet wird.<br />

JÖRG HUBE. HERZKASPERLS BIOGRAFFL.<br />

Ein Künstlerleben. Das Buch ist parallel zur Ausstellung<br />

erschienen | Herausgegeben von Eva Demmelhuber | Mit einem<br />

Vorwort von Gerhard Polt | LangenMüller, 2011 | 352 Seiten |<br />

22,99 Euro


BÜHNE<br />

SEITE 16 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

FLORIAN KINAST<br />

Auswärtsspiel in Fröttmaning<br />

Seit drei Jahren wird das Deutsche Theater umgebaut. Im Ausweichquartier am Stadtrand haben die Chefs<br />

die Chance zur Erneuerung des Spielplans genutzt.<br />

Manchmal packt die beiden Wehmut, Carmen Bayer <strong>und</strong> Werner<br />

Steer, die Sehnsucht nach der Schwanthalerstraße. Gerade<br />

an solchen Tagen, wo alles grau ist, der Wolkenbrei am Himmel,<br />

die Kieswüste vor dem Theaterzelt, der Baucontainer<br />

sowieso, der Container mit ihrem Büro. »Heimat«, sagt Steer,<br />

»Heimat wird das nie, das bleibt Exil. Wird Zeit, dass wir wieder<br />

reinkommen.« Rein in die Stadt. Aber sie sitzen immer<br />

noch draußen, die beiden Chefs des Deutschen Theaters.<br />

In New York spielt man Musicals am Broadway, in London<br />

im West End. In München zwischen U-Bahn-Werkstatt <strong>und</strong><br />

Kläranlage. In der Verbannung in Fröttmaning, seit mehr als<br />

drei Jahren. Längst wollten sie wieder daheim sein, Sommer<br />

2011, so war der Plan, doch der Umbau des Haupthauses zieht<br />

sich hin, jetzt reden sie von Frühjahr 2013. »Wir müssen aufpassen,<br />

dass wir hier nicht zur Dauereinrichtung werden«, sagt<br />

Steer. Dass es nicht zur Institution wird, das Provisorium, oft<br />

auch ein Improvisorium.<br />

Zu improvisieren gab es hier anfangs viel, in diesem Zelt,<br />

aber genau das war ein großes Glück. Vor dem Exodus war<br />

alles festgefahren, behäbig, es herrschte Stillstand wie in der<br />

Stoßzeit auf der Schwanthalerstraße, die Kruste so dick wie die<br />

115 Jahre alte Mauer des Theaters, wenn nicht dicker. Es gab<br />

zwei Produktionsfi rmen, von denen bezog man die Stücke,<br />

mehr Auswahl gab es nicht. »Verkrustet ist das richtige Wort«,<br />

sagt Carmen Bayer. »Wenn wir dringeblieben wären, wären wir<br />

gar nicht gezwungen gewesen, das aufzubrechen.« Gezwungen<br />

waren sie, aus Angst vor einer Pleite, einem Flop. Aus Angst,<br />

dass keiner rauskommt, dass der Standort tödlich ist, ohne<br />

Ambiente, ohne Möglichkeit, den Abend nach der Vorstellung<br />

in einer netten Bar ringsherum abzur<strong>und</strong>en. Dass Zuschauer<br />

fernbleiben, das fürchteten sie, doch es kam genau anders.<br />

Aufsehenerregend das provokante Premieren-Papst-Stück<br />

»In Nomine Patris« ab Mitte Oktober 2008, es gab einen kollektiven<br />

Totalverriss in Münchens Medien, beim Publikum<br />

Queen Esther Marrow (Mitte) <strong>und</strong> die Harlem Gospel Singers präsentieren ihre Show vom 19. bis 22. Januar | Foto: Veranstalter<br />

Begeisterung <strong>und</strong> Beschimpfungen, das ganze Spektrum, aber<br />

schon war das Theater auf einmal wieder im Gespräch. Es<br />

rührte sich was, Steer <strong>und</strong> Bayer suchten den Kontakt zu<br />

neuen, anderen Produktionsfi rmen, die Vielfalt wurde größer.<br />

Und die Leute kamen, bis heute im Schnitt 850 Besucher pro<br />

Vorstellung im 1500-Mann-Zelt, eine Auslastung von 60 Prozent,<br />

wie vor dem Auszug auch. Im Jahr sind es r<strong>und</strong> 250 000<br />

Zuschauer.<br />

Die Allianz Arena nebenan hat das allein an vier Samstagen.<br />

Aber jetzt kommen ja immerhin von dort auch Fußballer<br />

herüber ins Theater. Der erste war Oliver Kahn. Der kam noch<br />

vor dem Papst. Und das kam so: Im Sommer 2008 rief Uli<br />

Hoeneß bei Steer an, ob der Torwart-Titan denn nach seinem<br />

letzten Spiel am 2. September seine Abschiedsparty im Deutschen<br />

Theater feiern könne. Sechs Wochen vor der eigentlichen<br />

Premiere. »Kriegen wir hin«, sagte Steer, <strong>und</strong> Steer sagte<br />

es auch, als Kahn am 1. September im Ferrari vorfuhr <strong>und</strong> sich<br />

durchs Zelt führen ließ. Der Boden war aufgerissen, aus den<br />

Wänden hingen Kabel, <strong>und</strong> Kahn fragte: »Sagen Sie, wo fi ndet<br />

das morgen eigentlich statt?« Da sagte Steer: »Hier.« Und es<br />

fand statt, alles wurde fertig, es wurde eine rauschende Gala,<br />

mit vielen Ehrengästen. Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Ottmar<br />

Hitzfeld, sie alle fanden den Weg hierher. Anders als ein<br />

anderes Mal Lothar Matthäus. Der, so erzählt es Steer, rief<br />

eines Spätnachmittags einmal bei ihm an, wegen zwei Karten<br />

für die Abendvorstellung. Matthäus kam auch, aber viel zu<br />

spät, er war irrtümlicherweise in die Schwanthalerstraße<br />

gefahren. Dabei hätte er es ursprünglich ja gar nicht weit<br />

gehabt. Zuvor war er bei einem Spiel in der Arena drüben.<br />

Auch die Löwen haben sie oft als Gäste im Zelt, die <strong>Spiele</strong>r<br />

des TSV 1860, Mitte Dezember war hier ihre Weihnachtsfeier,<br />

davor rückten sie bei »Mamma Mia« oder »Evita« an. »Die fühlen<br />

sich wohl hier«, sagt Steer, »bei uns bekommen sie beste<br />

Unterhaltung.« Beste Unterhaltung, das ist ja genau das,<br />

Leichte Unterhaltung ist eine schwere Kunst.<br />

warum sie gegen Vorurteile aus der Kulturbranche kämpfen<br />

müssen, »dumme Vorurteile«, wie Bayer sagt. Dass sie mit<br />

ihren Stücken massenkompatiblen Mainstream liefern, keine<br />

avantgardistische Hochkultur – aber wenn die anderen die<br />

Nase rümpfen, zuckt Steer mit den Schultern. »Wenn ich die<br />

Gäste nach den Musical-Abenden hier anschaue, dann sind sie<br />

saugut drauf <strong>und</strong> oft beschwingter als die Besucher nach manchen<br />

Stücken an anderen Theatern.« Ja, natürlich sei es Entertainment,<br />

aber deswegen kämen die Leute ja auch, <strong>und</strong> deswegen<br />

werden sie auch so weitermachen.<br />

Auch 2013, wenn sie wieder daheim sind im neuen Deutschen<br />

Theater, das schick aussehen wird, wenn nichts mehr<br />

übrig ist vom alten, opulenten Theatersaal vor dem Umbau. Es<br />

wird heller, moderner, verwechselbarer, statt des alten Weißwurst-Kellers<br />

gibt es dann eine VIP-Lounge, die Patina wird<br />

zwar weg sein, aber eben auch die Kruste. Dem Exil sei Dank.<br />

Hat sich dann ja doch gelohnt, die Zeit neben dem Stadion.<br />

Das Auswärtsspiel in Fröttmaning. ||<br />

Deutsches Theater | Werner-Heisenberg-Allee 11 | Fröttmaning<br />

Spielplan <strong>und</strong> Karten: 089 55234444 | www.deutsches-theater.de


Darin üben sich verschiedene Theater in München.<br />

SABINE LEUCHT<br />

Es heißt nicht »Gop«, sondern »Ge O Pe«, was die Abkürzung<br />

ist für den 1912 erbauten Georgspalast in Hannover, in<br />

dem die Gastronomenfamilie Grote 1992 Originalbilder von<br />

dessen Varieté-Glanzzeit in den Fünfzigern hängen sah.<br />

Und deren Charme nahm die Grotes so gefangen, dass das<br />

Haus keine Disco wurde, sondern – wieder – ein Varieté.<br />

Der dies erzählt, als wäre er dabei gewesen, ist Roman<br />

Staudt, Pressesprecher der fünften <strong>und</strong> jüngsten Zweigstelle<br />

des mittlerweile »europaweit führenden Varietéunternehmens«<br />

GOP. In den Räumen der ehemaligen Kleinen Komödie<br />

am Max II in der Maximilianstraße 47 hat sie gerade die<br />

Schonfrist hinter sich gebracht, die die »GOP Entertainment<br />

Group« ihren Kindern zugesteht. Zwei Jahre, sagt Staudt,<br />

habe jedes als GmbH geführte Einzelhaus Zeit, sich zu rentieren.<br />

In München, der ersten Großstadt, waren es drei.<br />

Denn die Konkurrenz ist an einem solchen Standort natürlich<br />

größer als in Essen, Münster oder Oeynhausen.<br />

Warum das GOP hier in derselben Zeit prosperierte, in<br />

der sogar Witzigmanns »Palazzo« mit Schuhbecks »Teatro«<br />

fusionieren musste? Staudt spricht von der Preispolitik, die<br />

vor allem kleinere Firmen <strong>und</strong> Privatleute anspricht, die<br />

etwa zur Hälfte aus dem <strong>Münchner</strong> Umland kommen. Wenn<br />

Geldbeutel <strong>und</strong> Appetit schlank sind, gibt es Snacks oder<br />

auch Getränke solo. Doch wenn etwa die Allianz das ganze<br />

Haus bucht, um Mitarbeiter <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en mit biegsamen<br />

Frauenbeinen für den harten Alltag zu entschädigen, hat sie<br />

die Wahl zwischen einem opulenten Wunschmenü vorab im<br />

hauseigenen Restaurant oder dem wirtschaftlich interessanteren<br />

»Erlebnis-Arrangement«, wo schon für 54 Euro am<br />

Platz gegessen wird. Die Show ist natürlich inklusive <strong>und</strong><br />

überhaupt die Hauptsache, sagt Staudt. Sechs davon gibt es<br />

pro Jahr, die je zwei Monate am Stück gespielt werden <strong>und</strong><br />

dann weiterwandern – von GOP zu GOP.<br />

Die letzte Show im alten Jahr hieß »Glanzlichter« <strong>und</strong><br />

hatte klassisches Varieté-Format: Ein Zauberer-Entertainer<br />

fl achste mit den Gästen, ließ Karten <strong>und</strong> Tischchen fl iegen<br />

<strong>und</strong> sagte die Acts an. Neben eher gewöhnlichem Kontorsions-<br />

<strong>und</strong> Vertikalseil-Spektakel auch zwei aufregend durchrhythmisierte<br />

Jonglage-Nummern von Wes <strong>und</strong> Jay, drei<br />

Klischee-Spanier, die unter dem Label Lost Locos Machismo,<br />

Exhibitionismus <strong>und</strong> »heißblütige« Gitarrenklänge miteinander<br />

kombinieren – <strong>und</strong> die kämpferisch-aggressive Partnerakrobatik<br />

des jungen Duos Leo. Hier kamen neben der<br />

GABRIELLA LORENZ<br />

»Oamal in meim Lem mechat i des aa spuiln«, seufzte Alexander<br />

Liegl nach einer Aufführung von »Der nackte Wahnsinn«.<br />

Begreifl ich: Was der Engländer Michael Frayn 1982<br />

schrieb, ist die wahrscheinlich verrückteste Farce des Boulevard-Theaters<br />

<strong>und</strong> seitdem ein Renner auf europäischen<br />

Bühnen. Jetzt spielt Alexander Liegl »Der nackte Wahnsinn«<br />

im Lustspielhaus <strong>und</strong> seufzt über die wahnsinnigen Verwirrungen:<br />

»Es gibt Momente, wo i mich nimmer auskenn.«<br />

Für das Lustspielhaus ist diese Inszenierung ein Novum.<br />

Bis 1997 haben Liegl <strong>und</strong> seine regieführende Bühnen- <strong>und</strong><br />

Lebenspartnerin Gabi Rothmüller hier jährlich »Occams<br />

Rache« inszeniert, eine buntes Gemeinschaftsstück <strong>Münchner</strong><br />

Kabarettisten. Danach kamen Comic-Musicals wie »Der<br />

Watzmann ruft« oder »Siegfried«, zuletzt die Operette »Im<br />

Weißen Rössl«. Aber ein richtiges Theaterstück ohne Musik<br />

gab’s noch nie. Liegl <strong>und</strong> Rothmüller nehmen das sehr<br />

ernst: »Wir machen hier kein Kabarett. Und wollten deshalb<br />

auch nur Darsteller, die auch schauspielern können. Wir<br />

machen uns nicht über das Stück lustig.«<br />

Das Stück ist lustig genug: Eine Schauspielertruppe<br />

probt eine Boulevardkomödie. Nichts klappt. Der Ölsardinenteller<br />

steht immer am falschen Platz, die sieben Türen<br />

werden ständig verwechselt. Eine Schauspielerin verliert<br />

ihre Kontaktlinsen, ein Kollege seinen Text. Vor einem<br />

Spaß auf hohem Niveau<br />

Das GOP produziert Varietéprogramme für fünf Bühnen in ganz Deutschland.<br />

Jongleur Bertan Canbeldek in »Base« | Foto: Frank Wilde<br />

BÜHNE<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 17<br />

Oma <strong>und</strong> Onkel Karl auch die Enkel auf ihre Kosten, während<br />

ab 11. Januar mit »Base« vor allem Innovation <strong>und</strong><br />

Jugendkultur auf dem Programm stehen.<br />

Mit solchen <strong>und</strong> ähnlichen Mixturen muss ein Privatunternehmen<br />

ohne öffentliche Gelder seine Shows immer wieder<br />

kreativ auf Zumutbarkeit testen. Staudt nennt es »Freiheit«,<br />

wenn zu provokative Songs gestrichen werden oder<br />

man im Nachhinein den komödiantischen Aspekt verstärkt.<br />

Eine schlanke Verwaltung <strong>und</strong> straffe Planung bis hin zum<br />

Einheitsmenü tragen dazu bei, dass bis zu 100 Mitarbeiter<br />

pro Haus ihr Auskommen haben. Die kreativen Ideen stammen<br />

von der unternehmenseigenen Agentur GOP Showconcept,<br />

die alle GOP-Shows produziert <strong>und</strong> ständig nach<br />

neuen Talenten sucht. Ob im Nouveau-Cirque-Nest Montréal,<br />

im konservativen Kiew oder auf Sylt. Ihre Erfahrung ist<br />

mittlerweile auch außer Haus gefragt, wie etwa bei Kreuzfahrten<br />

der TUI, der Tollwood-Silvestergala oder der Eröffnung<br />

der Ballsaison im Deutschen Theater.<br />

Seit Kreativchef Werner Buss 2000 mit »Carpe Diem« die<br />

erste Performance ohne Worte auf die Showbühne brachte,<br />

gibt es überdies weit mehr »Konzept«-Shows als klassische<br />

Varieté-Abende. »Ihr werdet nicht das sehen, was ihr kennt,<br />

aber ihr werdet Spaß haben«, so formuliert Roman Staudt<br />

die GOP-Philosophie, die sanft auf die Entwicklungsfähigkeit<br />

seines Publikums setzt. Immerhin 700.000 deutschlandweite<br />

Gäste im Jahr geben ihr Recht. Unter ihnen<br />

durchaus auch klassische Theatergänger oder solche, die es<br />

noch werden. Denn, so Staudt: »Wir sind natürlich kein Teil<br />

der Hochkultur, aber das, was wir tun, tun wir auf hohem<br />

Niveau.« ||<br />

GOP | Maximilianstraße 47<br />

Spielplan <strong>und</strong> Karten: 089 210288444 | www.variete.de<br />

»Kunst braucht konstruktive Verzweifl ung«<br />

Gabi Rothmüller inszeniert im Lustspielhaus die Boulevard-Komödie »Der nackte Wahnsinn« von Michael Frayn.<br />

anderen ist keine Frau sicher, vor einem weiteren keine<br />

Whiskyfl asche. Dieses Traumteam sieht man von zwei Seiten:<br />

als Darsteller im Stück im Stück <strong>und</strong> in ihren privaten<br />

Verfl echtungen. Im zweiten Akt dreht sich das Bühnenbild<br />

um 180 Grad <strong>und</strong> zeigt die gleiche Szene aus der Backstage-<br />

Perspektive. Dafür hat Bühnenbauer Christoph Wessling<br />

enorm getüftelt <strong>und</strong> um jeden Zentimeter gekämpft.<br />

Die Darsteller kennt man aus verschiedensten Bereichen:<br />

Alexander Liegl <strong>und</strong> Michael Altinger als Kabarettisten,<br />

die Schauspieler Sonja Kling <strong>und</strong> Thomas Wenke vom<br />

Ensemble der Lach & Schieß, Eva-Maria Reichert aus dem<br />

»Forsthaus Falkenau«, Norbert Heckner vom Nockherberg-<br />

Singspiel <strong>und</strong> vielen Bühnenrollen. Ferdinand Schmidt-<br />

Modrow wechselt zwischen Bühne <strong>und</strong> Kino, Constanze<br />

Lindner gilt in der Truppe als die Allro<strong>und</strong>erin. Gabi Rothmüller<br />

mimt eine unglücklich verliebte Regieassistentin,<br />

<strong>und</strong> die echte Regieassistentin Lara, Tochter von Ottfried<br />

Fischer, spielt sogar eine tragende Rolle: die Wand.<br />

Aber niemand soll auf der Bühne mit seinen kabarettistischen<br />

Eigenheiten auftrumpfen. Denn eine Komödie, die<br />

selbst schon die Parodie einer Boulevardkomödie ist, nochmal<br />

zu parodieren, das ginge gar nicht, sagt Gabi Rothmüller:<br />

»Wenn hier ein Regisseur meint, eigene Ideen haben zu<br />

müssen, wird’s katastrophal.« Alle müssen sich uneitel in<br />

den Dienst der Rolle stellen. Thomas Wenke genießt es, als<br />

Regisseur des geprobten Bühnenstücks »mal in einer anderen<br />

Position zu sein«: Er sitzt zum Teil im Publikum. Eine<br />

Angst hat er jedoch: »Dass Zuschauer an meinem Tisch<br />

dazwischenquatschen <strong>und</strong> ich einen Einsatz verpasse.« Die<br />

enorme Präzision, die das türenschlagende Boulevard-<br />

Klipp-Klapp erfordert, treibt alle manchmal zur Verweiflung.<br />

Alexander Liegl bleibt zuversichtlich: »Kunst braucht<br />

konstruktive Verzweifl ung.« ||<br />

DER NACKTE WAHNSINN<br />

bis 11. Februar 2012 | Di–So | 20:30<br />

Lustspielhaus | Occamstrasse 8<br />

Karten: 089 344974 | www.lustspielhaus.de


BÜHNE<br />

SEITE 18 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

KEINE REDE VON THEATER<br />

Warum redet eigentlich keiner mehr übers Theater? »Ich will raus<br />

aus dem <strong>Feuilleton</strong>, ich will auf die Seite 1«, hat – sinngemäß –<br />

Franz Xaver Kroetz vor ein paar Jahrzehnten gesagt. Und es<br />

auch geschafft. Nach dem Abstieg durch zuerst die Fernseh-,<br />

dann die Klatschseiten muss er heute allerdings froh sein,<br />

wenigstens noch im <strong>Feuilleton</strong> vorzukommen. (In diesem Jahr<br />

wird es wieder so weit sein, da kommt im Cuvilliéstheater die<br />

Uraufführung eines neuen Stücks von ihm heraus: »Du hast<br />

gewackelt. Requiem für ein liebes Kind«, <strong>und</strong> an den Kammerspielen<br />

machen sie sein »Wunschkonzert«). Dann wird wieder<br />

von Kroetz zu reden sein. Im <strong>Feuilleton</strong>.<br />

Aber das Tagesgespräch? Die öffentliche Diskussion? Die<br />

Schlagzeilen? Der Party-Talk? – Die alle haben das Theater<br />

längst vergessen. Kommt nicht mehr vor. Ist kein Aufreger mehr.<br />

Wo sind die Zeiten geblieben, als 1968 an den Kammerspielen<br />

Peter Stein mit seiner Sammelaktion für den Vietcong noch die<br />

Stadt in Rage brachte (<strong>und</strong> dafür von Everding gefeuert wurde)?<br />

Als die Staatsregierung 1985 tobte, weil Sepp Bierbichler im<br />

Residenztheater mit einem Impromptu in Achternbuschs »Gust«<br />

deren Südafrika-Politik attackierte (<strong>und</strong> wenig später Intendant<br />

Baumbauer dafür den Stuhl vor die Tür gestellt bekam)? Als der<br />

Dramatiker Rolf Hochhuth 1978 den »furchtbaren Juristen«<br />

Ministerpräsident Hans Filbinger in Stuttgart zu Fall bringen<br />

konnte? Als der Kammerspiel-Intendant Hans-Reinhard Müller<br />

noch graue Haare bekam von der Ächtung, mit der ihn die<br />

<strong>Münchner</strong> Gesellschaft für sein Engagement von Dieter Dorn<br />

<strong>und</strong> Ernst Wendt abstrafte? »Wendt <strong>und</strong> Dorn, hint’ <strong>und</strong> vorn,<br />

Dorn <strong>und</strong> Wendt, <strong>und</strong> kein End«: So ging damals der Spottvers<br />

durch die Stadt; reichlich platt, aber immerhin – man sprach über<br />

das Theater.<br />

Mit Skandalen durch Sex <strong>und</strong> Ekel, Blut <strong>und</strong> Hoden, die über<br />

viele Jahre hinweg wie ein letztes Lebenszucken des Theaters<br />

gelesen werden konnten, ist heute ohnehin kein Aufsehen mehr<br />

zu machen – wir haben das in der letzten Ausgabe des <strong>Münchner</strong><br />

<strong>Feuilleton</strong> thematisiert. Und wenn Frank Castorf derzeit im<br />

Residenztheater Horváths »Kasimir <strong>und</strong> Karoline« buchstäblich<br />

durch die Scheiße waten lässt, dann ist das dem Publikum bestenfalls<br />

ein amüsiertes Schulterzucken wert. Nicht einmal die<br />

Franz-Josef-Strauß-Klamotte »Halali« im Cuvilliéstheater konnte<br />

der CSU auch nur das allerkleinste Donnergrollen entlocken – es<br />

ist wirklich auf nichts mehr Verlass im Leben.<br />

Aber die aktuellen, brandheißen, fi ngerbrennenden Themen<br />

– die müssten doch ziehen? Von der Staubwolke über Gro<strong>und</strong><br />

Zero bis zur Aschewolke über Island, von der Kinderschändung<br />

bis zu den Neonazis – es gibt ja buchstäblich keinen »Tagesthemen«-Stoff,<br />

an dem sich nicht irgendein junger ambitionierter<br />

Dramatiker die Feder wetzen würde. Mangelnder Zeitgeist ist<br />

das Letzte, was man unseren Theatermachern vorwerfen könnte.<br />

Nur leider: Solche Produktionen gelangen nur selten aus der<br />

Spiel-Ecke der Experimentierbühnen, der Kellertheater, des Marstalls<br />

oder Werkraumtheaters heraus – <strong>und</strong> noch seltener ins<br />

öffentliche Bewusstsein hinein. Eine kurze Besprechung im<br />

<strong>Feuilleton</strong>; das war’s dann schon mit dem Tagesgespräch.<br />

Schon wieder so ein Gemecker übers Theater? Keineswegs.<br />

Eher schon eine Publikumsbeschimpfung. Die Theatermacher<br />

quer durch alle Häuser geben sich alle erdenkliche Mühe, ins<br />

Gespräch zu kommen; mit welchen Mitteln auch immer. Hingehen,<br />

hinhören, diskutieren müssen wir, das Publikum, schon<br />

selber. Oder vielleicht doch wenigstens einen Bruchteil des Interesses<br />

dafür aufbringen, das der derzeit offenbar lebenswichtigen<br />

Frage gilt, wer Nachfolger von Thomas Gottschalk wird ...<br />

ROLF MAY<br />

THE PHILOSOPHER‘S<br />

STONE<br />

Eigenbrötler, Verrückte, Kämpfer<br />

Einst ein Brausebad, heute ein Sehnsuchtsort für Querdenker: das Theater am<br />

Sozialamt. Ein Blick in den Alltag der Schwabinger Kultur-Bastion.<br />

Der skurril gestaltete Theatereingang im Hinterhof | Foto: Hilda Lobinger<br />

CORNELIA FIEDLER<br />

Fahrige Schatten zucken über die Wände, zwei Kerzen spenden<br />

unzuverlässiges Licht. Sie lassen hier eine kahle Wand, dort eine<br />

fl ache Holzbank aufl euchten, wie man sie aus Turnhallen kennt.<br />

Zwei Gestalten tappen hinter den Kerzen herein. »Du wirst mich<br />

zweifellos fragen«, beginnt der Ältere mit dem zerzausten Haar,<br />

um eine feste Stimme bemüht, »warum wir hier stehen bleiben.«<br />

– »Gut, kann ich machen«, lautet die Antwort. Die Worte des<br />

Älteren tasten sich in die Dunkelheit vor, suchen Halt, schlagen<br />

abstruse kleine Volten, verebben, ohne viel erklärt zu haben.<br />

Die Guckkastenbühne im charakteristischen Breitwandformat<br />

zeigt den Ausschnitt einer kahlen Mehrzweckhalle. Komplett<br />

würde so ein Bau wohl das gesamte Theater am Sozialamt,<br />

kurz TamS, schlucken, das Büro in der ehemaligen Bademeisterwohnung,<br />

den verwinkelten Schwabinger Hinterhof, das<br />

Foyer mit den alten Rohren <strong>und</strong> Wasserkesseln über der Bar.<br />

Auf der Bühne sind die Proben für »Fragen Sie Ihre linke Hand,<br />

wem sie gehört« in vollem Gange: eine surreale Szenenfolge von<br />

Jean Tardieu, zerlegt <strong>und</strong> mit heutigem Blick neu zusammengesetzt<br />

von Regisseurin Hilde Schneider, die in der ersten der langen<br />

Stuhlreihen sitzt.<br />

Tardieu stellt in Frage, woran Menschen sich gern klammern:<br />

Ordnung, Glaube, auch die Sprache. Konsequent muss<br />

sein absurdes Theater auch jede Dramaturgie, die Geschichte,<br />

den psychologischen Figurenentwurf zerschlagen. In einer Art<br />

Schutzraum lässt Hilde Schneider Figuren aus Tardieus Minidramen<br />

aufeinandertreffen, verstrickt in komische Kämpfe mit<br />

sich, dem Alltag, dem Unerwarteten: »Sie gehen in Deckung«,<br />

erklärt Schneider, »aber nicht nur, weil da draußen Katastrophen<br />

stattfi nden. Da draußen ist eben auch das Leben.«<br />

Eine Art Schutzraum, so könnte man auch das TamS bezeichnen,<br />

natürlich nicht vor dem Leben, eher für eine bestimmte<br />

Sichtweise darauf. »Ein versteckter Ort mit ein paar Eigenbrötlern,<br />

Verrückten, Kämpfern«, beschreibt TamS-Chefi n Anette<br />

Spola ihr Theater. 1970 hat sie gemeinsam mit Philip Arp das<br />

ehemalige Brausebad für die Kunst erobert, »völlig naiv«. Zwei<br />

junge Theaterverrückte, die Karl Valentins verschroben hintergründiges<br />

Denken liebten, sich früher als andere für Peter<br />

Handke <strong>und</strong> Thomas Bernhard begeisterten, die bereits drei<br />

Jahre mit ihrem Pantomime-Programm durch Europa <strong>und</strong> Südamerika<br />

gezogen waren.<br />

Wie lässt sich das eigentümliche TamS-Denken beschreiben,<br />

das bis heute prägend ist? »Es will nicht unbedingt Fragen<br />

beantworten«, Spola setzt die Worte mit Bedacht, »vielleicht sind<br />

es auch Fallen, die wir stellen, Theaterfallen«, in die man arglos<br />

tappt <strong>und</strong> plötzlich zum Nachdenken gezwungen ist. Über 100<br />

Premieren, davon über 50 Ur- <strong>und</strong> Erstaufführungen hat das<br />

TamS hinter sich, von Promis wie Urs Widmer bis zu Entdeckungen<br />

wie Beate Faßnacht. Unter den Regisseuren war Lorenz<br />

Seib im letzten Jahr der jüngste, sein Bernhard bei Publikum<br />

<strong>und</strong> Kritik ein Erfolg.<br />

Kämpfen musste das TamS immer, das gehört dazu, doch<br />

einmal hätte Anette Spola fast aufgegeben. 2008 hatte die Stadt<br />

die Förderung so massiv gekürzt, dass der alltägliche Kampf<br />

nicht mehr zu gewinnen schien. Fast schon im Loslassen hatte<br />

Spola dann die Idee, die jetzt zur zweiten Säule des TamS<br />

geworden ist: Die »Theatertage Grenzgänger«, ein integratives<br />

Theaterfestival. Spola leitet zusammen mit Rudolf Vogel seit<br />

Jahren das Theater Apropos, eine Gruppe aus Darstellern mit<br />

psychischen Erkrankungen <strong>und</strong> solchen, die in der Psychiatrie<br />

tätig sind. Die Arbeit, meint Spola, unterscheide sich kaum von<br />

der mit anderen Schauspielern, jeder hat so seine Eigenheiten.<br />

Zum »Grenzgänger«-Festival kommen seit 2009 neben Apropos<br />

alljährlich Gruppen, in denen Menschen mit <strong>und</strong> ohne Behinderung<br />

zusammen auftreten. Eine neue, eigene Ästhetik entsteht,<br />

die so gut ins TamS passt, weil sie die Abgrenzungen dessen,<br />

was man so für normal hält, angenehm verschwimmen lässt.<br />

Auch bei Hilde Schneiders Tardieu-Inszenierung im Januar<br />

werden neben drei Profi s zwei Darsteller von Apropos im<br />

Ensemble sein. ||<br />

FRAGEN SIE IHRE LINKE HAND, WEM SIE GEHÖRT<br />

bis 11. Februar 2012 | Mi. bis Sa. | 20.30 Uhr<br />

TamS Theater am Sozialamt | Haimhauser Str. 13 a<br />

Karten: 089 345890 | www.tamstheater.de<br />

Mit Blut backt man keinen Eierkuchen<br />

In den Kammerspielen inszenierte Stephan Kimmig »Atropa. Die Rache des Friedens.<br />

Der Fall Trojas« von Tom Lanoye.<br />

SABINE LEUCHT<br />

Steven Scharf, Katja Bürkle | Foto: Arno Declair<br />

Am Anfang peitscht sie die Luft mit Cheerleader-Fähnchen,<br />

dann peitscht sie ihrer Iphigenie den Willen zum Opfertod ein.<br />

Und am Schluss bietet sie mit derselben Energie Kassandras<br />

Körper an. Damit sie der besinnungslos verliebte Schlächter von<br />

Troja mitnimmt in sein Land <strong>und</strong> sich ihre Version der Rache<br />

entfalten kann.<br />

Katja Bürkle als Agamemnons Tochter <strong>und</strong> als trojanische<br />

Terroristin ist das Kraftzentrum in Stephan Kimmigs Kammerspiele-Inszenierung<br />

von Tom Lanoyes »Atropa«, das Tragödien<br />

von Euripides <strong>und</strong> Aischylos mit Floskeln von Bush <strong>und</strong> Rumsfeld<br />

zu einem bald erhabenen, bald alltagssprachlich rumpelnden<br />

Porträt der Rhetorik aller Kriege verschneidet. Szenisch aber stehen<br />

die weiblichen Opfer im Fokus. Sechs an der Zahl.<br />

Kimmig hat das Stück des belgischen »Schlachten!«-Spezialisten<br />

stark gekürzt <strong>und</strong> legt zur Aufweichung der Geschlechterfronten<br />

die Verkündung von Trojas Leid in den M<strong>und</strong> eines Mannes. Dass<br />

es im mythischen trojanischen Krieg eigentlich schlicht um<br />

Rache ging, weil Prinz Paris Agamemnons Schwägerin Helena<br />

geraubt hat, wird schnell mal vergessen, denn Lanoyes Agamemnon<br />

trägt nur das Allgemeinwohl <strong>und</strong> die »Zukunft der Kultur«<br />

auf der Zunge. Ob der unumstößlichen Lauterkeit seiner Beweggründe<br />

will er sogar von den Troerinnen verstanden werden,<br />

deren Söhne <strong>und</strong> Männer er gemordet hat, um sie zu »befreien«<br />

aus »Verknechtung, Willkür, Tyrannei«. Steven Scharf spielt diesen<br />

Agamemnon als einen, der empfi nden <strong>und</strong> zweifeln kann, er zeigt<br />

aber auch die zunehmende Betriebsblindheit seiner Figur. So rastet<br />

er, über <strong>und</strong> über in Kunstblut getaucht, völlig aus, als die<br />

trojanischen Damen den mitgebrachten Kuchen nicht würdigen.<br />

Ebenso groß Wiebke Puls’ anfangs herzzerreißend um das<br />

Leben ihrer Tochter fürchtende Klytämnestra, die zuletzt wie<br />

ferngesteuert alle Troerinnen in den Abgr<strong>und</strong> führt, der sich hinter<br />

Katja Haß’ weiß getünchten Stahlwänden auftut. Der Tod auf<br />

Wunsch ist »Die Rache des Friedens«, wie »Atropa« im Untertitel<br />

heißt. Mit Blut lässt sich demnach kein Eierkuchen backen. Da<br />

sagt Lanoyes Stück nichts Neues. Es ist das W<strong>und</strong>er von Kimmigs<br />

Inszenierung, dass man dennoch atemlos bei der Sache bleibt. ||<br />

ATROPA<br />

14., 25. Januar 2012 | 20.00<br />

<strong>Münchner</strong> Kammerspiele<br />

Karten: 089 23396600 | www.muenchner-kammerspiele.de


Es glitzert<br />

die Burka<br />

Regisseurin Nora Schlocker<br />

drückt sich vor einer politischen<br />

Betrachtungsweise<br />

des Hebbel-Dramas<br />

»Gyges <strong>und</strong> sein Ring«.<br />

Stefan Konarske, Werner Wölbern | Foto: Tibor Bozi<br />

CHRISTIANE WECHSELBERGER<br />

Warum gräbt ein Theater einen kaum gespielten<br />

Hebbel aus? »Gyges <strong>und</strong> sein Ring« ist<br />

eine krude Geschichte um Fortschritt <strong>und</strong><br />

Tradition, in der Friedrich Hebbel den antiken<br />

König Kandaules ganz im Zeichen des Liberalismus<br />

(1848 lässt grüßen) alte Insignien<br />

abschaffen lässt. Damit erregt er den Unwillen<br />

seines Volkes. Den Unmut seiner Gattin Rhodope<br />

erweckt er, weil sie sich in der Öffentlichkeit<br />

sehen lassen soll. Sie aber weiht ihr<br />

Leben ganz dem Dienst an den Göttern, <strong>und</strong><br />

die verlangen, dass nur Vater <strong>und</strong> Ehemann<br />

sie unverschleiert sehen. Was aber nützt<br />

Kandaules die schönste Königin der Welt,<br />

wenn ihn niemand drum beneidet? Also<br />

schleust er seinen Herzenskumpel Gyges mit<br />

Hilfe eines Rings, der unsichtbar macht, ins<br />

Schlafzimmer, damit der Rhodope beäugen<br />

kann. Ein fataler Fehler: Gyges verliebt sich<br />

unsterblich, Rhodope entdeckt den Verrat <strong>und</strong><br />

fordert von Gyges, dass er Kandaules tötet<br />

<strong>und</strong> sich mit ihr vermählt, damit ihre Reinheit<br />

wiederhergestellt wird.<br />

Was stellt Regisseurin Nora Schlocker mit<br />

dieser Konstellation an? Zuerst einmal teilt<br />

sie mit Hilfe von Jessica Rockstroh die Bühne<br />

streng in privaten <strong>und</strong> öffentlichen Raum. Ein<br />

haushoher schwarzer Zylinder schließt die<br />

Welt aus, in der Kandaules (Werner Wölbern)<br />

<strong>und</strong> Gyges (Stefan Konarske) Wettkampf <strong>und</strong><br />

Fest feiern. Der Lärm dieser Welt dringt nur<br />

gedämpft in Rhodopes Zylinder. Gyges als<br />

Günstling – das nimmt Schlocker ganz wörtlich<br />

<strong>und</strong> öffnet mit Küsschen hier <strong>und</strong> Tätscheln<br />

dort den Blick auf eine zärtliche Männerfre<strong>und</strong>schaft.<br />

Das ist schön gespielt, doch<br />

entwickelt sich Konarskes Gyges immer mehr<br />

zum täppischen Toren mit hängenden Schultern.<br />

Und Kandaules? Wölbern wickelt sich in<br />

seinen Königsmantel, als könnte der ihn vor<br />

dem Verhängnis schützen. Rhodopes religiöser<br />

Fanatismus stürzt sie <strong>und</strong> Kandaules in<br />

den Tod. Dazu passt, dass Britta Hammelstein<br />

die Königin vom ersten Auftritt in der Glitzerburka<br />

an sphinxhaft kühl spielt, geradezu<br />

unbeteiligt.<br />

Nora Schlocker geht mit dem Stück<br />

genauso um wie der Beifall mit ihrer Inszenierung:<br />

höfl ich. Warum sie es aus dem Dunkel<br />

des Vergessens reißt, bleibt unbeantwortet. ||<br />

GYGES UND SEIN RING<br />

18., 24., 26. Januar, 9.,11.,16., 28., 29. Februar<br />

Residenztheater<br />

Die beste<br />

aller Welten?<br />

Friederike Heller schickt<br />

im Residenztheater Voltaires<br />

»Candide« zwischen Pop<br />

<strong>und</strong> Sandkasten auf die<br />

Lebensreise.<br />

Sebastian Blomberg, Hanna Scheibe | Foto: Thomas Dashuber<br />

BARBARA REITTER-WELTER<br />

Mit »Candide« ist Resi-Intendant Martin KuŠej<br />

seinem Versprechen untreu geworden, keine<br />

Roman-Adaptionen auf die Bühne zu bringen.<br />

Zwar konnte er mit Friederike Heller eine<br />

Fachfrau dieses Genres gewinnen, doch für<br />

Voltaires Hauptwerk fand auch sie keine<br />

schlüssige Form. Inhaltlich tat sie das einzig<br />

Richtige: verschlankte die ausufernde Geschichte,<br />

indem sie immer wieder die einzelnen<br />

Protagonisten erzählen ließ, befreite den<br />

Text von all dem makabren Ballast aus Erdbeben,<br />

Kriegen <strong>und</strong> Schiffsuntergängen, durch<br />

die Antiheld Candide gehen muss, bis er am<br />

Ende die bürgerliche Utopie zum Lebenssinn<br />

macht: »Wir müssen unseren Garten bebauen.«<br />

Statt spektakuläre Szenen ausspielen zu lassen,<br />

setzt Heller auf Reduktion <strong>und</strong> montiert<br />

einzelne Szenen fi lmschnittartig verknappt<br />

ineinander. Da wird nichts breit ausgepinselt,<br />

sondern einzelne Episoden nur knapp angespielt<br />

<strong>und</strong> mit spielerischer Ironie hinterfragt.<br />

Wer allerdings den Hintergr<strong>und</strong> der Story<br />

nicht kennt – die satirische Abrechnung Voltaires<br />

mit Leibniz’ Maxime, wir lebten in der<br />

besten aller möglichen Welten –, hat Pech.<br />

Würde nicht knallbuntes Sandkastenspielzeug<br />

von der Decke hängen, sähe die<br />

Bühne zunächst aus wie das Setting einer<br />

Popgruppe, die ohne Light- <strong>und</strong> Show-Effekte<br />

auskommt. Doch die rockigen Songs der<br />

Gruppe Kante sind so gut, dass sie phasenweise<br />

die ganze – insgesamt ambivalent wirkende<br />

– Aufführung tragen. Auf einem R<strong>und</strong>horizont<br />

im Hintergr<strong>und</strong> laufen später dann<br />

jene Bilder, die beim Lesen in der Fantasie<br />

entstehen. Heller hat dafür die Kunstgeschichte<br />

inklusive Kolonialismus-Problematik<br />

ausgebeutet, um im CinemaScope-Format die<br />

Schrecken vorbeiziehen zu lassen, die Candide,<br />

ein Simplicissimus des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts,<br />

auf der Suche nach seiner Geliebten Kunig<strong>und</strong>e<br />

in der alten <strong>und</strong> neuen Welt erlebt.<br />

Sebastian Blomberg spielt ihn mit viel sportivem<br />

Körpereinsatz als tumben Toren, der sich<br />

nur mühsam von den Maximen seines Lehrers<br />

Pangloss (Jörg Ratjen als Karikatur eines<br />

Gelehrten) befreit. ||<br />

CANDIDE<br />

16., 21., 31. Januar, 2., 8., 12., 17., 21. Februar<br />

Residenztheater<br />

Showdown<br />

auf dem Flokati<br />

Kušej bringt seine Züricher<br />

Inszenierung »Das Interview«<br />

in den Marstall. Die furiose<br />

Birgit Minichmayr <strong>und</strong> Sebastian<br />

Blomberg liefern sich ein<br />

Psycho-Duell.<br />

Birgit Minichmayr, Sebastian Blomberg | Foto: Adrian Ehrat<br />

BARBARA REITTER-WELTER<br />

Ein schlechter Auftakt für ein Interview. Politredakteur<br />

Pierre Peters ist sauer. Er muss für<br />

einen Kollegen ein Gespräch mit dem Fernsehsternchen<br />

Katja führen. Und das zu einem<br />

Zeitpunkt, als in den Niederlanden die Regierung<br />

zurücktritt. Die populäre Schauspielerin<br />

wiederum hat einen Klatsch-Journalisten<br />

erwartet ... So beginnt Theo van Goghs Kammerspiel<br />

»Das Interview«, in welchem der<br />

2004 ermordete Urenkel des Malers Vincent<br />

ein spannendes Duell zweier Medien-Strategen<br />

vorführt.<br />

Martin KuŠej hat das Stück in 90 hochkonzentrierten<br />

Minuten intensiv bis zum fi nalen<br />

Showdown gesteigert. Langsam im Rhythmus,<br />

führt er musikalisch ein Thema mit<br />

Variationen vor. Eigentlich ist es plakativer,<br />

klischee-gesättigter Edel-Boulevard, was der<br />

Holländer van Gogh als Film-Szenario verfasst<br />

hat, aber KuŠej arbeitet so präzise den<br />

subtilen Psycho-Subtext heraus, dass ein<br />

Thriller daraus wird, in dem sich, ebenso perfi<br />

de wie perfekt gemacht, Schein <strong>und</strong> Sein<br />

ständig überlagern. Im minimalistischen Bühnenbild<br />

von Jessica Rockstroh inszeniert er<br />

auf weißem Flokati eine Zimmerschlacht, in<br />

der mit harten Bandagen gekämpft, alle<br />

Register zwischen Annäherung <strong>und</strong> Aggression,<br />

Enthüllungen <strong>und</strong> Geständnissen gezogen<br />

werden. Letztlich ein knallhartes Machtspiel,<br />

das wie ein Sartre-Stück hinter<br />

verschlossenen Türen stattfi ndet, in dem die<br />

»Hölle die anderen« sind.<br />

Mit Birgit Minichmayr <strong>und</strong> Sebastian<br />

Blomberg hat KuŠej ein brillantes Duo, das<br />

sich auf Augenhöhe begegnet. Die hinreißende<br />

Schauspielerin mit der rauchigen<br />

Stimme zeigt alle Facetten ihres Könnens in<br />

permanentem Rollenspiel, ist mal verruchte<br />

Verführerin, die sich lasziv im lila Fähnchen<br />

auf dem Boden räkelt, dann wieder verängstigtes<br />

Kind oder knallharter, menschenverachtender<br />

Medienprofi , ist vulgär oder zickig.<br />

Aber im Gr<strong>und</strong> führt sie, wie ihr Partner, ein<br />

Fest falscher Gefühle vor. Blomberg kehrt den<br />

arroganten Zyniker hervor, eigentlich ein im<br />

Balkankrieg gestählter Macho, bleibt jedoch<br />

im Zweikampf mit dem gewieften Soap-Darling<br />

der Loser. ||<br />

DAS INTERVIEW<br />

4., 24., 25., 26. Februar | 20.00<br />

Marstall<br />

Karten <strong>und</strong> Informationen zu Residenztheater, Marstall <strong>und</strong> Cuvilléstheater unter: 089 21851940 | www.residenztheater.de<br />

BÜHNE<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 19<br />

Zwischen Fisch<br />

<strong>und</strong> Kitsch<br />

Ein rätselhaftes Stück,<br />

ein spannender Regisseur:<br />

Radu Afrim inszenierte<br />

Andrew Bovells<br />

»Das Ende des Regens«<br />

im Cuvilliéstheater.<br />

Lukas Turtur, Andrea Wenzl | Foto: Thomas Dashuber<br />

SABINE LEUCHT<br />

Ein sonderbarer Abend: Herrliche (neue)<br />

Schauspieler, eine Bühne, die Kälte atmet,<br />

ohne an ihr zu erfrieren – <strong>und</strong> doch kommt<br />

Radu Afrims Inszenierung stellenweise kaum<br />

vom Fleck. Zu lange dauert es, bis die zwei<br />

Kontinente <strong>und</strong> vier Generationen umspannende<br />

symbolschwangere Geschichte ihre<br />

Zusammenhänge offenbart. Doch wie sich der<br />

Regisseur aus Rumänien bei seinem Deutschland-Debüt<br />

auf sie einlässt, ist ziemlich konsequent.<br />

Von der Ehe der Laws im London des Jahres<br />

1959 über Selbstmord, Kinderschändung<br />

<strong>und</strong> das frühe Ende einer Liebe in Australien<br />

bis zu einem letzten Abendmahl mit den<br />

Familiengeistern anno 2039 springt Andrew<br />

Bovells »Das Ende des Regens« munter <strong>und</strong><br />

lange auch verwirrend hin <strong>und</strong> her. Daran<br />

ändern auch Afrims Umschichtungen nichts.<br />

Der Abend im Cuvilliéstheater beginnt mit<br />

einer Menge Menschen, die in Zeitlupe Helmut<br />

Stürmers würfelförmigen Raum streichen,<br />

der wie ein Zwitter aus Gewächs- <strong>und</strong><br />

Schlachthaus wirkt. Es sind die Ahnen von<br />

Gabriel York, dem bald ein frischer Fisch auf<br />

den Kopf fallen wird, denn es regnet so unablässig,<br />

dass die Früchte des Meeres offenbar<br />

schon im Himmel wachsen.<br />

Bis sich am Ende ein riesiger Fischkopf<br />

auf die Bühne schiebt, wird in den von allen<br />

Vätern <strong>und</strong> jeglichem Kommunikationstalent<br />

verlassenen Sippen Law <strong>und</strong> York oft <strong>und</strong> in<br />

einfallsreichen Variationen Fischsuppe serviert,<br />

aber nie gegessen werden. Ebenso oft<br />

wird davon die Rede sein, dass in Bangladesch<br />

die Menschen ertrinken, <strong>und</strong> der putzige Herd<br />

wird mit den immer gleichen Bewegungen<br />

angefeuert. Letzteres dient unter anderem<br />

dazu, die je zwei Akteurinnen, die Gabriels<br />

Großmutter Elizabeth (Andrea Wenzl/Barbara<br />

Melzl) <strong>und</strong> seine Mutter Gabrielle (Katharina<br />

Schmidt/Michaela Steiger) spielen, eindrucksvoll<br />

zu einer Person verschmelzen zu<br />

lassen.<br />

Afrims choreografi sches Theater schafft<br />

eine schwebende Surrealität hautnah am<br />

Kitsch. Und wenn etwa Gabrielle <strong>und</strong> ihr späterer<br />

Mann Joe (Oliver Nägele) mit Kühlschränken<br />

durch Nebelschwaden fahren,<br />

bevor sie sich von ihrem missglückten Leben<br />

verabschiedet, verdrückt man vielleicht ein<br />

paar Tränen. Oder es schaudert einen. ||<br />

DAS ENDE DES REGENS<br />

16., 21., 25. Januar, 2., 11., 12., 18. Februar<br />

Cuvilliéstheater


MUSIK<br />

SEITE 20 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

Foto: Wilfried Hösl<br />

»Wagner hat die<br />

Musikgeschichte<br />

verändert.«<br />

KENT NAGANO<br />

Kent Nagano, Jahrgang 1951, wuchs in Kalifornien auf <strong>und</strong><br />

dirigierte bereits mit acht Jahren im Kirchenchor. Nach seinem<br />

Studium der Musik <strong>und</strong> Soziologie arbeitete er an der<br />

Bostoner Oper als Korrepetitor, bis er 1984 das Bostoner<br />

Sinfonie-Orchester als Dirigent leitete. Weitere Stationen<br />

führten ihn nach Lyon, Manchester, New York, Berlin <strong>und</strong><br />

Los Angeles. Seit 2006 ist Nagano Generalmusikdirektor<br />

der Bayerischen Staatsoper. Er ist einer der gefragtesten<br />

Dirigenten der Welt.<br />

Bevor sich 2013 der 200. Geburtstag von Richard Wagner jährt, wird an der Bayerischen<br />

Staatsoper bereits 2012 der »Ring des Nibelungen« unter der musikalischen Leitung<br />

von Kent Nagano neu auf die Bühne gebracht. Die Tetralogie ist auch für den erfahrenen<br />

Dirigenten ein außergewöhnliches Mammutprojekt.<br />

GABRIELE LUSTER<br />

Herr Nagano, wann haben Sie zum ersten Mal bewusst<br />

Wagner gehört?<br />

Ich begegnete Wagner in meinem Jugendorchester in Kalifornien,<br />

das von einem Professor aus München geleitet wurde.<br />

Ich war ungefähr 13 Jahre alt <strong>und</strong> wir spielten die Ouvertüre zu<br />

»Die Meistersinger von Nürnberg«. Ich erinnere mich nicht<br />

mehr genau, aber ich nehme an, es war eine Bearbeitung.<br />

Welches Instrument spielten Sie denn damals?<br />

Die Bratsche.<br />

Und wie ging es weiter mit Ihnen <strong>und</strong> Wagner?<br />

Als ich Student war, erlebte ich meinen ersten »Ring des Nibelungen«<br />

in San Francisco mit Birgit Nilsson. Das war in den<br />

70er-Jahren <strong>und</strong> für mich eine prägende Erfahrung. Ein ganz<br />

besonderer Moment. Als Student der Komposition hatte ich<br />

mich bis dahin nur indirekt mit Wagner beschäftigt. Damals<br />

wurde der gesamte »Ring« in den USA nicht oft aufgeführt. Das<br />

war also eine tolle Chance.<br />

War das eine rein konzertante Aufführung oder eine richtige<br />

Inszenierung?<br />

Es war eine volle szenische Produktion <strong>und</strong> eine der letzten<br />

Möglichkeiten, Birgit Nilsson in Amerika zu hören. Sie traf<br />

kurz danach wegen irgendwelcher Querelen mit der Metropolitan<br />

Opera die Entscheidung, nicht mehr in die USA zu reisen.<br />

Was hat Sie fasziniert an Wagners Musik, speziell am<br />

»Ring«?<br />

Zunächst einmal war es diese spezielle Erzählart. Seine geniale<br />

Übernahme des mythologischen Stoffes. Es wird eigentlich<br />

die ganze Geschichte der Menschheit erzählt. Die Mythologie<br />

lebt ja von der mündlichen Überlieferung <strong>und</strong> das Interessante<br />

an der Erzählung ist, dass es sich niemals um eine lineare<br />

Geschichte handelt. Es geht um andere Dimensionen, um existentielle<br />

Fragen, um die Zeit. Mythologie erzählt viel von Vergangenheit,<br />

aber auch von Aktuellem. Von dem, was wir jetzt<br />

tun <strong>und</strong> welche Auswirkungen es auf unser Schicksal, auf die<br />

Zukunft hat. Das alles existiert in der Mythologie gleichzeitig<br />

<strong>und</strong> unterscheidet diese Erzählungen von einer Unterhaltungs-Story.<br />

Was genau passiert mit der Mythologie bei Wagner?<br />

Er hat die Erzähldimension übernommen in seinem selbst verfassten<br />

Libretto <strong>und</strong> mit seiner Kompositionsweise darauf<br />

reagiert. Man kann Musik <strong>und</strong> Libretto nicht voneinander<br />

trennen. Seine Leitmotivtechnik war im Gr<strong>und</strong>e nicht neu:<br />

Schon in der Barockzeit oder in der Klassik haben Komponisten<br />

bestimmte Situationen oder Charaktere mit immer gleichen<br />

Motiven gekennzeichnet – ich denke an Rameau oder<br />

Lully. Aber bei Wagner ist es anders: Es geht nie um eine echte<br />

Wiederholung.<br />

Sondern?<br />

Wagner modifi ziert die Motive, stellt sie in einen leicht anderen<br />

Kontext, gibt ihnen immer eine andere Form, unterlegt<br />

andere Texte <strong>und</strong> schafft so ein außerzeitliches, existentielles<br />

Bewusstsein.<br />

Können Sie ein Beispiel nennen?<br />

Wenn Erda im »Rheingold« zu Wotan über die Vergangenheit<br />

spricht, dann weiß sie auch, was aktuell passiert – <strong>und</strong> was<br />

künftig sein wird. In diesem Moment gibt es vier Pizzicati in<br />

den tiefen Streichern. Unterstützt vom Orchester klingen die<br />

wie Glocken. Glocken der Zeit. Das passiert jedes Mal, wenn<br />

Erda erscheint, in wechselndem Kontext, also zu jeweils anderen<br />

Worten. So gewinnt der Zuschauer den Eindruck, dass verschiedene<br />

Dimensionen der Zeit gleichzeitig existieren. Das ist<br />

Wagners geniale Art, dieses motivische Material zu benutzen<br />

<strong>und</strong> einzusetzen.<br />

Auch Sieglindes Motiv in der »Walküre« ist ein Beispiel<br />

dafür. Es erscheint manchmal in Dur, dann in Moll, in fl ießendem<br />

Tempo, dann wieder ganz breit – je nach der Situation im<br />

Drama. Diese Spannung kreiert etwas immerfort Fließendes<br />

<strong>und</strong> suggeriert Ewigkeit. In diesem Sinne ist das motivische<br />

Material bei Wagner viel mehr als nur ein Leitmotiv. Es kennzeichnet<br />

seine Art zu komponieren. Und wenn man bedenkt,<br />

wie anders das zu seiner Zeit üblich war, w<strong>und</strong>ert es nicht,<br />

dass er so stark polarisiert hat. Wagner wagte Neues <strong>und</strong> hat<br />

damit den Verlauf der europäischen Musikgeschichte geändert.<br />

Sie haben als Student Wagners Partituren studiert <strong>und</strong><br />

analysiert, haben Sie seine Musik damals auch schon dirigiert?<br />

(lacht) Als Student? Nein! Ich habe mich theoretisch mit seiner<br />

Musik auseinandergesetzt. Das gehört zum Standard. Es ist<br />

notwendig zu sehen <strong>und</strong> zu begreifen, wie Wagner die Tonalität<br />

revolutioniert, was er Neues in Bezug auf Musik <strong>und</strong> Drama<br />

geleistet hat. Aber diese analytische Beschäftigung ist etwas<br />

anderes, als Wagner wirklich zu interpretieren.<br />

Wann haben Sie dann Ihre erste Wagner-Oper dirigiert?<br />

Während meiner Zeit in Lyon habe ich zunächst Ausschnitte<br />

dirigiert, aus dem »Fliegenden Holländer« <strong>und</strong> aus »Parsifal«.<br />

Danach habe ich auch in England <strong>und</strong> mit meinem Orchester<br />

in Kalifornien konzertante Wagner-Aufführungen geleitet <strong>und</strong><br />

mit unterschiedlichen Orchestern einen konzertanten »Ring«<br />

in Skandinavien aufgeführt.<br />

Wenn man das hört, sind Sie – auch was den »Ring«<br />

angeht – fast ein alter Hase ...<br />

Ja <strong>und</strong> nein. Ich habe den »Ring« mehrmals dirigiert, aber<br />

eben noch nie eine gesamte szenische Produktion des Stoffes.<br />

Es war mir immer klar, dass ich die Tetralogie nur mit einem<br />

Regisseur erarbeiten kann, zu dem ich eine starke Beziehung<br />

aufbauen kann.<br />

Es gab schon in Lyon Pläne für einen »Ring«, aber wir<br />

bekamen nicht die richtige Besetzung zustande. Und in Los<br />

Angeles, wo wir zwar eine gute Besetzung hatten, scheiterte<br />

das Vorhaben, weil wir keinen passenden Regisseur fanden.<br />

Nun arbeiten Sie mit dem Regisseur Andreas Kriegenburg.<br />

Herr Kriegenburg <strong>und</strong> ich haben hier in München Alban Bergs<br />

»Wozzeck« gemacht <strong>und</strong> das war eine sehr starke Zusammenarbeit.<br />

Deshalb habe ich danach spontan mit unserem Intendanten<br />

Nikolaus Bachler gesprochen <strong>und</strong> er hatte die gleiche<br />

Idee. Andreas Kriegenburg hat bisher noch keinen »Ring«<br />

inszeniert <strong>und</strong> war sofort ganz offen dafür.<br />

Wir haben dann mehr als eineinhalb Jahre über dieses<br />

Projekt gesprochen, Ideen entwickelt, Gedanken ausgetauscht.<br />

Ich bin wirklich überzeugt, dass sein Konzept sich in absoluter<br />

Beziehung zur Musik bewegt.


Kent Nagano | Foto: Wilfried Hösl<br />

Merken Sie bei Ihrer Arbeit mit dem Staatsorchester, dass<br />

es eine lange Wagner-Tradition hat?<br />

Ja, aber Tradition entwickelt sich nicht automatisch nach<br />

vorne. Natürlich gibt es auf der einen Seite die Verantwortung<br />

eines Ensembles gegenüber dieser Tradition. Aber auf der<br />

anderen Seite auch ganz praktische Dinge, wie den natürlichen<br />

Generationswechsel.<br />

Das Besondere bei diesem Orchester ist, dass wir uns bei<br />

der Besetzung einer vakanten Position viel Zeit lassen. Solange,<br />

bis ein Musiker kommt, der mit den Kollegen atmet, dessen<br />

Instrument sich in den Klang des Orchesters integriert, mit<br />

ihm verschmilzt.<br />

Muss man sich Wagners Musik als Dirigent eher emotional<br />

oder analytisch nähern?<br />

Beides ist wichtig. Man kann Emotionen nicht kontrollieren.<br />

Anzeige<br />

»We do not play<br />

Sie sind einfach da <strong>und</strong> integraler Bestandteil des Menschen.<br />

Ein Gr<strong>und</strong>element der Musik. Es ist unmöglich, Musik zu<br />

machen ohne Emotionen. Aber sie sind nicht das einzige Element.<br />

Auch andere Dinge wollen respektiert sein, sonst hat die<br />

Musik keine Chance, als eine Sprache zu funktionieren <strong>und</strong><br />

die Visionen des Komponisten zu transportieren.<br />

Wagners Musik wird oft als Droge bezeichnet. Sie als Dirigent<br />

dürfen aber nicht abdriften, müssen also den Rausch kontrollieren<br />

...<br />

Es gilt für alle Künstler – wir machen eine Vorstellung in erster<br />

Linie für das Publikum. Teilweise auch für uns selbst, aber<br />

wenn wir uns in unserer Kunst verlieren, den Durchblick nicht<br />

mehr haben, dann erreichen wir das Publikum nicht. Wir alle<br />

– Tänzer, Schauspieler, Sänger, Musiker, Dirigenten – sind<br />

doch eigentlich da, um zu dienen ... ||<br />

the piano with our fi ngers<br />

but with our mnd« i<br />

MUSIK<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 21<br />

RICHARD WAGNERS »RING«<br />

an der Bayerischen Staatsoper unter der musikalischen Leitung<br />

von Kent Nagano <strong>und</strong> inszeniert von Andreas Kriegenburg:<br />

»RHEINGOLD« Premiere am 4. Februar<br />

»WALKÜRE« Premiere am 11. März<br />

»SIEGFRIED« Premiere am 27. Mai<br />

»GÖTTERDÄMMERUNG« Premiere am 30. Juni<br />

www.bayerische-staatsoper.de<br />

ZUM 80. GEBURTSTAG VON GLENN GOULD<br />

8.–12. Februar 2012<br />

im Gasteig<br />

Film, Theater <strong>und</strong> Lesung,<br />

Workshop, Vortrag <strong>und</strong> Diskussion<br />

Foto: Dan Weiner; mit fre<strong>und</strong>licher Genehmigung von Sony Classical<br />

Veranstalter Gould-Festival: Gasteig München GmbH<br />

Veranstalter Glenn Gould vs. Glenn Gould: Cherbuliez Productions, Buchenwald


MUSIK<br />

SEITE 22 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

MAX THEISS<br />

Der Ring ist<br />

Während der Pausen zwischen<br />

den einzelnen Akten<br />

von Wagners »Ring des Nibelungen«<br />

(<strong>und</strong> die erstrecken<br />

sich, alle Abende zusammengerechnet,<br />

immerhin über<br />

sechs St<strong>und</strong>en) übt sich das<br />

Opernpublikum gerne in der<br />

Komparatistik. Will heißen: Man<br />

schmeißt alle namhaften Inszenierungen<br />

der letzten Jahrzehnte in<br />

den, ähem, Ring <strong>und</strong> beginnt zu diskutieren.<br />

Interessanterweise koppelt<br />

man dabei immer den Namen des Regisseurs<br />

mit dem Wagner’schen Opus Magnum.<br />

Da gibt es den Kupfer-»Ring«, den Berghaus-»Ring«,<br />

den Dorst-»Ring« <strong>und</strong> natürlich<br />

den Chereau-»Ring« – dieser trägt auch noch<br />

den adelnden Beinamen: Jahrh<strong>und</strong>ert-»Ring«.<br />

Selten ergeht sich ein Opernpublikum<br />

derart im wissenschaftlichen Jargon wie beim<br />

»Ring«, <strong>und</strong> selten hat man ein musikalisches<br />

Werk derart hermetisch von der Kunst der<br />

Unterhaltung abgeriegelt wie hier. Man kann<br />

den Beweis ganz locker liefern, indem man in<br />

einer der besagten Pausenunterhaltungen den<br />

»Jackson-Ring« anspricht. Klar, Peter Jacksons<br />

Verfi lmung von J.R.R. Tolkiens »Herr der<br />

Ringe« ist nun wirklich eine andere Baustelle.<br />

Sie ist es aber nur auf den ersten Blick. Howard<br />

Shore, der die Filmmusik dafür komponierte,<br />

hat sich nämlich erstaunlich nah an<br />

Wagners Opern-Tetralogie gewagt: Man hört<br />

es gleich in »Die Gefährten«, dem ersten Teil<br />

der Filmtrilogie: Als Gandalf in Bilbo Beutlins<br />

Häuschen das erste Mal die Macht des Ringes<br />

spürt, lässt Shore eine ganz bestimmte Kombination<br />

zweier Moll-Akkorde erklingen, die<br />

auch Richard Wagner gerne verwendet, wenn<br />

er die Macht seines Rings musikalisch<br />

beschreibt.<br />

Das Spiel, nach Ähnlichkeiten zum Nibelungen-»Ring«<br />

zu suchen, lässt sich über alle drei<br />

Filme hinweg beliebig fortsetzen. Erstaunlich<br />

dabei ist, dass Shore den Wagner’schen Kompositionsstil<br />

radikal auf U-Musik ummünzt.<br />

Ob diese musikalischen Parallelen im Interesse<br />

von J.R.R. Tolkien gewesen wären, darf<br />

aber bezweifelt werden: Zeitlebens wehrte<br />

sich der Brite mit Händen <strong>und</strong> Füßen dagegen,<br />

dass sein Fantasy-Roman irgendetwas<br />

mit dem Opern-»Ring« gemein hätte. Sein<br />

kauziger Kommentar: »Beide Ringe sind r<strong>und</strong>,<br />

<strong>und</strong> das war’s dann auch schon mit den<br />

Gemeinsamkeiten.«<br />

r<strong>und</strong><br />

Wagner <strong>und</strong> Popkultur vertragen sich nicht<br />

so richtig. Es sei denn, man horcht mal in<br />

Hollywoods Filmmusik hinein.<br />

Richard Wagner war in den<br />

fünfziger <strong>und</strong> sechziger Jahren des letzten<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts eben kein Name, mit dem man<br />

sich gerne schmückte – schon gar nicht in der<br />

leichtlebigen Populärkultur. Die Unterhaltungsindustrie<br />

wollte von Wagner nichts wissen.<br />

Es dauerte nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

noch eine geraume Zeit, bis man etwas lockerer<br />

im Umgang mit jenem ideologisch vorbelasteten<br />

Komponisten wurde, den sich die<br />

Nationalsozialisten für ihre Zwecke zu eigen<br />

gemacht hatten. Bezeichnenderweise tönt bei<br />

den »Blues <strong>Brot</strong>hers«<br />

während ihrer Verfolgungsjagd mit den<br />

Neonazis der »Ritt der Walküren«. Das war<br />

1979, ein ehrwürdiger Schritt Richtung Pop,<br />

Wagner für die Massen. Nicht ganz unschuldig<br />

daran ist die vom gestrengen Wagner wohl<br />

nicht intendierte Komik, die dem »Ring« innewohnt<br />

<strong>und</strong> die man nach <strong>und</strong> nach erkannte.<br />

Der Jurist Ernst von Pidde etwa sammelte<br />

sämtliche illegalen Gaunereien in der Opernhandlung<br />

<strong>und</strong> verurteilte diese in seinem<br />

Buch »Richard Wagners »Ring des Nibelungen«<br />

im Lichte des deutschen Strafrechts«<br />

höchstrichterlich mit dem jeweils gebührenden<br />

Strafmaß. Auch Loriot hat erfolgreich die<br />

sechzehnstündige Oper auf zweistündige Massentauglichkeit<br />

zusammengekürzt <strong>und</strong> in seiner<br />

unnachahmlichen Manier nacherzählt.<br />

Dabei stieß er auf reichlich popkulturelles<br />

Potential. Als sich zum Beispiel in der »Walküre«<br />

Siegm<strong>und</strong> <strong>und</strong> seine verheiratete Zwillingsschwester<br />

Sieglinde ihrer glühenden<br />

Liebe zueinander Luft machen, bemerkt Loriot<br />

gewohnt trocken: »Es<br />

handelt sich hierbei um<br />

Inzest <strong>und</strong> Ehebruch – man<br />

ist begeistert«. Die »Walküre« als<br />

Soap-Opera – es wäre denkbar.<br />

Doch abgesehen von augenzwinkernder<br />

Sek<strong>und</strong>ärliteratur war <strong>und</strong> ist tatsächlich die<br />

Filmmusik die einzige Massenkunst, die sich<br />

in aller Ernsthaftigkeit an den Nibelungen-<br />

»Ring« herantraut – natürlich auch deswegen,<br />

weil es sich bei Filmmusik mit der<br />

Wagner’schen Leitmotiv-Technik so bequem<br />

arbeiten lässt. Pionier in dieser Hinsicht war<br />

John Williams, der die »Star Wars«-Reihe vertonte.<br />

Er ging auch ganz offen damit um, dass<br />

er sich bei seinen Kompositionen eng an Wagner<br />

orientierte. Dem Sternenkrieger Luke<br />

Skywalker etwa verpasste er eine Melodie, die<br />

nur deshalb anders als das Siegfried-Motiv<br />

klingt, weil Williams hier die einzelnen Notengruppen<br />

gleichsam auseinanderschnitt <strong>und</strong><br />

um ein paar weitere Noten ergänzte. Also<br />

Hausaufgabe für die nächste Opernpause:<br />

Leitmotiv-Vergleich der Figuren <strong>und</strong> Gegenstände<br />

bei »Star Wars« mit jenen im »Ring des<br />

Nibelungen«. ||<br />

Anzeige


»Ich bin fest<br />

verwurzelt in der<br />

deutschen Kultur«<br />

Daniel Grossmann leitet seit sechs Jahren das Orchester<br />

Jakobsplatz, um von München bis Usbekistan jüdische<br />

Musik <strong>und</strong> Kultur zu pfl egen. 2012 will er sich auch<br />

Richard Wagner nähern.<br />

GABRIELE LUSTER<br />

»Wir wollen keine Erinnerungskultur betreiben,<br />

aber wir möchten jüdische Musik <strong>und</strong><br />

Kultur pfl egen, die mit uns hier <strong>und</strong> heute<br />

etwas zu tun haben.« Nach diesem Credo leitet<br />

Daniel Grossmann seit sechs Jahren das<br />

Orchester Jakobsplatz München. Es hat sich<br />

in der <strong>Münchner</strong> Musikszene längst etabliert<br />

<strong>und</strong> geht als Kulturbotschafter auch gern auf<br />

Reisen – besonders in Länder, die die großen<br />

Orchester nie besuchen, etwa Moldawien oder<br />

Usbekistan, wo das Orchester Jakobsplatz<br />

Ende 2011 gastierte. Ob in Samarkand,<br />

Buchara, Karschi oder Taschkent – die Usbeken<br />

feierten die Konzerte des Orchesters als<br />

epochales Ereignis <strong>und</strong> überhäuften Musiker<br />

<strong>und</strong> Dirigenten bei jedem Konzert mit Beifall<br />

<strong>und</strong> Blumen.<br />

Angeregt durch die Eröffnung des Jüdischen<br />

Zentrums am <strong>Münchner</strong> Jakobsplatz<br />

gründete der 1978 in München geborene<br />

Daniel Grossmann 2005 das Orchester. »Dieses<br />

Zentrum am Jakobsplatz braucht Inhalte<br />

<strong>und</strong> die bieten wir mit unseren Konzerten, für<br />

jedermann.« Dazu gehören auch die anschließenden<br />

Treffen im Restaurant Einstein, wo<br />

Musiker <strong>und</strong> Dirigent gern den Kontakt mit<br />

ihrem Publikum suchen <strong>und</strong> diskutieren.<br />

Grossmann, Sohn ungarischer Eltern, der<br />

sein Musikstudium in München, New York<br />

<strong>und</strong> Budapest absolvierte, betont: »Ich bin in<br />

der deutschen Kultur groß geworden <strong>und</strong> fest<br />

verwurzelt. Als Jude in Deutschland möchte<br />

ich zwar keinen Schlussstrich unter die Vergangenheit<br />

ziehen, aber mich insofern davon<br />

befreien, dass ich einen neuen Anfang mitgestalten<br />

<strong>und</strong> in einen fruchtbaren Dialog eintreten<br />

kann.« Dafür greift er immer wieder auf<br />

Werke vergessener jüdischer Komponisten<br />

zurück, die er, wie Klassisches oder Romantisches,<br />

gern mit Zeitgenössischem konfrontiert.<br />

Wenn Daniel Grossmann <strong>und</strong> seine Musiker<br />

ein Werk des in einem KZ ermordeten<br />

jüdischen Komponisten Erwin Schulhoff aufführen,<br />

»dann geht es für mich nicht darum,<br />

Schulhoffs als Opfer zu gedenken oder an sein<br />

Schicksal zu erinnern, sondern um die Qualität<br />

seiner Musik. Sie ist es wert, aufgeführt zu werden.<br />

Das ist für mich entscheidend.«<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber<br />

<strong>Münchner</strong> <strong>Feuilleton</strong> UG (haftungs-beschränkt) Breisacher<br />

Straße 4 l 81667 München<br />

Telefon: 089 48920971 l info@muenchner-feuilleton.de<br />

www.muenchner-feuilleton.de<br />

Redaktion<br />

Thomas Betz, Gisela Fichtl, Matthias Leitner,<br />

Gabriella Lorenz, David Steinitz<br />

Daniel Grossmann | Foto: Christine Schneider<br />

30 Profi musiker aus 20 Nationen schart der<br />

33-Jährige für seine unterschiedlichen Projekte<br />

um sich. Da sitzt ein Konzertmeister aus<br />

Regensburg am ersten Geigenpult, daneben<br />

Kollegen von den <strong>Münchner</strong> Philharmonikern,<br />

den Symphonikern oder vom Staatsorchester.<br />

Obwohl das Orchester Jakobsplatz<br />

nicht nur durch seinen Namen, sondern auch<br />

durch seine Programmatik seine Verb<strong>und</strong>enheit<br />

mit dem Jüdischen Zentrum ausdrückt,<br />

ist es eine eigene, fi nanziell auf sich gestellte<br />

Institution. Entsprechend muss das Kammerorchester<br />

sich jeden Cent erkämpfen, berichtet<br />

Grossmann. Immerhin unterstützen der<br />

Freistaat Bayern <strong>und</strong> der Bezirk Oberbayern<br />

das Ensemble, während die Stadt ihren Säckel<br />

geschlossen hält. Der Löwenanteil, 60 Prozent<br />

des Etats, stammt aus den Konzerteinnahmen,<br />

von privaten Sponsoren <strong>und</strong> vom Fre<strong>und</strong>eskreis<br />

des Orchesters. Für die Auslandsgastspiele<br />

– die erste Tour 2009 führte natürlich<br />

nach Israel – greift gottlob immer wieder das<br />

Goethe-Institut in die Tasche.<br />

Regelmäßig tritt das Orchester Jakobsplatz<br />

im Hubert-Burda-Saal des Jüdischen<br />

Autoren dieser Ausgabe<br />

Christine Auerbach, Wolfgang Benz, Thomas Betz,<br />

Cornelia Fiedler, Gisela Fichtl, Ralph Glander,<br />

Lea Hampel, Florian Kinast, Markus Köbnik,<br />

Christine Knödler, Matthias Leitner, Sabine Leucht,<br />

Gabriella Lorenz, Gabriele Luster, Rolf May,<br />

Zara S. Pfeiffer, Sylvia Rein, Barbara Reitter-Welter,<br />

Bernd Rodenhausen, Katrin Schuster, Sven Siedenberg,<br />

Tim Slagman, David Steinitz, Max Theiss,<br />

Erika Wäcker-Babnik, Christiane Wechselberger<br />

Orchester Jakobsplatz | Foto: Erol Gurian<br />

Zentrums auf, musizierte aber auch im Cuvilliéstheater,<br />

in der Allerheiligenhofkirche, der<br />

Villa Stuck, dem Künstlerhaus. Ein Konzert<br />

zum jüdischen Neujahrsfest ist natürlich<br />

Ehrensache.<br />

Im Frühjahr spielt das Ensemble erstmals<br />

in der Schwabinger St. Ursula Kirche. Im Rahmen<br />

der »Langen Nacht der Musik« kooperiert<br />

das Orchester Jakobsplatz mit der Erzdiözese<br />

München <strong>und</strong> Freising <strong>und</strong> wird in St.<br />

Ursula die Vertonung eines Sabbat-Gottesdienstes<br />

von Paul Ben Haim musizieren.<br />

Auch mit der Bayerischen Staatsoper hat<br />

das Orchester Jakobsplatz mehrfach erfolgreich<br />

zusammengearbeitet: 2010 bei Victor<br />

Ullmanns Kammeroper »Der Kaiser von<br />

Atlantis« <strong>und</strong> 2011 bei den Kurzopern »Rothschilds<br />

Geige« von Benjamin Fleischmann<br />

<strong>und</strong> »Herzland« von Sarah Nemtsov. Auch bei<br />

den Opernfestspielen 2012 mischen sich<br />

Daniel Grossmann <strong>und</strong> sein Ensemble in ein<br />

spannendes Projekt ein, das aktuell vorbereitet<br />

wird: Sie werden sich musikalisch mit<br />

Richard Wagner <strong>und</strong> seinem »Ring« auseinandersetzen.<br />

||<br />

Projektleitung l V.i.S.d.P. Christiane Pfau<br />

Geschäftsführung Ulrich Rogun, Christiane Pfau<br />

Vertrieb Ulrich Rogun<br />

Gestaltung l Layout<br />

bild+text l München l www.bild<strong>und</strong>text.biz l<br />

Anja Wesner l Susanne Gumprich l Agnes Diehr l Uta Pihan<br />

Druckabwicklung<br />

ulenspiegel druck gmbh l Birkenstraße 3 l 82346 Andechs<br />

Im Gedenken an Helmut Lesch.<br />

MUSIK<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 23<br />

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Mit Autorennamen gekennzeichnete Artikel geben die Meinung<br />

des Autors wieder <strong>und</strong> müssen nicht unbedingt die<br />

Meinung der Redaktion <strong>und</strong> der Herausgeber widerspiegeln<br />

Das Förder-Abo<br />

Für 50 Euro gibt es 11 Ausgaben im Jahr inkl. Versand.<br />

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie an<br />

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LITERATUR<br />

SEITE 24 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

WOLFGANG BENZ<br />

Münchens neu gekürte Kuratorin des formum:autoren, Thea<br />

Dorn, hat sich in ihrem jüngsten Buch gemeinsam mit Richard<br />

Wagner der »deutschen Seele« angenommen. 64 alphabetisch<br />

sortierte Stichworte von »Abendbrot« bis »Zerrissenheit« haben<br />

die Autoren ihrer Analyse <strong>und</strong> Betrachtung wert bef<strong>und</strong>en, um<br />

in <strong>Feuilleton</strong>s, Essays <strong>und</strong> Versen die Seele der Deutschen zu<br />

ergründen.<br />

W<strong>und</strong>erbar ausgestattet. Gewichtig. Opulent illustriert. Einfach<br />

prachtvoll. Man ringt um Superlative zur Beschreibung des<br />

Werks, in dem sich Thea Dorn <strong>und</strong> Richard Wagner um die<br />

deutsche Seele mühen. Auf der Rückseite des Umschlags sind<br />

sie in edler Pose, einander gleichermaßen zu- wie abgewandt,<br />

zu erblicken <strong>und</strong> über ihrem Doppelkonterfei liest man die<br />

Botschaft, dass es so ein Buch noch nicht gegeben habe, eine<br />

Liebeserklärung sei es, »zwei Autoren, wie sie unterschiedlicher<br />

nicht sein könnten«, würden die deutsche Seele erk<strong>und</strong>en,<br />

»liebevoll <strong>und</strong> kritisch, kenntnisreich <strong>und</strong> ohne Berührungsängste«.<br />

Das stimmt erwartungsfroh <strong>und</strong> verspricht tiefe Einsichten auf<br />

hohem literarischem Niveau, fern der öden Prosa, in der sich<br />

Sozialwissenschaftler, Historiker oder wer sonst sich professionell<br />

des Themas anzunehmen hat, zu verbreiten pfl egen.<br />

Wenn zwei Literaten von Rang gemeinsam ein Sachbuch schreiben,<br />

in dem es um Politik, Geschichte, kollektives Bewusstsein,<br />

öffentliche Erfahrung <strong>und</strong> vor allem um Befi ndlichkeiten<br />

geht, darf man gespannt sein.<br />

Mit Erlaubnis der Autoren, dass man mit der Lektüre überall<br />

anfangen <strong>und</strong> nach Belieben irgendwo weiterlesen dürfe,<br />

beginnen wir mit dem Artikel »Sehnsucht«, aus dem zu erfahren<br />

ist, dass Reinhold Messner ein philosophischer Kopf <strong>und</strong><br />

ein »Heimatsehnsuchtsverräter« ist. Wir lesen allerlei Gereimtes,<br />

vernehmen die Namen etlicher Komponisten <strong>und</strong> werden<br />

zum Schluss von der Autorin aufgefordert, an den CD-Schrank<br />

zu gehen, um zu »Hören, hören, hören ... « Ist das schlechtes<br />

<strong>Feuilleton</strong> oder hat nur der Rezensent ein Problem damit?<br />

Zweiter Versuch. Der Artikel »Bauhaus« aus der Feder Richard<br />

Wagners (der Schwierigkeiten mit dem Genitiv hat) gerät zur<br />

unterschwelligen Denunziation des Aufbruchs in die Moderne<br />

nach dem Ersten Weltkrieg. »Das Bauhaus propagierte die<br />

angewandte Kunst, <strong>und</strong> Vater Staat hielt die Subvention<br />

bereit«: War das eine denn schlimm <strong>und</strong> wäre das andere,<br />

hätte es denn zugetroffen, unanständig gewesen? Das Unbehagen<br />

wächst. Wir werden verwiesen auf das Kapitel »Pfarrhaus«.<br />

Dass dies ein emblematischer Ort ist in der deutschen<br />

Geschichte, wurde schon oft erkannt. Der Autor, der für den<br />

misanthropischen Teil der deutschen Seele zuständig zu sein<br />

scheint, bekräftigt diese Erkenntnis durch die Parabel,<br />

»Deutschlands Aufklärung« sei letzten Endes nicht viel mehr<br />

als die Politisierung der Lutherbibel. So einfach ist das also.<br />

Alphabet der Banalitäten<br />

DIE DEUTSCHE SEELE<br />

Thea Dorn <strong>und</strong><br />

Richard Wagner<br />

Knaus, 2011 | 560 Seiten |<br />

26,99 Euro<br />

Schuppen von den Augen fallen dem Leser auch bei der Lektüre<br />

des Abschnitts »Strandkorb« (Wagner). Enzyklopädisches<br />

Wissen um die Entstehung des maritimen Möbels ist darin<br />

ebenso verarbeitet wie politische Deutung <strong>und</strong> philosophische<br />

Sinnstiftung. Thomas Mann hat den Strandkorb genutzt <strong>und</strong><br />

Angelika Merkel hat ein Sondermodell anfertigen lassen, in<br />

dem sie acht Staatsmänner um sich scharte. Auch das ist also<br />

ein Teil der deutschen Seele.<br />

Den altertümlichen Ausdruck Galimathias, der bei der Lektüre<br />

im Rezensenten aufsteigen will, niederkämpfend, blättert er<br />

weiter <strong>und</strong> weiter. Richard Wagners Sinnieren über »Wiedergutmachung«<br />

erreicht mühelos Stammtischniveau. Verräterische<br />

Vokabeln wie »Betroffenheitsboten« oder »smarte linksorientierte<br />

Anwälte« (die seinerzeit das KPD-Verbot verschleppt<br />

haben sollen) geben Hinweis auf die Gesinnung des Denkers<br />

<strong>und</strong> Deuters, der in epigonaler Fragebogen-Schelte à la Ernst<br />

von Salomon allerlei zusammenmengt, was ihm zum Luxemburger<br />

Abkommen, zur deutschen Erinnerungskultur, zu<br />

»Schindlers Liste« einfällt. Das Thema selbst hat er verfehlt.<br />

Das trifft für das Lemma »Weihnachtsmarkt« nicht zu. Hier ist<br />

alles richtig <strong>und</strong> wahr. Der Weihnachtsmarkt ist älter als der<br />

Kapitalismus, er ist »ein wahres Labyrinth«, die Städte haben<br />

tausend Lichter, der Weihnachtsmarkt ist tatsächlich der Ort<br />

der Nüsse, der Mandeln <strong>und</strong> Maronen <strong>und</strong> »dialektisch mit der<br />

Marktwirtschaft verb<strong>und</strong>en«.<br />

Ein Stück zurück zu Thea Dorns Abhandlung über »Das Weib«.<br />

Der Leser erfährt auf über dreißig Seiten alles, was er über das<br />

interessante Sujet schon längst einmal wissen wollte, betrachtet<br />

mit Lust die Bilder <strong>und</strong> wird in die Geheimnisse – ja in<br />

welche eigentlich? – eingeweiht. Es geht jedenfalls um tolle<br />

Frauen, die ob ihrer Schönheit oder anderer Leistungen<br />

berühmt wurden, wie Brünhilde <strong>und</strong> Loreley, Hanna Reitsch<br />

<strong>und</strong> Lena Meyer-Landrut.<br />

Im Kapitel »Sozialstaat« wird, nachdem der Autor durch die<br />

Besichtigung der Fuggerei in Augsburg Schwung geholt <strong>und</strong><br />

Bismarcks Intentionen bei der zeitgleichen Bekämpfung der<br />

Sozialdemokratie <strong>und</strong> der Einführung der Sozialgesetzgebung<br />

erläutert hat, das Wesen des Kapitalismus erklärt <strong>und</strong> der Korporatismus<br />

als »Instrument der Demokratie« gepriesen. Möglicherweise<br />

ist da ein Stück Text bei der Herstellung verloren<br />

gegangen, der den Sinnzusammenhang zwischen dem<br />

gescheiterten Korporatismus des NS-Regimes <strong>und</strong> dem der<br />

Foto: Kerstin Ehmer, © Knaus<br />

DDR <strong>und</strong> der vom Autor geforderten pragmatischen Begründung<br />

seiner Notwendigkeit hergestellt hätte. Der auf den Sozialstaat<br />

zwingend folgende Beitrag »Spargelzeit« erscheint da<br />

logischer <strong>und</strong> er ist, ein weiterer Vorteil, dem Thema gewidmet,<br />

das die Überschrift verheißt.<br />

Das Buch enthält auf 560 Seiten noch viel Beherzigenswertes.<br />

Das Lesebändchen tut da gute Dienste. Über »Abendstille« <strong>und</strong><br />

»Bierdurst«, über »Heimat« <strong>und</strong> »Kulturnation«, das »Mutterkreuz«,<br />

den »Vater Rhein«, die »Zerrissenheit« <strong>und</strong> »Winnetou«<br />

ist Wesentliches zu erfahren. Nicht alles ist so bedeutungsschwer<br />

<strong>und</strong> sauertöpfi sch vorgetragen, wie das bei den Themen<br />

»Doktor Faust«, »Männerchor« oder »Schrebergarten« ja<br />

sein muss.<br />

Das Kapitel »Wurst« hat der Rezensent mit besonderem Gewinn<br />

gelesen, den »Kitsch« auch noch als eigenes Stichwort zu<br />

behandeln, nötigt ihm Hochachtung ab <strong>und</strong> auf die Passagen<br />

über »Freikörperkultur« möchte er, der treffl ichen Bebilderung<br />

wegen, besonders aufmerksam machen.<br />

Fazit: Solche Bücher nannte man einst »Hausschatz«, las en<br />

famille an langen Winterabenden darin oder daraus vor oder<br />

abonnierte die Textsorte, solange sie unter dem Namen »Gartenlaube«<br />

erschien. Das Werk ist offensichtlich in der Marketing-Abteilung<br />

ausgeheckt worden, als Beitrag für Ratlose zum<br />

Gabentisch. Zwei prominente Autoren, von denen man lieber<br />

anderes lesen würde, <strong>und</strong> zwar im Genre, das sie beherrschen,<br />

haben sich dazu hergegeben, den Bildern den notwendigen<br />

Text beizumischen. Eine geniale Person hat sich den Titel »Die<br />

deutsche Seele« ausgedacht. In den Buchhandlungen liegen<br />

die Stapel gleich neben dem Tisch, auf dem des fränkischen<br />

Barons Erguss über sein zeitweiliges Scheitern feilgeboten<br />

wird. Das Buch ist so banal, dass man ihm keinen Erfolg wünschen<br />

muss – es hat ihn längst.<br />

Besonders ärgerlich ist bei der gequält geistreichen Seelenk<strong>und</strong>e<br />

das Vorwort, die leutselige Ansprache an den »lieben<br />

Leser«, der gewarnt wird, weil er in diesem Buch nicht »vor<br />

dem Deutschen« gewarnt wird. In der larmoyanten Attitüde,<br />

Tabus zu brechen, die nicht existieren, wird miefi ger Deutschtümelei<br />

gefrönt. »Die Gedanken sind frei«, versichern Thea<br />

Dorn <strong>und</strong> Richard Wagner treuherzig. Das weiß der Leser<br />

eigentlich schon. So steigt der schreckliche Verdacht auf: Die<br />

meinen das ernst, was sie schreiben. ||<br />

Der Historiker Wolfgang Benz leitete bis März 2011 das Zentrum<br />

für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. 1992 erhielt er<br />

den Geschwister-Scholl-Preis. Wolfgang Benz ist Mitbegründer<br />

<strong>und</strong> Herausgeber der »Dachauer Hefte«.


CHRISTINE KNÖDLER<br />

Die Idee ist großartig: Schluss mit Augen-Verderben beim<br />

heimlichen Lesen unter der Bettdecke! Sternchen, Mond <strong>und</strong><br />

Sonne, sonst an Wände <strong>und</strong> Decke geklebt, um die Dunkelheit<br />

ein wenig zu erhellen, bekommen Verstärkung: »Wer ist hier<br />

der Chef?« ist ein Leucht-Bilderbuch, das inhaltlich ebenfalls<br />

auf Erleuchtung setzt, denn hier werden große Themen verhandelt:<br />

Ein H<strong>und</strong> wartet, an den Baum angeleint, auf seinen<br />

Herrn, die Katze, gänzlich ungeb<strong>und</strong>en, spaziert von Ast zu<br />

Ast, erst ärgert sie den H<strong>und</strong>, dann tut er ihr leid. Und während<br />

der H<strong>und</strong> dasitzt <strong>und</strong> heult <strong>und</strong> wartet, kommen Eule, Fuchs,<br />

Katze, H<strong>und</strong>, Motte, Mäuse, Schmetterling ins Grübeln. Sie<br />

reden über Unterschiede, Gleichheit, Anderssein, über Ausharren<br />

<strong>und</strong> Geduld, Vertrauen <strong>und</strong> Autonomie, Fantasie <strong>und</strong><br />

Weisheit. Es geht um Hunger <strong>und</strong> Hoffnung, ums Fressen <strong>und</strong><br />

Gefressenwerden, um das, was richtig oder falsch sei. Und<br />

Anzeige<br />

Licht ins Dunkel<br />

23. JANUAR<br />

MICHAEL SKASA<br />

zum 70. Geburtstag<br />

Seerosenkreis in der Seidlvilla<br />

Nikolaiplatz 1b | 80802 München | 19.30 Uhr | Eintritt 10/8 Euro<br />

Dem Journalisten Michael Skasa, dessen »Sonntagsbeilage«<br />

in Bayern 2 vierzig Jahre lang zum Weiterlesen, Wiederentdecken,<br />

zum Lachen <strong>und</strong> Nachdenken animierte, gratulieren:<br />

Maria Peschek, Gert Heidenreich, Walter Zauner, Angelika<br />

Beier, Asta Scheib, Dagmar Nick, Barbara Bronnen, Anatol<br />

Regnier, Winfried Zehetmeier, Brigitta Rambeck <strong>und</strong> Überraschungsgäste.<br />

31. JANUAR<br />

WER IST HIER DER CHEF?<br />

Bart Moeyaert<br />

Übersetzt aus dem Niederländischen<br />

von Mirjam Pressler. Illustriert von<br />

Katrien Matthys | Hanser, 2011 |<br />

60 Seiten | 19,90 Euro | Ab 6 Jahre<br />

Die Erde ist gewaltig schön, doch sicher ist sie<br />

nicht – Ein Abend mit ALEXANDER KLUGE<br />

Literaturhaus | Salvatorplatz 1 | 20.00 Uhr |<br />

Karten 089 291934-0<br />

LITERATUR<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 25<br />

dabei immer: um die Freiheit. Gar nicht so einfach. Schließlich<br />

hängt die Antwort auf die Frage, wer der Chef ist (<strong>und</strong> dabei<br />

stets mitbedacht: wer <strong>und</strong> womöglich wie man selbst ist oder<br />

selbst wird), davon ab, was man ist: eine Katze oder eine Maus,<br />

ein H<strong>und</strong> – oder ein Mensch. Aus all dem hat Bart Moeyaert,<br />

einer der derzeit interessantesten Kinder- <strong>und</strong> Jugendbuchautoren,<br />

einen philosophischen Geschichtenteppich gewoben,<br />

eine Fabel voller Poesie <strong>und</strong> notwendigerweise Ungereimtheiten,<br />

die sich auf diese Weise jeder Wertung enthält <strong>und</strong> vielmehr<br />

Platz für eigene Interpretationen lässt. Mit den scherenschnittartigen<br />

Illustrationen von Katrien Matthys <strong>und</strong> den<br />

Leuchteffekten erinnert das Buch an eine Laterna magica: eine<br />

Bühne voll Magie, Überraschungen, Geistesblitze, glänzender<br />

Dialoge, erstaunlicher Wortgefechte; ein Gedankenkarussell,<br />

das sich dreht <strong>und</strong> dreht <strong>und</strong> dreht <strong>und</strong> lange begleitet. ||<br />

7. FEBRUAR<br />

CHARLES DICKENS<br />

zum 200. Geburtstag<br />

Literatur Moths | Rumfordstraße 48 | 80469 München | 19.30 Uhr<br />

Als Zauberer des Wortes galt Charles Dickens schon den Zeitgenossen,<br />

seine Lesungen waren fulminante Bühnenauftritte,<br />

den von ihm als genialem Selbstvermarkter erf<strong>und</strong>enen Fortsetzungsromanen<br />

fi eberten die Menschen entgegen. Und wir<br />

können nun unser Dickensbild mithilfe der Neuerscheinungen<br />

<strong>und</strong> Ausstellungen zu Werk <strong>und</strong> Person anlässlich des Jubiläumsjahrs<br />

erweitern (etwa durch die Biographie von Hans-<br />

Dieter Gelfert, die Ausstellung »Die Geheimnisse des Charles<br />

Dickens« in Zürich sowie diverse Neuübersetzungen seiner<br />

Werke).<br />

In München wird bei Literatur Moths just an seinem<br />

Geburtstag, dem 7. Februar, gefeiert: Die mehrfach ausgezeichnete<br />

<strong>Münchner</strong> Übersetzerin Melanie Walz wird im<br />

Gespräch mit dem Lektor, Kristian Wachinger (Hanser), die<br />

Neuübersetzung des hier wenig bekannten, in England als<br />

Klassiker geltenden Romans »Große Erwartungen« vorstellen.<br />

Ein Roman, in dem es um fremde Geldgeber, um Schulden<br />

<strong>und</strong> den Fluch großer Erwartungen geht – Themen, die uns<br />

vertraut erscheinen. || gf


LITERATUR<br />

SEITE 26 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

KATRIN SCHUSTER<br />

Am<br />

Mutterort<br />

Der Regisseur Oskar Roehler hat<br />

seinen ersten Roman geschrieben.<br />

Er heißt »Herkunft« <strong>und</strong> trägt<br />

zweifellos autobiografi sche Züge:<br />

Das macht den Reiz aus, bereitete<br />

dem Autor jedoch offensichtlich<br />

einige Schwierigkeiten.<br />

Am 17. Januar stellt der Regisseur Oskar Roehler »Herkunft«,<br />

seinen ersten Roman, in München vor: keine zufällige Station<br />

auf einer b<strong>und</strong>esweiten Lesereise, sondern aktuell der einzige<br />

Termin in Deutschland. Ohnehin ist diese Stadt mit einer Vergangenheit<br />

beschwert, die Roehler immer wieder umzutreiben<br />

scheint. Denn München muss ihm als Mutterort gelten – dort<br />

wohnte die Schriftstellerin Gisela Elsner die meiste Zeit ihres<br />

Lebens, nachdem sie ihren dreijährigen Sohn Oskar <strong>und</strong> ihren<br />

Mann, den Lektor Klaus Roehler, verlassen hatte, <strong>und</strong> dort<br />

beging sie 1992 Selbstmord. »Als Schriftsteller allein zu sein,<br />

sein Haus nicht verlassen zu können, kein Geld zu haben <strong>und</strong><br />

sich bei den meisten seiner Fre<strong>und</strong>e diskreditiert zu haben,<br />

weil man irgendwann schlecht über sie geschrieben hat, <strong>und</strong><br />

dann noch in einer Stadt wie München zu leben – da ist es<br />

schon fast ein Heldentod, den diese Frau gestorben ist«, sagte<br />

Roehler in einem Interview über seine Mutter.<br />

Vor elf Jahren hat er schon einmal versucht, dieser großen<br />

Leerstelle seines Lebens mit den Mitteln der Kunst beizukommen.<br />

In dem Film »Die Unberührbare« verhandelte er die letzten<br />

Jahre der Schriftstellerin bis zu deren Suizid. In »Herkunft«<br />

steht die fehlende Mutter zwar nicht im Mittelpunkt der<br />

Geschichte, da der Autor den Bogen viel weiter als in seinem<br />

Film spannt, nämlich von 1949 bis zum Ende der 70er-Jahre,<br />

von der Rückkehr der Großvaters aus der Kriegsgefangenschaft<br />

bis zum 18. Geburtstag des Enkels – er mithin die ganze<br />

BRD zu fassen bekommt. Und dennoch scheint das Verlassenwerden<br />

die Motivation des Schreibens zu sein, wenn der<br />

Abgang der Mutter bereits am Anfang als »dunkles Mysterium<br />

meiner Kindheit« vorweggenommen wird, als der Ich-Erzähler<br />

Robert noch gar nicht geboren ist. Solche Zeitsprünge fi nden<br />

sich des Öfteren in dem Roman, obwohl der Autor ansonsten<br />

brav chronologisch vorgeht. Dazu gesellen sich einige sprachliche<br />

Merkwürdigkeiten, die ebenfalls von den Schwierigkeiten<br />

zeugen mögen, die Oskar Roehler mit diesem zweifelsfrei<br />

autobiografi schen Stoff gehabt hat – es lässt sich eben nicht<br />

immer alles in die schönsten Worte fassen, nicht immer alles<br />

in die richtige Ordnung bringen, wenn die eigenen Erfahrungen<br />

auf dem literarischen Spiel stehen. Ein w<strong>und</strong>gescheuertes<br />

Leben inszeniert als w<strong>und</strong>gescheuerter Roman: An vielen Stellen<br />

blättert der Schorf, die Narben werden ohne falsche Scham<br />

zur Schau gestellt, <strong>und</strong> gerade deshalb übt »Herkunft« eine<br />

Faszination aus, der man sich kaum entziehen kann. ||<br />

HERKUNFT. ROMAN<br />

Oskar Roehler<br />

Ullstein, 2011 | 588 Seiten| 19,99 Euro<br />

OSKAR ROEHLER LIEST AUS »HERKUNFT«<br />

Tukan-Kreis<br />

Seidlvilla | Nikolaiplatz 1b | 17. Januar | 19.30 Uhr |<br />

Karten unter Telefon 1290677 oder tukan-kreis@beck.de<br />

SYLVIA REIN<br />

Unterm<br />

Baobab<br />

Ein Star der französischen<br />

Literaturszene <strong>und</strong> mit Preisen<br />

überhäuft: Alain Mabanckou, geboren<br />

in der Republik Kongo, lebt in Paris<br />

<strong>und</strong> Los Angeles. Nun liegen<br />

»Stachelschweins Memoiren« auf<br />

Deutsch vor – ein Glück.<br />

Schon sitzt der Leser tief im afrikanischen Busch, unter einem<br />

Baobab, einem Affenbrotbaum, <strong>und</strong> hört einem Stachelschwein<br />

zu. Hört zu? Ja! Denn das ist der erste Kunstgriff Alain<br />

Mabanckous: Es gibt keine Punkte <strong>und</strong> jeder Absatz beginnt<br />

mit einem Kleinbuchstaben. Das wirkt, als würde das Stachelschwein<br />

ununterbrochen reden, tief bewegt <strong>und</strong> atemlos. Die<br />

Geschichte entwickelt dadurch einen Sog, der einen nicht<br />

mehr loslässt. Das Nagetier blickt auf sein Leben zurück, es<br />

gesteht – <strong>und</strong> bittet um Vergebung.<br />

Denn: Das Stachelschwein ist ein Serienmörder. Es hat<br />

durch gezielte Schüsse mit seinen Stacheln 99 Menschen<br />

umgebracht, einen nach dem andern. Dabei war es nur<br />

Befehlsempfänger: Sein »Herr« hat es mit diesen Morden<br />

beauftragt <strong>und</strong> es musste trotz wachsender Schuldgefühle<br />

gehorchen. Sein Herr, das ist der junge Kibandi, ein Außenseiter<br />

im Dorf, der von Alkohol <strong>und</strong> einem halluzinogenen Trunk<br />

abhängig ist. Den Dorfbewohnern ist bald klar, dass hier etwas<br />

nicht mit rechten Dingen zugeht: »verzehrt« worden seien die<br />

Opfer, sagen sie. Wer hier eigentlich wen frisst, bleibt jedoch<br />

w<strong>und</strong>erbar unklar, <strong>und</strong> die Schilderung des ersten Mordes an<br />

einem jungen Mädchen liest sich, als hätte das Stachelschwein<br />

zum ersten Mal Sex. Am Ende siegt scheinbar die Gerechtigkeit:<br />

Kibandi wird gelyncht, das Stachelschwein überlebt.<br />

Eine Fabel mit phantastischen Elementen ist das, basierend<br />

auf dem Glauben an Tier-Doppelgänger, wie er in einigen<br />

Gegenden Afrikas verbreitet ist. Nun kommen aber die weiteren<br />

Kunstgriffe Mabanckous, der auch französische Literaturwissenschaften<br />

lehrt: Der Roman ist zugleich Parodie, Krimi<br />

<strong>und</strong> Horrorgeschichte. Und er erzählt vom Erwachsenwerden,<br />

eine Initiationsgeschichte. Er ist ein Kommentar zum Verhältnis<br />

von Europa <strong>und</strong> Afrika <strong>und</strong> nicht zuletzt zur »afrikanischen«<br />

Mentalität – je nachdem, wie man ihn liest. Wer nicht<br />

alles für bare Münze nimmt, was das Stachelschwein mit gehobener<br />

Pfote schwört, dem eröffnet sich der Reichtum dieses<br />

witzigen Verwirrspiels. Das ist große Literatur: In der Tiefe<br />

schlummern Welten.<br />

Mabanckou reißt mit seinem Roman Grenzen ein –<br />

zunächst die Grenzen zwischen Pfl anzen-, Tier-, Menschen-<br />

<strong>und</strong> Geisterwelt: Tiere lesen, philosophieren <strong>und</strong> empfi nden<br />

Schuld. Menschen sehen aus wie Tiere, Gewissensbisse sind<br />

ihnen fremd. Tote Babys kehren wieder <strong>und</strong> rächen sich. Und<br />

auch die Grenze zwischen Realität <strong>und</strong> Fiktion fl ießt: Erzählt<br />

uns das Stachelschwein etwa nur eine Gruselgeschichte à la<br />

Edgar Allan Poe? Ja, lebt es denn überhaupt oder ist das alles<br />

nur Ausdruck einer paranoiden Persönlichkeitsstörung? Der<br />

Clou: Mabanckou öffnet uns die Augen für Parallelen zwischen<br />

der europäischen Literatur <strong>und</strong> Psychologie <strong>und</strong> den animistischen<br />

Weltvorstellungen Afrikas. Das alles zu entdecken, ist<br />

nicht nur unterhaltsam, sondern erfordert Witz <strong>und</strong> Kombinationsgabe.<br />

Aber wir Leser sind ja intelligente Wesen (auch wenn<br />

uns das Stachelschwein das Gegenteil beweisen möchte). ||<br />

STACHELSCHWEINS MEMOIREN. ROMAN<br />

Alain Mabanckou<br />

Aus dem Französischen von Holger Fock <strong>und</strong> Sabine Müller |<br />

Verlagsbuchhandlung Liebeskind, 2011 | 192 Seiten | 18,90 Euro<br />

Sie kamen<br />

unerwünscht,<br />

aber wie gerufen<br />

In »Europa erfi ndet die Zigeuner«<br />

zeichnet der Literaturwissenschaftler<br />

Klaus-Michael Bogdal den Diskurs über<br />

die »Zigeuner« der letzten fünfh<strong>und</strong>ert<br />

Jahre nach: so überfällig wie lehrreich,<br />

so spannend wie verstörend.<br />

KATRIN SCHUSTER<br />

Nur auf den ersten Seiten seiner kulturgeschichtlichen Monografi<br />

e »Europa erfi ndet die Zigeuner« verwendet Klaus-Michel<br />

Bogdal Anführungszeichen, wenn er von »Zigeunern« spricht<br />

– um dann zu erklären, warum er es fortan nicht mehr tun<br />

wird. Dem Bielefelder Literaturwissenschaftler geht es weniger<br />

um die Lebensrealität der Sinti <strong>und</strong> Roma, sondern allererst<br />

um die Bilder, die sich Europa von den Romvölkern in den<br />

vergangenen fünf Jahrh<strong>und</strong>erten gemacht hat. Bogdal will sich<br />

gerade nicht unter diejenigen Autoren einreihen, die vermeintliche<br />

Wahrheiten über Lebenswelten <strong>und</strong> -weisen des »fahrenden<br />

Volks« zu Papier gebracht haben, sondern nimmt den<br />

Diskurs über sie – von dem sie als dessen bloße Objekte konsequent<br />

ausgeschlossen bleiben – in den Blick. Angesichts<br />

dieser »Konzentration auf die Geschichte des Fremdbildes« ist<br />

es beinahe überraschend, dass in der ausführlichen Bibliografi<br />

e Walter Benjamins »Thesen über den Begriff der Geschichte«<br />

nicht vorkommen, in denen Benjamin darauf hinweist, dass<br />

die offi zielle Historie stets nur die Historie der Mächtigen<br />

meint: »Wer immer bis zu diesem Tage den Sieg davontrug, der<br />

marschiert mit in dem Triumphzug, der die heute Herrschenden<br />

über die dahinführt, die heute am Boden liegen. Die Beute<br />

wird, wie das immer so üblich war, im Triumphzug mitgeführt.<br />

Man bezeichnet sie als die Kulturgüter [...] Es ist niemals ein<br />

Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei<br />

zu sein.« Genau davon erzählt Bogdal in seinem Buch: Wie<br />

barbarisch sich die so genannten Kulturgüter äußern <strong>und</strong> wie<br />

eifrig <strong>und</strong> verzweifelt Europa darum bemüht ist, von »Zigeunern«<br />

zu schwadronieren, ohne die Romvölker je selbst zu<br />

Wort kommen zu lassen.<br />

Bereits der Untertitel »Eine Geschichte von Faszination<br />

<strong>und</strong> Verachtung« bezeichnet die doppelte Bewegung, die der<br />

Autor immer wieder gewärtigt in seiner überaus anschaulichen,<br />

spannenden, differenzierten <strong>und</strong> kritischen Recherche.<br />

Dem zunehmenden Interesse der Gesellschaft an der Kultur<br />

der Romvölker steht eine grauenhafte soziale Ächtung zur<br />

Seite, zu der nicht zuletzt die Literatur zahllose Diskriminierungen<br />

<strong>und</strong> Rassismen beigetragen hat <strong>und</strong> auch heute noch<br />

beiträgt. Von Anfang an werden die Romvölker im ganz buchstäblichen<br />

Sinne als Andere ver-fremdet, damit sie uns ja<br />

nicht zu nahe kommen: »Sie kommen unerwünscht, aber doch<br />

wie gerufen, um in Abgrenzung zu ihnen das Bild einer europäischen<br />

Kultur zu schaffen«. So entwirft Europa die eigene<br />

Gestalt als moderne <strong>und</strong> aufgeklärte, die all das ist, was Sinti<br />

<strong>und</strong> Roma nicht sind: national gr<strong>und</strong>iert, sesshaft <strong>und</strong> schriftlich<br />

verwaltet. Dass ausgerechnet der Holocaust eine Hauptursache<br />

dafür darstellt, dass eine schriftliche Rom-Literatur entsteht,<br />

deren Sinn <strong>und</strong> Funktion unter Sinti <strong>und</strong> Roma allerdings<br />

umstritten ist, nennt die Aporie ein weiteres Mal beim Namen.<br />

Und so kann man auch hier nur schließen, wie der Autor seine<br />

bew<strong>und</strong>ernswerte Monografi e beschließt: »Das Buch endet<br />

hier, nicht jedoch die Geschichte, die es erzählt hat.« ||<br />

EUROPA ERFINDET DIE ZIGEUNER. EINE GESCHICHTE<br />

VON FASZINATION UND VERACHTUNG<br />

Klaus-Michael Bogdal<br />

Suhrkamp, 2011 | 590 Seiten | 24,90 Euro


Franz-Josef Czernin 2011 | Foto privat, Copyright Carl Hanser Verlag<br />

zungenenglisch<br />

Dichten als Denken <strong>und</strong> Denken<br />

als Dichten – kaum einer<br />

nimmt es dabei so genau mit<br />

den Wendungen <strong>und</strong> Übergängen<br />

wie Franz Josef Czernin, der im<br />

Januar Geburtstag hat <strong>und</strong> im<br />

Lyrik Kabinett die Poesie feiert.<br />

THOMAS BETZ<br />

Es handelt sich wohl nicht um ein Spezialidiom der heutigen<br />

Weltsprache, englisch wird hier von Engelszungen gesprochen.<br />

Franz Josef Czernin sagt über sein Projekt »zungenenglisch«,<br />

das er im Lyrik Kabinett vorstellt: »Für Johann Georg Hamann<br />

beispielsweise ist Reden Übersetzen – aus einer Engelsprache in<br />

eine Menschensprache.« Wer den Königsberger Philosophen<br />

<strong>und</strong> Schriftsteller nicht kennt, sollte Czernin lesen. Denn der<br />

österreichische Dichter <strong>und</strong> Essayist wurde 2011 mit dem<br />

Magus-Preis ausgezeichnet für seinen Beitrag zur Frage: inwiefern<br />

könne »poetische Sprache heute Instrument <strong>und</strong>/oder<br />

Medium eine Denkens <strong>und</strong> Fühlens sein, das ohne sie weder<br />

möglich noch mitteilbar wäre«. Antworten auf diese Frage nämlich<br />

sucht der 1952 geborene Czernin seit Ende der 70er-Jahre<br />

in Gedichtbüchern <strong>und</strong> Essays – »Dichtung als Erkenntnis« ist<br />

sein Lebensthema als Lesender, Denkender, Schreibender.<br />

Dabei treibt ihn eine Lust am Umformen.<br />

Czernin wurde mit manch einschlägiger Auszeichnung<br />

bedacht (zuletzt 2007 mit dem Georg-Trakl-Preis <strong>und</strong> dem<br />

Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik). Ein Adabei im<br />

Literatur- <strong>und</strong> Lyrikzirkus ist er nicht, aber eine verlässliche kritische<br />

Stimme. Er gilt, wie sein <strong>Münchner</strong> Verlag, Hanser, formuliert,<br />

»als einer der ungewöhnlichsten Dichter unserer Zeit«.<br />

Der Schriftsteller Martin Mosebach, der bei Czernins Geburtstagsnachfeier<br />

in München mit von der Partie ist, charakterisiert<br />

im Nachwort zum Sammelband »staub.gefäße« (Hanser, 2008)<br />

dessen Poesie der letzten Jahre so: »Dieses Werk wirkt vor allem<br />

deshalb exzentrisch, irritierend oder gar verstörend, weil es sich<br />

so weit außerhalb des als gegenwärtige Literatur Kanonisierten<br />

<strong>und</strong> Erwarteten befi ndet; weil diese Gedichte sich aus Sphären<br />

nähren, die heute nicht oder nur in Form von Surrogaten erlebbar<br />

scheinen. Ich spreche von der mythischen, der kultischrituellen<br />

<strong>und</strong> schließlich der sakralen <strong>und</strong> religiösen oder mystischen<br />

Sphäre.« Um eine Annäherung an Hamanns<br />

Engelssprache zu erreichen, diese »mythische Sprache, die vielleicht<br />

jeder Poesie aufgegeben ist«, wie Czernin schreibt, muss<br />

das Gedicht das Dickicht der alltäglichen Rede durchforschen,<br />

alles in neue Wendungen <strong>und</strong> Verbindungen bringen.<br />

Das kann auch, von uns Lesern selbst, im Alltag probiert<br />

werden. Czernin, der ein großer Kombinatoriker ist <strong>und</strong> Ende<br />

der 80er-Jahre ein Computerprogramm zur Analyse <strong>und</strong> Synthese<br />

von poetischen Texten entwickelt hat, ist in vielen Haushalten<br />

mit den Magnettafeln seiner »Kühlschrankpoesie« vertreten.<br />

Wer es selbst noch nicht ist, kann also mit Czernin zum<br />

Dichter werden. Aktuell mit seinem neuen Kombinatorikspiel<br />

»Metamorphosen. Die kleine Kosmologie«, das bei seinem Wiener<br />

Verlag, Droschl, erscheint. Verszeilen, die sich unendlich<br />

kombinieren lassen plus Gebrauchsanweisung ergeben eine<br />

kleine Poetik, die neugierig macht auf Czernins enzyklopädisches<br />

Projekt einer »Kunst des Dichtens«, die auf das Ganze<br />

zielt. ||<br />

ZUNGENENGLISCH. VISIONEN UND VARIANTEN<br />

Franz Josef Czernin | Einführung: Martin Mosebach<br />

18. Januar | 20.00 Uhr<br />

Lyrik Kabinett | Amalienstraße 83 Rgb | Karten: 089 346299<br />

Nora Gomringer auf der Göteburger Buchmesse 2011 | Foto: Arild Vågen<br />

Die Nation<br />

<strong>und</strong> ihr<br />

M<strong>und</strong>werk<br />

Nora Gomringer ist eine der<br />

erfolgreichsten Lyrikerinnen derzeit –<br />

ein Ende ist nicht in Sicht.<br />

CHRISTINE AUERBACH<br />

Ihre Gedichte kann man lesen. Aber eigentlich muss man sie<br />

hören – am besten von ihr selbst. Denn wenn Nora Gomringer<br />

ihre Poesie liest, dann kaut sie die Verse, zerteilt die Silben,<br />

schiebt mit dem Zwerchfell nach <strong>und</strong> wuchtet sie dem<br />

Hörer in die Ohren. Dort stecken dann wahlweise sprachliche<br />

Sahnetorten oder Henkersmahlzeiten, Samtkissen oder<br />

Rasiermesser – je nachdem, in welche Richtung die Lyrikerin<br />

die Sprache gedehnt <strong>und</strong> gewendet hat.<br />

Dass die 31-Jährige eine der virtuosesten Lyrikerinnen<br />

dieser Zeit ist, hat letztes Jahr auch die Jury des Jacob-<br />

Grimm-Preises bemerkt. Der mit 30.000 Euro dotierte Preis<br />

dient dem Erhalt <strong>und</strong> der kreativen Entwicklung der deutschen<br />

Sprache <strong>und</strong> dass ausgerechnet sie ihn bekommen<br />

hat, hält Nora Gomringer für einen »schmeichelhaften Irrtum«.<br />

Entwickeln ja, das stimmt, erhalten – kommt darauf<br />

an, wie: Statt die Sprache in den abgeschotteten Literaten-<br />

Elfenbeinturm zu packen, holt sie Nora Gomringer lieber auf<br />

die Straße. Sie dreht Youtube-Videos, in denen sie vor einem<br />

Möbelhaus lyrisch mit dem Exfre<strong>und</strong> abrechnet, der gerade<br />

mit einem Tisch für sich <strong>und</strong> die neue Fre<strong>und</strong>in vorbeiläuft:<br />

»An mir vorbei baust du einen Tisch, unter dem ich jedem<br />

auf die Füße trete. Ein Tisch, an dem ich gar kein Gespräch<br />

mehr bin.«<br />

Ihren Gedichtbänden liegen CDs bei, auf denen sie selbst<br />

ihre Werke liest. Mit Lesungen im herkömmlichen Sinn, mit<br />

Tisch <strong>und</strong> Wasserglas, haben ihre Auftritte allerdings wenig<br />

zu tun, denn Nora Gomringers Schule war jahrelang der Poetry<br />

Slam – was man auch immer noch merkt. Der Slam darf<br />

seinen Namen übrigens ruhig behalten <strong>und</strong> braucht kein<br />

deutsches Pendant, im Gegenteil: Nora Gomringer fi ndet es<br />

geradezu notwendig, dass sich andere Sprachen mit ins<br />

Deutsche mischen, denn »wo eine Nation steht, sieht man an<br />

ihrem M<strong>und</strong>werk«. Ins Deutsche könnte sich da ihrer Meinung<br />

nach noch viel mehr mischen.<br />

So mancher hat sich gew<strong>und</strong>ert, als sie im April 2010 die<br />

Leitung des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia<br />

in Bamberg übernommen hat <strong>und</strong> zur Herbergsmutter für<br />

zwölf Stipendiaten wurde, die jeweils ein Jahr in der Villa<br />

wohnen <strong>und</strong> arbeiten dürfen. Als Spoken-Word-Poetin ausgerechnet<br />

an eine solch altgediegene Institution ... Aber »bieder<br />

is, who bieder does«, sagt Gomringer <strong>und</strong> arbeitet seither<br />

für zwei, um neben der Villa auch noch ihr Schreiben zu<br />

organisieren. Für sie war der Schritt von der Subkultur in die<br />

Villa gar nicht so groß, denn sie kennt die verschiedenen<br />

Welten: Im Elternhaus gab es eher Hochkultur – ihr Vater ist<br />

Eugen Gomringer, der als Mitbegründer der konkreten Poesie<br />

gilt.<br />

»Ich war kein cooles Kind, Jugendkultur war mir immer<br />

irgendwie fremd«, sagt Gomringer. »Ich war eher ein Danebensteher,<br />

der beobachtet <strong>und</strong> durch die verschiedenen Welten<br />

wandelt«. Sie ist gegen zu viel Häppchenkultur in der<br />

Kunst – schließlich könne man sich schon mal 100 Minuten<br />

zusammenreißen, <strong>und</strong> dann erst Pipi machen gehen. Auch<br />

bei ihren Texten setzt sie nicht auf die einfachen Lacher, sondern<br />

verschwindet lieber in unwegsames Gelände. Das Publikum<br />

folgt ihr, denn was Nora Gomringer mit der Sprache<br />

macht, ist spannend, ihre »Gedichte sind Gefechte / Auf weißen<br />

Seiten / Oder Tierhäuten / Ausgetragen«. ||<br />

LITERATUR<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 27<br />

ll<br />

LYRIK<br />

ein Schneider saß am Fluss<br />

<strong>und</strong> nähte ihm Arme aus dem Schilf<br />

das Wasser rann<br />

in dünnen Fäden<br />

durch seine Hände<br />

er strich es glatt<br />

mit Geduld <strong>und</strong> Obacht<br />

am Ufer lachten sie<br />

über den Schneider<br />

aus dem fernen Land<br />

sichtlich ahnungslos<br />

in hiesiger Wetterk<strong>und</strong>e<br />

in den Nächten aber<br />

an denen er am Fluss saß<br />

schimmerte das Wasser<br />

wie in noch keiner<br />

Mondnacht gesehen<br />

nie war der Fluss empfänglicher<br />

der gewaltige Wille<br />

der an jeder Grenze<br />

störrisch hinzugewann<br />

ruhte nun ohne Widerstand<br />

ein Körper nächtens vollendet<br />

ll<br />

wuchs in sein lichtes Kleid<br />

Zafer Şenocak<br />

GETEILTE MÜNDUNG. GEDICHTE<br />

Zafer Şenocak<br />

Babel Verlag, Bülent Tulay, 2011 | mit fre<strong>und</strong>licher<br />

Genehmigung des Verlags<br />

Zafer Şenocak wurde 1961 in Ankara geboren,<br />

wuchs in Istanbul <strong>und</strong> München auf <strong>und</strong> lebt<br />

seit 1989 in Berlin. Er war 1984 Literaturstipendiat<br />

der Stadt München <strong>und</strong> erhielt 1988 den<br />

Förderpreis zum Adelbert-von-Chamisso-Preis.<br />

Neben zahlreichen Gedichtbänden hat er<br />

mehrere Romane <strong>und</strong> Essaybände geschrieben.<br />

Zuletzt erschien »Deutschsein. Eine Aufklärungsschrift«<br />

in der Edition Körber-Stiftung,<br />

Hamburg 2011. Derzeit ist Şenocak Stipendiat<br />

der Feldafinger Villa Waldberta.<br />

Anzeige<br />

Gerade war sie wieder auf Tour, am 12. Januar im <strong>Münchner</strong><br />

Volkstheater, man wird sie wieder sehen <strong>und</strong> hören, am 15. beim<br />

Erlanger Poetry Slam Jubiläum etwa, im Februar in Stuttgart <strong>und</strong><br />

Würzburg, im März in Isny ... Und ihre ersten vier Gedichtbände<br />

seit 2000 hat sie in einem Band gesammelt.<br />

MEIN GEDICHT FRAGT NICHT LANGE<br />

Nora Gomringer<br />

Voland & Quist, 2011 | 332 Seiten mit Audio-CD | 24,90 Euro


FAVORITEN<br />

SEITE 28 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

Tipps der Redaktion<br />

11.-15.1. <strong>und</strong> 18.-22.1.<br />

VERWALTUNGSPERFORMANCE<br />

Holger Dreissig:<br />

Heiratsmarkt. 21. St<strong>und</strong>e<br />

i-camp | neues theater münchen | 20.30<br />

Entenbachstr. 37<br />

Tickets: www.i-camp.de | 089 650000<br />

Ein Ausgangspunkt für dieses Stück ist die<br />

Erschütterung darüber, dass Liebesbeziehungen<br />

mit Geschäftsbeziehungen gleichgesetzt werden:<br />

Ob dicke Kohle, schnelle Boliden, protzige Statussymbole<br />

oder Schönheits-OP – immer geht es<br />

darum, der Gockel mit dem prächtigsten Gefieder<br />

zu sein oder das geilste Bunny, um sich so für die<br />

Ehe zu empfehlen.<br />

Alles Marketing, alles Heiratsmarkt.<br />

Foto: Holger Dreissig<br />

14.1.-15.2.<br />

THEATER | Showcase Beat Le Mot<br />

zu Gast im Residenztheater<br />

Max-Joseph-Platz | Tickets: Tel 089 21851940<br />

www.residenztheater.de<br />

SPIELART-Gäste kennen diesen Namen – jetzt<br />

erobert das Künstlerkollektiv Showcase Beat Le<br />

Mot den Marstall! Die international renommierte<br />

Performancegruppe gilt als Keimzelle der neueren<br />

deutschen Theaterszene. Vom 12.1. bis 15.2.<br />

zeigt Showcase Altes <strong>und</strong> Neues, feiert Feste <strong>und</strong><br />

interpretiert Kafkas »Schloss« frech ganz neu.<br />

Wiederholungstäter gehen mit ihren Kindern<br />

(ab 6) nochmal in den »Räuber Hotzenplotz«<br />

(14./15.1.).<br />

14.1.-25.2.<br />

THEATER | William Shakespeare:<br />

Was ihr wollt (Zwölfte Nacht)<br />

Theater VIEL LÄRM UM NICHTS<br />

in der Pasinger Fabrik | Do, Fr, Sa 20.00<br />

August-Exter-Str. 1 | Tickets: 089 8342014<br />

www.theaterviellaermumnichts.de<br />

Sinnenwahn <strong>und</strong> Wahnsinn, Obsession <strong>und</strong><br />

Amour fou, die Welt als Wahn <strong>und</strong> Täuschung…<br />

ob Männlein oder Weiblein, wahre oder irre<br />

Liebe: kein Halt, nirgends. In der Regie von<br />

Andreas Seyferth <strong>und</strong><br />

Margrit Carls erblüht<br />

der Klassiker um<br />

Irrungen <strong>und</strong> Wirrungen<br />

ganz neu – wie<br />

eine Seerose im<br />

Elfenteich, als wär’s<br />

kein Frauenkopf ...<br />

19.1.<br />

KLASSIK ZUM STAUNEN MIT<br />

DEM MÜNCHNER RUND-<br />

FUNKORCHESTER | Einblicke in<br />

eine Opernprobe mit Ausschnitten<br />

aus »Giuditta« von Franz Lehár<br />

Aktionstage für Kinder ab 12 Jahren von 12.00-<br />

17.00 | Studio 1 im Funkhaus | 14.30<br />

R<strong>und</strong>funkplatz 1 | Anmeldung: 089 5900-4387<br />

Tickets: 089 5900-4545 oder<br />

www.muenchenticket.de<br />

»Mittendrin beim <strong>Münchner</strong> R<strong>und</strong>funkorchester«:<br />

Gespräche mit Künstlern <strong>und</strong> Konzert-Organisatoren,<br />

Führungen durch das Funkhaus, das<br />

Schall- <strong>und</strong> Notenarchiv <strong>und</strong> das Konzert selbst<br />

als Höhepunkt laden zu vielen Blicken hinter die<br />

Kulissen ein.<br />

21.1.<br />

Konzert | Eric Truffaz (Trompete)<br />

mit Benoît Corboz (Piano)<br />

Kaufhaus Beck<br />

Musikabteilung, 5. OG | 18.00<br />

Marienplatz 11 | Eintritt frei<br />

in Kooperation mit dem BMW Jazz Award 2012<br />

22.1.<br />

Erik Truffaz zählt zu den experimentierfreudigsten<br />

Jazztrompetern der Gegenwart.<br />

Seine Musik ist geprägt von ungewöhnlichen<br />

Begegnungen mit Kollegen<br />

aus ganz anderen Bereichen – Benoît Corboz,<br />

mit dem er gemeinsam auftritt, war bislang<br />

als Toningenieur für Truffaz tätig.<br />

Foto: B. Peverelli<br />

MUSIKALISCHE KOMÖDIE<br />

<strong>Münchner</strong> R<strong>und</strong>funkorchester:<br />

»Giuditta« von Franz Lehár Leitung: Ulf Schirmer<br />

Prinzregententheater | 19.00<br />

Tickets: www.br-klassikticket.de<br />

www.muenchenticket.de<br />

1934 gelang dem Operettenkönig Franz Lehár mit<br />

»Giuditta« endlich der ersehnte Erfolg auf der<br />

Opernbühne. Richard Tauber glänzte als Octavio<br />

an der Wiener Staatsoper, über 100 R<strong>und</strong>funkanstalten<br />

übertrugen das Ereignis live, <strong>und</strong> das Lied<br />

»Fre<strong>und</strong>e, das Leben ist lebenswert« wurde zum<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert-Hit. Einführung mit Irina Paladi,<br />

Gartensaal, 18.00.<br />

26.1.<br />

KONZERT | Asa | Support: Y’Akoto<br />

Muffathalle | 20.30<br />

Zellstraße 4 | Tickets: www.muenchenticket.de<br />

Dreadlocks <strong>und</strong> Hornbrille,<br />

w<strong>und</strong>erbare poetisch-politische<br />

World-<br />

Pop-Perlen <strong>und</strong> zwei<br />

Alben, die so schnell<br />

nichts von ihrem Glanz<br />

verlieren werden: Dafür<br />

steht die nigerianische<br />

Foto: Veranstalter<br />

Sängerin Asa, für die<br />

das Ampere bereits zu klein geworden ist. Wer<br />

zuletzt draußen bleiben musste, hat jetzt in der<br />

Muffathalle gute Chancen, Asa live zu erleben.<br />

bis 28.1.<br />

AUSSTELLUNG | Unterwelt<br />

MaximiliansForum | Unterführung Maximilianstraße<br />

| Altstadtring | Eintritt frei<br />

Raum-, Video- <strong>und</strong> So<strong>und</strong>installationen verwandeln<br />

die Passage unter Münchens Prachtstraße<br />

zum Utopieraum. Florian Fischer nimmt mit der<br />

Inszenierung von »Hector Umbra« (Comic von Uli<br />

Oesterle) die Zuschauer mit in einen Transitraum,<br />

der sich Münchens düsterer Seite nähert (26.-<br />

28.1., 21.00). Warm anziehen!<br />

28.1.<br />

DOPPELKONZERT<br />

Louva Marguerite <strong>und</strong> IRXN<br />

Spectaculum M<strong>und</strong>i | 20.30<br />

Graubündener Straße 100 | Tel. 089 74576582<br />

Tickets: www.muenchenticket.de<br />

IRXN sind aufmüpfig, impulsiv <strong>und</strong> mystisch: Die<br />

Balladen der fünf Bayern leben von großen<br />

Gefühlen, aber auch Tanzbares, Fetziges, Irrwitziges<br />

<strong>und</strong> Brachiales fegen sie dem Publikum um<br />

die Ohren. Ganz anders <strong>und</strong> doch seelenverwandt<br />

erzählen Louva Marguerite mit einem breiten<br />

Instrumentarium auf Französisch, Spanisch <strong>und</strong><br />

Deutsch von tiefblauem Kummer, zyklamroter<br />

Leidenschaft oder zitronengelber Lebensfreude.<br />

IRXN | Foto: Veranstalter<br />

29.1.<br />

KONZERT-LESUNG ZWISCHEN<br />

FALAFEL UND WEISSWURST<br />

Nirit Sommerfeld, Linda Benedikt:<br />

Reality Check<br />

Theater VIEL LÄRM UM NICHTS<br />

in der Pasinger Fabrik | 16.00<br />

August-Exter-Str. 1 | Tickets: 089 8342014<br />

Was Sie noch nie über Israel wissen wollten, sich<br />

aber immer schon gefragt haben... Politisch unbestritten<br />

unkorrekt, moralisch dafür einwandfrei,<br />

humorvoll, böse <strong>und</strong> bajuwarisch sind die Texte,<br />

die Linda Benedikt <strong>und</strong> Nirit Sommerfeld zu<br />

einer mitreißenden Tour de Force komponieren,<br />

begleitet von der Band »Mirdochwurscht« alias<br />

Andi Arnold (Saxophon, Klarinette), Pit Holzapfel<br />

(Posaune, Gitarre) <strong>und</strong> Miene Costa (Bass, Tuba).<br />

bis 31.1.<br />

AUSSTELLUNG | Johann Ludwig<br />

Gildein: »money can´t buy me love«<br />

buch.laden | während der Ladenöffnungszeiten<br />

Lothringer Str. 17 | Tel. 089 54804725<br />

Vor zehn Jahren wurde der Euro eingeführt.<br />

Bedrucktes, gestaltetes Papier wurde durch anderes<br />

bedrucktes, gestaltetes Papier ersetzt. Die<br />

Arbeiten von Johann Ludwig Gildein zeigen<br />

geschredderte, konservierte D-Mark- <strong>und</strong> Euroscheine<br />

in Präparatengläsern, führen über die<br />

Kenntlichmachung des Scheins als Objekt zur<br />

Frage nach dem Wert des Geldes an sich.<br />

2.2. <strong>und</strong> 3.2.<br />

KONZERT<br />

SYMPHONIEORCHESTER DES<br />

BAYERISCHEN RUNDFUNKS<br />

4. Abonnementkonzert<br />

Philharmonie im Gasteig | 20.00<br />

Rosenheimer Str. 5<br />

Tickets: www.br-klassikticket.de<br />

www.muenchenticket.de<br />

Unter der Leitung von Mariss Jansons spielt das<br />

R<strong>und</strong>funkorchester Bohuslav Martinùs »Konzert<br />

für zwei Streichorchester, Klavier <strong>und</strong> Pauken<br />

d-Moll, H. 271«, das »Konzert für Violine <strong>und</strong><br />

Orchester Nr. 1, Sz 36« von Béla Bartók <strong>und</strong> Leoš<br />

Janácˇeks »Glagolitische Messe« für Soli, Chor,<br />

Orgel <strong>und</strong> Orchester.<br />

3.2.<br />

Konzert | 20 Jahre ACT-Jubilee Night<br />

Muffathalle | 20.30<br />

Zellstr. 4 | Tickets: www.karsten-jahnke.de<br />

Das renommierte Jazzlabel ACT feiert seinen 20.<br />

Geburtstag mit einer großen Jubilee Night: Mit<br />

ACT-Urgestein Nils Landgren, Cæcilie Norby<br />

(voc), Lars Danielsson (bass), Michael Wollny (p)<br />

<strong>und</strong> Wolfgang Haffner (dr) hat Mr. Redhorn langjährige<br />

Weggefährten zu den musikalischen Feierlichkeiten<br />

eingeladen: Der Gitarrist Nguyên Lê<br />

ist ebenso mit an Bord wie der finnische Trompeter<br />

Verneri Pohjola <strong>und</strong> die französische Saxofonistin<br />

Céline Bonacina, gerade für den »Victoire<br />

du Jazz« nominiert. Der polnische Pianist Leszek<br />

Możdżer, ein Phänomen des europäischen Jazz,<br />

hat mit seinem aktuellen Soloalbum »Komeda«<br />

mittlerweile Doppel-Platin erreicht.<br />

Foto:<br />

Sebastian Schmidt<br />

ab 3.2.<br />

AUSSTELLUNG | Aylin Langreuter:<br />

Off/On | Blindlichter/Neonstiche<br />

Galerie Wittenbrink<br />

Di, Mi, Fr, Sa 10.00-18.00, Do 10.00-20.00<br />

Türkenstraße 16 | Tel. 089 2605580<br />

Aylin Langreuter (*1976 in<br />

München) zeigt neue<br />

Objekte in Form einer<br />

nicht leuchtenden Neonschrift:<br />

als »Blindlichter«.<br />

Für die »Neonstiche«<br />

sammelte sie Bücher mit<br />

Stichen aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

<strong>und</strong> montierte in<br />

die existierenden alten<br />

Bilder eigene Bilder ihrer<br />

dreidimensionalen Werke<br />

ein. (bis 14.4.)<br />

3.2.<br />

TANZ | URAUFFÜHRUNG<br />

Augenblick, verweile<br />

Ein Abend über den Tanz zu Musik von<br />

Peter Iljitsch Tschaikowsky<br />

Staatstheater am Gärtnerplatz | 19.30<br />

Gärtnerplatz 3 | Tickets: 089 21851960<br />

Foto: Aylin Langreuter<br />

Die meiste Zeit seines Lebens war Tschaikowsky<br />

unterwegs: auf Reisen, auf der Suche, auf der<br />

Flucht. Viele Künstler kennen diesen Zustand. Zu<br />

Orchesterwerken <strong>und</strong> Liedern Peter Iljitsch<br />

Tschaikowskys entwickelt Hans Henning Paar<br />

einen sehr persönlichen Abend über den Tanz<br />

<strong>und</strong> das Tänzerleben.<br />

7.-12.2.<br />

KONZERT<br />

20 Jahre ACT - Piano Club Tour<br />

Jazzclub Unterfahrt | 21.00<br />

Einsteinstr. 42 | Tickets: 089 4482794<br />

Auf der Jubiläums-Club-Tour stellt ACT sechs<br />

Ausnahmepianisten deutschlandweit ins Rampenlicht<br />

– in München spielen in der Unterfahrt<br />

Flavio Boltro & Danilo Rea Duo (7.2.), Leszek<br />

Możdżer Solo (8.2.), Jens Thomas / Verneri Pohjola<br />

Quartet (9.2.), Ida Sand & Band mit einem<br />

Sonderkonzert (10.2.), Yaron Herman Solo (11.2.)<br />

<strong>und</strong> Ulf Wakenius & Vincent Peirani Duo (12.2.).<br />

bis 12.2.<br />

KONZERTREIHE<br />

Fraunhofer Volksmusiktage<br />

Theater im Fraunhofer | div. Anfangszeiten<br />

Fraunhoferstr. 9 | Tickets: 089 267850 (AB)<br />

www.fraunhofertheater.de<br />

Foto: Hans Lauer<br />

Die »Volksmusiktage im Fraunhofer« gelten seit<br />

den Neunzigerjahren als Talentschmiede <strong>und</strong><br />

Hort der Innovation. Am 10.2. servieren Beatrix<br />

Klöckner, Maria Hafner, Evi Keglmaier <strong>und</strong><br />

Simon Ackermann als »Zwirbeldirn« wirtshauserprobte<br />

Volksmusik von hier, da <strong>und</strong> ganz<br />

woanders, ohne Staub <strong>und</strong> Sofaflair, angerichtet<br />

mit drei Geigen, Kontrabass, der Bratsche<br />

Konrad, Dreigesang <strong>und</strong> einer Prise bröseltrockenem<br />

Humor.

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