Brot und Spiele - Münchner Feuilleton
Brot und Spiele - Münchner Feuilleton
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<strong>Münchner</strong> <strong>Feuilleton</strong><br />
I KULTUR · KRITIK · KONTROVERSEN I<br />
JANUAR<br />
NR. 04 · 14.01. – 11.02.2012 · 2,50 EURO · www.muenchner-feuilleton.de<br />
MUSIK SEITE 20<br />
»Wagner hat die Musikgeschichte<br />
verändert«<br />
Unter der musikalischen Leitung von<br />
Kent Nagano wird 2012 Richard Wagners<br />
»Ring des Nibelungen« neu auf<br />
die Bühne der Bayerischen Staatsoper<br />
gebracht. Ein Mammutprojekt.<br />
FILM SEITE 04<br />
Foto: Wilfried Hösl<br />
»Die Welt braucht das Kino«<br />
Regisseur Edgar Reitz spricht über sein<br />
neues Filmprojekt, Untreue im Filmgeschäft<br />
<strong>und</strong> die Eitelkeit der Melancholie.<br />
STADTBILD SEITE 08<br />
© Edgar Reitz Filmproduktion<br />
Ein Blick in die gepackten Koffer:<br />
Den Weg zurück ins Leben, nach dem<br />
Holocaust, zeichnet eine Ausstellung<br />
im Jüdischen Museum nach – speziell<br />
auch in Föhrenwald bei Wolfratshausen,<br />
einer der Anlaufstellen <strong>und</strong> Zwischenstationen<br />
jüdischer Überlebender.<br />
MÜNCHNER KÖPFE SEITE 15<br />
Der Urbayer <strong>und</strong> der Anarchist:<br />
An die Schauspieler Beppo Brem <strong>und</strong><br />
Jörg Hube erinnern zwei durchaus<br />
unterschiedliche Ausstellungen.<br />
BÜHNE SEITE 18<br />
Kritikenr<strong>und</strong>schau: die jüngsten<br />
Premieren an den Kammerspielen<br />
<strong>und</strong> im Residenztheater.<br />
LITERATUR SEITE 24<br />
Foto: Arno Declair<br />
Die Kritiker-Jury empfiehlt »Die<br />
deutsche Seele« von Thea Dorn<br />
<strong>und</strong> Richard Wagner als eines der<br />
Sachbücher des Monats. Für den<br />
Historiker Wolfgang Benz ist das Werk<br />
eine Ansammlung von Banalitäten.<br />
MÜNCHNER FEUILLETON<br />
BREISACHERSTRASSE 4 I 81667 MÜNCHEN<br />
Foto: Gila Sonderwald<br />
Der nackte Wahnsinn: Das ist das, was echten Künstlern ja angeblich aus den Augen blitzt. Sie sind Grenzgänger im Kampf<br />
um Gleichgewicht, Geld <strong>und</strong> Anerkennung. Hoffnungsfroh am Jahresanfang, bis die Förderungen bekannt gegeben werden.<br />
Bleibt man im Spiel? Fliegt man raus? Welche Tür ist die richtige? Umschulen? Das Lustspielhaus zeigt<br />
Michael Frayns Theater-Albtraum mit aller Lust am Schmerz, den die Darsteller aufzubieten haben. Mehr auf Seite 17.<br />
<strong>Brot</strong> <strong>und</strong> <strong>Spiele</strong><br />
Kunst ist teuer – Wirtschaftskrisen sind es auch. Deshalb ist das Gejammer über Unternehmen,<br />
die sich aus der Kulturförderung zurückziehen, gerade groß. Aber mal im Ernst: Zu welcher Zeit<br />
haben Künstler sich denn nicht über den Geiz der Geldgeber beschwert?<br />
Dagobert Duck, die reichste Ente der Welt,<br />
besitzt laut Berechnung führender Donaldisten<br />
ein Barvermögen von 13 Trillionen, 224<br />
Billionen, 567 Milliarden, 778 Millionen<br />
Talern <strong>und</strong> 16 Kreuzern. Sein gesch<strong>und</strong>ener<br />
Neffe Donald versucht nun schon beinahe ein<br />
Comicjahrh<strong>und</strong>ert lang, ihm zumindest ein<br />
paar Taler zu entlocken. Ähnlich dürften sich<br />
auch viele Kulturschaffende fühlen, die verzweifelt<br />
versuchen, bei Unternehmen ein paar<br />
Euro locker zu machen, um ihr Festival, ihre<br />
Performance, ihre Ausstellung fi nanzieren zu<br />
können.<br />
Kunst ist teuer – Wirtschaftskrisen sind<br />
es leider auch. Und deshalb ist das Geschrei<br />
gerade besonders groß, denn aus der Kulturförderung<br />
zieht sich ein Dagobert natürlich<br />
als erstes zurück, wenn es ihm an den Geldspeicher<br />
geht. Das ist sehr schade. Dennoch<br />
ist der aktuell besonders laut geäußerte<br />
Unmut über die Knausrigkeit der Privatwirtschaft<br />
übertrieben. Denn erstens wurde<br />
immer <strong>und</strong> zu jeder Zeit über den Kulturgeiz<br />
geschimpft – auch in wirtschaftlich besseren<br />
Zeiten. Und zweitens kann man halt niemanden<br />
zur Kulturförderung zwingen.<br />
Künstler <strong>und</strong> Förderer gehen von zwei<br />
unterschiedlichen Moralvorstellungen aus,<br />
die man schlecht gegeneinander ausspielen<br />
kann: Der Kulturjünger schreit nach dem<br />
Mäzen, der uneigennützig gibt <strong>und</strong> sich nicht<br />
einmischt, einfach so, der guten Sache<br />
wegen. Die Privatwirtschaft aber ist Anhänger<br />
des Euergetismus, in dem das Mäzenatentum<br />
als Herrschaftsprinzip verstanden<br />
wird <strong>und</strong> man auf <strong>Brot</strong> <strong>und</strong> <strong>Spiele</strong> baut:<br />
LIEBE LESERINNEN UND LESER !<br />
Schenk dem Volk einen Aquädukt <strong>und</strong> es<br />
wird dich lieben <strong>und</strong> akzeptieren (<strong>und</strong> deine<br />
Produkte kaufen).<br />
Heute bauen Siemens, BMW <strong>und</strong> Eon<br />
zwar keine Aquädukte mehr, aber in hellenistischer<br />
Tradition fördern sie (noch) Theater,<br />
Musik, bildende Kunst, Film. Wenn diese Förderung<br />
nicht mehr in den Schlachtplan passt,<br />
dann hat der Künstler: Pech. Das ist blöd, war<br />
aber schon immer so. Zu jedem Zeitpunkt im<br />
Kulturfahrplan ging es irgendeinem Gönner<br />
mal schlechter als zuvor <strong>und</strong> diesem oder<br />
jenem Künstler wurde der Geldhahn zugedreht.<br />
Nach dem Niedergang der Medici, die<br />
die halbe Renaissance fi nanziert hatten, ist<br />
das Abendland auch nicht untergegangen.<br />
Bevor dieser Zeitung, deren Hauptaugenmerk<br />
die Kultur ist, nun die politische Gelbsucht<br />
attestiert wird: Auch das <strong>Münchner</strong><br />
<strong>Feuilleton</strong> baut auf das Geld der Privatwirtschaft,<br />
da wir, mal besser, mal schlechter,<br />
werbefinanziert sind. Speziell in diesem<br />
Bereich ist die Wirtschaftskrise spürbar <strong>und</strong><br />
auch wir wollen, dass Unternehmen sich für<br />
die Kunst engagieren: dauerhaft, großzügig!<br />
– allerdings kann man sich das nur wünschen<br />
<strong>und</strong> nicht rumpelstilzig verlangen.<br />
Das uneigennützige Mäzenatentum, es<br />
ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit.<br />
Charles Dickens, dessen 200. Geburtstag in<br />
diesem Februar begangen wird, hat über solche<br />
Großzügigkeit eine schöne Versuchsanordnung<br />
in einen Roman gepackt: »Große<br />
Erwartungen« erzählt vom jungen Pip, der<br />
durch einen anonymen Gönner gesellschaft-<br />
Schön, dass Sie die Nr. 4 des <strong>Münchner</strong> <strong>Feuilleton</strong>s in Händen halten. Wir wünschen Ihnen viel<br />
Vergnügen mit der neuen Ausgabe. Lassen Sie uns wissen, was Ihnen gefällt <strong>und</strong> was Ihnen fehlt –<br />
wir freuen uns auf Ihre Anregungen! Wenn Sie möchten, dass das <strong>Münchner</strong> <strong>Feuilleton</strong> monatlich zu<br />
Ihnen kommt: Mehr über unser Förderabo fi nden Sie auf S. 23 im Impressum.<br />
lich aufsteigt, wobei sich die Sache mit dem<br />
Mäzen natürlich komplizierter entpuppt als<br />
gedacht. Dickens, der hier nebenbei auch<br />
eine der schönsten Liebesgeschichten der<br />
Literaturgeschichte geschrieben hat, machte<br />
aus der Not eine Tugend <strong>und</strong> sanierte mit<br />
dem Roman als Fortsetzungsgeschichte das<br />
von ihm herausgegebene Magazin »All The<br />
Year Ro<strong>und</strong>«, für das sich zuvor weder ausreichend<br />
Leser noch Geldgeber gef<strong>und</strong>en hatten.<br />
Irgendwie geht es also immer. Die Kultur<br />
ist nicht vom Aussterben bedroht (Fakten-<br />
Check: Beweise auf Seite 2 dieser Ausgabe).<br />
Vielleicht lässt sich das Wehklagen der Kunstszene<br />
ja auch positiv deuten als Ausdruck<br />
sublimierter romantischer Motive, auf dass<br />
das Leid die Schaffenskraft animiere. Bei<br />
Franz Grillparzer heißt es: »Für das Geliebte<br />
leiden ist so süß ...« ||<br />
DAVID STEINITZ<br />
Einen guten Start ins neue Jahr wünscht Ihnen<br />
Ihr MÜNCHNER FEUILLETON<br />
info@muenchner-feuilleton.de
SPOT<br />
SEITE 02 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
Münchens Privatwirtschaft<br />
engagiert<br />
sich trotz ständigen<br />
Krisengeredes weiter<br />
stark für die Kultur.<br />
SVEN SIEDENBERG<br />
Krise? Welche Krise? Die<br />
Wirtschaft in Bayern<br />
brummt. Trotz fauler<br />
Kredite <strong>und</strong> hektischer<br />
Umschuldungen, trotz<br />
schwankender Börsenkurse<br />
<strong>und</strong> schwindender<br />
Bonität. Ach so, das<br />
Energieunternehmen<br />
E.ON hat angekündigt,<br />
dem Theaterfestival »Radikal<br />
jung« die fi nanziellen Mittel<br />
zu streichen. Fies? Und wie! Droht<br />
jetzt der kulturelle Kahlschlag?<br />
Eher nicht.<br />
Haus der Kunst<br />
Hochschule<br />
für Musik<br />
<strong>und</strong> Theater<br />
Volkstheater<br />
Keine Frage: Der Rückzug<br />
von E.ON ist ein herber<br />
Schlag für das Volkstheater,<br />
fungierte der Konzern<br />
doch bisher als Hauptsponsor<br />
des 300.000 Euro teuren Festivals.<br />
Durch die politische Entscheidung,<br />
aus der Atomenergie auszusteigen,<br />
hat sich der Sparzwang für das<br />
Unternehmen jedoch immens<br />
erhöht. Deshalb wird die <strong>Münchner</strong><br />
Firmenzentrale nun im Sommer<br />
geschlossen <strong>und</strong> deshalb fallen 1500<br />
Arbeitsplätze weg. »Unser Engagement<br />
im Kulturbereich ist standortgeb<strong>und</strong>en«,<br />
erklärt E.ON-Sprecherin<br />
Gräfi n von Posadowsky. »Es<br />
macht für uns einfach keinen<br />
Sinn, ein Theaterfestival an<br />
einem Ort zu unterstützen, an<br />
dem wir in Zukunft nicht mehr<br />
präsent sein werden.« Das verstehen<br />
sogar die betroffenen Theatermacher.<br />
»Die Standortschließung<br />
hat nichts mit der Finanzkrise zu<br />
tun«, sagt Volkstheater-Pressesprecher<br />
Frederik Mayet, »sondern mit<br />
der Umstrukturierung des Konzerns.«<br />
Zwar werde es schwierig<br />
ohne das dringend benötigte Geld<br />
von E.ON, aber man sei optimistisch,<br />
einen neuen Sponsor zu fi nden.<br />
»Wir werden jedenfalls alles<br />
tun, um das Festival am Leben zu<br />
erhalten.«<br />
Der Optimismus ist gerechtfertigt.<br />
Gerade hat München wieder den<br />
Titel »Wirtschaftsstärkste Metropole<br />
Deutschlands« verliehen<br />
bekommen. Hier gibt es die<br />
meisten Unternehmenszentralen,<br />
die größte Kauf-<br />
Hochschule<br />
für Fernsehen<br />
<strong>und</strong> Film<br />
NS-Dokumentationszentrum<br />
Spielart<br />
kraft, die üppigsten<br />
Steuereinnahmen.<br />
Und während<br />
anderswo Kultureinrichtungen<br />
wegen der<br />
Finanzkrise schließen (Schauspielhaus<br />
Wuppertal, Rose Museum<br />
Boston) oder mit schmerzhaften<br />
Einschnitten rechnen müssen<br />
(Staatstheater Schwerin, Philadelphia<br />
Orchestra), wurde in der Landeshauptstadt<br />
der millionenschwere<br />
Neubau der Hochschule für Fernsehen<br />
<strong>und</strong> Film eröffnet. Auch gibt es<br />
Geld für das NS-Dokumentationszentrum,<br />
die Sanierung des<br />
Deutschen Theaters sowie für<br />
die Neugestaltung des Stadtmuseums.<br />
Andererseits stimmt es natürlich,<br />
dass die hiesige öffentliche<br />
Hand angesichts der angespannten<br />
Haushaltslage es nicht mehr duldet,<br />
dass Budgets überzogen werden.<br />
Und ja doch, das Geld für die regelmäßigen<br />
Tarifsteigerungen der<br />
Angestellten könnte man auch für<br />
die Kunst selbst gut verwenden.<br />
Aber jenseits vereinzelter Kürzungen<br />
<strong>und</strong> moderater Konsolidierungspakete<br />
in den städtischen <strong>und</strong><br />
staatlichen Kulturetats darf man<br />
erfreut feststellen, dass außer E.<br />
ON bisher kein Unternehmen<br />
sich aus laufenden Public-Private-Partnership-Projekten<br />
in<br />
München zurückziehen will.<br />
Schörghuber unterstützt weiterhin<br />
großzügig das Haus der Kunst,<br />
BMW engagiert sich weiterhin bei<br />
SpielArt <strong>und</strong> dem Dance-Festival,<br />
Allianz fördert weiterhin die Hochschule<br />
für Musik <strong>und</strong> Theater, Philip<br />
Morris gibt weiterhin viel Geld<br />
für das Kunstvermittlungsprogramm<br />
der Pinakotheken<br />
Pinakotheken<br />
aus, die Versicherungskammer<br />
Bayern sponsert<br />
weiterhin »Jugend musiziert«.<br />
Und auch bei Sie-<br />
mens, wo vor zwei Jahren das »Arts<br />
Program“ eingestellt worden ist,<br />
legt man Wert auf die Feststellung,<br />
dass das Kulturprogramm damals in<br />
die Stiftung überführt worden sei.<br />
»Wir heißen seither einfach<br />
anders«, sagt Karolin Timm-<br />
Wachter. Das Budget sei nahezu<br />
Arts Program<br />
gleichgeblieben.<br />
Fragt man Toni Schmid, über Parteigrenzen<br />
hinweg anerkannte Fachkraft<br />
des Bayerischen Kultusministeriums,<br />
was er von dem<br />
anschwellenden Krisengeraune<br />
halte, antwortet er: »Kultur ist<br />
immer in der Krise«. Immer<br />
sei zu wenig Geld da.<br />
Immer gebe es Verteilungskämpfe.<br />
Weshalb es eben<br />
vorkomme, dass Kürzungen<br />
erst einmal beschlossen,<br />
dann aber auch wieder zurückgenommen<br />
werden – wie zuletzt bei<br />
der Bayerischen Staatsbibliothek,<br />
die zunächst mit 1,4 Millionen Euro<br />
weniger auskommen sollte, schließlich<br />
aber nur 200.000 Euro einsparen<br />
musste. Gewandelt habe sich in<br />
der jüngeren Finanzkrisenzeit, fi ndet<br />
Schmid, vor allem das<br />
Klima. »Die Bereit-<br />
schaft, Kooperationen<br />
einzugehen, ist so groß<br />
wie nie.«<br />
Das fi ndet auch Unternehmensberater<br />
Roland Berger, bekennender<br />
Musenfre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kultursponsor.<br />
Sponsoring, so sein Credo,<br />
schaffe eine klassische Win-Win-<br />
Situation. »Die Kulturschaffen-<br />
den profi tieren, weil viele<br />
Projekte sonst nicht realisiert<br />
werden könnten. Die<br />
Unternehmen wiederum<br />
steigern durch Kultursponsoring<br />
ihre Reputation <strong>und</strong> damit<br />
ihren Marktwert.« Sponsoring helfe<br />
zudem, neue K<strong>und</strong>enkreise zu<br />
erschließen, Mitarbeiter zu motivieren<br />
<strong>und</strong> kreative Köpfe zu rekrutieren.<br />
Und handele es sich beim<br />
Sponsoring letztlich nicht auch um<br />
verkappte Konjunkturprogramme?<br />
Deutsches<br />
Theater<br />
Bayerische<br />
Staatsbibliothek<br />
Stadtmuseum<br />
Zum Schluss gute Nachrichten aus<br />
Frankreich. Dort wurde soeben<br />
beschlossen, den Kultur-Etat um<br />
knapp 1 Prozent auf nun 7,9 Milliarden<br />
Euro anzuheben. Die<br />
Franzosen haben scheinbar<br />
verstanden, was Münchens<br />
Kulturreferent Hans-Georg<br />
Küppers schon länger predigt:<br />
»Kultur ist nicht die Sahne<br />
auf dem Kuchen, sondern die Hefe<br />
im Teig.« ||<br />
Dance<br />
Festival<br />
Die<br />
Hefe<br />
im<br />
Teig<br />
Jugend<br />
musiziert
Der<br />
digitale<br />
Hut<br />
geht<br />
um<br />
Anzeige<br />
1<br />
MATTHIAS LEITNER<br />
Schon war die Million beisammen<br />
<strong>und</strong> der »Stromberg«-Kinofi lm mit<br />
Hilfe von Crowdf<strong>und</strong>ing fi nanziert,<br />
noch 2012 wird gedreht. Nachdem<br />
Regisseur Sergej Moya im Dezember<br />
2011 mit seinem Erotikfilm<br />
»Hotel Desire« vorgemacht hat, wie<br />
eine alternative Finanzierung<br />
abseits der altbekannten Förderwege<br />
funktionieren kann <strong>und</strong> sein<br />
Film zum Downdload-Hit geworden<br />
ist, präsentiert sich mit »Stromberg«<br />
das aktuell größte Crowdf<strong>und</strong>ing-<br />
Projekt in Deutschland. Die Macher<br />
hatten eine Woche lang allein über<br />
die Homepage geworben <strong>und</strong> die<br />
Fangemeinde der seit 2004 laufenden<br />
Fernsehserie hat dann für den<br />
Rest gesorgt: das Geld. In den Vereinigten<br />
Staaten ist es mittlerweile<br />
normal, dass große Bands wie Public<br />
Enemy oder Filmemacher wie<br />
Jennifer Fox, die 2011 mit der über<br />
Crowdf<strong>und</strong>ing fi nalisierten Langzeitbeobachtung<br />
eines Gurus, »My<br />
Reincarnation«, auf dem DOK.fest<br />
München zu Gast war, auf Internet-<br />
Plattformen ihre Projekte vorstellen,<br />
um diese dann mit Hilfe einer digitalen<br />
Community zu fi nanzieren. In<br />
Deutschland hat es natürlich wieder<br />
ein bisschen länger gedauert, doch<br />
1<br />
1<br />
seit Ende 2010 können Projekte auf<br />
Seiten wie der <strong>Münchner</strong> Plattform<br />
»mySherpas« oder bei »startnext«<br />
vorgestellt werden. Das Prinzip ist<br />
einfach: Wer genügend Spender für<br />
das selbstdefi nierte Finanzierungsziel<br />
fi ndet, bekommt das Geld <strong>und</strong><br />
kann loslegen, ansonsten erhält<br />
jeder Spender seinen Vertrauensvorschuss<br />
wieder zurück – auf diese<br />
Art wurde beispielsweise auch das<br />
<strong>Münchner</strong>-Magazin »deinblick«<br />
(mehr dazu auf Seite 7) fi nanziert.<br />
Momentan stellt sich auf der Plattform<br />
von »startnext«, neben allerlei<br />
Kurzfi lm-, Foto- <strong>und</strong> Buchprojekten<br />
beispielsweise ein Literaturwettbewerb<br />
der Literaturstiftung Bayern<br />
vor: heute.gestern.morgen. Die<br />
Macher erhoffen sich neben einem<br />
Betrag von 2000 Euro, der schließlich<br />
als Preisgeld in den Wettbewerb<br />
fl ießen soll, vor allem eine junge<br />
netzaffi ne Zielgruppe zu erreichen.<br />
Doch auch wenn der Markt kontinuierlich<br />
wächst, die wenigsten Projekte<br />
erreichen am Ende eine Finanzierung<br />
<strong>und</strong> auch spannende<br />
Vorhaben scheitern zuweilen. So ist<br />
ein Studentenfi lmprojekt, das mit<br />
Hilfe von »Gamecast TV« realisiert<br />
werden sollte, auf »startnext« durch-<br />
gefallen. Das Forschungsprojekt<br />
»Gamecast TV« der Hochschule<br />
Mittweida ist eine Mischung aus<br />
Fernsehen <strong>und</strong> Videospiel, das<br />
künftig als eine Art digitales Filmstudio<br />
für interaktive Erzählungen<br />
in Onlinewelten dienen soll <strong>und</strong><br />
auch schon auf der gamescom in<br />
Köln vorgestellt wurde. Projektleiter<br />
Thomas Schmieder fasst seine<br />
Crowdf<strong>und</strong>ing-Erfahrung folgendermaßen<br />
zusammen: »Was wir vor<br />
allem über Crowdf<strong>und</strong>ing erreicht<br />
haben, ist, dass viele Leute zwar<br />
nicht spenden, aber direkt am Projekt<br />
mitarbeiten wollten. Auf diese<br />
Weise haben wir dann viele Unterstützer<br />
<strong>und</strong> Praktikanten gef<strong>und</strong>en.«<br />
Die Finanzierung des revolutionären<br />
Projekts läuft jetzt über die altbekannten<br />
Wege <strong>und</strong> noch 2012 soll<br />
»Gamecast TV« vorgestellt werden.<br />
Wer sich auf das Abenteuer Crowdf<strong>und</strong>ing<br />
einlässt, sollte also ein<br />
dickes Fell haben, denn als alternative<br />
Finanzierungsform für freie<br />
Kunstprojekte ist Crowdf<strong>und</strong>ing noch<br />
eine Spielwiese: Vielleicht klappt es,<br />
vielleicht nicht, aber so ist es eigentlich<br />
auch immer im Leben. ||<br />
SPOT<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 03<br />
1<br />
Für die einen ist<br />
es digitales Betteln,<br />
für die meisten einfach<br />
eine moderne<br />
Finanzierungsform<br />
<strong>und</strong> vor allem in<br />
Zeiten knapper<br />
öffentlicher Gelder<br />
attraktiv:<br />
Crowdf<strong>und</strong>ing.
FILM<br />
SEITE 04 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
»Die<br />
Welt<br />
braucht<br />
das<br />
Kino«<br />
Seine »Heimat«-Trilogie ist legendär:<br />
Regisseur Edgar Reitz spricht über<br />
sein Serienepos, ein neues Filmprojekt,<br />
Untreue im Filmgeschäft <strong>und</strong><br />
die Eitelkeit der Melancholie.<br />
DAVID STEINITZ<br />
Herr Reitz, ab dem Frühjahr drehen Sie<br />
Ihren nächsten Film. Sind Sie nach so vielen<br />
Jahrzehnten im Filmgeschäft noch aufgeregt?<br />
Ja sicher, immer. Man kann im Filmgeschäft<br />
nie lernen, was man ein für alle Mal zu tun<br />
hat.<br />
Der Film wird dem Geist Ihrer »Heimat«-<br />
Trilogie folgen <strong>und</strong> heißt »Die andere Heimat«.<br />
Worum wird es gehen?<br />
Die Geschichte ist um 1840 angesiedelt, im<br />
Hunsrück, also der Gegend, in der auch die<br />
»Heimat« spielt. Das war die Zeit der Massenauswanderungen.<br />
Nicht nur aus Deutschland,<br />
sondern aus Europa überhaupt haben damals<br />
tausende Menschen ihre Heimat verlassen<br />
<strong>und</strong> sind in die USA oder nach Südamerika<br />
ausgewandert. Vom Hunsrück aus sind die<br />
Leute hauptsächlich nach Brasilien emigriert,<br />
<strong>und</strong> der Film spielt im Vorfeld einer solchen<br />
Auswanderung. Eine Familiengeschichte um<br />
zwei Söhne, es geht um das Thema weggehen<br />
oder hierbleiben.<br />
Warum wieder weiter zurück in die Vergangenheit<br />
<strong>und</strong> nicht näher an die Zukunft,<br />
dort wo die letzte »Heimat« aufhörte?<br />
Diese Geschichte beschäftigt mich schon seit<br />
zwanzig Jahren, ich wollte sie seitdem erzählen<br />
<strong>und</strong> jetzt ist einfach die richtige Gelegenheit<br />
dazu.<br />
»Die andere Heimat« drehen Sie nicht wie<br />
zuvor fürs Fernsehen, sondern fürs Kino.<br />
Ja, das ist ganz eindeutig ein Projekt für die<br />
große Leinwand. Wir werden im Cinema-<br />
Scope-Format drehen. Und das, was ich mir<br />
schon immer gewünscht habe, nämlich in der<br />
Tradition der Kinogeschichte weiterzuarbeiten,<br />
wird hiermit erfüllt.<br />
Und an der Kamera wird wie bei den letzten<br />
beiden »Heimat«-Teilen Ihr Sohn stehen?<br />
Nein, ich arbeite wieder mit Gernot Roll<br />
zusammen, mit dem ich bereits die erste »Heimat«<br />
gemacht habe, eine alte Arbeitfre<strong>und</strong>schaft,<br />
die hier wieder aufgegriffen wird.<br />
Film ist ein Medium, das sehr mit der Zeit<br />
spielt, gerade in ihrem Mammutprojekt »Heimat«.<br />
Sind Filmemacher Melancholiker?<br />
Also das mit der Melancholie ist gerade wieder<br />
so eine Modeerscheinung, durch Lars von<br />
Trier zum Beispiel. Das hat es schon immer<br />
gegeben, um das Jahr 1900 war die Melancholie<br />
auch in Mode. Ich halte davon nichts, das<br />
ist immer ein Zeichen von kultureller Dekadenz.<br />
Ich fi nde, wir müssen unseren Job nicht<br />
anders betrachten als andere. Das Filmemachen<br />
ist in erster Linie ein Handwerk, das<br />
man beherrschen muss. Der Umgang mit den<br />
Inhalten sollte nach Möglichkeit nicht dazu<br />
führen, dass man sich selbst mit seinem Stoff<br />
verwechselt. Es geht immer darum, das, was<br />
man zu erzählen hat, aus seinem eigenen<br />
Innern in die Welt zu tragen <strong>und</strong> es verständlich<br />
zu machen. Der Künstler, der sich im<br />
Weltschmerz der Welt entziehen will, ist eine<br />
eitle Figur. So ein Künstler will sich selbst in<br />
den Mittelpunkt stellen <strong>und</strong> nicht seine<br />
Geschichte.<br />
Eigentlich haben Sie mit »Heimat« die<br />
amerikanischen Serienepen der letzten zehn<br />
Jahre vorweggenommen, diese breit angelegte<br />
Erzählstruktur im Fernsehen. Verfolgen<br />
Sie diese Serien?<br />
Ja, zum Teil schon. Aber ich fand bisher, dass<br />
sie nicht wirklich das weiterentwickeln, was<br />
wir epische Erzählweise nennen. Diese Serien<br />
sind doch sehr stark von einer Suspense-Kultur<br />
geprägt. Jede Folge muss einen Spannungsbogen<br />
haben, in jeder Folge wird nach<br />
einem emotionalen Ergebnis gesucht. Das ist<br />
aber nicht die eigentliche epische Vorgehensweise.<br />
Die führt nämlich ganz im Gegenteil zu<br />
einer Entspannung. Zu einem Zustand, in<br />
dem man anfängt, die Zeit wahrzunehmen,<br />
wo die Zeit selbst zum Thema wird, wo ich<br />
meine eigene Lebenszeit als Betrachter mit<br />
ins Spiel bringen kann. Epos bedeutet Zeiterzählung.<br />
Die amerikanische Kultur leidet aber<br />
unter Zeitmangel. Im Kino fi ndet man diese<br />
epische Erzählweise vor allem in Italien, bei<br />
Ermanno Olmi, Vittorio de Sica, Fellini, Visconti.<br />
Diesem Kino habe ich mich immer sehr<br />
zugehörig gefühlt, aber natürlich auch dem<br />
asiatischen. Kurosawa war ein großer Epiker.<br />
Gehen Sie denn aktuell noch viel ins<br />
Kino?<br />
Natürlich. Was die Kinogeschichte jedes Jahr<br />
aufs Neue beweist, ist, dass sie nach wie vor<br />
kulturell das ist, was die Welt braucht. Das<br />
Kino ist eine Weltkultur, die sich jenseits nationaler<br />
<strong>und</strong> ökonomischer Grenzen abspielt.<br />
Jeder, der für das Kino arbeitet, hat daran teil,<br />
<strong>und</strong> ich habe mich immer als Kinoregisseur<br />
gefühlt – auch bei der »Heimat«-Trilogie. Die<br />
Maßstäbe fürs Erzählen <strong>und</strong> für die Bildästhetik<br />
kommen alle aus dem internationalen<br />
Kino.<br />
Also ist die Unterscheidung zwischen<br />
Kino <strong>und</strong> Fernsehen sek<strong>und</strong>är?<br />
Es geht um das, was man im Französischen<br />
»cinéma« nennt. Eine Erzählweise, die natürlich<br />
mal aus den Lichtspielhäusern hervorgegangen<br />
ist, sich aber inzwischen verselbstständigt<br />
hat. Ich unterscheide nur zwischen<br />
Produktions- <strong>und</strong> Distributionsmedien.<br />
Sowohl die Kinos als auch das Fernsehen sind<br />
Distributionshäuser – mittlerweile auch das<br />
Internet. Aber das ist nicht die eigentliche<br />
gestalterische Ebene, das ist <strong>und</strong> bleibt meine<br />
cineastische Tätigkeit.<br />
Sie haben immer viel unterrichtet. Haben<br />
es junge Filmemacher heute leichter als früher?<br />
Der Anfang ist leichter, die Fortsetzung<br />
schwerer. Obwohl die Regieklassen der Film-<br />
Alle Fotos: © Edgar Reitz Filmproduktion GmbH<br />
hochschulen sehr klein sind, machen doch<br />
deutschlandweit jedes Jahr 50 bis 80 Regisseure<br />
ihren Abschluss. So gut wie jeder von<br />
denen hat die Chance, seinen ersten Film zu<br />
machen, die werden ja alle gefördert. Wenn<br />
der erste Film Erfolg hat, geht es ein bisschen<br />
leichter weiter. Wenn er keinen Erfolg hat,<br />
geht es gar nicht weiter. Und von diesen 50<br />
bis 80 Regisseuren, die alle ihre Träume<br />
haben, bleiben vielleicht fünf übrig. Das ist<br />
das Problem unseres Filmfördersystems: Es<br />
ist ein System der Untreue. Man entdeckt<br />
Leute, pusht sie <strong>und</strong> lässt sie dann sitzen. Das<br />
ist so, als ob man gr<strong>und</strong>sätzlich mit einem<br />
Partner nur einmal ins Bett geht. In dieser<br />
Form kann sich keine wirkliche Liebe entwickeln.<br />
Das empfi nde ich schon seit Jahren als<br />
Skandal.<br />
Und in Ihren Anfängen?<br />
Da war es genau umgekehrt. Der erste Film<br />
war eine Wahnsinnshürde, man hat zehn<br />
Jahre gebraucht, bis man das geschafft hat. In<br />
diesen zehn Jahren hat man das Überleben<br />
gelernt. Die heutigen Filmschüler lernen das<br />
Überleben erst nach dem ersten Film. Und da<br />
habe ich große Zweifel, ob das die richtige<br />
Reihenfolge ist.<br />
Sie waren vor 50 Jahren einer der Unterzeichner<br />
des Oberhausener Manifests, das das<br />
Kino der Väter für tot erklärte <strong>und</strong> den Autorenfi<br />
lm forderte. Fehlt heute im deutschen<br />
Kino eine solche Gruppendynamik wie 1962?<br />
Ach, diese Gruppendynamik hat es doch nie<br />
gegeben. Die Oberhausener Gruppe war keine<br />
Gruppe. Das war ein ziemlich zufällig zusammengewürfelter<br />
Haufen, der sich in einem
China-Restaurant getroffen hatte <strong>und</strong> alle<br />
haben die Erklärung mit unterzeichnet. Richtig<br />
zusammengepasst haben wir nicht, wir<br />
hatten kein gemeinsam erfassbares künstlerisches<br />
Potential. Es sind dann noch einige<br />
Autorenfilmer nachgekommen, die dem<br />
Manifest eigentlich noch zuzurechnen wären,<br />
also Schlöndorff, Fassbinder, Herzog, Wenders<br />
<strong>und</strong> so weiter, die natürlich dazugehört<br />
hätten, die nur zufällig nicht an diesem Abend<br />
mit im Restaurant gesessen haben. Es gab in<br />
dieser Zeit einen Generationsaufbruch, der<br />
aber nicht identisch ist mit der Oberhausener<br />
Gruppe. Das Manifest war ein Bekenntnis zu<br />
einer Haltung, die insgesamt einfach fällig<br />
war.<br />
Mit all der Erfahrung, die Sie sammeln<br />
konnten, was wollten Sie in Ihrer Karriere als<br />
Filmdozent dem Nachwuchs unbedingt mit<br />
auf den Weg geben?<br />
Das Filmemachen ist für mich eine Autorentätigkeit,<br />
<strong>und</strong> eine Autorenschule hat ihre Grenzen.<br />
Zunächst mal würde ich sagen, man ist<br />
ein Autor oder man ist es nicht. Auf der anderen<br />
Seite kann eine Schule das Bewusstsein<br />
für die Ausübung dieser Tätigkeit schaffen.<br />
Wenn man Filme macht, ist man Teil der Filmgeschichte<br />
– <strong>und</strong> dieses Bewusstsein hat man<br />
nicht von Haus aus, das muss eine solche<br />
Schule vermitteln. Außerdem gibt es eine<br />
gewisse Systematik des Nachdenkens über die<br />
Werkzeuge des Filmemachens, auch das kann<br />
eine Schule vermitteln. Was ist eine Kamera,<br />
was ist ein Schnittwerkzeug? Fragen zu stellen,<br />
die man in der Praxis nicht stellt, weil<br />
man meint, man wüsste die Antwort. Alle<br />
»Heimat« - ein Jahrh<strong>und</strong>ertepos deutscher Geschichte<br />
Praktiker glauben, sie wüssten, wie es geht.<br />
Muss ein guter Regisseur immer auch ein<br />
Theoretiker <strong>und</strong> Kritiker des Kinos sein?<br />
Nein. Aber sobald man seinen zweiten oder<br />
dritten Film gemacht hat, gehört das Nachdenken<br />
darüber einfach dazu. Das Filmemachen<br />
ist ein viel zu komplexes Geschäft, als<br />
dass man sich da sein Leben lang spontan <strong>und</strong><br />
intuitiv durchbewegen könnte. Man braucht<br />
das Wissen über den eigenen Job, über die<br />
kulturgeschichtlichen Hintergründe, aber<br />
auch seine Ausdrucksmittel muss man kritisch<br />
betrachten.<br />
Sie haben als Motto einmal formuliert:<br />
»Versuche immer Schritt zu halten mit dem<br />
Leben, damit du es mit der Kamera beschreiben<br />
lernst«. 2012 werden Sie 80, fällt es Ihnen<br />
mittlerweile schwerer, Schritt zu halten?<br />
Das Alter ist eine widersprüchliche Angelegenheit.<br />
Einerseits weiß man immer mehr<br />
<strong>und</strong> kann besser mit vielen Dingen umgehen.<br />
Man hat mehr Übersicht über das eigene Tun.<br />
Andererseits nehmen die Kräfte ab. Man<br />
schafft nicht mehr den 16-St<strong>und</strong>en-Tag, sondern<br />
vielleicht nur noch den 10-St<strong>und</strong>en-Tag.<br />
Aber das ist auch der einzige Unterschied, den<br />
ich merke. ||<br />
EDGAR REITZ<br />
Jahrgang 1932, studierte Germanistik,<br />
Publizistik <strong>und</strong> Theaterwissenschaft<br />
in München. Er war Mitglied<br />
der Oberhausener Gruppe, die 1962<br />
den deutschen Autorenfilm hervorbrachte.<br />
1966 realisierte er seinen ersten<br />
Spielfilm »Mahlzeiten«, der in Venedig<br />
ausgezeichnet wurde. Es folgten<br />
diverse Spiel-, Dokumentar- <strong>und</strong><br />
Experimentalfilme. Reitz verfasste<br />
zahlreiche Schriften über Filmtheorie<br />
<strong>und</strong> Filmästhetik, ab 1994 war er<br />
Professor für Film an der Staatlichen<br />
Hochschule für Gestaltung in<br />
Karlsruhe. Mit der »Heimat«-Trilogie<br />
(1984–2000) hat Reitz ein Jahrh<strong>und</strong>ert-Epos<br />
deutscher Geschichte<br />
geschaffen – mit 54 St<strong>und</strong>en eine<br />
der längsten Erzählungen der Filmgeschichte,<br />
die weltweit große<br />
Anerkennung fand.<br />
Anzeige<br />
FILM<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 05<br />
ll<br />
MÜNCHEN<br />
IM FILM | 4<br />
FLORIAN GAAG<br />
WHOLETRAIN (2006)<br />
Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass ausgerechnet<br />
München immer wieder als Schauplatz<br />
von Florian Gaags Regiedebüt »Wholetrain«<br />
genannt wird? Gaag, der vier Jahre lang auf der<br />
Tisch School of the Arts in New York studiert hat,<br />
kommt zwar aus München, durchs Bild lässt er<br />
allerdings polnische Züge rollen. Denn die Deutsche<br />
Bahn wollte mit seiner Geschichte um zwei<br />
konkurrierende Sprayer-Crews nicht in Verbindung<br />
gebracht werden, weshalb es für deutsche<br />
Bahnhöfe keine Drehgenehmigungen gab; diese<br />
hat Gaag nach langer Suche dann erst in Warschau<br />
bekommen.<br />
Kein <strong>Münchner</strong> Lokalkolorit also, dafür umso<br />
mehr Warschau-Schnappschüsse, <strong>und</strong> in der<br />
Story selbst bleibt der Ort konsequent im Ungewissen:<br />
keine Adressen, keine Schilder an<br />
U-Bahn-Haltestellen oder sonstige Wegmarken.<br />
Wer »Wholetrain« sieht, wird wohl auch erst einmal<br />
Berlin oder Frankfurt fehl-identifi zieren <strong>und</strong><br />
nicht ausgerechnet München – zu dreckig-urban<br />
<strong>und</strong> schmelztiegelhaft kommt die fi ktive Filmstadt<br />
daher. Doch trotz allem: Immer wieder wird die<br />
bayerische Landeshauptstadt als Schauplatz<br />
genannt – die Toilettentüren, Straßenunterführungen<br />
<strong>und</strong> Stromkästen Münchens sind sogar noch<br />
heute mit »Wholetrain«-Werbestickern verziert.<br />
Liegt das vielleicht daran, dass München Sehnsucht<br />
nach ein wenig Subkultur im Kinoformat<br />
hat? Dass es angenehm ist, sich vorzustellen,<br />
Sprayerboss David <strong>und</strong> seine Crew zögen als<br />
maskierte Bilderstürmer mit ästhetischem Ehrgefühl<br />
in der Dose <strong>und</strong> brüderlicher Loyalität im<br />
Herzen durch die Nacht, um die Bahnen des<br />
MVV <strong>und</strong> die Züge der Deutschen Bahn zu<br />
schmücken?<br />
Bei genauem Hinsehen gibt es dann doch<br />
einige, freilich dezente München-Bezüge: Ein Sticker<br />
des alternativen Klamottenlabels Fuckuall,<br />
der auf einem Plattenspieler klebt, ein Logo des<br />
Basketball-Shops k1x auf der Mütze des Sprayer-<br />
Konkurrenten – der noch dazu vom <strong>Münchner</strong><br />
Rapper Roger Reckless gespielt wird – <strong>und</strong> natürlich<br />
an erster Stelle: die rollenden Graffi ti-Kunstwerke<br />
auf den polnischen Zügen. <strong>Münchner</strong><br />
Writer wie Cemnoz, Won oder Ciel haben sie<br />
gestaltet, mussten sich in Warschau gegen Crossings<br />
polnischer Sprüher wehren <strong>und</strong> haben trotz<br />
all der belegten feindlichen Übernahmeversuche<br />
ihren seit Mitte der 80er-Jahre weiterentwickelten<br />
Stil für den Ex-Writer Gaag vor die Kamera<br />
gebracht. Dass »Wholetrain« also am Ende immer<br />
als <strong>Münchner</strong> Kindl adoptiert wird, liegt eben<br />
nicht an irgendwelchen abfotografi erten Stadtwahrzeichen,<br />
nicht an zur Schau gestellter Seppl-<br />
Gemütlichkeit oder einem als typisch <strong>Münchner</strong>isch<br />
identifi zierten Snobismus – das alles hat es in<br />
diesem Fall glücklicherweise einmal nicht zur<br />
Filmreife geschafft. Es liegt vielmehr an einer Kultur,<br />
die klandestin blüht <strong>und</strong> sich zwangsläufi g,<br />
schon aufgr<strong>und</strong> des Strafgesetzbuches, niemals<br />
lautstark zu Wort meldet.<br />
ll<br />
MATTHIAS LEITNER<br />
Hässlich, sexy, liebevoll, arrogant, sonnig,<br />
versoffen, größenwahnsinnig, fantastisch,<br />
fanatisch, widerspenstig, geheimnisvoll ...<br />
In jeder Ausgabe stellen wir einen wichtigen<br />
München-Film vor – der jedes Mal ein neues<br />
Stadtbild enthüllt: Film-München.
FILM<br />
SEITE 06 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
Blut <strong>und</strong> Hoden<br />
Auf dem Filmfest München wurde das Neonazi-Drama »Kriegerin«<br />
im letzten Jahr immerhin zweifach ausgezeichnet, es scheitert letztlich<br />
aber doch an seiner Oberfl ächlichkeit.<br />
TIM SLAGMAN<br />
Der Nationalsozialismus <strong>und</strong> die Bilderproduktion,<br />
das ist eine heikle, vielschichtige<br />
Beziehung. Sie verläuft mindestens von den<br />
fetischisierenden, ordnungsgeilen (Halb-)<br />
Dokumentationen einer Leni Riefenstahl bis<br />
zu heutigen Spielfi lmen, die diese Ästhetik –<br />
mal bewusst, mal unbewusst – zitieren oder<br />
die Geisteshaltung, welche dahintersteckt, zu<br />
ihrem Sujet machen.<br />
»Kriegerin« möchte zur zweiten Kategorie<br />
gehören. Zu einer Sorte Film also, die als<br />
»wichtig« gilt, als aufklärerisch, mindestens<br />
aber als aufrüttelnd. Und in jedem Falle auch:<br />
als politisch. Auf dem diesjährigen <strong>Münchner</strong><br />
Filmfest gewannen Autor David Wnendt, der<br />
den Film als Abschlussarbeit an der HFF Potsdam<br />
auch inszenierte, <strong>und</strong> seine Hauptdarstellerin<br />
Alina Levshin den Förderpreis Deutscher<br />
Film in ihren jeweiligen Kategorien.<br />
Auch die Kritik zeigte sich durchweg angetan,<br />
ein »Besonders wertvoll« von der Filmbewertungsstelle<br />
gab es obendrauf. Die erste Merkwürdigkeit<br />
also – ein politischer Film, der<br />
offensichtlich niemandem wehtut. Denn das<br />
größte Verdienst von »Kriegerin« ist, dass er<br />
ein Lehrbeispiel abgibt für eine typisch fi lmische<br />
Auseinandersetzung mit dem Thema<br />
Rechtsextremismus – eine, die zurückschreckt<br />
vor der Komplexität, die dem Neonazismus<br />
innewohnt, wollte man ihn tatsächlich als<br />
Plötzlich war<br />
Revolution<br />
politisches Phänomen behandeln. Von dem<br />
australischen Skinhead-Schocker »Romper<br />
Stomper« (1992) über »American History X«<br />
(1998) bis zu »Kriegerin« äußert sich der Extremismus<br />
der Hauptfi guren primär stets in<br />
einem Hang zur <strong>und</strong> einem Rausch an der<br />
Gewalt. Bei David Wnendt ist es die 20-jährige<br />
Marisa, die mit ihrer Clique pöbelnd,<br />
prügelnd <strong>und</strong> saufend durch die Gegend um<br />
eine namenlose ostdeutsche Kleinstadt<br />
marodiert – unterlegt mit dröhnend lautem,<br />
eigens für den Film komponierten Nazi-<br />
Rock. In einer tatsächlich effektiv inszenierten<br />
Szene in der S-Bahn, gedreht mit nervöser<br />
Kamera – die manchmal auch durch ein<br />
Handy ersetzt wird, mit dem die Nazis ihre<br />
Untaten dokumentieren – zeigt sich das<br />
ästhetische Programm dieses zeitgenössischen<br />
Subgenres überdeutlich: Statt, wie<br />
Riefenstahl, eine hermetisch in sich geschlossene,<br />
rigide durchreglementierte Welt zu feiern,<br />
bricht der Nazismus in diesen Filmen als<br />
punktuelles Moment des Chaos <strong>und</strong> der<br />
Unordnung aus.<br />
Und selten wurde es so deutlich wie bei<br />
Wnendt, dass diese Gewalt zumeist eine<br />
sexualisierte ist <strong>und</strong> die Sexualität dieser Personen<br />
zwanghaft gewaltförmig. Natürlich lässt<br />
sich die Diagnose, auch jugendlicher Hormonüberschuss<br />
habe etwas mit der Genese<br />
»Neither Allah, Nor Master!« | Foto: Doc & Film International<br />
des Neonazis zu tun, schön saftig ins Bild<br />
pressen. Saftiger jedenfalls als das Problem<br />
der Arbeitslosigkeit (die kurz erwähnt wird),<br />
ein dysfunktionales Elternhaus oder die<br />
rechtsradikalen Ansichten der wichtigsten<br />
Bezugsperson, die für Marisa ihr über alles<br />
geliebter Opa darstellt.<br />
Der Regisseur hat intensiv in der Szene<br />
recherchiert, umso unverständlicher ist seine<br />
irreführende Begeisterung für das bloße<br />
Erscheinungsbild des Extremismus. Viel zu<br />
stiernackig <strong>und</strong> tumb setzt er Marisas Fre<strong>und</strong><br />
Sandro (Gerdy Zint) in Szene, viel zu deutlich<br />
<strong>und</strong> ubiquitär die Symbole <strong>und</strong> Insignien des<br />
NS <strong>und</strong> viel zu widerlich <strong>und</strong> schmierig den<br />
pseudointellektuellen Mentor der Clique.<br />
Dass derart oberfl ächlich sozialisierten Nazis<br />
die Läuterung nicht sonderlich schwerfällt,<br />
liegt auf der Hand – hier tritt sie alsbald in<br />
Form des afghanischen Flüchtlings Rasul<br />
MATTHIAS LEITNER<br />
»Tahrir 2011« | Foto: Pacha Pictures<br />
Hektisch wurden Kameraaugen ausgerichtet<br />
auf den Tahrir-Platz in Kairo, Mikrophone im<br />
donnernden Geschrei Tausender Demonstranten<br />
gepegelt, Druckerschwärze für Leitartikel<br />
<strong>und</strong> Kommentare angerührt. Vor allem<br />
Faszination <strong>und</strong> ungläubiges Staunen haben<br />
den westlichen Medienblick auf den »Arabischen<br />
Frühling« bestimmt. Mittlerweile ist das<br />
Staunen wieder verfl ogen <strong>und</strong> die nächste<br />
Quoten-Sau wird durchs globale Dorf getrieben:<br />
Plötzlich war die Revolution vorbei. Auf<br />
den 8. Mittelmeer-Filmtagen im <strong>Münchner</strong><br />
Gasteig gibt es ein Gegenprogramm zur kurzfristigen<br />
Medienmaschine: Im Eröffnungsfi lm<br />
»Microphone« pilgert ein Heimkehrer ganz<br />
gemächlich durch ein ihm unbekannt gewordenes<br />
Alexandria. Er entdeckt die neue Musik<br />
seiner widersprüchlichen Heimat <strong>und</strong> lernt<br />
dabei die Klüfte in der ägyptischen Gesellschaft<br />
zu sehen <strong>und</strong> zu verstehen. »Microphone«<br />
zeigt das Land vor der Revolution <strong>und</strong><br />
gibt seinen Zuschauern mit auf den Weg:<br />
Nichts geschieht aus heiterem Himmel. Die<br />
Dokumentation »Tahrir 2011 – The Good, the<br />
Bad, the Politician« konzentriert sich dann auf<br />
die 18 Tage währenden Proteste <strong>und</strong> stellt,<br />
aufgeteilt in drei Themenblöcke, die Fragen:<br />
Wer sind die Helden? Welcher Geist versteckt<br />
Alina Levshin als »Kriegerin« | Foto: Ascot Elite<br />
(Sayed Ahmad Wasil Mrowat) in die Handlung.<br />
Letztlich ergibt sich »Kriegerin« dem Faszinosum<br />
seiner Bilder des intensiven Lebens<br />
– <strong>und</strong> den Normierungen der Mainstream-<br />
Dramaturgie. Weder die erschreckend professionellen<br />
Mordserien rechter Terroristen in<br />
Norwegen <strong>und</strong> Deutschland noch die längst<br />
nicht mehr neue Strategie der NPD, auf Seriosität<br />
zu setzen statt auf Konfrontation <strong>und</strong><br />
Aggressivität, lassen sich so auch nur ansatzweise<br />
erschöpfend erklären. Wenn das Kino<br />
versucht, ein gesellschaftliches Problem in die<br />
Psyche einer Figur zu projizieren, gerät es<br />
schnell in die Klemme. ||<br />
»KRIEGERIN«<br />
D 2011. | Regie: David Wnendt | Ab dem 19.1.<br />
im Kino<br />
»Microphone« | Foto: Film Clinic<br />
sich hinter den Uniformen der reaktionären<br />
Polizeitruppen? Was für ein Mensch ist eigentlich<br />
der gestürzte Diktator Husni Mubarak?<br />
Die Mittelmeer-Filmtage bieten in diesem<br />
Jahr ein Programm, das politisch engagiert<br />
die Erzählweisen von Spiel- <strong>und</strong> Dokumentarfi<br />
lm kontrastiert. Die Filme zeugen davon,<br />
dass es fi ktionalen Stoffen zunehmend schwerer<br />
fällt, einer komplexen Wirklichkeit gerecht<br />
zu werden: So ist der Eröffnungsfi lm »Microphone«<br />
zwar gefällig inszeniert, erreicht aber<br />
niemals die erschütternde Dichte von Dokumentationen<br />
wie »Tahrir« oder »Neither Allah,<br />
Nor Master!«, in dem sich die religionskritische<br />
Regisseurin Nadia El Fani mit einer drohenden<br />
islamischen Radikalisierung Tunesiens<br />
nach der Revolte beschäftigt <strong>und</strong> damit<br />
auf eine unbestimmte Zukunft weist. ||<br />
DIE 8. MITTELMEER-FILMTAGE<br />
finden vom 13. bis zum 22. Januar im<br />
<strong>Münchner</strong> Gasteig statt.<br />
Das gesamte Programm finden Sie unter:<br />
www.filmstadt-muenchen.de
»Schlecht<br />
schmeckt besser«<br />
Meterhohe Blutfontänen, lächerliche Pappmonster in wackligen Kulissen,<br />
eingeölte Muskelberge <strong>und</strong> haufenweise Leichen. Trash ist fast<br />
schon ein anerkanntes Genre <strong>und</strong> gerade im Kino hat Scheiße mittlerweile<br />
verschiedenste Geschmacksrichtungen.<br />
RALPH GLANDER<br />
Geschmacksrichtung eins hat natürlich mit<br />
Talent zu tun: »Die Ambition ist größer als das<br />
Vermögen«, sagt Popkulturexperte Stefan<br />
Pannor (Spiegel-Online, Comixene), »sei es<br />
nun das fi nanzielle oder das künstlerische<br />
Vermögen. Wenn man mehr erreichen will,<br />
als man erreichen kann.« Diese Defi nition<br />
sollte aber noch um die nicht ganz unwichtige<br />
Komponente Belustigung erweitert werden.<br />
Ergebnis: Filme, die so schlecht sind, dass<br />
sie für gute Stimmung sorgen – Dilettantismus<br />
als Katalysator für lautes Lachen. Das<br />
wird wohl auf ewig mit dem Amerikaner<br />
Edward D. Wood Jr. verb<strong>und</strong>en sein. Dessen<br />
wohl bekanntestes, weil im »offiziellen<br />
Geschmackskanon« als schlechtestes Werk<br />
erachteter »Plan 9 aus dem Weltall« ist die<br />
Mutter unfreiwilliger Komik im Film. Dabei<br />
war Woods Anliegen nie, die Zuschauer zu<br />
belustigen. Zeit seines Lebens war er davon<br />
überzeugt, seriöse Filme zu drehen. Eine tragische<br />
Tradition des Scheiterns, die bis heute<br />
besteht. Uwe Boll wird wissen, was damit<br />
gemeint ist – oder eben auch nicht.<br />
Geschmacksrichtung zwei hat den gnadenlos<br />
vor sich hin nagenden Zahn der Zeit<br />
als Partner. Manchmal muss etwas erst zum<br />
Trash reifen – vergleichbar etwa mit gutem<br />
Whiskey oder Wein. Der Heimatfi lm der Fünfzigerjahre<br />
etwa, der durch ein verändertes<br />
Wertesystem heute nur noch Belustigung evoziert.<br />
Oder der testosterongeschwängerte<br />
amerikanische Actionfi lm der Achzigerjahre<br />
mit all seinen aufgepumpten Heroen, die sich<br />
meist ironiefrei durch die Reihen kommunistischer<br />
<strong>und</strong> antidemokratischer Feinde ballerten.<br />
Geschmacksrichtung drei setzt sich aus<br />
gänzlich anderen Inhalts- <strong>und</strong> Zusatzstoffen<br />
zusammen: der Intention, der Refl exion <strong>und</strong><br />
der Subversion. Und die wiederum beginnt<br />
Papier<br />
schöpfen<br />
Trotz oder wegen des Internets:<br />
Die Lust auf bedrucktes Papier ist<br />
ungebrochen. Projekte aus München<br />
<strong>und</strong> der Region zeigen, wie das Netz<br />
heute Druck macht.<br />
MARKUS KÖBNIK<br />
Es ist wirklich eine verdammte Drecksarbeit.<br />
Jeder, der schon mal ein Vereinsblättchen, ein<br />
selbstkopiertes Fanzine oder eine Hochzeitszeitung<br />
gemacht hat, weiß, was Blattmachen<br />
heißt: Lange Texte müssen in knappe Spalten<br />
passen, Bilder brauchen mehr Platz als<br />
geplant <strong>und</strong> Seitenzahlen werden relativ. Aber<br />
die verdammte Drecksarbeit lohnt sich – denn<br />
trotz Kindle, iPad <strong>und</strong> Co bietet bedrucktes<br />
Papier auch 2012 für die meisten Menschen<br />
mit der exzessiven Rezeption der Geschmacksrichtungen<br />
eins <strong>und</strong> zwei.<br />
Der Regisseur Thilo Gosejohann beispielsweise<br />
ist bekennender Trash-Gourmet<br />
<strong>und</strong> mit skurrilen Filmen wie »Captain Cosmotic«<br />
<strong>und</strong> »Operation Dance Sensation«<br />
bekannt geworden: »Ich bin Fan der alten<br />
Trash-Schule, also dem Film, der sich selbst<br />
gar nicht als Trash versteht. Es ist doch interessant,<br />
dass zum Beispiel schlechte Kamellen<br />
aus den Fünfzigern, die damals jeder gehasst<br />
hat, heute noch existent sind. Irgendwann<br />
dachte ich dann, dass man so etwas auch<br />
heute für wenig Geld produzieren kann.« Bei<br />
Gosejohann hat dieser Plan bestens funktioniert,<br />
arbeitet er doch mittlerweile für Pro 7<br />
oder schreibt satirische Hörspiele für den<br />
WDR. Angefangen hat aber alles mit seiner<br />
Leidenschaft für den schlechten oder abseitigen<br />
Film.<br />
Spätestens seit Quention Tarantino <strong>und</strong><br />
Robert Rodriguez in ihren Filmen infl ationär<br />
B-Movies <strong>und</strong> Exploitation-Filme zitierten<br />
<strong>und</strong> feierten, ist der vermeintlich schlechte<br />
Geschmack von gestern <strong>und</strong> vorgestern im<br />
Mainstream angekommen. Zahlreiche Filmenthusiasten<br />
unterzogen unter veränderten<br />
Rezeptionsbedingungen zahlreiche Nischenfi<br />
lme einer Neusichtung. Und siehe da: Trash<br />
war nicht mehr gleich Trash. Viele Exploitation-Filme<br />
<strong>und</strong> B-Movies der Vergangenheit<br />
haben weit mehr zu bieten als schlechten<br />
Geschmack: die Suspendierung bürgerlicher<br />
Werte, die Lust am Bizarren, Grotesken <strong>und</strong><br />
Abgründigen.<br />
Heute wird Trash als eigene Kunstrichtung<br />
wahrgenommen mit einer eigenen<br />
Ästhetik, die das Scheußliche <strong>und</strong> Unsinnige<br />
ostentativ zelebriert <strong>und</strong> zum Stilmittel<br />
erhebt. Der Schlüssel dazu ist die Ironie, die<br />
den Zuschauer bei allen geschmacklichen<br />
noch die angenehmste Art zu lesen. Und mit<br />
einem guten Layout <strong>und</strong> den richtigen<br />
Geschichten bekommen Magazine einen<br />
emotionalen Wert, den Homepages <strong>und</strong> Blogs<br />
nur schwer erreichen. Das Netz ist deswegen<br />
aber noch lange nicht das Gegenteil von Print<br />
– es ist eher ein zeitgemäßes Mittel, um neue<br />
Kreise für die analoge Lese-Welt zu erschließen.<br />
So wie beim Magazin »deinblick« aus<br />
München. Blattmacher Chris Schiebel setzt<br />
hier voll auf die Kreativität des Web 2.0 – soll<br />
heißen: Hier schreiben <strong>und</strong> fotografi eren die<br />
Leser ihr eigenes Heft voll. Der Endzwanziger<br />
gibt lediglich online ein Motto für die nächste<br />
Ausgabe vor, die sich dann durch »user generated<br />
content« in einem Zeitraum von vier<br />
Wochen füllt <strong>und</strong> nach einer Auswahl- <strong>und</strong><br />
Layout-Phase in Hochglanz präsentiert wird.<br />
In der Februar- Ausgabe geht es zum Beispiel<br />
um »pattern«, also Muster. Alles, was den<br />
Lesern dazu einfällt, kann eingereicht werden.<br />
Von der Tierfell-Fotoserie bis zur Reportage<br />
über Gesprächsmuster in der Gesellschaft.<br />
Für »deinblick« hat Chris Schiebel seinen<br />
alten Job an den Nagel gehängt <strong>und</strong> hat sich<br />
voll <strong>und</strong> ganz dem »Internetausdrucken«<br />
gewidmet. Er ist sich sicher, dass ein liebevoll<br />
zusammengestelltes Heft den Lesern auf<br />
Dauer mehr Inspiration geben kann, als es<br />
vereinzelte Blogs tun. Mit Erfolg: »deinblick«<br />
<strong>und</strong> ästhetischen Entgleisungen zum Mittäter<br />
des Autors werden lässt. Das erfordert auf der<br />
Macherseite ein gehöriges Maß an Kompetenz<br />
<strong>und</strong> fi lmhistorischem Wissen, denn nur wenn<br />
mit Trash richtig umgegangen wird, versteht<br />
auch ein breiteres Publikum, dass es sich<br />
um Intention <strong>und</strong> nicht um Unvermögen handelt.<br />
||<br />
erscheint in zwei Sprachen <strong>und</strong> wird mittlerweile<br />
in 32 Ländern gelesen.<br />
Mit einen ähnlichen Ansatz wie »deinblick«<br />
will auch Alex Grossmann aus Freising<br />
die Kioske erreichen. Der 25-jährige Verlagskaufmann<br />
versucht gerade das Startkapital<br />
für ein neues Zeitschriftenprojekt zusammenzubekommen.<br />
»Der Blogger« soll das Magazin<br />
heißen, das ab Februar monatlich zu haben<br />
sein soll. Der Name ist Programm: Blogger<br />
aus den verschiedensten Sparten, von Games<br />
bis Datenschutz, sollen das Heft jeden Monat<br />
vollschreiben – mit exklusiven Texten, die<br />
online so nicht zu fi nden sein sollen. »Es gibt<br />
inzwischen so viele Blogger, die gute Sachen<br />
schreiben, dass ich das gerne auch als Printmagazin<br />
hätte. Das ist etwas, was ich selbst<br />
gerne lesen würde <strong>und</strong> hoffentlich auch viele<br />
andere«, sagt der Freisinger über seine<br />
Beweggründe. Wie stark potentielle Leser an<br />
diesem Heftkonzept interessiert sind, kann<br />
jeder zur Zeit im Netz bei der Crowdf<strong>und</strong>ing-<br />
Plattform startnext verfolgen (siehe Text auf<br />
Seite 3). Hier wird gerade für »Der Blogger«<br />
gespendet. Bis zum 20. Januar sollen 15.000<br />
Euro Startkapital zusammenkommen.<br />
Klar: Druck <strong>und</strong> Vertrieb kosten Geld.<br />
Aber auf Papier gedruckte Anzeigen spielen<br />
einiges ein. Manchmal sogar so viel, dass satte<br />
Gewinne übrig bleiben. Wie bei der »Tegern-<br />
FILM | MEDIEN<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 07<br />
Zombies in<br />
Landshut<br />
Fotos: © Martin Faltermeier<br />
Der erste Sci-Fi-Splatter-Zombie-Film vor<br />
kitschiger Fünfzigerjahre- Heimatkulisse<br />
kommt aus Bayern: »Zombies from Outer<br />
Space«. In der B-Movie-Hommage von Autor<br />
<strong>und</strong> Regisseur Martin Faltermeier kann man<br />
beobachten, was wohl passiert wäre, hätten<br />
Ed Wood <strong>und</strong> Luis Trenker jemals zusammen<br />
einen Film gedreht. »Natürlich hat der Film<br />
einen Trash-Faktor«, sagen Regisseur Martin<br />
<strong>und</strong> Kameramann Sebastian Schmidt, »das ist<br />
auch ganz wichtig. Trotzdem haben wir versucht,<br />
alles so gut wie möglich hinzubekommen,<br />
also nicht etwas absichtlich schlecht zu<br />
machen.« Das spiegelt sich auch im So<strong>und</strong>track<br />
wider: Niemand Geringeres als Christoph<br />
Well von der Biermösl Blosn hat eigens für den<br />
Film einen »Zombie-Landler« komponiert.<br />
Die Filmemacher aus dem Landshuter<br />
Umland scheinen alles richtig gemacht zu<br />
haben: »Kurz vor der Premiere war ich schon<br />
nervös <strong>und</strong> habe nicht gewusst, ob die Leute<br />
den Humor wirklich kapieren«, kommentiert<br />
Sebastian die Publikumsreaktionen, »aber alle<br />
anwesenden Generationen haben durch die<br />
Bank gelacht. Sogar meine Oma konnte sich<br />
trotz Blut das Schmunzeln nicht verkneifen.«<br />
Wenn sich sogar die Oma amüsiert, steht dem<br />
großen Mainstream-Erfolg vielleicht tatsächlich<br />
nichts mehr im Wege. Als nächstes wollen<br />
sich die Landshuter auf Filmfestivals bewerben.<br />
»ZOMBIES FROM OUTER SPACE«<br />
D 2011 | Regie: Martin Faltermeier | Vielleicht<br />
schon bald in den Kinos<br />
seer Stimme«, die monatlich über 10.000 Euro<br />
Umsatz macht <strong>und</strong> heute als eins der erfolgreichsten<br />
alternativen Regionalangebote<br />
Deutschlands gilt. Angefangen hat die<br />
»Tegernseer Stimme« 2010 als Lokalblog für<br />
das Tegernseer Tal <strong>und</strong> seit letztem Jahr gibt<br />
es sie nun auch als kostenloses Printmagazin,<br />
das in der Region verteilt wird. Die Vorteile<br />
liegen auf der Hand: Blog <strong>und</strong> Magazin<br />
machen gegenseitig aufeinander neugierig, es<br />
werden unterschiedliche Leserkreise angesprochen<br />
<strong>und</strong> Werbek<strong>und</strong>en sind leichter an<br />
Land zu ziehen, wenn sie wissen, dass auch<br />
bedrucktes Papier im Spiel ist.<br />
Momentan erscheint die Printversion der<br />
»Tegernseer Stimme« alle zwei Monate. Herausgeber<br />
Peter Posztos ist mächtig stolz auf<br />
den Ableger, auch wenn er <strong>und</strong> sein Team<br />
damit ziemlich beschäftigt sind. Aber Posztos<br />
weiß, dass auf Dauer eine gute Leserbindung<br />
heute nur dann besteht, wenn das Beste aus<br />
beiden Welten zusammenkommt: Die schnellen<br />
Möglichkeiten des Web mit der warmen<br />
Beständigkeit des Papiers. Dafür lohnt sich<br />
dann auch die verdammte Drecksarbeit. Egal<br />
ob im Tegernseer Tal, in München oder<br />
anderswo. ||
STADTBILD<br />
SEITE 08 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
Gürtel von Hercz Alexander, nach der Befreiung im KZ Dachau<br />
mitgenommen | Sammlung Esther Alexander-Ihme<br />
LEA HAMPEL<br />
Ein Blick in die<br />
gepackten Koffer<br />
»Rutka Grünberg. Auschwitz, Bergen-Belsen, Flossenbürg.<br />
59521«. Das ist alles. Es steht auf drei mal acht Zentimetern<br />
Papier. Die Konzentrationslager, in denen sie war, ihre Häftlingsnummer,<br />
das war es, was Rutka Grünberg im Jahr 1946<br />
auszumachen schien. Aus heutiger Sicht scheint es absurd,<br />
beinahe befremdlich, diese Informationen auf einer Visitenkarte<br />
zu verewigen. Für Rutka Grünberg war es vermutlich ein<br />
wichtiger Schritt in einen Zustand, der der Normalität zumindest<br />
äußerlich ähnelte, <strong>und</strong> ein Hilfsmittel auf der Suche nach<br />
Resten ihres alten Lebens. Denn durch die Verbreitung des<br />
Aufenthaltsortes war die Chance für überlebende KZ-Häftlinge<br />
am größten, in den Nachkriegswirren doch noch ein Mitglied<br />
der Familie zu fi nden.<br />
Die Visitenkarte ist mit vier anderen Karten ähnlicher<br />
Machart derzeit im Jüdischen Museum in München zu sehen.<br />
Dort befasst sich seit Dezember, unter dem Titel »Juden 4590<br />
– Von da <strong>und</strong> dort. Überlebende aus Osteuropa«, der erste Teil<br />
einer Doppelausstellung mit der Geschichte der Menschen, die<br />
Auschwitz, Bergen-Belsen <strong>und</strong> andere Lager überlebt haben<br />
<strong>und</strong>, zumindest zeitweise, in Deutschland lebten – einem<br />
Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte, das in der öffentlichen<br />
Betrachtung häufi g untergeht angesichts der sechs Millionen<br />
Toten.<br />
In ihren Heimatorten im Osten Europas waren die überlebenden<br />
Juden nicht erwünscht, ihre Häuser zerstört oder von<br />
anderen bewohnt, ihre Familien nur Erinnerung, <strong>und</strong> ihr<br />
Besitz war das, was sie am Leibe trugen. Gleichzeitig hatten sie<br />
nicht mehr als eine Vision, wo sie hin sollten <strong>und</strong> wollten. Sie<br />
waren Gestrandete, die seit 1943 mit dem Terminus »Displaced<br />
Person« bezeichnet wurden: »DP«. Besonders viele kamen<br />
nach Bayern <strong>und</strong> München, 130.000 DPs befanden sich im<br />
Herbst 1947 in der amerikanischen Zone, die als sicherer Ausgangsort<br />
für die Emigration nach Palästina <strong>und</strong> in die Vereinigten<br />
Staaten galt. Weil die Gelegenheit dazu auf sich warten<br />
ließ, wurde in München der Zentralkommission der befreiten<br />
Juden in der amerikanischen Besatzungszone 1945 die einstige<br />
Arbeitersiedlung Föhrenwald nahe Wolfratshausen zugewiesen,<br />
einer von mehreren Orten in Deutschland, wo jüdische<br />
Überlebende selbstverwaltet leben konnten <strong>und</strong> der bis 1957<br />
am längsten von allen existierte. Schon 1946 hatte Föhrenwald<br />
5000 Einwohner, für die hier das begann, was als »Leben auf<br />
gepackten Koffern« bezeichnet wird. Sie waren, wo sie nicht<br />
sein wollten, <strong>und</strong> taten, was ihnen zuvor verweigert war: leben,<br />
stets in der Hoffnung, bald eine richtige Heimat zu haben.<br />
Diesen Weg zurück ins Leben zeigt die Ausstellung in<br />
neun Stationen. Das erste, noch aus Häftlingskleidung<br />
Eine Ausstellung im Jüdischen<br />
Museum stellt das Leben Überlebender<br />
im Lager München-Föhrenwald<br />
nach dem Holocaust dar. Anhand von<br />
Alltagsgegenständen erzählen die<br />
Kuratorinnen ein ebenso wichtiges<br />
wie vernachlässigtes Kapitel deutschjüdischer<br />
Nachkriegsgeschichte.<br />
JUDEN 45/90. VON DA UND DORT –<br />
ÜBERLEBENDE AUS OSTEUROPA<br />
Jüdisches Museum München<br />
| St.-Jakobs-Platz 16 bis 17. Juni Dienstag–Sonntag 10–18 Uhr |<br />
Eintritt 6 Euro<br />
Katalog 14,90 Euro | www.juedisches-museum-muenchen.de.<br />
geschneiderte Kleid <strong>und</strong> provisorische Chanukka-Leuchter<br />
gehören ebenso dazu wie die einstige Geldschatulle des KZ-<br />
Aufsehers, die ein Überlebender als Box für seine Rasierutensilien<br />
verwendete, oder eben jene Visitenkarten. Wie groß der<br />
Hunger nach Ausbildung, Familie, Alltag, Religion, Eigenständigkeit,<br />
Zukunft war, ist jedem Objekt anzusehen, sei es der<br />
einstige Gürtel aus dem KZ, der immer mehr Löcher brauchte,<br />
um die Kleidung am Leib seines schmaler werdenden Besitzers<br />
zu halten, seien es Aschenbecher mit dem Symbol der<br />
»She’erit Hapleta«, des »geretteten Rests«, oder die erste in<br />
Föhrenwald entstandene Zeitung.<br />
Verpackt in Klarsichthüllen oder hinter Plexiglas werden<br />
Überreste des Lebens im Lager nach dem Lager gezeigt. Die<br />
Verpackung schafft Distanz <strong>und</strong> unterstreicht den vorübergehenden<br />
Charakter, die Geschichten dazu schaffen Nähe. Es ist<br />
eine Abstraktion des Einzelschicksals <strong>und</strong> doch scheint jeder<br />
Gegenstand zu rufen: »Ich bin nur einer von vielen!« Davon,<br />
dass es eine Art zeitweiliges Ankommen gab, zeugt das obere<br />
Stockwerk. Hier sind Bilder aus dem heutigen Waldram, dem<br />
einstigen Föhrenwald, zu sehen. Hier tauchen berühmte<br />
<strong>Münchner</strong> Familiennamen <strong>und</strong> -geschichten wie die der Familie<br />
Salamander auf. Hier wird das Leben im Föhrenwald der<br />
späten vierziger Jahre – mit eigener Synagoge, eigenem Thea-
ter, Ritualbad, Schule <strong>und</strong> Geschäften – deutlich, wenn Filme<br />
vom Besuch einstiger Bewohner in der heutigen Siedlung<br />
erzählen <strong>und</strong> Erinnerungen der hier aufgewachsenen Kinder<br />
zu hören sind.<br />
Um die Geschichte der Überlebenden in bisher noch nie da<br />
gewesenem Umfang der Öffentlichkeit zu zeigen, haben die<br />
Kuratorinnen, Jutta Fleckenstein <strong>und</strong> Tamar Lewinsky, zwei<br />
Jahre lang Familien in Deutschland aufgesucht, die ihren<br />
Ursprung in Föhrenwald haben. Sie haben Stücke aus dem F<strong>und</strong>us<br />
der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem entliehen<br />
<strong>und</strong> Einzelteile aus privaten Sammlungen. Auf einen Satz<br />
sind sie immer wieder gestoßen: »Ach, das interessiert Sie?«<br />
Nicht zuletzt deshalb ist es überfällig, dass diese Thematik<br />
in München Raum fi ndet. Es wird als Ironie des Schicksals<br />
bezeichnet, dass die »Hauptstadt der Bewegung« nach Todesmärschen<br />
<strong>und</strong> antisemitischen Pogromen in Osteuropa zu<br />
einer Anlaufstelle wurde. Dabei ist es die eigentliche Ironie<br />
des kulturellen Gedächtnisses der Stadt, dass die wenigsten<br />
<strong>Münchner</strong> wissen, dass das heutige Waldram einst Föhrenwald<br />
hieß <strong>und</strong> für Tausende jüdische Überlebende über mehrere<br />
Jahre Heimat war, wo es gleichzeitig wohl kaum <strong>Münchner</strong><br />
gibt, die nicht wüssten, wofür Dachau steht.<br />
Angesichts des wenigen Wissens in der breiten Öffentlichkeit<br />
– die Geschichtswissenschaft hat sich dem Thema durchaus<br />
ausführlich gewidmet – ist es die Stärke der Ausstellung,<br />
dass das Objekt im Vordergr<strong>und</strong> steht. »Es macht keinen<br />
Unterschied für Ihren Eindruck, ob hier 10.000 oder 100.000<br />
Stück liegen«, erklären immer wieder Mitarbeiter in KZ-<br />
Gedenkstätten, wenn Besucher entsetzt vor Bergen aus Schuhen<br />
oder Brillen stehen, »das bleibt für das menschliche<br />
Gehirn ohnehin unbegreifl ich.« Der gegenteilige Schluss, am<br />
einzelnen Objekt entlang zu erzählen, ist da logisch. Nicht,<br />
dass er das Geschehen plötzlich begreifbarer machen würde.<br />
Aber in diesem Fall liefert er einen überfälligen Blick in den<br />
Anfangszustand jener »gepackten Koffer«, auf denen Juden<br />
nicht zuletzt in München gelebt haben <strong>und</strong> leben <strong>und</strong> die<br />
zwar, laut Charlotte Knobloch, in einigen Fällen ausgepackt<br />
sind, aber eben doch stets griffbereit scheinen. Umso spannender<br />
wird es im Juli, wenn der zweite Teil der Ausstellung<br />
eröffnet wird. Ihm ist das »90« im Titel gewidmet: Es wird um<br />
die Juden gehen, die in den letzten 20 Jahren aus der ehemaligen<br />
Sowjetunion nach München kamen, um ihre Koffer auszupacken.<br />
||<br />
ZARA S. PFEIFFER<br />
Auf dem <strong>Münchner</strong> Marienplatz lässt sich bisweilen ein<br />
Schauspiel beobachten, das bei Beteiligten <strong>und</strong> Unbeteiligten<br />
gleichermaßen Irritationen hervorruft. Eine Gruppe von Menschen<br />
versammelt sich in einer Ecke des Platzes, um mit<br />
Plakaten <strong>und</strong> Transparenten ihren Protest auszudrücken.<br />
Trillerpfeifen werden geblasen <strong>und</strong> Reden<br />
gehalten. Zu bestimmten Zeiten des Tages jedoch wird die<br />
Protestszenerie gestört. Die Reden werden unterbrochen, die<br />
Figuren des Glockenspiels erhalten die Hoheit über den Platz<br />
<strong>und</strong> ziehen ihre Kreise. Das Spiel der 43 Glocken, dem eine<br />
andere Ansammlung von Menschen mehr oder weniger<br />
andächtig lauscht, soll nicht von politischen Reden gestört<br />
werden.<br />
Die Reaktionen der Protestierenden auf diese Auflage<br />
des Kreisverwaltungsreferats reichen von leichter<br />
Belustigung über Befremden bis hin zu deutlich geäußerter<br />
Verärgerung. Nach wenigen Minuten jedoch ist der klingende<br />
Spuk vorbei, die Reden werden wieder aufgenommen, während<br />
sich die Glockenspielversammlung in die umliegenden<br />
Konsumwelten verstreut. Diese pittoresk anmutende<br />
Szene zum Sinnbild für die Protestkultur in München<br />
zu erklären wäre übertrieben. Für den Umgang der<br />
Behörden mit Protesten hingegen fi ndet sich hier ein<br />
wesentliches <strong>und</strong> wiederkehrendes Moment. Proteste sind in<br />
München durchaus nicht unerwünscht, wirklich stören aber<br />
sollten sie bitte nicht.<br />
Die Geschichte der Proteste in München seit 1945 macht genau<br />
dies deutlich. Immer wieder gab es Proteste, die für das gute<br />
<strong>und</strong> weltoffene Ansehen Münchens gerne gesehen<br />
waren. Beispielsweise, als im März 1997 r<strong>und</strong> 10.000<br />
Menschen mit einer Blockade verhinderten, dass die mit<br />
5.000 Teilnehmer/innen <strong>und</strong> Teilnehmern größte neonazistische<br />
Demonstration der Nachkriegsgeschichte ihre Abschlussk<strong>und</strong>gebung<br />
auf dem Marienplatz abhalten konnte. Oder als<br />
im Dezember 1992 mit der Aktion Lichterkette bis zu 400.000<br />
Menschen unter dem Motto »München – eine Stadt sagt nein«<br />
ihre Betroffenheit über rechtsextremistische Gewalttaten<br />
auf die Straße trugen.<br />
Die Proteste 1992 gegen den Weltwirtschaftsgipfel <strong>und</strong><br />
die als ungerecht empf<strong>und</strong>ene kapitalistische Weltordnung<br />
waren dagegen weniger gerne gesehen <strong>und</strong> von massiver<br />
Repression begleitet. Ebenfalls nicht genehm waren die Proteste<br />
gegen die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten<br />
1953/54: Die rigorosen Polizeieinsätze hatten bürgerkriegsähnliche<br />
Zustände in der Innenstadt zur<br />
Folge.<br />
Die Liste der Proteste, die sich in München erlaubt haben, mit<br />
ihren Inhalten <strong>und</strong> Formen die öffentliche Ordnung zu stören,<br />
ist beachtlich. Es fi nden sich nicht nur Demonstrationen <strong>und</strong><br />
K<strong>und</strong>gebungen, sondern auch Blockaden <strong>und</strong> Barrikaden,<br />
STADTBILD<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 09<br />
Bitte nicht stören!<br />
Proteste, die nicht beißen,<br />
sind wie Tiger ohne Zähne<br />
Auch das Jahr 2012 steht im Zeichen des Protestes. Der Arabische Frühling<br />
jährt sich, soziale Unruhen werden durch die Finanzkrise verschärft.<br />
Das <strong>Münchner</strong> <strong>Feuilleton</strong> hat Zarah S. Pfeiffer gebeten, einen historischen Blick<br />
auf die Protestkultur Münchens zu werfen.<br />
Anzeige<br />
M, EINE<br />
STADT<br />
SUCHT<br />
IHREN<br />
MÖRDER<br />
DANIEL KNORR<br />
lothringer13_halle<br />
18.11.2011 –<br />
22.01.2012<br />
Hausbesetzungen <strong>und</strong> Piratensender, Streiks <strong>und</strong> Sabotagen,<br />
subversive Aktionen <strong>und</strong> Farbe an den Wänden. Die Reaktionen<br />
auf potentiell störende Proteste sind bisweilen ebenfalls<br />
beachtlich: Im Februar 2002 wurden beispielsweise sämtliche<br />
Demonstrationen des Bündnisses gegen die NATO Sicherheitskonferenz<br />
für die komplette Zeit der Konferenz verboten,<br />
um vermeintlich anreisende »Chaoten« daran zu hindern, die<br />
schöne <strong>Münchner</strong> Innenstadt zu verwüsten. Trotz dieses Verbots<br />
ließen sich gut 10.000 Menschen ihr Recht zu demonstrieren<br />
nicht nehmen <strong>und</strong> gingen auf die Straße. Gestört wurde an<br />
diesem Wochenende das Ansehen der Stadt weniger durch die<br />
Demonstrieren, sondern vor allem durch das Verbot, den<br />
umfangreichen Polizeieinsatz <strong>und</strong> die zahlreichen Festnahmen.<br />
Wenn angesehene <strong>Münchner</strong> Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger<br />
der Stadt ihren Unmut auf die Straße tragen, ist dies im Rückblick<br />
oft ein gerne gesehenes Zeichen von Demokratiefähigkeit,<br />
die sich auch diejenigen auf die Fahnen schreiben, die<br />
das im entscheidenden Moment noch ganz anders gesehen<br />
haben. Die damit verb<strong>und</strong>ene Vorstellung eines guten <strong>und</strong><br />
erwünschten Protests <strong>und</strong> die Abwertung eines störenden Protests<br />
durch so genannte Störer oder Chaoten verkennt jedoch,<br />
dass Proteste vor allem eines müssen: stören, um auf diese<br />
Weise einen Raum zu schaffen für die Artikulation <strong>und</strong><br />
Demonstration von Kritik. Proteste, die nicht stören, sind wie<br />
Tiger ohne Zähne, sie beißen nicht. ||<br />
ZARA S. PFEIFFER<br />
hat Politikwissenschaften studiert. Sie ist Lehrbeauftragte am<br />
Institut für Soziologie der LMU München sowie am Institut für<br />
Medien der Kunstuniversität Linz <strong>und</strong> arbeitet in der politischen<br />
Bildungs- <strong>und</strong> Öffentlichkeitsarbeit.<br />
Mehr über die Proteste in München findet sich unter<br />
www.protest-muenchen.sub-bavaria.de <strong>und</strong> in dem Buch:<br />
Auf den Barrikaden. Proteste in München seit 1945.<br />
Herausgegeben von Zara S. Pfeiffer im Auftrag des Kulturreferats<br />
der Landshauptstadt München, Volk Verlag, 2011.<br />
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PAINTING TO REMEMBER<br />
ZERSTÖRT DEUTSCHE SYNAGOGEN<br />
ALEXANDER DETTMAR<br />
3.2. – 18.3.2012 | Vernissage 2.2., 20.00 Uhr<br />
Infotelefon Pasinger Fabrik: 089 - 829290-13<br />
www.pasinger-fabrik.com
KUNST<br />
SEITE 10 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
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Einblicke, Durchblicke,<br />
Spiegelungen. Sabine Hornigs<br />
meisterhafte Fotoarbeiten<br />
in der Alten <strong>und</strong> Modernen<br />
Pinakothek sowie in der<br />
Galerie Barbara Gross<br />
ermöglichen Einsichten in die<br />
Kunst der Anschauung.<br />
Bildfenster<br />
THOMAS BETZ<br />
Wo die Barer Straße in die Nordendstraße einbiegt, ließ sich in<br />
den letzten Wochen ein trauriges Schauspiel beobachten: In<br />
einem verlassenen Blumenladen starben die Pfl anzen, einige<br />
grünten noch standhaft, andere waren bereits mumifi ziert;<br />
kam man gelegentlich wieder vorbei, wusste man nicht genau,<br />
welche inzwischen wieder den Geist aufgeben hatten. Gewöhnlich<br />
erlebt man solche kleinen Veränderungen im Stadtbild<br />
weniger dramatisch. Ein Laden macht dicht. Danach gibt es im<br />
Schaufenster wenig zu sehen, weil gerade renoviert wird. Kein<br />
pittoresker, eher ein prosaischer Anblick – außer man sieht so<br />
aufmerksam <strong>und</strong> präzise hin wie Sabine Hornig.<br />
Durchblicke <strong>und</strong> Oberflächen<br />
Die Berliner Künstlerin hat seit 2001 eine großangelegte Werkserie<br />
dem Phänomen Fenster gewidmet, darunter zeigen zahlreiche<br />
Motive gespenstische Schaufenster während der Renovierung.<br />
Die fotografi schen Arbeiten verewigen nicht nur<br />
einen scheinbar banalen Zustand, sondern schärfen den Blick<br />
auf die zerstörerische Logik der Konsumgesellschaft. Ein Bild<br />
in der Pinakothek der Moderne bringt es auf den Punkt: Das<br />
Konsumtheater hat gerade geschlossen, weiße Papierbahnen<br />
verhindern den Einblick in die Operationen am Innenleben,<br />
der Slogan »Radikal Reduziert« – es sind nur die Klebespuren<br />
der Beschriftung zurückgeblieben – schwebt schemenhaft im<br />
Weiß, im Grau. Dass der künstlerisch-konzeptuelle Blick auf<br />
die spiegelnde Glasfl äche uns gesellschaftlich einen Spiegel<br />
vorhält, ist nur ein Aspekt. Der Veränderung bei der Immobilie<br />
entspricht das performative Potenzial des Bildes. Fensterglas<br />
<strong>und</strong> Vorhang, auch die Spiegelung, die den Raum abschließen,<br />
werden als Äquivalente der Oberfl äche des Bildes begreifbar,<br />
wie es auch die Tesafi lm-Reste, Schlieren, Farbspritzer, Graffi ti<br />
auf dem <strong>und</strong> Sprünge im Glas bei anderen Werken anzeigen.<br />
Das gemalte Bild wurde in der Renaissance ein Fenster zur<br />
Welt, gewährte einen Blick auf die Wirklichkeit. Ab Ende des<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>erts verstand man das Bild, wie der Maler Maurcie<br />
Denis, ehe es ein Schlachtross, einen weiblichen Akt oder<br />
irgendeine Anekdote verkörpere, zunächst <strong>und</strong> prinzipielle als<br />
eine »glatte, mit Farben in einer bestimmten Anordnung<br />
bedeckte Fläche«. Diese Bildfl äche wurde in der Moderne zum<br />
Träger von Expressionen, Abstraktionen, Konstruktionen. Da<br />
hatte die Fotografi e als Bildmedium sich bereits nobilitiert <strong>und</strong><br />
von überall Wirklichkeitszeugnisse verfügbar gemacht.<br />
(Nebenbei: Gleichzeitig mit dem Siegeszug der Fotografi e<br />
wurde das Schaufenster zum Massenmedium.)<br />
Fensterbilder <strong>und</strong> Bildfenster<br />
Die Metapher des Bildes als »Fenster« stellen Hornigs Arbeiten<br />
ebenso zur Diskussion wie die Ordnung des Bildes. Alles Fotos<br />
enthalten, maßstabsgetreu, den Fensterrahmen, der damit<br />
dem Bilderrahmen als akzentuierte Trennung des Bildes vom<br />
Umraum entspricht. Das unterscheidet ihre Bilder von anderen<br />
Aufnahmen der Fotogeschichte, die zuvor Schaufensterscheiben<br />
<strong>und</strong> Fenster, Spiegelungen, Ein- <strong>und</strong> Durchblicke<br />
faszinierend inszeniert hatten. Die Künstlerin stellt sich in die<br />
Tradition der Fensterbilder, die malerisch das Sehen refl ektierten,<br />
<strong>und</strong> kritisiert mit den ungreifbare Bilder erzeugenden<br />
Fenstern das illusionistische Verständnis der Fotografi e als<br />
wirklichkeitsgetreue Abbildung. Besonders deutlich wird dies<br />
in den Kabinetten der Alten Pinakothek, wo Hornigs Fotos mit<br />
holländischer Genremalerei in Dialog treten. Es gibt motivische<br />
Entsprechungen – der Totenschädel <strong>und</strong> das Loch in der<br />
Mauer passen zum Vanitasstillleben, Fenstergitter zu Butzenscheiben,<br />
die Palme zum Landschaftbild – <strong>und</strong> solche der<br />
künstlerischen Verfahren: Das zufällige Arrangement von<br />
Arbeitmaterialien <strong>und</strong> Relikten im Laden erscheint als ebenso<br />
souverän komponiert wie ein Stillleben, der dunkle Gr<strong>und</strong> der<br />
Gemälde macht auf den dunklen Klang vieler Fotos aufmerksam.<br />
Und die desaströsen Raumverhältnisse demonstrieren<br />
das prekäre Verhältnis von Bild <strong>und</strong> Raum, der Grenzen <strong>und</strong><br />
Zugänge vom Betrachter zum Bild. Hornigs Fenster sind mal<br />
vergittert, die Rahmenkonstruktionen Exempel einer kühlgeometrischen<br />
Bauästhetik, die Innenräume oft leer oder zerstört.<br />
In »Fenster ohne Boden« (2006) ist das Zimmer, in das<br />
man neugierig hineinschaut, ein leerer Schacht ohne Boden,<br />
ein Abgr<strong>und</strong>. Wie die Interieurs ist auch der gespiegelte Stadtraum<br />
mit seinen Fensterfassaden menschenleer. Die Fotografi<br />
n ist aus den Bildern verschw<strong>und</strong>en. Nur einmal assistiert sie<br />
dem Standpunkt des Betrachters. Und bei »Rückfenster« (2004)<br />
in der Pinakothek der Moderne blicken wir durch die Triptychon-Rahmung,<br />
durch einen leeren Raum <strong>und</strong> ein hinteres
Fenster hindurch auf eine entfernte Rückenfi gur: die steht auf<br />
betoniertem Podest in einer grasigen, unbebauten Natur, weitaus<br />
höher, <strong>und</strong> unerreichbar vom gespiegelten Raum des<br />
Betrachters auf der breiten, gepfl asterten Straße.<br />
Kunst der Anschauung <strong>und</strong> des Zwischenraums<br />
Jedes der Bilder erweist sich als Meisterwerk. Nicht wegen der<br />
Ansichten <strong>und</strong> Gegenstände, sondern durch das einheitliche<br />
Verfahren, in dem der Betrachter inszeniert wird. »Durch das<br />
gleiche Glas kann man paradoxerweise nach vorn <strong>und</strong> nach<br />
hinten schauen, ohne sich umzudrehen«, schreibt der Kunsthistoriker<br />
Hans Belting in der Begleitpublikation. Der schön<br />
gestaltete Band, der zwei Aufsätze, ein Verzeichnis aller Werke<br />
sowie ein Interview mit der Künstlerin enthält, informiert auch<br />
darüber, wie sich Hornigs frühere Arbeiten, als Fenster-Skulpuren,<br />
genauer: als Eingriffe in vorhandene Räume, mit dem<br />
Problem des Einblicks <strong>und</strong> Durchblicks auseinandersetzten.<br />
Im New Yorker Museum of Modern Art etwa verbanden 2003<br />
Diapositive auf Glas mit echten Durchblicken <strong>und</strong> echten<br />
Spiegelungen die Spiegellabyrinth-Schichten des Fotomotivs.<br />
Mit einer solchen Situation, dass im Bild sich überlagernde<br />
Refl exionen den Durchblick behindern, konfrontiert eine<br />
Foto-Installation, ähnlich einem Wartehäuschen. Sie zeigt Zwischenräume:<br />
Fenster, Wände, Türen aus Glas, Mauern, Bäume,<br />
Schilder aus Licht. Man steht, ganz Auge, immer auf der falschen<br />
Seite. In Sendling kann man seit 2005 eine große Installation<br />
auf der Fassade der Gr<strong>und</strong>schule an der Pfeuferstraße<br />
erleben. Eine Ausstellung in der Galerie Barbara Gross eröffnet<br />
weitere Begegnungen mit dem fotografi schen Blick <strong>und</strong><br />
der skulpturalen Dynamik von Sabine Hornig. Ihre Arbeiten<br />
zeugen, wie sie selbst sagt, von einer »zweiten Möglichkeit:<br />
einer verborgenen Perspektive gegenüber der nur scheinbar<br />
einzigen«. ||<br />
SABINE HORNIG DURCHS FENSTER<br />
Pinakothek der Moderne, Saal 30 | Barer Straße 40 |<br />
täglich außer Di 10–18 Uhr<br />
Alte Pinakothek, Obergeschoß, Kabinette 15, 16, 19–22 |<br />
Barer Straße 27 | täglich außer Mo 10–18 Uhr | bis 26. Februar<br />
SABINE HORNIG. DURCHS FENSTER<br />
Hrsg. von der Pinakothek der Moderne<br />
Mit Beiträgen von Hans Belting <strong>und</strong> Inka Graeve-Ingelmann<br />
<strong>und</strong> einem Gespräch der Künstlerin mit Sophie Tottie |<br />
Verlag für Moderne Kunst, 2011 | 72 S., 50 Abb. | 28 Euro<br />
SABINE HORNIG STILLEBEN AM FENSTER<br />
Barbara Gross Galerie | Theresienstrasse 56, Hof 1 |<br />
Di–Fr 11–18.30, Sa 11–16 Uhr | bis 29. Februar<br />
Anzeige<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 11<br />
links: »Der zerstörte Raum«, 2006 |<br />
90 x 159 cm (Plexi)<br />
Mitte: »Fenster ohne Boden«, 2006 |<br />
170 x 222,4 x 3 cm (Plexi)<br />
rechts: »Rückfenster«, 2004 |<br />
160 x 190 x 3 cm (Plexi)<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn 2011<br />
KUNST
BILDENDE KUNST STREIFZUG<br />
SEITE 12 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
ERIKA WÄCKER-BABNIK<br />
R<strong>und</strong> siebzig Galerien gibt es<br />
in München. Hinzu kommen<br />
zahlreiche Institutionen, die<br />
Begegnungen mit zeitgenössischer<br />
Kunst ermöglichen.<br />
Eine aktuelle Auswahl:<br />
DIE TIEFE DER RÄUME<br />
Kai-Uwe Schulte-Bunert<br />
Heiko Räpple<br />
Galerie Filser & Gräf<br />
Tattenbachstraße 18 | bis 31.1. | Di–Fr 11-18,<br />
Sa 11–14 Uhr<br />
Die Konfrontation zweier Künstler <strong>und</strong> ihrer<br />
Werke innerhalb einer Ausstellung kann<br />
schwierig sein. Vor allem dann, wenn sich die<br />
Arbeiten vermeintlich nahe stehen. Die Kombination<br />
von Fotografi e/Malerei <strong>und</strong> Bildhauerkunst<br />
tut dem jeweiligen Werk jedoch<br />
manchmal richtig gut, vor allem dann, wenn<br />
die Wechselwirkung eine inhaltliche oder formale<br />
Klärung fördert oder zumindest ästhetisch<br />
bereichernd wirkt. Ein Beispiel für einen<br />
gelungenen Dialog führt derzeit die Galerie<br />
Filser & Gräf vor, die die Fotoarbeiten von<br />
Kai-Uwe Schulte-Bunert (*1969) zusammen<br />
mit Wandreliefs aus Gips <strong>und</strong> Beton von Heiko<br />
Räpple (*1981) zeigt: Hier der analytischkühle<br />
Fotografen-Blick auf verlassene Spuren<br />
menschlicher Zivilisation vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />
einer seltsam entrückten Natur; dort<br />
die unfertig <strong>und</strong> roh wirkenden Abformungen<br />
<strong>und</strong> Abgüsse des Bildhauers, die mit expressiven<br />
Gebärden in den Raum ausgreifen <strong>und</strong><br />
wieder zurückspringen.<br />
Der Dialog, der hier zwischen den Arbeiten<br />
entfacht wird, ist sofort erkennbar. Zuvörderst<br />
wird er vom extremen Kontrast der<br />
künstlerischen Positionen bewirkt: Schulte-<br />
Bunerts Interesse gilt dem Blick auf Architekturen,<br />
die in den präzise austarierten Kompositionen<br />
schattenlose <strong>und</strong> verlassene Relikte<br />
in den Weiten einsamer, in fahles Licht<br />
getauchter Landschaften bilden. Eine unterkühlte<br />
Sichtweise auf Natur, deren suggestiver<br />
Wirkung man sich kaum entziehen kann.<br />
In manchen Arbeiten kehrt sich das Verhältnis<br />
einer proportionalen Ausgewogenheit zwischen<br />
Bauwerk <strong>und</strong> Natur um, etwa wenn eine<br />
fensterlose Fassade formatfüllend den Blick<br />
verstellt <strong>und</strong> nur noch an den Bildrändern<br />
einen schmalen Streifen Himmel <strong>und</strong> Wiese<br />
erkennen lässt.<br />
Heiko Räpple | Zeit | 2009 |<br />
Acrystal, 145 x 104 x 12 cm, Aufl age 2/3 |<br />
© Heiko Räpple, Courtesy Galerie Filser & Gräf<br />
Heiko Räpple schwelgt im Material. Seinen<br />
Reliefs ist die Energie <strong>und</strong> Lust am handwerklichen<br />
Arbeiten mit verschiedenen Werkstoffen<br />
anzumerken. Er jongliert zwischen schwerem<br />
Beton, dessen Oberfl ächen die Spuren<br />
der Holzverschalung zeigen <strong>und</strong> die an den<br />
Wänden zu architektonischen Elementen werden,<br />
<strong>und</strong> leichteren Mischungen, deren Strukturen<br />
beim Abguss ein grafi sches Moment<br />
entstehen lassen. Was ihn beschäftigt, sind die<br />
Gr<strong>und</strong>fragen plastischen Gestaltens – Raum,<br />
Kai-Uwe Schulte-Bunert | ohne Titel | 2009 |<br />
Kodak-Lambda-Print auf Alu-Dibond unter Acrylglas |<br />
60 x 90 cm, Aufl age 1/5 |<br />
© Kai-Uwe Schulte-Bunert, Courtesy Galerie Filser & Gräf<br />
Form <strong>und</strong> Figur – <strong>und</strong> die Dialektik gegensätzlicher<br />
Eigenschaften wie weich <strong>und</strong> hart,<br />
leicht <strong>und</strong> schwer, innen <strong>und</strong> außen, positiv<br />
<strong>und</strong> negativ. Sein ausgeprägtes Interesse an<br />
der Gestaltung von Raum teilt er wiederum<br />
mit Schulte-Bunert: In den Fotografi en bewirken<br />
Diagonalen <strong>und</strong> niedrige Horizonte einen<br />
extremen Tiefensog. Auch motivisch fi nden<br />
sich Parallelen: Betonbauten im Bild, Beton<br />
an den Wänden gegenüber.<br />
Bei aller Faszination verlassen wir die<br />
Galerie dennoch mit einem Gefühl von Déjà<br />
vu: Die kühle Bildsprache der Fotoarbeiten,<br />
die schattenlose, menschenleere Welt, die<br />
Sicht auf die Natur, die Betontrassen, Autobahnbrücken<br />
<strong>und</strong> Heuballen in der nebeligen<br />
Landschaft – kennen wir das nicht alles auch<br />
von Gurski <strong>und</strong> Co, vor allem aber von dem<br />
Leipziger Fotografen Hans Christian Schink?<br />
POLAR. WANDOBJEKTE<br />
Karin Radoy<br />
Galerie Gudrun Spielvogel<br />
Maximilianstraße 45 | bis 18.2. | Mo–Fr<br />
13–18.30, Sa 11–14 Uhr<br />
Für Fre<strong>und</strong>e fi gürlicher Darstellungen oder<br />
expressiver Gesten hat die konkrete Kunst,<br />
also die Kunst, die per definitionem im<br />
Wesentlichen auf mathematisch-geometrischen<br />
Konstruktionen beruht, häufi g etwas<br />
Karin Radoy | Bios, 1010 | 2010, | 2-teilig,<br />
80 x 160 x 25 cm, Acryl auf Holz<br />
Eintöniges, Unnahbares. Eine Galerie, die sich<br />
dieser gegenstandslosen Kunstrichtung verschrieben<br />
hat <strong>und</strong> Künstler vorstellt, die aus<br />
einem reichhaltigen Farben- <strong>und</strong> Formenrepertoire<br />
schöpfend immer wieder faszinierende<br />
<strong>und</strong> verblüffende Werke hervorbringen,<br />
ist die Galerie Spielvogel. Ein solches Versprechen<br />
löst auch die aktuelle Ausstellung mit<br />
Wandarbeiten der Künstlerin Karin Radoy<br />
ein, die, 1957 in Offenbach geboren, die<br />
künstlerischen Errungenschaften der Pioniere<br />
der konkreten Kunst <strong>und</strong> der autonomen<br />
Malerei aus den 60er- <strong>und</strong> 70er-Jahren klug<br />
zu verbinden <strong>und</strong> weiterzuentwickeln versteht:<br />
Ihre kompakten, monochromen Wandobjekte<br />
bestehen jeweils aus zwei Hälften, die schwingenden<br />
Flügeln ähnlich symmetrisch auf eine<br />
Mittelachse ausgerichtet sind. Von ihrer kompakten<br />
Form her massiv <strong>und</strong> statisch, sind sie<br />
durch die wellenartigen Ausformungen in den<br />
Raum hinein jedoch gleichzeitig von verblüffender<br />
Eleganz <strong>und</strong> Dynamik. Das Irritierende<br />
ist das Verhältnis der beiden Teile des jeweiligen<br />
Diptychons zueinander: Sie sind identisch,<br />
<strong>und</strong> doch stehen sie nicht spiegelbildlich<br />
zueinander, sondern sind gegeneinander<br />
verdreht: zwei aufeinander bezogene <strong>und</strong> von<br />
einander unabhängige Teile, die zusammengenommen<br />
ein in sich geschlossenes untrennbares<br />
Ganzes ergeben.<br />
Über die plastische Gestalt hinaus behandelt<br />
Karin Radoy die Objekte als Bildträger für<br />
ihre Malereien: Konsequent <strong>und</strong> mit hoher<br />
Intensität lässt sich die Künstlerin auf die<br />
Autonomie der Farbe ein <strong>und</strong> erprobt ihre<br />
Eigenschaften <strong>und</strong> die daraus resultierende<br />
irrationale Wirkung in unmittelbarem Zusammenspiel<br />
mit den schwingenden Körpern. Die<br />
mit dem Spachtel in 30 bis 40 Schichten <strong>und</strong><br />
Lasuren aufgetragenen Acrylfarben zaubern<br />
marmorierte Oberfl ächen hervor, die in Kombination<br />
mit den dreidimensionalen Bildträgern<br />
den Eindruck erwecken, haptisch erfahrbar<br />
zu sein. In zahlreichen Nuancen entfaltet<br />
die Farbe ein pulsierendes Eigenleben, das<br />
über die Bildfl äche hinaus in einen eigenen<br />
Farb-Raum übergeht.<br />
Die Konzentration der Objekte liegt in der<br />
senkrechten bzw. leicht schrägen Mittelachse,<br />
die die beiden Bildkanten bilden. Als würden<br />
die Körper atmen, scheinen sie dialogisch<br />
gegeneinander zu schwingen. In diesem Dualismus<br />
sieht Karin Radoy den Bezug zu ihrem<br />
eigenen Leben, einer Dualität im Ich. Im Einklang<br />
mit der Tonalität der sorgsam gewählten<br />
Farben vermag diese Dynamik den<br />
Betrachter in einen Zustand der Kontemplation<br />
zu versetzen.<br />
A WOMEN’S VOICE II<br />
Annegret Soltau. Leda Luss<br />
Luyken. Mona Hakimi Schüler<br />
Haleh Gallery<br />
Aufkirchner Straße 4 | 82335 Berg | bis 21.2. |<br />
Do–Sa 11–16 Uhr<br />
Gelegentlich lohnt es sich, den Blick über die<br />
Stadtgrenzen hinaus zu richten: zum Beispiel<br />
nach Berg am Starnberger See. In dem traditionsreichen<br />
Ort hat sich eine kleine, feine <strong>und</strong><br />
äußerst charmant <strong>und</strong> kenntnisreich geführte<br />
Galerie etabliert, die auf Kunst des Mittleren<br />
Ostens spezialisiert ist: Haleh Heydari ist<br />
gebürtige Iranerin. Nach ihrer Ausbildung zur<br />
Restauratorin arbeitete sie als Konservatorin<br />
am Iran Bastan Museum in Teheran. 2006<br />
übersiedelte sie mit ihrer Familie nach Berg<br />
<strong>und</strong> führt seit 2010 ihre Galerie, in der sie auf<br />
den Dialog zwischen Ost <strong>und</strong> West setzt. Ihre<br />
aktuelle Ausstellung vereint drei internationale<br />
Künstlerinnen, die sich mit weiblicher<br />
Identität befassen: die griechische Malerin<br />
Leda Luss Luyken (*1957 in Athen), die Iranerin<br />
Mona Hakimi Schüler (*1977 in Teheran)<br />
<strong>und</strong> die aus Lüneburg stammende Annegret<br />
Soltau (*1946). Gemeinsam ist diesen sehr<br />
unterschiedlichen Künstlerinnen, dass sie<br />
sich in ihren Werken mit dem Bild der Frau,<br />
mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft <strong>und</strong><br />
dem eigenen Ich als Frau auseinandersetzen.<br />
Annegret Soltau kennt man seit den 70er-<br />
Jahren durch ihre Beschäftigung mit der eigenen<br />
Person in verschiedenen Medien. In der<br />
Ausstellung ist sie mit Fotovernähungen vertreten,<br />
in denen sie über ihr Selbstporträt mit<br />
Nadel <strong>und</strong> Faden collageartig Ausschnitte von<br />
anderen Körpern oder Tiermasken näht, die<br />
ihre Identität verändern <strong>und</strong> in Frage stellen.<br />
Auf der Rückseite der Arbeiten wird ein abstraktes<br />
Bild aus Fäden <strong>und</strong> Rissen sichtbar.<br />
Die Rolle der Frau im Iran zwischen Tradition<br />
<strong>und</strong> Moderne, zwischen Islam <strong>und</strong> westlicher<br />
Kultur hinterfragt Mona Hakimi-Schüler in<br />
einem Tableau aus Porträts: einer Variation an<br />
Frauen mit unterschiedlich geb<strong>und</strong>enen<br />
Schleiern, mit Kopftuch <strong>und</strong> Sonnenbrille<br />
oder schulterfrei mit Abendfrisur. Besonders<br />
für westliche Betrachter faszinierend sind<br />
ihre detailreiche Bildcollagen der Serie<br />
»stories I live<br />
by«, in denen<br />
sich Fragmente<br />
von Koranseiten,<br />
arabischen<br />
Schriftzeilen <strong>und</strong><br />
orientalischen<br />
»ich<strong>und</strong>ich«,<br />
Mona<br />
Hakimi-Schüler<br />
Ornamenten mit mythologischen Darstellungen<br />
sowie politischen Szenerien auf teils illustrative,<br />
teils malerische Weise verbinden. Eine<br />
ganz andere künstlerische Position vertritt<br />
Leda Luss Luyken, deren großformatige Bildtafeln<br />
aus Modulen bestehen, die der Betrachter<br />
beliebig neu arrangieren kann. »Now and<br />
Then« etwa spannt den Bogen zwischen antiker<br />
Venus <strong>und</strong> moderner Weiblichkeit. Drei<br />
Künstlerinnen, drei Kulturen, drei Positionen,<br />
die in der kleinen Galerie in Berg ein Anliegen<br />
formulieren: dem Frau-Sein in der gesellschaftlichen<br />
Debatte eine Stimme zu verleihen.<br />
VOYAGER<br />
Björn Dahlem<br />
Galerie Rüdiger Schöttle<br />
Amalienstr. 41 | bis 28.1. | Di–Fr 11–18,<br />
Sa 12–16 Uhr<br />
Ein bisschen ist es, als käme man in eine dieser<br />
Kunst- <strong>und</strong> W<strong>und</strong>erkammern des Barockzeitalters,<br />
in denen Fürsten <strong>und</strong> Adelige Raritäten<br />
aus Kunst, Natur <strong>und</strong> Wissenschaften<br />
zusammentrugen, die ihnen kostbar <strong>und</strong><br />
wichtig erschienen.<br />
Nur dass<br />
diese Museumsvorläuferwesentlich<br />
üppiger ausgestattet<br />
waren<br />
als die reduzierte<br />
Schau in der<br />
Galerie Schöttle.<br />
Björn Dahlem |<br />
M-Konstellation |<br />
2011 | Holz, Stahl,<br />
Kupfer, Styropor,<br />
Vasen, Barometer,<br />
Oliven, Tusche,<br />
Schellack,<br />
250 x 139 x 106 cm |<br />
Courtesy Galerie<br />
Rüdiger Schöttle,<br />
Foto: Ulrich Gebert<br />
Und doch tritt man auch hier mit großem<br />
Staunen an die Vitrinen heran, um zu erk<strong>und</strong>en,<br />
welch w<strong>und</strong>ersame Objekte da so opulent<br />
präsentiert werden <strong>und</strong> aus was für<br />
Gegenständen sie sich zusammensetzen; <strong>und</strong><br />
schließlich, welch geheimnisvolle Botschaft<br />
sie dem Betrachter überbringen. Quelle der<br />
Inspiration des 1974 in München geborenen<br />
Björn Dahlem sind Astrophysik, Kosmologie<br />
<strong>und</strong> Philosophie. Von Hause aus vertraut mit<br />
diesen Gebieten – sein Vater ist Physiker –<br />
<strong>und</strong> mit reichlich Wissen um philosophische,<br />
religiöse <strong>und</strong> kunsthistorische Fragestellungen<br />
ausgestattet, verarbeitet er die unterschiedlichsten<br />
Alltagsgegenstände <strong>und</strong> Materialien<br />
zu poetisch anmutenden Weltmodellen.<br />
Seine Installationen <strong>und</strong> Skulpturen sind voller<br />
Referenzen auf kosmische Phänomene<br />
<strong>und</strong> die Ursprünge des Universums. Sie sehen<br />
aus wie astronomische Modelle aus dem<br />
Deutschen Museum <strong>und</strong> sind doch weit entfernt<br />
von jeglichem wissenschaftlichen<br />
Anspruch <strong>und</strong> den Gesetzen der Physik. Vielmehr<br />
stellen sie ein Konglomerat dar aus<br />
Erkenntnissen der Forschung, aus mythologischen,<br />
religiösen <strong>und</strong> philosophischen Deutungen,<br />
etlichen kunsthistorischen Bezügen,<br />
ein wenig Science Fiction <strong>und</strong> einer Portion<br />
Humor. Diesen fi ndet man vor allem in der<br />
Wahl der Materialien. Der Veranschaulichung<br />
unterschiedlicher Sonnenphasen etwa dienen<br />
dem Künstler neben ein paar bemalten Styroporkugeln<br />
ein schwarzer Samtball <strong>und</strong> eine<br />
verschrumpelte Zitrone. Der goldblättrige<br />
Lebensbaum wiederum steht auf einer Basis<br />
aus Spiegeln <strong>und</strong> Kristallvasen, <strong>und</strong> zu den<br />
Bestandteilen der fragilen »M-Konstellation«,<br />
die sich wie eine Kirchturmspitze oder eine<br />
schwarze Monstranz über einem polygonen<br />
Sockel erhebt, zählen Oliven <strong>und</strong> ein Barometer.<br />
Dieses rätselhafte Objekt nimmt Bezug<br />
auf eine Theorie aus dem Bereich der kosmischen<br />
Gravitationslehre, mit der ein nicht<br />
gelöstes Problem – M = Mystery – physikalisch<br />
beschrieben wird. Auch Björn Dahlem<br />
bietet keine Lösung an. Er versteht seine<br />
Werke als eine Art Denkmodelle, die alle<br />
Facetten von Wissenschaft <strong>und</strong> Weltanschauung<br />
bis hin zu Glaube <strong>und</strong> Hoffnung zur Verfügung<br />
stellen, um die Imagination des<br />
Betrachters herauszufordern. ||
Kunst muss glaubwürdig sein<br />
Wlademir Faccioni bei der Probe<br />
Simone Sandroni<br />
war 1987 in Brüssel Gründungsmitglied<br />
von Ultima Vez <strong>und</strong> arbeitete bis 1992 in der<br />
Compagnie von Wim Vandekeybus. 1996<br />
gründete er in Prag zusammen mit Lenka<br />
Flory die Kompanie Déjà Donné, die vom<br />
Trasimener See aus mittlerweile 26 Länder<br />
Europas, Nordamerikas <strong>und</strong> Asiens bereist hat.<br />
Sandronis Stück »Das Mädchen <strong>und</strong> der<br />
Messerwerfer« wird am zweiten Abend der<br />
»englischen Saison« uraufgeführt, zusammen<br />
mit Werken von Russel Maliphant <strong>und</strong><br />
Kenneth MacMillan (das Münchener <strong>Feuilleton</strong><br />
berichtete in der Dezemberausgabe).<br />
mit den Motorrollern <strong>und</strong> schauen zu <strong>und</strong> hauen wieder ab.<br />
Paare küssen sich <strong>und</strong> verdrücken sich. In einer solchen Indifferenz<br />
<strong>und</strong> Langeweile versuchen sich auch meine HipHopper,<br />
die Zeit zu vertreiben.<br />
Wie arbeiten Sie mit dem Ensemble?<br />
Es ist nicht einfach, Balletttänzer in eine solche Atmosphäre zu<br />
versetzen. Es sind tapfere Performer, sehr diszipliniert, sie<br />
arbeiten intensiv an ihren körperlichen Fähigkeiten, wenden<br />
unendlich Zeit dafür auf, ihren Körper zu formen, sind fantastische<br />
Künstler, sehr präzise <strong>und</strong> fokussiert. Aber wenn ich sie<br />
nun bitte, sich zu öffnen, zu beobachten im gesamten Umkreis<br />
von 360 Grad, dass sie mit ihrem Körper auch darauf reagieren<br />
können, was irgendwo geschieht – natürlich haben sie selbst<br />
totale Körperkontrolle –, dann ist das zwar für sie nicht schwierig,<br />
aber es ist für sie etwas komplett Neues, Ungewohntes. Ich<br />
arbeite hier nur mit dem Ensemble, bringe keine Tänzer von<br />
außen mit ein. So ist es für sie – auch für mich – eine Herausforderung,<br />
glaubhaft zu agieren, nicht nur formal.<br />
Meine Bewegungsprinzipien beruhen auf der Körpermitte<br />
<strong>und</strong> einer fl exiblen Wirbelsäule. Gerade das Gegenteil ihrer<br />
Ausbildung: sie wären damit schon nach einem Jahr aus der<br />
Schule gefl ogen. Es gibt da aber kein Richtig oder Falsch. Balletttänzer<br />
haben, jeder für sich, fantastische Instrumente, <strong>und</strong><br />
die Herausforderung für mich besteht darin, das Beste aus<br />
jedem einzelnen herauszuholen.<br />
Hat sich im Ensemble etwas verändert seit Ihrer Arbeit<br />
»Cambio d´abito«?<br />
Ich war seit 2008 mehrfach am Haus, auch Leute aus der<br />
Besetzung, die mich noch nicht kennen, haben von anderen<br />
schon gehört, dass ich ihnen nicht Spezielles beibringen <strong>und</strong><br />
Ihnen auch nichts wegnehmen möchte. Die Tänzer sind gut<br />
vorbereitet, einige machten diverse Trainings, weil sie wussten,<br />
dass sie mit mir arbeiten werden. Bei mir gibt es keine<br />
statischen Momente, man ist ständig in Bewegung.<br />
Welche Musik wird zu hören sein?<br />
Ich arbeite mit 48Nord zusammen, Ulrich Müller <strong>und</strong> Siegfried<br />
Rössert, aus München. Die Musik hat verschiedene Ebenen.<br />
Sie muss für den Tanz funktionieren. Zweitens muss sie zum<br />
Ambiente <strong>und</strong> zur Atmosphäre passen, die Lenka Flory mit<br />
Bühnenbild <strong>und</strong> Kostümen geschaffen hat. Auf dem Platz passiert<br />
alles mögliche: Er ist umgeben von Musik. Wir sind noch<br />
auf der Suche – das ist schön, denn auch wenn die Zeit kurz<br />
ist, um ein Werk auf die Beine zu stellen, fi nde ich es wichtig,<br />
dass noch geforscht wird, dass man auf Abenteuer ausgeht,<br />
etwas Neues zu fi nden. Eben nicht auf die Bühne zu bringen,<br />
was man schon weiß <strong>und</strong> kann.<br />
Kann Tanz erzählen – nicht im Sinne des klassischen Handlungsballetts<br />
–, hat er narrative Qualität? Erzählen Sie vielleicht<br />
keine Geschichten, sondern davon, wie man Neues entdeckt?<br />
TANZ<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 13<br />
Simone Sandroni choreografi ert mit dem Bayerischen Staatsballett. Ein Gespräch über das Tanzen <strong>und</strong> das Nichtstun.<br />
THOMAS BETZ<br />
In einer späteren Ausgabe von »Das Mädchen <strong>und</strong> der Messerwerfer«<br />
merkt Wolf Wondratschek an, »dass die Geschichte,<br />
die diese Gedichte erzählen, auch als Libretto für ein Ballett<br />
brauchbar sein könnte«. Wie hat der Text Sie gef<strong>und</strong>en?<br />
Ballettdirektor Ivan LiŠka <strong>und</strong> Wondratschek sind Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />
der Autor liebt das Ballett. Schon lange bestand der Wunsch,<br />
daraus ein Ballett zu machen; aber LiŠka suchte noch nach<br />
einem Choreografen. Vor zwei Jahren bekam ich die Anfrage.<br />
Als ich das Poem las, wollte ich mich inspirieren lassen, aber<br />
es funktionierte nicht. Als Gedicht fand ich es w<strong>und</strong>erschön,<br />
aber ich suche die Gr<strong>und</strong>lagen meiner Arbeit nicht irgendwo<br />
draußen, in Musik, in Literatur, sondern im Studio, in den<br />
Menschen, mit denen ich arbeite. Im Leben – nicht in anderen<br />
Kunstwerken. Ich habe auch schon als Opern- <strong>und</strong> Theaterregisseur<br />
mit Textvorlagen gearbeitet, aber da bringe ich auf die<br />
Bühne, was bereits für die Bühne geschrieben ist. Wenn eine<br />
Musik – oder ein Buch – w<strong>und</strong>erbar ist, braucht sie keine<br />
Übersetzung. Denn Kunst verwandelt das Leben. Aus Kunst<br />
wiederum Kunst zu machen, geht mir zu weit.<br />
Sie haben es aber hier getan. Wie?<br />
Aus den fünf Figuren bei Wondratschek machte ich erst einmal<br />
zwei; aus dem kleinen Zirkus wurde ein kaputter Kinderspielplatz.<br />
Was machen sie da? Sie stellen sich zur Schau, sind sehr<br />
gleichgültig, sie haben vieles satt. Es ist übrigens an Wondratscheks<br />
Text schön, dass jedes Gedicht für sich stehen kann, man<br />
braucht nur zufällig eine Seite aufzuschlagen: phantastisch!<br />
Ich arbeite so: beweg dich, geh weg, komm wieder – es ist<br />
an den Bewegungen also nichts deskriptiv, was die Welt des<br />
Textes betrifft.<br />
Sie haben also nicht mit Charakteren begonnen zu arbeiten,<br />
sondern mit einer Atmosphäre?<br />
Nun, ich habe mich eher von der Person Wondratschek inspirieren<br />
lassen, von seiner Hingabe, von seiner Körperlichkeit. Wenn<br />
wir uns unterhielten, sprachen wir nie über die Tanzproduktion,<br />
aber einmal sagte Wolf: »Sie sollten eigentlich nur tanzen, wenn<br />
es sonst nichts zu tun gibt.« Das öffnete mir einen Weg.<br />
Zu dem Mädchen, dem Messerwerfer, den zwei Frauen <strong>und</strong><br />
dem Clown habe ich zwei hinzuerf<strong>und</strong>en, die ich russische Hip-<br />
Hopper nenne. Die sind bei den anderen mit dabei, obwohl sie<br />
dort eigentlich nichts verloren haben. Dann gibt es ein Netz auf<br />
diesem Spielplatz, wie auf einem billigen Asche-Fußballplatz,<br />
<strong>und</strong> dahinter halten sich die gelangweilten Youngsters auf. Apathische,<br />
aggressive Teenager, die nichts tun, die Sachen kaputtmachen,<br />
die für sich selbst tanzen, die Fußball spielen.<br />
Das ist, wie wenn ein Zirkus in einem kleinen Dorf gastiert,<br />
<strong>und</strong> man kommt schon neugierig hin, aber es ist noch zu<br />
früh <strong>und</strong> die Zirkusleute mit ihren zwei Wagen sitzen auf dem<br />
betonierten Fleck <strong>und</strong> essen. Nichts los. Und dann stellen sie<br />
Stühle auf für die Omas <strong>und</strong> die Enkel, dann kommen welche<br />
Liebe zum Tanz<br />
Konsequent forscht die <strong>Münchner</strong> Choreografi n Sabine Glenz in emotionalen <strong>und</strong> atmosphärischen Hybridbereichen, bearbeitet<br />
die situative Qualität einer Live-Performance, mit großem Interesse an Zwischentönen <strong>und</strong> den Abstufungen zwischen<br />
Darstellung <strong>und</strong> Präsenz. In ihrem jüngsten Stück »L.O.V.E.« schickt sie Karen Piewig <strong>und</strong> Zufi t Simon auf das R<strong>und</strong> der<br />
Bühne. Präsent sind dabei noch zwei andere Tänzerinnen – Valeska Gert <strong>und</strong> Rosalia Chladek, Protagonistinnen des<br />
Ausdruckstanzes, die unterschiedlicher kaum sein könnten: die Berlinerin Valeska Gert, exzentrische Kabarett-Frau <strong>und</strong><br />
Schauspielerin mit schneidendem Witz <strong>und</strong> hellwachem politischem Bewusstsein zum einen, zum andern Rosalia Chladek,<br />
die Körperbildung an der Schule Hellerau-Laxenberg studierte <strong>und</strong> später ihr eigenes Tanzsystem entwickelte <strong>und</strong> lehrte.<br />
Emigrantin die eine, Professorin an den Berliner »Meisterstätten für Tanz« <strong>und</strong> der »Deutschen Bühne« ab 1940 die andere.<br />
Deren unterschiedliche Zugriffe auf Tanz <strong>und</strong> Bewegung inspirierten Sabine Glenz zu »Anordnungen für zwei Tänzer«. || tb<br />
Simone Sandroni bei der Probe | Fotos: Wilfried Hösl<br />
Mit Tanz kann man nicht eine Geschichte erzählen, wie in Filmen<br />
oder Büchern. Gleichzeitig glaube ich, dass Tanz Aktion ist, <strong>und</strong><br />
wenn man an der Intensität der Aktion arbeitet, ablesen kann, ob<br />
man darum kämpft oder sich behaglich fühlt, oder sich aussetzt<br />
– man kann damit einiges erreichen. Aber das bedeutet nicht, zu<br />
erzählen: Es trifft geradewegs die Wahrnehmung des Publikums,<br />
ohne den Filter der Frage nach dem Warum. Was passiert gerade<br />
– darum geht es. Nicht um den narrative Weg, die Erklärung.<br />
Ich glaube auch nicht, dass man auf der Bühne realistisch<br />
sein kann, man kann glaubhaft sein. Nun gibt es ja viele Arten<br />
von Theater, keine hat recht, keine ist besser. Für mich kommt<br />
es auf Glaubwürdigkeit an.<br />
Sind Sie als Künstler, wenn man Wondratscheks Text<br />
betrachtet, nicht einerseits mit dem Messerwerfer verb<strong>und</strong>en?<br />
Sie haben Ziegelsteine geworfen <strong>und</strong> gefangen in den 80er-<br />
Jahren bei Ultima Vez, Sie haben Martial Arts geübt, als Tänzer<br />
wie im Zirkus jeden Tag trainiert, sich in den Zustand der<br />
notwendigen Konzentration versetzt. Und sind Sie nicht auch<br />
mit dem Mädchen verb<strong>und</strong>en? Die zwar bei kleineren Kunststücken<br />
mitmacht, dann auch sich den Messern stellt, aber eigentlich<br />
nicht den Formen <strong>und</strong> Konventionen des Zirkus folgt, sondern<br />
offen ist, für alles, was geschieht oder nicht geschieht.<br />
Diese Konstellation schafft dramaturgisch Spannung. Sich<br />
nicht auszustellen. Du gibst dich einer Aktion hin, aber du bist<br />
immer bereit für jede andere Aktion. Ich liebe die Idee, dass<br />
man sich fragt, was wird als nächstes geschehen? Das Unvorhersagbare.<br />
Viele meiner Arbeiten schuf ich basierend auf der<br />
Struktur von Fehlern, von Zufällen: Warum kamst du dazu?<br />
Weil ein anderer dies tat, <strong>und</strong> dann kam etwas Unerwartetes<br />
hinzu. Das liebe ich an der Arbeit. Ich schaue gern aus dem<br />
Fenster, oder sitze irgendwo, <strong>und</strong> beobachte die Leute. Das ist<br />
eine großartige Vorstellung, immer. Duchamps Ready-Mades<br />
berühren mich sehr. Also nimm einen Gegenstand <strong>und</strong> versuche<br />
ihn zu kontextualisieren, versetze ihn in eine andere<br />
Umgebung, mach einen Rahmen darum. Ich habe viel von seinem<br />
Kunstkonzept gelernt. Denn in der Kunst – das ist klar,<br />
dass ich das nicht als erster sage – können wir nichts erfi nden,<br />
wir können nur sammeln, nur auswählen. ||<br />
SIMONE SANDRONI | DAS MÄDCHEN UND DER MESSER-<br />
WERFER || RUSSEL MALIPHANT | AFTERLIGHT | BROKEN<br />
FALL || KENNETH MACMILLAN | LAS HERMANAS<br />
Mo 30. Januar (Premiere) | 19.30<br />
31. Januar, 1.-2. Februar<br />
Prinzregententheater | Prinzregentenplatz 12<br />
Karten: 089 21851970<br />
SABINE GLENZ<br />
L.O.V.E. – ANORDNUNGEN FÜR ZWEI EI TÄNZER<br />
12.-15. Januar | 20.30<br />
schwere reiter | Dachauerstr. 144<br />
Karten: 089 32494270
AUGENWEIDE<br />
SEITE 14 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
Mehr Dimensionalität!<br />
Bernd Rodenhausen, 1963 in<br />
Aschaffenburg geboren, war nach<br />
seinem Schulabbruch u.a. im<br />
Sägewerk, am Fließband, als<br />
Waldarbeiter, Möbelpacker <strong>und</strong><br />
Milchfahrer tätig. 1988 zog er<br />
nach München, studierte Kommunikationsdesign<br />
<strong>und</strong> fabrizierte<br />
erste Comics <strong>und</strong> Cartoons.<br />
Im Cartoonistenduo »FRED &<br />
GÜNTHER« veröffentlichte er<br />
seine Comics in Titanic, Zitty, in<br />
der Süddeutschen Zeitung, im<br />
STERN <strong>und</strong> anderen Printmedien<br />
sowie Sammelalben im Lappan-<br />
Verlag. Seit 2002 arbeitet Bernd<br />
Rodenhausen als freischaffender<br />
Maler, Grafiker <strong>und</strong> Theatermaler,<br />
Bühnenplastiker <strong>und</strong> Requisitenmeister<br />
am <strong>Münchner</strong> Volkstheater.<br />
Seit 2011 ist er Hausillustrator<br />
für Young & Rubicam, Berlin.<br />
Bernd Rodenhausen<br />
Bis 22. Januar sind seine Arbeiten in<br />
einer Gemeinschaftsausstellung mit<br />
dem Bildhauer Esteban Kleist in der<br />
Orangerie am Englischen Garten zu<br />
sehen. Bernd Rodenhausen will den<br />
Blick des Betrachters zur Langsamkeit<br />
zwingen. Das gelingt ihm immer<br />
– <strong>und</strong> die Leute freuen sich.
Beppo Brem <strong>und</strong> Jörg Hube: Zwei<br />
Fernseh-Kriminaler, zwei Musterbayern.<br />
Zwei Ausstellungen erinnern an<br />
die doch recht verschiedenartigen<br />
<strong>Münchner</strong> Schauspieler.<br />
Der<br />
Urbayer ...<br />
Ein Bild von einem Bayern: Beppo Brem | Foto: Sammlung Felix Felzmann /<br />
Valentin-Karlstadt-Musäum<br />
BEPPO BREM IM FILM, FERNSEHEN UND PRIVAT<br />
Valentin-Karlstadt-Musäum im Isartor<br />
Tal 50 | bis 22. Februar | geöffnet Mo, Di, Do 11.01–17.29 Uhr |<br />
Fr, Sa 11.01–17.59 | So 10.01–17.59 | Eintritt 2,99, ermäßigt 1,99<br />
Anzeige<br />
birkenstraße 3<br />
82346 andechs<br />
tel (08157) 99 75 90<br />
www.ulenspiegeldruck.de<br />
BARBARA REITTER-WELTER<br />
Sie galten als bayerische Urviecher: derb <strong>und</strong> deftig in der<br />
Ausdrucksweise, eigenbrötlerisch im Charakter <strong>und</strong> grobschlächtig<br />
im Auftreten. Zwei Volksschauspieler, die nur nach<br />
außen das Klischee bedienten: Beppo Brem <strong>und</strong> Jörg Hube.<br />
Ein gebürtiger <strong>Münchner</strong> der ältere Brem (1906–1990), ein<br />
»Zuagroaster« aus Neuruppin in Brandenburg Hube (1943–<br />
2009), der jedoch bereits als Einjähriger in den Süden kam.<br />
Beide prägten sich dem breiten Publikum durch Fernsehrollen<br />
ein – Brem durch 117 Folgen seiner unkonventionellen Kriminaler-Figur<br />
Franz Josef Wanninger, Hube durch die TV-Serie<br />
»Die Löwengrube«, in welcher er den Kriminalbeamten Ludwig<br />
Grandauer verkörperte. Dabei waren sie auch an großen Häusern<br />
fürs Charakterfach engagiert, beide am Bayerischen<br />
Staatsschauspiel, Brem auch an Bauernbühnen. Im Valentin<br />
Musäum wird jetzt »Beppo Brem im Film, Fernsehen, Theater<br />
<strong>und</strong> privat« präsentiert, während die Monacensia unter dem<br />
Titel »Mein Kopf ist eine Bombe« Jörg Hube eine erste Erinnerungsschau<br />
widmet.<br />
Beide Ausstellungen sind klein, überschaubar <strong>und</strong> pointiert<br />
in der Inszenierung – auch wenn der Personenkult, die<br />
Akkuratesse, mit der den Biografi en nachgespürt wird, vor<br />
allem aber der Devotionaliencharakter so mancher Exponate<br />
schon befremdlich wirkt. Natürlich machen die diversen<br />
Trachtenhüte des Beppo Brem, mal mit Federbusch, mal mit<br />
Gamsbart, optisch etwas her, besitzen sein Toupet <strong>und</strong> die verschiedenen<br />
falschen Bartmodelle einen gewissen Unterhaltungswert.<br />
Doch zur ernsthaften Aufarbeitung dieser bajuwarischen<br />
Legende tragen sie nur wenig bei. Außer Fotografi en<br />
von Haus <strong>und</strong> Familie, ein paar Karikaturen <strong>und</strong> Ehrungen wie<br />
dem Bayerischen Verdienstorden, der auf einem blauen Kissen<br />
ausgestellt wird, beschränkt man sich auf die Dokumentation<br />
seiner Rollen.<br />
EIN BAYER IN ST. PAULI<br />
Schließlich gilt B.B., so sein Kürzel, als einer der bekanntesten<br />
Protagonisten des deutschen Nachkriegskinos. Er spielte in<br />
Heimtatfi lmen <strong>und</strong> Schwänken wie »Das sündige Dorf«, in Verwechslungskomödien<br />
<strong>und</strong> Militärklamotten, ab Ende der<br />
Sechziger auch in Sexfi lmen mit unsäglichen Titeln (<strong>und</strong><br />
ebenso unsäglicher Handlung) wie »Pudelnackt in Oberbayern«.<br />
Als meistbeschäftigter deutscher Nebendarsteller trat er<br />
zusammen mit Stars wie Heinz Rühmann (»Quax der Bruchpilot«)<br />
oder Curd Jürgens (»Des Teufels General«) auf. Dass er<br />
von Regisseuren wie Kurt Hoffmann oder Helmut Käutner<br />
auch in ernsthaften Charakterrollen eingesetzt wurde <strong>und</strong><br />
neben Episoden aus Ludwig Thomas »Lausbubengeschichten«<br />
auch der berühmteste »Verkaufte Großvater« auf der Bühne<br />
war, wird meist vergessen.<br />
BOMBENSCHÄDEL MIT SPRECHKULTUR<br />
»Der Herzkasperl ist ein Anarchist, einer, der keine Bomben<br />
schmeißt, sondern dessen Kopf eine Bombe ist.« So lautet<br />
einer der vielen überlieferten Sprüche des schwierigen <strong>Münchner</strong><br />
Originals Jörg Hube, das mehr als drei Jahrzehnte in der<br />
Kulturszene als Schauspieler <strong>und</strong> Regisseur, Kabarettist <strong>und</strong><br />
Autor präsent war. Ihn machten die fünf Folgen des Kabarettprogramms<br />
»Herzkasperl« stadtbekannt, die nach dem anfänglichen<br />
Flop bald Kult wurden – <strong>und</strong> deren Witz immer haarscharf<br />
an der Grenze zur exhibitionistischen Selbstentblößung<br />
balancierte. Dass Hube jedoch auch jahrelang als »seriöser«<br />
Darsteller in großen Rollen an den Kammerspielen zu sehen<br />
war, bevor er mit Dieter Dorn ans Residenztheater ging, dass<br />
er als Direktor der Otto-Falckenberg-Schule den Schauspieler-Nachwuchs<br />
ausbildete, all das rufen in der Monacensia<br />
zahlreiche Aufnahmen ins Gedächtnis. Man hat sich jedoch<br />
zur Aufgabe gemacht, den ganzen Hube zu präsentieren – <strong>und</strong><br />
so sieht man in den Vitrinen sogar Kinderbriefe, wo es mit dem<br />
»braf«-Sein nicht so klappt, Zeugnisse, die ihn als »jähzornig«<br />
bezeichnen oder Zeichnungen des Knaben. Sie erzählen aber<br />
auch von der Not eines einsamen Kindes, denn schon mit drei<br />
war das Schauspielerkind Hube ins Kinderheim, später in<br />
Internate gegeben worden – <strong>und</strong> blieb stets unangepasst <strong>und</strong><br />
aufmüpfi g.<br />
Diese Dokumente werfen zumindest biografi sch ein<br />
Schlaglicht auf den Charakter, der ihm bleiben sollte – später<br />
sah sich Jörg Hube selbst als Revoluzzer, der sich gegen alles<br />
aufl ehnte, was ihm bürokratisch oder ungerecht erschien.<br />
Egal, ob im Bürgerleben, in der Stadt oder in der Politik, deren<br />
Exponenten FJS er w<strong>und</strong>erbar zu parodieren verstand – er<br />
blieb, so Kuratorin Eva Demmelhuber, »ein bayerischer Don<br />
Quijote in rostiger Rüstung«. Am interessantesten aber ist sein<br />
geistiger Zettelkasten, seine Manuskripte für satirische<br />
Gedichte oder zynische Pamphlete. »Die einen werden kriminell,<br />
andere werden gleich Terroristen! Und bei wem es zu all<br />
dem nicht langt, der probiert’s halt mit der Kunst!« So selbstkritisch<br />
sah er die eigene Karriere. Auch mit Beppo Brem ist<br />
ein berühmtes Zitat verknüpft: der Karl Valentin zugeschriebene<br />
Spruch »Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit«. Er<br />
stammt aus der Opern-Verfi lmung »Die verkaufte Braut« aus<br />
dem Jahr 1932, in dem Regisseur Max Ophüls den 1,92 Meter<br />
großen Brem neben Liesl Karlstadt <strong>und</strong> Valentin als ungeschlachten<br />
Bauernburschen eingesetzt hatte – ein Rollentypus,<br />
der ihm zeitlebens anhaften sollte. ||<br />
MÜNCHNER KÖPFE<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 15<br />
... <strong>und</strong> der<br />
Anarchist<br />
Jörg Hube als umjubelter Puntila in Bertolt Brechts »Puntila <strong>und</strong> sein<br />
Knecht Matti« in den Kammerspielen, 1998, Regie: Franz Xaver Kroetz |<br />
Foto: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Oda Sternberg<br />
»MEIN KOPF IST EINE BOMBE – JÖRG HUBE.<br />
EIN KÜNSTLERLEBEN«<br />
Monacensia | Maria-Theresia-Str. 23 | bis 8. Juni 2012 |<br />
Mo–Mi, Fr 10.30–18 Uhr, Do 10.30–19 Uhr | Eintritt frei<br />
WERKSTATTGESPRÄCH<br />
7. Februar, 19.00 Uhr<br />
mit der Ausstellungsmacherin <strong>und</strong> Hube-Biografin<br />
Eva Demmelhuber zum Pre-Hearing der Hörproduktion,<br />
die im BR am 11.2. <strong>und</strong> 12.2. gesendet wird.<br />
JÖRG HUBE. HERZKASPERLS BIOGRAFFL.<br />
Ein Künstlerleben. Das Buch ist parallel zur Ausstellung<br />
erschienen | Herausgegeben von Eva Demmelhuber | Mit einem<br />
Vorwort von Gerhard Polt | LangenMüller, 2011 | 352 Seiten |<br />
22,99 Euro
BÜHNE<br />
SEITE 16 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
FLORIAN KINAST<br />
Auswärtsspiel in Fröttmaning<br />
Seit drei Jahren wird das Deutsche Theater umgebaut. Im Ausweichquartier am Stadtrand haben die Chefs<br />
die Chance zur Erneuerung des Spielplans genutzt.<br />
Manchmal packt die beiden Wehmut, Carmen Bayer <strong>und</strong> Werner<br />
Steer, die Sehnsucht nach der Schwanthalerstraße. Gerade<br />
an solchen Tagen, wo alles grau ist, der Wolkenbrei am Himmel,<br />
die Kieswüste vor dem Theaterzelt, der Baucontainer<br />
sowieso, der Container mit ihrem Büro. »Heimat«, sagt Steer,<br />
»Heimat wird das nie, das bleibt Exil. Wird Zeit, dass wir wieder<br />
reinkommen.« Rein in die Stadt. Aber sie sitzen immer<br />
noch draußen, die beiden Chefs des Deutschen Theaters.<br />
In New York spielt man Musicals am Broadway, in London<br />
im West End. In München zwischen U-Bahn-Werkstatt <strong>und</strong><br />
Kläranlage. In der Verbannung in Fröttmaning, seit mehr als<br />
drei Jahren. Längst wollten sie wieder daheim sein, Sommer<br />
2011, so war der Plan, doch der Umbau des Haupthauses zieht<br />
sich hin, jetzt reden sie von Frühjahr 2013. »Wir müssen aufpassen,<br />
dass wir hier nicht zur Dauereinrichtung werden«, sagt<br />
Steer. Dass es nicht zur Institution wird, das Provisorium, oft<br />
auch ein Improvisorium.<br />
Zu improvisieren gab es hier anfangs viel, in diesem Zelt,<br />
aber genau das war ein großes Glück. Vor dem Exodus war<br />
alles festgefahren, behäbig, es herrschte Stillstand wie in der<br />
Stoßzeit auf der Schwanthalerstraße, die Kruste so dick wie die<br />
115 Jahre alte Mauer des Theaters, wenn nicht dicker. Es gab<br />
zwei Produktionsfi rmen, von denen bezog man die Stücke,<br />
mehr Auswahl gab es nicht. »Verkrustet ist das richtige Wort«,<br />
sagt Carmen Bayer. »Wenn wir dringeblieben wären, wären wir<br />
gar nicht gezwungen gewesen, das aufzubrechen.« Gezwungen<br />
waren sie, aus Angst vor einer Pleite, einem Flop. Aus Angst,<br />
dass keiner rauskommt, dass der Standort tödlich ist, ohne<br />
Ambiente, ohne Möglichkeit, den Abend nach der Vorstellung<br />
in einer netten Bar ringsherum abzur<strong>und</strong>en. Dass Zuschauer<br />
fernbleiben, das fürchteten sie, doch es kam genau anders.<br />
Aufsehenerregend das provokante Premieren-Papst-Stück<br />
»In Nomine Patris« ab Mitte Oktober 2008, es gab einen kollektiven<br />
Totalverriss in Münchens Medien, beim Publikum<br />
Queen Esther Marrow (Mitte) <strong>und</strong> die Harlem Gospel Singers präsentieren ihre Show vom 19. bis 22. Januar | Foto: Veranstalter<br />
Begeisterung <strong>und</strong> Beschimpfungen, das ganze Spektrum, aber<br />
schon war das Theater auf einmal wieder im Gespräch. Es<br />
rührte sich was, Steer <strong>und</strong> Bayer suchten den Kontakt zu<br />
neuen, anderen Produktionsfi rmen, die Vielfalt wurde größer.<br />
Und die Leute kamen, bis heute im Schnitt 850 Besucher pro<br />
Vorstellung im 1500-Mann-Zelt, eine Auslastung von 60 Prozent,<br />
wie vor dem Auszug auch. Im Jahr sind es r<strong>und</strong> 250 000<br />
Zuschauer.<br />
Die Allianz Arena nebenan hat das allein an vier Samstagen.<br />
Aber jetzt kommen ja immerhin von dort auch Fußballer<br />
herüber ins Theater. Der erste war Oliver Kahn. Der kam noch<br />
vor dem Papst. Und das kam so: Im Sommer 2008 rief Uli<br />
Hoeneß bei Steer an, ob der Torwart-Titan denn nach seinem<br />
letzten Spiel am 2. September seine Abschiedsparty im Deutschen<br />
Theater feiern könne. Sechs Wochen vor der eigentlichen<br />
Premiere. »Kriegen wir hin«, sagte Steer, <strong>und</strong> Steer sagte<br />
es auch, als Kahn am 1. September im Ferrari vorfuhr <strong>und</strong> sich<br />
durchs Zelt führen ließ. Der Boden war aufgerissen, aus den<br />
Wänden hingen Kabel, <strong>und</strong> Kahn fragte: »Sagen Sie, wo fi ndet<br />
das morgen eigentlich statt?« Da sagte Steer: »Hier.« Und es<br />
fand statt, alles wurde fertig, es wurde eine rauschende Gala,<br />
mit vielen Ehrengästen. Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Ottmar<br />
Hitzfeld, sie alle fanden den Weg hierher. Anders als ein<br />
anderes Mal Lothar Matthäus. Der, so erzählt es Steer, rief<br />
eines Spätnachmittags einmal bei ihm an, wegen zwei Karten<br />
für die Abendvorstellung. Matthäus kam auch, aber viel zu<br />
spät, er war irrtümlicherweise in die Schwanthalerstraße<br />
gefahren. Dabei hätte er es ursprünglich ja gar nicht weit<br />
gehabt. Zuvor war er bei einem Spiel in der Arena drüben.<br />
Auch die Löwen haben sie oft als Gäste im Zelt, die <strong>Spiele</strong>r<br />
des TSV 1860, Mitte Dezember war hier ihre Weihnachtsfeier,<br />
davor rückten sie bei »Mamma Mia« oder »Evita« an. »Die fühlen<br />
sich wohl hier«, sagt Steer, »bei uns bekommen sie beste<br />
Unterhaltung.« Beste Unterhaltung, das ist ja genau das,<br />
Leichte Unterhaltung ist eine schwere Kunst.<br />
warum sie gegen Vorurteile aus der Kulturbranche kämpfen<br />
müssen, »dumme Vorurteile«, wie Bayer sagt. Dass sie mit<br />
ihren Stücken massenkompatiblen Mainstream liefern, keine<br />
avantgardistische Hochkultur – aber wenn die anderen die<br />
Nase rümpfen, zuckt Steer mit den Schultern. »Wenn ich die<br />
Gäste nach den Musical-Abenden hier anschaue, dann sind sie<br />
saugut drauf <strong>und</strong> oft beschwingter als die Besucher nach manchen<br />
Stücken an anderen Theatern.« Ja, natürlich sei es Entertainment,<br />
aber deswegen kämen die Leute ja auch, <strong>und</strong> deswegen<br />
werden sie auch so weitermachen.<br />
Auch 2013, wenn sie wieder daheim sind im neuen Deutschen<br />
Theater, das schick aussehen wird, wenn nichts mehr<br />
übrig ist vom alten, opulenten Theatersaal vor dem Umbau. Es<br />
wird heller, moderner, verwechselbarer, statt des alten Weißwurst-Kellers<br />
gibt es dann eine VIP-Lounge, die Patina wird<br />
zwar weg sein, aber eben auch die Kruste. Dem Exil sei Dank.<br />
Hat sich dann ja doch gelohnt, die Zeit neben dem Stadion.<br />
Das Auswärtsspiel in Fröttmaning. ||<br />
Deutsches Theater | Werner-Heisenberg-Allee 11 | Fröttmaning<br />
Spielplan <strong>und</strong> Karten: 089 55234444 | www.deutsches-theater.de
Darin üben sich verschiedene Theater in München.<br />
SABINE LEUCHT<br />
Es heißt nicht »Gop«, sondern »Ge O Pe«, was die Abkürzung<br />
ist für den 1912 erbauten Georgspalast in Hannover, in<br />
dem die Gastronomenfamilie Grote 1992 Originalbilder von<br />
dessen Varieté-Glanzzeit in den Fünfzigern hängen sah.<br />
Und deren Charme nahm die Grotes so gefangen, dass das<br />
Haus keine Disco wurde, sondern – wieder – ein Varieté.<br />
Der dies erzählt, als wäre er dabei gewesen, ist Roman<br />
Staudt, Pressesprecher der fünften <strong>und</strong> jüngsten Zweigstelle<br />
des mittlerweile »europaweit führenden Varietéunternehmens«<br />
GOP. In den Räumen der ehemaligen Kleinen Komödie<br />
am Max II in der Maximilianstraße 47 hat sie gerade die<br />
Schonfrist hinter sich gebracht, die die »GOP Entertainment<br />
Group« ihren Kindern zugesteht. Zwei Jahre, sagt Staudt,<br />
habe jedes als GmbH geführte Einzelhaus Zeit, sich zu rentieren.<br />
In München, der ersten Großstadt, waren es drei.<br />
Denn die Konkurrenz ist an einem solchen Standort natürlich<br />
größer als in Essen, Münster oder Oeynhausen.<br />
Warum das GOP hier in derselben Zeit prosperierte, in<br />
der sogar Witzigmanns »Palazzo« mit Schuhbecks »Teatro«<br />
fusionieren musste? Staudt spricht von der Preispolitik, die<br />
vor allem kleinere Firmen <strong>und</strong> Privatleute anspricht, die<br />
etwa zur Hälfte aus dem <strong>Münchner</strong> Umland kommen. Wenn<br />
Geldbeutel <strong>und</strong> Appetit schlank sind, gibt es Snacks oder<br />
auch Getränke solo. Doch wenn etwa die Allianz das ganze<br />
Haus bucht, um Mitarbeiter <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en mit biegsamen<br />
Frauenbeinen für den harten Alltag zu entschädigen, hat sie<br />
die Wahl zwischen einem opulenten Wunschmenü vorab im<br />
hauseigenen Restaurant oder dem wirtschaftlich interessanteren<br />
»Erlebnis-Arrangement«, wo schon für 54 Euro am<br />
Platz gegessen wird. Die Show ist natürlich inklusive <strong>und</strong><br />
überhaupt die Hauptsache, sagt Staudt. Sechs davon gibt es<br />
pro Jahr, die je zwei Monate am Stück gespielt werden <strong>und</strong><br />
dann weiterwandern – von GOP zu GOP.<br />
Die letzte Show im alten Jahr hieß »Glanzlichter« <strong>und</strong><br />
hatte klassisches Varieté-Format: Ein Zauberer-Entertainer<br />
fl achste mit den Gästen, ließ Karten <strong>und</strong> Tischchen fl iegen<br />
<strong>und</strong> sagte die Acts an. Neben eher gewöhnlichem Kontorsions-<br />
<strong>und</strong> Vertikalseil-Spektakel auch zwei aufregend durchrhythmisierte<br />
Jonglage-Nummern von Wes <strong>und</strong> Jay, drei<br />
Klischee-Spanier, die unter dem Label Lost Locos Machismo,<br />
Exhibitionismus <strong>und</strong> »heißblütige« Gitarrenklänge miteinander<br />
kombinieren – <strong>und</strong> die kämpferisch-aggressive Partnerakrobatik<br />
des jungen Duos Leo. Hier kamen neben der<br />
GABRIELLA LORENZ<br />
»Oamal in meim Lem mechat i des aa spuiln«, seufzte Alexander<br />
Liegl nach einer Aufführung von »Der nackte Wahnsinn«.<br />
Begreifl ich: Was der Engländer Michael Frayn 1982<br />
schrieb, ist die wahrscheinlich verrückteste Farce des Boulevard-Theaters<br />
<strong>und</strong> seitdem ein Renner auf europäischen<br />
Bühnen. Jetzt spielt Alexander Liegl »Der nackte Wahnsinn«<br />
im Lustspielhaus <strong>und</strong> seufzt über die wahnsinnigen Verwirrungen:<br />
»Es gibt Momente, wo i mich nimmer auskenn.«<br />
Für das Lustspielhaus ist diese Inszenierung ein Novum.<br />
Bis 1997 haben Liegl <strong>und</strong> seine regieführende Bühnen- <strong>und</strong><br />
Lebenspartnerin Gabi Rothmüller hier jährlich »Occams<br />
Rache« inszeniert, eine buntes Gemeinschaftsstück <strong>Münchner</strong><br />
Kabarettisten. Danach kamen Comic-Musicals wie »Der<br />
Watzmann ruft« oder »Siegfried«, zuletzt die Operette »Im<br />
Weißen Rössl«. Aber ein richtiges Theaterstück ohne Musik<br />
gab’s noch nie. Liegl <strong>und</strong> Rothmüller nehmen das sehr<br />
ernst: »Wir machen hier kein Kabarett. Und wollten deshalb<br />
auch nur Darsteller, die auch schauspielern können. Wir<br />
machen uns nicht über das Stück lustig.«<br />
Das Stück ist lustig genug: Eine Schauspielertruppe<br />
probt eine Boulevardkomödie. Nichts klappt. Der Ölsardinenteller<br />
steht immer am falschen Platz, die sieben Türen<br />
werden ständig verwechselt. Eine Schauspielerin verliert<br />
ihre Kontaktlinsen, ein Kollege seinen Text. Vor einem<br />
Spaß auf hohem Niveau<br />
Das GOP produziert Varietéprogramme für fünf Bühnen in ganz Deutschland.<br />
Jongleur Bertan Canbeldek in »Base« | Foto: Frank Wilde<br />
BÜHNE<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 17<br />
Oma <strong>und</strong> Onkel Karl auch die Enkel auf ihre Kosten, während<br />
ab 11. Januar mit »Base« vor allem Innovation <strong>und</strong><br />
Jugendkultur auf dem Programm stehen.<br />
Mit solchen <strong>und</strong> ähnlichen Mixturen muss ein Privatunternehmen<br />
ohne öffentliche Gelder seine Shows immer wieder<br />
kreativ auf Zumutbarkeit testen. Staudt nennt es »Freiheit«,<br />
wenn zu provokative Songs gestrichen werden oder<br />
man im Nachhinein den komödiantischen Aspekt verstärkt.<br />
Eine schlanke Verwaltung <strong>und</strong> straffe Planung bis hin zum<br />
Einheitsmenü tragen dazu bei, dass bis zu 100 Mitarbeiter<br />
pro Haus ihr Auskommen haben. Die kreativen Ideen stammen<br />
von der unternehmenseigenen Agentur GOP Showconcept,<br />
die alle GOP-Shows produziert <strong>und</strong> ständig nach<br />
neuen Talenten sucht. Ob im Nouveau-Cirque-Nest Montréal,<br />
im konservativen Kiew oder auf Sylt. Ihre Erfahrung ist<br />
mittlerweile auch außer Haus gefragt, wie etwa bei Kreuzfahrten<br />
der TUI, der Tollwood-Silvestergala oder der Eröffnung<br />
der Ballsaison im Deutschen Theater.<br />
Seit Kreativchef Werner Buss 2000 mit »Carpe Diem« die<br />
erste Performance ohne Worte auf die Showbühne brachte,<br />
gibt es überdies weit mehr »Konzept«-Shows als klassische<br />
Varieté-Abende. »Ihr werdet nicht das sehen, was ihr kennt,<br />
aber ihr werdet Spaß haben«, so formuliert Roman Staudt<br />
die GOP-Philosophie, die sanft auf die Entwicklungsfähigkeit<br />
seines Publikums setzt. Immerhin 700.000 deutschlandweite<br />
Gäste im Jahr geben ihr Recht. Unter ihnen<br />
durchaus auch klassische Theatergänger oder solche, die es<br />
noch werden. Denn, so Staudt: »Wir sind natürlich kein Teil<br />
der Hochkultur, aber das, was wir tun, tun wir auf hohem<br />
Niveau.« ||<br />
GOP | Maximilianstraße 47<br />
Spielplan <strong>und</strong> Karten: 089 210288444 | www.variete.de<br />
»Kunst braucht konstruktive Verzweifl ung«<br />
Gabi Rothmüller inszeniert im Lustspielhaus die Boulevard-Komödie »Der nackte Wahnsinn« von Michael Frayn.<br />
anderen ist keine Frau sicher, vor einem weiteren keine<br />
Whiskyfl asche. Dieses Traumteam sieht man von zwei Seiten:<br />
als Darsteller im Stück im Stück <strong>und</strong> in ihren privaten<br />
Verfl echtungen. Im zweiten Akt dreht sich das Bühnenbild<br />
um 180 Grad <strong>und</strong> zeigt die gleiche Szene aus der Backstage-<br />
Perspektive. Dafür hat Bühnenbauer Christoph Wessling<br />
enorm getüftelt <strong>und</strong> um jeden Zentimeter gekämpft.<br />
Die Darsteller kennt man aus verschiedensten Bereichen:<br />
Alexander Liegl <strong>und</strong> Michael Altinger als Kabarettisten,<br />
die Schauspieler Sonja Kling <strong>und</strong> Thomas Wenke vom<br />
Ensemble der Lach & Schieß, Eva-Maria Reichert aus dem<br />
»Forsthaus Falkenau«, Norbert Heckner vom Nockherberg-<br />
Singspiel <strong>und</strong> vielen Bühnenrollen. Ferdinand Schmidt-<br />
Modrow wechselt zwischen Bühne <strong>und</strong> Kino, Constanze<br />
Lindner gilt in der Truppe als die Allro<strong>und</strong>erin. Gabi Rothmüller<br />
mimt eine unglücklich verliebte Regieassistentin,<br />
<strong>und</strong> die echte Regieassistentin Lara, Tochter von Ottfried<br />
Fischer, spielt sogar eine tragende Rolle: die Wand.<br />
Aber niemand soll auf der Bühne mit seinen kabarettistischen<br />
Eigenheiten auftrumpfen. Denn eine Komödie, die<br />
selbst schon die Parodie einer Boulevardkomödie ist, nochmal<br />
zu parodieren, das ginge gar nicht, sagt Gabi Rothmüller:<br />
»Wenn hier ein Regisseur meint, eigene Ideen haben zu<br />
müssen, wird’s katastrophal.« Alle müssen sich uneitel in<br />
den Dienst der Rolle stellen. Thomas Wenke genießt es, als<br />
Regisseur des geprobten Bühnenstücks »mal in einer anderen<br />
Position zu sein«: Er sitzt zum Teil im Publikum. Eine<br />
Angst hat er jedoch: »Dass Zuschauer an meinem Tisch<br />
dazwischenquatschen <strong>und</strong> ich einen Einsatz verpasse.« Die<br />
enorme Präzision, die das türenschlagende Boulevard-<br />
Klipp-Klapp erfordert, treibt alle manchmal zur Verweiflung.<br />
Alexander Liegl bleibt zuversichtlich: »Kunst braucht<br />
konstruktive Verzweifl ung.« ||<br />
DER NACKTE WAHNSINN<br />
bis 11. Februar 2012 | Di–So | 20:30<br />
Lustspielhaus | Occamstrasse 8<br />
Karten: 089 344974 | www.lustspielhaus.de
BÜHNE<br />
SEITE 18 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
KEINE REDE VON THEATER<br />
Warum redet eigentlich keiner mehr übers Theater? »Ich will raus<br />
aus dem <strong>Feuilleton</strong>, ich will auf die Seite 1«, hat – sinngemäß –<br />
Franz Xaver Kroetz vor ein paar Jahrzehnten gesagt. Und es<br />
auch geschafft. Nach dem Abstieg durch zuerst die Fernseh-,<br />
dann die Klatschseiten muss er heute allerdings froh sein,<br />
wenigstens noch im <strong>Feuilleton</strong> vorzukommen. (In diesem Jahr<br />
wird es wieder so weit sein, da kommt im Cuvilliéstheater die<br />
Uraufführung eines neuen Stücks von ihm heraus: »Du hast<br />
gewackelt. Requiem für ein liebes Kind«, <strong>und</strong> an den Kammerspielen<br />
machen sie sein »Wunschkonzert«). Dann wird wieder<br />
von Kroetz zu reden sein. Im <strong>Feuilleton</strong>.<br />
Aber das Tagesgespräch? Die öffentliche Diskussion? Die<br />
Schlagzeilen? Der Party-Talk? – Die alle haben das Theater<br />
längst vergessen. Kommt nicht mehr vor. Ist kein Aufreger mehr.<br />
Wo sind die Zeiten geblieben, als 1968 an den Kammerspielen<br />
Peter Stein mit seiner Sammelaktion für den Vietcong noch die<br />
Stadt in Rage brachte (<strong>und</strong> dafür von Everding gefeuert wurde)?<br />
Als die Staatsregierung 1985 tobte, weil Sepp Bierbichler im<br />
Residenztheater mit einem Impromptu in Achternbuschs »Gust«<br />
deren Südafrika-Politik attackierte (<strong>und</strong> wenig später Intendant<br />
Baumbauer dafür den Stuhl vor die Tür gestellt bekam)? Als der<br />
Dramatiker Rolf Hochhuth 1978 den »furchtbaren Juristen«<br />
Ministerpräsident Hans Filbinger in Stuttgart zu Fall bringen<br />
konnte? Als der Kammerspiel-Intendant Hans-Reinhard Müller<br />
noch graue Haare bekam von der Ächtung, mit der ihn die<br />
<strong>Münchner</strong> Gesellschaft für sein Engagement von Dieter Dorn<br />
<strong>und</strong> Ernst Wendt abstrafte? »Wendt <strong>und</strong> Dorn, hint’ <strong>und</strong> vorn,<br />
Dorn <strong>und</strong> Wendt, <strong>und</strong> kein End«: So ging damals der Spottvers<br />
durch die Stadt; reichlich platt, aber immerhin – man sprach über<br />
das Theater.<br />
Mit Skandalen durch Sex <strong>und</strong> Ekel, Blut <strong>und</strong> Hoden, die über<br />
viele Jahre hinweg wie ein letztes Lebenszucken des Theaters<br />
gelesen werden konnten, ist heute ohnehin kein Aufsehen mehr<br />
zu machen – wir haben das in der letzten Ausgabe des <strong>Münchner</strong><br />
<strong>Feuilleton</strong> thematisiert. Und wenn Frank Castorf derzeit im<br />
Residenztheater Horváths »Kasimir <strong>und</strong> Karoline« buchstäblich<br />
durch die Scheiße waten lässt, dann ist das dem Publikum bestenfalls<br />
ein amüsiertes Schulterzucken wert. Nicht einmal die<br />
Franz-Josef-Strauß-Klamotte »Halali« im Cuvilliéstheater konnte<br />
der CSU auch nur das allerkleinste Donnergrollen entlocken – es<br />
ist wirklich auf nichts mehr Verlass im Leben.<br />
Aber die aktuellen, brandheißen, fi ngerbrennenden Themen<br />
– die müssten doch ziehen? Von der Staubwolke über Gro<strong>und</strong><br />
Zero bis zur Aschewolke über Island, von der Kinderschändung<br />
bis zu den Neonazis – es gibt ja buchstäblich keinen »Tagesthemen«-Stoff,<br />
an dem sich nicht irgendein junger ambitionierter<br />
Dramatiker die Feder wetzen würde. Mangelnder Zeitgeist ist<br />
das Letzte, was man unseren Theatermachern vorwerfen könnte.<br />
Nur leider: Solche Produktionen gelangen nur selten aus der<br />
Spiel-Ecke der Experimentierbühnen, der Kellertheater, des Marstalls<br />
oder Werkraumtheaters heraus – <strong>und</strong> noch seltener ins<br />
öffentliche Bewusstsein hinein. Eine kurze Besprechung im<br />
<strong>Feuilleton</strong>; das war’s dann schon mit dem Tagesgespräch.<br />
Schon wieder so ein Gemecker übers Theater? Keineswegs.<br />
Eher schon eine Publikumsbeschimpfung. Die Theatermacher<br />
quer durch alle Häuser geben sich alle erdenkliche Mühe, ins<br />
Gespräch zu kommen; mit welchen Mitteln auch immer. Hingehen,<br />
hinhören, diskutieren müssen wir, das Publikum, schon<br />
selber. Oder vielleicht doch wenigstens einen Bruchteil des Interesses<br />
dafür aufbringen, das der derzeit offenbar lebenswichtigen<br />
Frage gilt, wer Nachfolger von Thomas Gottschalk wird ...<br />
ROLF MAY<br />
THE PHILOSOPHER‘S<br />
STONE<br />
Eigenbrötler, Verrückte, Kämpfer<br />
Einst ein Brausebad, heute ein Sehnsuchtsort für Querdenker: das Theater am<br />
Sozialamt. Ein Blick in den Alltag der Schwabinger Kultur-Bastion.<br />
Der skurril gestaltete Theatereingang im Hinterhof | Foto: Hilda Lobinger<br />
CORNELIA FIEDLER<br />
Fahrige Schatten zucken über die Wände, zwei Kerzen spenden<br />
unzuverlässiges Licht. Sie lassen hier eine kahle Wand, dort eine<br />
fl ache Holzbank aufl euchten, wie man sie aus Turnhallen kennt.<br />
Zwei Gestalten tappen hinter den Kerzen herein. »Du wirst mich<br />
zweifellos fragen«, beginnt der Ältere mit dem zerzausten Haar,<br />
um eine feste Stimme bemüht, »warum wir hier stehen bleiben.«<br />
– »Gut, kann ich machen«, lautet die Antwort. Die Worte des<br />
Älteren tasten sich in die Dunkelheit vor, suchen Halt, schlagen<br />
abstruse kleine Volten, verebben, ohne viel erklärt zu haben.<br />
Die Guckkastenbühne im charakteristischen Breitwandformat<br />
zeigt den Ausschnitt einer kahlen Mehrzweckhalle. Komplett<br />
würde so ein Bau wohl das gesamte Theater am Sozialamt,<br />
kurz TamS, schlucken, das Büro in der ehemaligen Bademeisterwohnung,<br />
den verwinkelten Schwabinger Hinterhof, das<br />
Foyer mit den alten Rohren <strong>und</strong> Wasserkesseln über der Bar.<br />
Auf der Bühne sind die Proben für »Fragen Sie Ihre linke Hand,<br />
wem sie gehört« in vollem Gange: eine surreale Szenenfolge von<br />
Jean Tardieu, zerlegt <strong>und</strong> mit heutigem Blick neu zusammengesetzt<br />
von Regisseurin Hilde Schneider, die in der ersten der langen<br />
Stuhlreihen sitzt.<br />
Tardieu stellt in Frage, woran Menschen sich gern klammern:<br />
Ordnung, Glaube, auch die Sprache. Konsequent muss<br />
sein absurdes Theater auch jede Dramaturgie, die Geschichte,<br />
den psychologischen Figurenentwurf zerschlagen. In einer Art<br />
Schutzraum lässt Hilde Schneider Figuren aus Tardieus Minidramen<br />
aufeinandertreffen, verstrickt in komische Kämpfe mit<br />
sich, dem Alltag, dem Unerwarteten: »Sie gehen in Deckung«,<br />
erklärt Schneider, »aber nicht nur, weil da draußen Katastrophen<br />
stattfi nden. Da draußen ist eben auch das Leben.«<br />
Eine Art Schutzraum, so könnte man auch das TamS bezeichnen,<br />
natürlich nicht vor dem Leben, eher für eine bestimmte<br />
Sichtweise darauf. »Ein versteckter Ort mit ein paar Eigenbrötlern,<br />
Verrückten, Kämpfern«, beschreibt TamS-Chefi n Anette<br />
Spola ihr Theater. 1970 hat sie gemeinsam mit Philip Arp das<br />
ehemalige Brausebad für die Kunst erobert, »völlig naiv«. Zwei<br />
junge Theaterverrückte, die Karl Valentins verschroben hintergründiges<br />
Denken liebten, sich früher als andere für Peter<br />
Handke <strong>und</strong> Thomas Bernhard begeisterten, die bereits drei<br />
Jahre mit ihrem Pantomime-Programm durch Europa <strong>und</strong> Südamerika<br />
gezogen waren.<br />
Wie lässt sich das eigentümliche TamS-Denken beschreiben,<br />
das bis heute prägend ist? »Es will nicht unbedingt Fragen<br />
beantworten«, Spola setzt die Worte mit Bedacht, »vielleicht sind<br />
es auch Fallen, die wir stellen, Theaterfallen«, in die man arglos<br />
tappt <strong>und</strong> plötzlich zum Nachdenken gezwungen ist. Über 100<br />
Premieren, davon über 50 Ur- <strong>und</strong> Erstaufführungen hat das<br />
TamS hinter sich, von Promis wie Urs Widmer bis zu Entdeckungen<br />
wie Beate Faßnacht. Unter den Regisseuren war Lorenz<br />
Seib im letzten Jahr der jüngste, sein Bernhard bei Publikum<br />
<strong>und</strong> Kritik ein Erfolg.<br />
Kämpfen musste das TamS immer, das gehört dazu, doch<br />
einmal hätte Anette Spola fast aufgegeben. 2008 hatte die Stadt<br />
die Förderung so massiv gekürzt, dass der alltägliche Kampf<br />
nicht mehr zu gewinnen schien. Fast schon im Loslassen hatte<br />
Spola dann die Idee, die jetzt zur zweiten Säule des TamS<br />
geworden ist: Die »Theatertage Grenzgänger«, ein integratives<br />
Theaterfestival. Spola leitet zusammen mit Rudolf Vogel seit<br />
Jahren das Theater Apropos, eine Gruppe aus Darstellern mit<br />
psychischen Erkrankungen <strong>und</strong> solchen, die in der Psychiatrie<br />
tätig sind. Die Arbeit, meint Spola, unterscheide sich kaum von<br />
der mit anderen Schauspielern, jeder hat so seine Eigenheiten.<br />
Zum »Grenzgänger«-Festival kommen seit 2009 neben Apropos<br />
alljährlich Gruppen, in denen Menschen mit <strong>und</strong> ohne Behinderung<br />
zusammen auftreten. Eine neue, eigene Ästhetik entsteht,<br />
die so gut ins TamS passt, weil sie die Abgrenzungen dessen,<br />
was man so für normal hält, angenehm verschwimmen lässt.<br />
Auch bei Hilde Schneiders Tardieu-Inszenierung im Januar<br />
werden neben drei Profi s zwei Darsteller von Apropos im<br />
Ensemble sein. ||<br />
FRAGEN SIE IHRE LINKE HAND, WEM SIE GEHÖRT<br />
bis 11. Februar 2012 | Mi. bis Sa. | 20.30 Uhr<br />
TamS Theater am Sozialamt | Haimhauser Str. 13 a<br />
Karten: 089 345890 | www.tamstheater.de<br />
Mit Blut backt man keinen Eierkuchen<br />
In den Kammerspielen inszenierte Stephan Kimmig »Atropa. Die Rache des Friedens.<br />
Der Fall Trojas« von Tom Lanoye.<br />
SABINE LEUCHT<br />
Steven Scharf, Katja Bürkle | Foto: Arno Declair<br />
Am Anfang peitscht sie die Luft mit Cheerleader-Fähnchen,<br />
dann peitscht sie ihrer Iphigenie den Willen zum Opfertod ein.<br />
Und am Schluss bietet sie mit derselben Energie Kassandras<br />
Körper an. Damit sie der besinnungslos verliebte Schlächter von<br />
Troja mitnimmt in sein Land <strong>und</strong> sich ihre Version der Rache<br />
entfalten kann.<br />
Katja Bürkle als Agamemnons Tochter <strong>und</strong> als trojanische<br />
Terroristin ist das Kraftzentrum in Stephan Kimmigs Kammerspiele-Inszenierung<br />
von Tom Lanoyes »Atropa«, das Tragödien<br />
von Euripides <strong>und</strong> Aischylos mit Floskeln von Bush <strong>und</strong> Rumsfeld<br />
zu einem bald erhabenen, bald alltagssprachlich rumpelnden<br />
Porträt der Rhetorik aller Kriege verschneidet. Szenisch aber stehen<br />
die weiblichen Opfer im Fokus. Sechs an der Zahl.<br />
Kimmig hat das Stück des belgischen »Schlachten!«-Spezialisten<br />
stark gekürzt <strong>und</strong> legt zur Aufweichung der Geschlechterfronten<br />
die Verkündung von Trojas Leid in den M<strong>und</strong> eines Mannes. Dass<br />
es im mythischen trojanischen Krieg eigentlich schlicht um<br />
Rache ging, weil Prinz Paris Agamemnons Schwägerin Helena<br />
geraubt hat, wird schnell mal vergessen, denn Lanoyes Agamemnon<br />
trägt nur das Allgemeinwohl <strong>und</strong> die »Zukunft der Kultur«<br />
auf der Zunge. Ob der unumstößlichen Lauterkeit seiner Beweggründe<br />
will er sogar von den Troerinnen verstanden werden,<br />
deren Söhne <strong>und</strong> Männer er gemordet hat, um sie zu »befreien«<br />
aus »Verknechtung, Willkür, Tyrannei«. Steven Scharf spielt diesen<br />
Agamemnon als einen, der empfi nden <strong>und</strong> zweifeln kann, er zeigt<br />
aber auch die zunehmende Betriebsblindheit seiner Figur. So rastet<br />
er, über <strong>und</strong> über in Kunstblut getaucht, völlig aus, als die<br />
trojanischen Damen den mitgebrachten Kuchen nicht würdigen.<br />
Ebenso groß Wiebke Puls’ anfangs herzzerreißend um das<br />
Leben ihrer Tochter fürchtende Klytämnestra, die zuletzt wie<br />
ferngesteuert alle Troerinnen in den Abgr<strong>und</strong> führt, der sich hinter<br />
Katja Haß’ weiß getünchten Stahlwänden auftut. Der Tod auf<br />
Wunsch ist »Die Rache des Friedens«, wie »Atropa« im Untertitel<br />
heißt. Mit Blut lässt sich demnach kein Eierkuchen backen. Da<br />
sagt Lanoyes Stück nichts Neues. Es ist das W<strong>und</strong>er von Kimmigs<br />
Inszenierung, dass man dennoch atemlos bei der Sache bleibt. ||<br />
ATROPA<br />
14., 25. Januar 2012 | 20.00<br />
<strong>Münchner</strong> Kammerspiele<br />
Karten: 089 23396600 | www.muenchner-kammerspiele.de
Es glitzert<br />
die Burka<br />
Regisseurin Nora Schlocker<br />
drückt sich vor einer politischen<br />
Betrachtungsweise<br />
des Hebbel-Dramas<br />
»Gyges <strong>und</strong> sein Ring«.<br />
Stefan Konarske, Werner Wölbern | Foto: Tibor Bozi<br />
CHRISTIANE WECHSELBERGER<br />
Warum gräbt ein Theater einen kaum gespielten<br />
Hebbel aus? »Gyges <strong>und</strong> sein Ring« ist<br />
eine krude Geschichte um Fortschritt <strong>und</strong><br />
Tradition, in der Friedrich Hebbel den antiken<br />
König Kandaules ganz im Zeichen des Liberalismus<br />
(1848 lässt grüßen) alte Insignien<br />
abschaffen lässt. Damit erregt er den Unwillen<br />
seines Volkes. Den Unmut seiner Gattin Rhodope<br />
erweckt er, weil sie sich in der Öffentlichkeit<br />
sehen lassen soll. Sie aber weiht ihr<br />
Leben ganz dem Dienst an den Göttern, <strong>und</strong><br />
die verlangen, dass nur Vater <strong>und</strong> Ehemann<br />
sie unverschleiert sehen. Was aber nützt<br />
Kandaules die schönste Königin der Welt,<br />
wenn ihn niemand drum beneidet? Also<br />
schleust er seinen Herzenskumpel Gyges mit<br />
Hilfe eines Rings, der unsichtbar macht, ins<br />
Schlafzimmer, damit der Rhodope beäugen<br />
kann. Ein fataler Fehler: Gyges verliebt sich<br />
unsterblich, Rhodope entdeckt den Verrat <strong>und</strong><br />
fordert von Gyges, dass er Kandaules tötet<br />
<strong>und</strong> sich mit ihr vermählt, damit ihre Reinheit<br />
wiederhergestellt wird.<br />
Was stellt Regisseurin Nora Schlocker mit<br />
dieser Konstellation an? Zuerst einmal teilt<br />
sie mit Hilfe von Jessica Rockstroh die Bühne<br />
streng in privaten <strong>und</strong> öffentlichen Raum. Ein<br />
haushoher schwarzer Zylinder schließt die<br />
Welt aus, in der Kandaules (Werner Wölbern)<br />
<strong>und</strong> Gyges (Stefan Konarske) Wettkampf <strong>und</strong><br />
Fest feiern. Der Lärm dieser Welt dringt nur<br />
gedämpft in Rhodopes Zylinder. Gyges als<br />
Günstling – das nimmt Schlocker ganz wörtlich<br />
<strong>und</strong> öffnet mit Küsschen hier <strong>und</strong> Tätscheln<br />
dort den Blick auf eine zärtliche Männerfre<strong>und</strong>schaft.<br />
Das ist schön gespielt, doch<br />
entwickelt sich Konarskes Gyges immer mehr<br />
zum täppischen Toren mit hängenden Schultern.<br />
Und Kandaules? Wölbern wickelt sich in<br />
seinen Königsmantel, als könnte der ihn vor<br />
dem Verhängnis schützen. Rhodopes religiöser<br />
Fanatismus stürzt sie <strong>und</strong> Kandaules in<br />
den Tod. Dazu passt, dass Britta Hammelstein<br />
die Königin vom ersten Auftritt in der Glitzerburka<br />
an sphinxhaft kühl spielt, geradezu<br />
unbeteiligt.<br />
Nora Schlocker geht mit dem Stück<br />
genauso um wie der Beifall mit ihrer Inszenierung:<br />
höfl ich. Warum sie es aus dem Dunkel<br />
des Vergessens reißt, bleibt unbeantwortet. ||<br />
GYGES UND SEIN RING<br />
18., 24., 26. Januar, 9.,11.,16., 28., 29. Februar<br />
Residenztheater<br />
Die beste<br />
aller Welten?<br />
Friederike Heller schickt<br />
im Residenztheater Voltaires<br />
»Candide« zwischen Pop<br />
<strong>und</strong> Sandkasten auf die<br />
Lebensreise.<br />
Sebastian Blomberg, Hanna Scheibe | Foto: Thomas Dashuber<br />
BARBARA REITTER-WELTER<br />
Mit »Candide« ist Resi-Intendant Martin KuŠej<br />
seinem Versprechen untreu geworden, keine<br />
Roman-Adaptionen auf die Bühne zu bringen.<br />
Zwar konnte er mit Friederike Heller eine<br />
Fachfrau dieses Genres gewinnen, doch für<br />
Voltaires Hauptwerk fand auch sie keine<br />
schlüssige Form. Inhaltlich tat sie das einzig<br />
Richtige: verschlankte die ausufernde Geschichte,<br />
indem sie immer wieder die einzelnen<br />
Protagonisten erzählen ließ, befreite den<br />
Text von all dem makabren Ballast aus Erdbeben,<br />
Kriegen <strong>und</strong> Schiffsuntergängen, durch<br />
die Antiheld Candide gehen muss, bis er am<br />
Ende die bürgerliche Utopie zum Lebenssinn<br />
macht: »Wir müssen unseren Garten bebauen.«<br />
Statt spektakuläre Szenen ausspielen zu lassen,<br />
setzt Heller auf Reduktion <strong>und</strong> montiert<br />
einzelne Szenen fi lmschnittartig verknappt<br />
ineinander. Da wird nichts breit ausgepinselt,<br />
sondern einzelne Episoden nur knapp angespielt<br />
<strong>und</strong> mit spielerischer Ironie hinterfragt.<br />
Wer allerdings den Hintergr<strong>und</strong> der Story<br />
nicht kennt – die satirische Abrechnung Voltaires<br />
mit Leibniz’ Maxime, wir lebten in der<br />
besten aller möglichen Welten –, hat Pech.<br />
Würde nicht knallbuntes Sandkastenspielzeug<br />
von der Decke hängen, sähe die<br />
Bühne zunächst aus wie das Setting einer<br />
Popgruppe, die ohne Light- <strong>und</strong> Show-Effekte<br />
auskommt. Doch die rockigen Songs der<br />
Gruppe Kante sind so gut, dass sie phasenweise<br />
die ganze – insgesamt ambivalent wirkende<br />
– Aufführung tragen. Auf einem R<strong>und</strong>horizont<br />
im Hintergr<strong>und</strong> laufen später dann<br />
jene Bilder, die beim Lesen in der Fantasie<br />
entstehen. Heller hat dafür die Kunstgeschichte<br />
inklusive Kolonialismus-Problematik<br />
ausgebeutet, um im CinemaScope-Format die<br />
Schrecken vorbeiziehen zu lassen, die Candide,<br />
ein Simplicissimus des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts,<br />
auf der Suche nach seiner Geliebten Kunig<strong>und</strong>e<br />
in der alten <strong>und</strong> neuen Welt erlebt.<br />
Sebastian Blomberg spielt ihn mit viel sportivem<br />
Körpereinsatz als tumben Toren, der sich<br />
nur mühsam von den Maximen seines Lehrers<br />
Pangloss (Jörg Ratjen als Karikatur eines<br />
Gelehrten) befreit. ||<br />
CANDIDE<br />
16., 21., 31. Januar, 2., 8., 12., 17., 21. Februar<br />
Residenztheater<br />
Showdown<br />
auf dem Flokati<br />
Kušej bringt seine Züricher<br />
Inszenierung »Das Interview«<br />
in den Marstall. Die furiose<br />
Birgit Minichmayr <strong>und</strong> Sebastian<br />
Blomberg liefern sich ein<br />
Psycho-Duell.<br />
Birgit Minichmayr, Sebastian Blomberg | Foto: Adrian Ehrat<br />
BARBARA REITTER-WELTER<br />
Ein schlechter Auftakt für ein Interview. Politredakteur<br />
Pierre Peters ist sauer. Er muss für<br />
einen Kollegen ein Gespräch mit dem Fernsehsternchen<br />
Katja führen. Und das zu einem<br />
Zeitpunkt, als in den Niederlanden die Regierung<br />
zurücktritt. Die populäre Schauspielerin<br />
wiederum hat einen Klatsch-Journalisten<br />
erwartet ... So beginnt Theo van Goghs Kammerspiel<br />
»Das Interview«, in welchem der<br />
2004 ermordete Urenkel des Malers Vincent<br />
ein spannendes Duell zweier Medien-Strategen<br />
vorführt.<br />
Martin KuŠej hat das Stück in 90 hochkonzentrierten<br />
Minuten intensiv bis zum fi nalen<br />
Showdown gesteigert. Langsam im Rhythmus,<br />
führt er musikalisch ein Thema mit<br />
Variationen vor. Eigentlich ist es plakativer,<br />
klischee-gesättigter Edel-Boulevard, was der<br />
Holländer van Gogh als Film-Szenario verfasst<br />
hat, aber KuŠej arbeitet so präzise den<br />
subtilen Psycho-Subtext heraus, dass ein<br />
Thriller daraus wird, in dem sich, ebenso perfi<br />
de wie perfekt gemacht, Schein <strong>und</strong> Sein<br />
ständig überlagern. Im minimalistischen Bühnenbild<br />
von Jessica Rockstroh inszeniert er<br />
auf weißem Flokati eine Zimmerschlacht, in<br />
der mit harten Bandagen gekämpft, alle<br />
Register zwischen Annäherung <strong>und</strong> Aggression,<br />
Enthüllungen <strong>und</strong> Geständnissen gezogen<br />
werden. Letztlich ein knallhartes Machtspiel,<br />
das wie ein Sartre-Stück hinter<br />
verschlossenen Türen stattfi ndet, in dem die<br />
»Hölle die anderen« sind.<br />
Mit Birgit Minichmayr <strong>und</strong> Sebastian<br />
Blomberg hat KuŠej ein brillantes Duo, das<br />
sich auf Augenhöhe begegnet. Die hinreißende<br />
Schauspielerin mit der rauchigen<br />
Stimme zeigt alle Facetten ihres Könnens in<br />
permanentem Rollenspiel, ist mal verruchte<br />
Verführerin, die sich lasziv im lila Fähnchen<br />
auf dem Boden räkelt, dann wieder verängstigtes<br />
Kind oder knallharter, menschenverachtender<br />
Medienprofi , ist vulgär oder zickig.<br />
Aber im Gr<strong>und</strong> führt sie, wie ihr Partner, ein<br />
Fest falscher Gefühle vor. Blomberg kehrt den<br />
arroganten Zyniker hervor, eigentlich ein im<br />
Balkankrieg gestählter Macho, bleibt jedoch<br />
im Zweikampf mit dem gewieften Soap-Darling<br />
der Loser. ||<br />
DAS INTERVIEW<br />
4., 24., 25., 26. Februar | 20.00<br />
Marstall<br />
Karten <strong>und</strong> Informationen zu Residenztheater, Marstall <strong>und</strong> Cuvilléstheater unter: 089 21851940 | www.residenztheater.de<br />
BÜHNE<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 19<br />
Zwischen Fisch<br />
<strong>und</strong> Kitsch<br />
Ein rätselhaftes Stück,<br />
ein spannender Regisseur:<br />
Radu Afrim inszenierte<br />
Andrew Bovells<br />
»Das Ende des Regens«<br />
im Cuvilliéstheater.<br />
Lukas Turtur, Andrea Wenzl | Foto: Thomas Dashuber<br />
SABINE LEUCHT<br />
Ein sonderbarer Abend: Herrliche (neue)<br />
Schauspieler, eine Bühne, die Kälte atmet,<br />
ohne an ihr zu erfrieren – <strong>und</strong> doch kommt<br />
Radu Afrims Inszenierung stellenweise kaum<br />
vom Fleck. Zu lange dauert es, bis die zwei<br />
Kontinente <strong>und</strong> vier Generationen umspannende<br />
symbolschwangere Geschichte ihre<br />
Zusammenhänge offenbart. Doch wie sich der<br />
Regisseur aus Rumänien bei seinem Deutschland-Debüt<br />
auf sie einlässt, ist ziemlich konsequent.<br />
Von der Ehe der Laws im London des Jahres<br />
1959 über Selbstmord, Kinderschändung<br />
<strong>und</strong> das frühe Ende einer Liebe in Australien<br />
bis zu einem letzten Abendmahl mit den<br />
Familiengeistern anno 2039 springt Andrew<br />
Bovells »Das Ende des Regens« munter <strong>und</strong><br />
lange auch verwirrend hin <strong>und</strong> her. Daran<br />
ändern auch Afrims Umschichtungen nichts.<br />
Der Abend im Cuvilliéstheater beginnt mit<br />
einer Menge Menschen, die in Zeitlupe Helmut<br />
Stürmers würfelförmigen Raum streichen,<br />
der wie ein Zwitter aus Gewächs- <strong>und</strong><br />
Schlachthaus wirkt. Es sind die Ahnen von<br />
Gabriel York, dem bald ein frischer Fisch auf<br />
den Kopf fallen wird, denn es regnet so unablässig,<br />
dass die Früchte des Meeres offenbar<br />
schon im Himmel wachsen.<br />
Bis sich am Ende ein riesiger Fischkopf<br />
auf die Bühne schiebt, wird in den von allen<br />
Vätern <strong>und</strong> jeglichem Kommunikationstalent<br />
verlassenen Sippen Law <strong>und</strong> York oft <strong>und</strong> in<br />
einfallsreichen Variationen Fischsuppe serviert,<br />
aber nie gegessen werden. Ebenso oft<br />
wird davon die Rede sein, dass in Bangladesch<br />
die Menschen ertrinken, <strong>und</strong> der putzige Herd<br />
wird mit den immer gleichen Bewegungen<br />
angefeuert. Letzteres dient unter anderem<br />
dazu, die je zwei Akteurinnen, die Gabriels<br />
Großmutter Elizabeth (Andrea Wenzl/Barbara<br />
Melzl) <strong>und</strong> seine Mutter Gabrielle (Katharina<br />
Schmidt/Michaela Steiger) spielen, eindrucksvoll<br />
zu einer Person verschmelzen zu<br />
lassen.<br />
Afrims choreografi sches Theater schafft<br />
eine schwebende Surrealität hautnah am<br />
Kitsch. Und wenn etwa Gabrielle <strong>und</strong> ihr späterer<br />
Mann Joe (Oliver Nägele) mit Kühlschränken<br />
durch Nebelschwaden fahren,<br />
bevor sie sich von ihrem missglückten Leben<br />
verabschiedet, verdrückt man vielleicht ein<br />
paar Tränen. Oder es schaudert einen. ||<br />
DAS ENDE DES REGENS<br />
16., 21., 25. Januar, 2., 11., 12., 18. Februar<br />
Cuvilliéstheater
MUSIK<br />
SEITE 20 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
Foto: Wilfried Hösl<br />
»Wagner hat die<br />
Musikgeschichte<br />
verändert.«<br />
KENT NAGANO<br />
Kent Nagano, Jahrgang 1951, wuchs in Kalifornien auf <strong>und</strong><br />
dirigierte bereits mit acht Jahren im Kirchenchor. Nach seinem<br />
Studium der Musik <strong>und</strong> Soziologie arbeitete er an der<br />
Bostoner Oper als Korrepetitor, bis er 1984 das Bostoner<br />
Sinfonie-Orchester als Dirigent leitete. Weitere Stationen<br />
führten ihn nach Lyon, Manchester, New York, Berlin <strong>und</strong><br />
Los Angeles. Seit 2006 ist Nagano Generalmusikdirektor<br />
der Bayerischen Staatsoper. Er ist einer der gefragtesten<br />
Dirigenten der Welt.<br />
Bevor sich 2013 der 200. Geburtstag von Richard Wagner jährt, wird an der Bayerischen<br />
Staatsoper bereits 2012 der »Ring des Nibelungen« unter der musikalischen Leitung<br />
von Kent Nagano neu auf die Bühne gebracht. Die Tetralogie ist auch für den erfahrenen<br />
Dirigenten ein außergewöhnliches Mammutprojekt.<br />
GABRIELE LUSTER<br />
Herr Nagano, wann haben Sie zum ersten Mal bewusst<br />
Wagner gehört?<br />
Ich begegnete Wagner in meinem Jugendorchester in Kalifornien,<br />
das von einem Professor aus München geleitet wurde.<br />
Ich war ungefähr 13 Jahre alt <strong>und</strong> wir spielten die Ouvertüre zu<br />
»Die Meistersinger von Nürnberg«. Ich erinnere mich nicht<br />
mehr genau, aber ich nehme an, es war eine Bearbeitung.<br />
Welches Instrument spielten Sie denn damals?<br />
Die Bratsche.<br />
Und wie ging es weiter mit Ihnen <strong>und</strong> Wagner?<br />
Als ich Student war, erlebte ich meinen ersten »Ring des Nibelungen«<br />
in San Francisco mit Birgit Nilsson. Das war in den<br />
70er-Jahren <strong>und</strong> für mich eine prägende Erfahrung. Ein ganz<br />
besonderer Moment. Als Student der Komposition hatte ich<br />
mich bis dahin nur indirekt mit Wagner beschäftigt. Damals<br />
wurde der gesamte »Ring« in den USA nicht oft aufgeführt. Das<br />
war also eine tolle Chance.<br />
War das eine rein konzertante Aufführung oder eine richtige<br />
Inszenierung?<br />
Es war eine volle szenische Produktion <strong>und</strong> eine der letzten<br />
Möglichkeiten, Birgit Nilsson in Amerika zu hören. Sie traf<br />
kurz danach wegen irgendwelcher Querelen mit der Metropolitan<br />
Opera die Entscheidung, nicht mehr in die USA zu reisen.<br />
Was hat Sie fasziniert an Wagners Musik, speziell am<br />
»Ring«?<br />
Zunächst einmal war es diese spezielle Erzählart. Seine geniale<br />
Übernahme des mythologischen Stoffes. Es wird eigentlich<br />
die ganze Geschichte der Menschheit erzählt. Die Mythologie<br />
lebt ja von der mündlichen Überlieferung <strong>und</strong> das Interessante<br />
an der Erzählung ist, dass es sich niemals um eine lineare<br />
Geschichte handelt. Es geht um andere Dimensionen, um existentielle<br />
Fragen, um die Zeit. Mythologie erzählt viel von Vergangenheit,<br />
aber auch von Aktuellem. Von dem, was wir jetzt<br />
tun <strong>und</strong> welche Auswirkungen es auf unser Schicksal, auf die<br />
Zukunft hat. Das alles existiert in der Mythologie gleichzeitig<br />
<strong>und</strong> unterscheidet diese Erzählungen von einer Unterhaltungs-Story.<br />
Was genau passiert mit der Mythologie bei Wagner?<br />
Er hat die Erzähldimension übernommen in seinem selbst verfassten<br />
Libretto <strong>und</strong> mit seiner Kompositionsweise darauf<br />
reagiert. Man kann Musik <strong>und</strong> Libretto nicht voneinander<br />
trennen. Seine Leitmotivtechnik war im Gr<strong>und</strong>e nicht neu:<br />
Schon in der Barockzeit oder in der Klassik haben Komponisten<br />
bestimmte Situationen oder Charaktere mit immer gleichen<br />
Motiven gekennzeichnet – ich denke an Rameau oder<br />
Lully. Aber bei Wagner ist es anders: Es geht nie um eine echte<br />
Wiederholung.<br />
Sondern?<br />
Wagner modifi ziert die Motive, stellt sie in einen leicht anderen<br />
Kontext, gibt ihnen immer eine andere Form, unterlegt<br />
andere Texte <strong>und</strong> schafft so ein außerzeitliches, existentielles<br />
Bewusstsein.<br />
Können Sie ein Beispiel nennen?<br />
Wenn Erda im »Rheingold« zu Wotan über die Vergangenheit<br />
spricht, dann weiß sie auch, was aktuell passiert – <strong>und</strong> was<br />
künftig sein wird. In diesem Moment gibt es vier Pizzicati in<br />
den tiefen Streichern. Unterstützt vom Orchester klingen die<br />
wie Glocken. Glocken der Zeit. Das passiert jedes Mal, wenn<br />
Erda erscheint, in wechselndem Kontext, also zu jeweils anderen<br />
Worten. So gewinnt der Zuschauer den Eindruck, dass verschiedene<br />
Dimensionen der Zeit gleichzeitig existieren. Das ist<br />
Wagners geniale Art, dieses motivische Material zu benutzen<br />
<strong>und</strong> einzusetzen.<br />
Auch Sieglindes Motiv in der »Walküre« ist ein Beispiel<br />
dafür. Es erscheint manchmal in Dur, dann in Moll, in fl ießendem<br />
Tempo, dann wieder ganz breit – je nach der Situation im<br />
Drama. Diese Spannung kreiert etwas immerfort Fließendes<br />
<strong>und</strong> suggeriert Ewigkeit. In diesem Sinne ist das motivische<br />
Material bei Wagner viel mehr als nur ein Leitmotiv. Es kennzeichnet<br />
seine Art zu komponieren. Und wenn man bedenkt,<br />
wie anders das zu seiner Zeit üblich war, w<strong>und</strong>ert es nicht,<br />
dass er so stark polarisiert hat. Wagner wagte Neues <strong>und</strong> hat<br />
damit den Verlauf der europäischen Musikgeschichte geändert.<br />
Sie haben als Student Wagners Partituren studiert <strong>und</strong><br />
analysiert, haben Sie seine Musik damals auch schon dirigiert?<br />
(lacht) Als Student? Nein! Ich habe mich theoretisch mit seiner<br />
Musik auseinandergesetzt. Das gehört zum Standard. Es ist<br />
notwendig zu sehen <strong>und</strong> zu begreifen, wie Wagner die Tonalität<br />
revolutioniert, was er Neues in Bezug auf Musik <strong>und</strong> Drama<br />
geleistet hat. Aber diese analytische Beschäftigung ist etwas<br />
anderes, als Wagner wirklich zu interpretieren.<br />
Wann haben Sie dann Ihre erste Wagner-Oper dirigiert?<br />
Während meiner Zeit in Lyon habe ich zunächst Ausschnitte<br />
dirigiert, aus dem »Fliegenden Holländer« <strong>und</strong> aus »Parsifal«.<br />
Danach habe ich auch in England <strong>und</strong> mit meinem Orchester<br />
in Kalifornien konzertante Wagner-Aufführungen geleitet <strong>und</strong><br />
mit unterschiedlichen Orchestern einen konzertanten »Ring«<br />
in Skandinavien aufgeführt.<br />
Wenn man das hört, sind Sie – auch was den »Ring«<br />
angeht – fast ein alter Hase ...<br />
Ja <strong>und</strong> nein. Ich habe den »Ring« mehrmals dirigiert, aber<br />
eben noch nie eine gesamte szenische Produktion des Stoffes.<br />
Es war mir immer klar, dass ich die Tetralogie nur mit einem<br />
Regisseur erarbeiten kann, zu dem ich eine starke Beziehung<br />
aufbauen kann.<br />
Es gab schon in Lyon Pläne für einen »Ring«, aber wir<br />
bekamen nicht die richtige Besetzung zustande. Und in Los<br />
Angeles, wo wir zwar eine gute Besetzung hatten, scheiterte<br />
das Vorhaben, weil wir keinen passenden Regisseur fanden.<br />
Nun arbeiten Sie mit dem Regisseur Andreas Kriegenburg.<br />
Herr Kriegenburg <strong>und</strong> ich haben hier in München Alban Bergs<br />
»Wozzeck« gemacht <strong>und</strong> das war eine sehr starke Zusammenarbeit.<br />
Deshalb habe ich danach spontan mit unserem Intendanten<br />
Nikolaus Bachler gesprochen <strong>und</strong> er hatte die gleiche<br />
Idee. Andreas Kriegenburg hat bisher noch keinen »Ring«<br />
inszeniert <strong>und</strong> war sofort ganz offen dafür.<br />
Wir haben dann mehr als eineinhalb Jahre über dieses<br />
Projekt gesprochen, Ideen entwickelt, Gedanken ausgetauscht.<br />
Ich bin wirklich überzeugt, dass sein Konzept sich in absoluter<br />
Beziehung zur Musik bewegt.
Kent Nagano | Foto: Wilfried Hösl<br />
Merken Sie bei Ihrer Arbeit mit dem Staatsorchester, dass<br />
es eine lange Wagner-Tradition hat?<br />
Ja, aber Tradition entwickelt sich nicht automatisch nach<br />
vorne. Natürlich gibt es auf der einen Seite die Verantwortung<br />
eines Ensembles gegenüber dieser Tradition. Aber auf der<br />
anderen Seite auch ganz praktische Dinge, wie den natürlichen<br />
Generationswechsel.<br />
Das Besondere bei diesem Orchester ist, dass wir uns bei<br />
der Besetzung einer vakanten Position viel Zeit lassen. Solange,<br />
bis ein Musiker kommt, der mit den Kollegen atmet, dessen<br />
Instrument sich in den Klang des Orchesters integriert, mit<br />
ihm verschmilzt.<br />
Muss man sich Wagners Musik als Dirigent eher emotional<br />
oder analytisch nähern?<br />
Beides ist wichtig. Man kann Emotionen nicht kontrollieren.<br />
Anzeige<br />
»We do not play<br />
Sie sind einfach da <strong>und</strong> integraler Bestandteil des Menschen.<br />
Ein Gr<strong>und</strong>element der Musik. Es ist unmöglich, Musik zu<br />
machen ohne Emotionen. Aber sie sind nicht das einzige Element.<br />
Auch andere Dinge wollen respektiert sein, sonst hat die<br />
Musik keine Chance, als eine Sprache zu funktionieren <strong>und</strong><br />
die Visionen des Komponisten zu transportieren.<br />
Wagners Musik wird oft als Droge bezeichnet. Sie als Dirigent<br />
dürfen aber nicht abdriften, müssen also den Rausch kontrollieren<br />
...<br />
Es gilt für alle Künstler – wir machen eine Vorstellung in erster<br />
Linie für das Publikum. Teilweise auch für uns selbst, aber<br />
wenn wir uns in unserer Kunst verlieren, den Durchblick nicht<br />
mehr haben, dann erreichen wir das Publikum nicht. Wir alle<br />
– Tänzer, Schauspieler, Sänger, Musiker, Dirigenten – sind<br />
doch eigentlich da, um zu dienen ... ||<br />
the piano with our fi ngers<br />
but with our mnd« i<br />
MUSIK<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 21<br />
RICHARD WAGNERS »RING«<br />
an der Bayerischen Staatsoper unter der musikalischen Leitung<br />
von Kent Nagano <strong>und</strong> inszeniert von Andreas Kriegenburg:<br />
»RHEINGOLD« Premiere am 4. Februar<br />
»WALKÜRE« Premiere am 11. März<br />
»SIEGFRIED« Premiere am 27. Mai<br />
»GÖTTERDÄMMERUNG« Premiere am 30. Juni<br />
www.bayerische-staatsoper.de<br />
ZUM 80. GEBURTSTAG VON GLENN GOULD<br />
8.–12. Februar 2012<br />
im Gasteig<br />
Film, Theater <strong>und</strong> Lesung,<br />
Workshop, Vortrag <strong>und</strong> Diskussion<br />
Foto: Dan Weiner; mit fre<strong>und</strong>licher Genehmigung von Sony Classical<br />
Veranstalter Gould-Festival: Gasteig München GmbH<br />
Veranstalter Glenn Gould vs. Glenn Gould: Cherbuliez Productions, Buchenwald
MUSIK<br />
SEITE 22 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
MAX THEISS<br />
Der Ring ist<br />
Während der Pausen zwischen<br />
den einzelnen Akten<br />
von Wagners »Ring des Nibelungen«<br />
(<strong>und</strong> die erstrecken<br />
sich, alle Abende zusammengerechnet,<br />
immerhin über<br />
sechs St<strong>und</strong>en) übt sich das<br />
Opernpublikum gerne in der<br />
Komparatistik. Will heißen: Man<br />
schmeißt alle namhaften Inszenierungen<br />
der letzten Jahrzehnte in<br />
den, ähem, Ring <strong>und</strong> beginnt zu diskutieren.<br />
Interessanterweise koppelt<br />
man dabei immer den Namen des Regisseurs<br />
mit dem Wagner’schen Opus Magnum.<br />
Da gibt es den Kupfer-»Ring«, den Berghaus-»Ring«,<br />
den Dorst-»Ring« <strong>und</strong> natürlich<br />
den Chereau-»Ring« – dieser trägt auch noch<br />
den adelnden Beinamen: Jahrh<strong>und</strong>ert-»Ring«.<br />
Selten ergeht sich ein Opernpublikum<br />
derart im wissenschaftlichen Jargon wie beim<br />
»Ring«, <strong>und</strong> selten hat man ein musikalisches<br />
Werk derart hermetisch von der Kunst der<br />
Unterhaltung abgeriegelt wie hier. Man kann<br />
den Beweis ganz locker liefern, indem man in<br />
einer der besagten Pausenunterhaltungen den<br />
»Jackson-Ring« anspricht. Klar, Peter Jacksons<br />
Verfi lmung von J.R.R. Tolkiens »Herr der<br />
Ringe« ist nun wirklich eine andere Baustelle.<br />
Sie ist es aber nur auf den ersten Blick. Howard<br />
Shore, der die Filmmusik dafür komponierte,<br />
hat sich nämlich erstaunlich nah an<br />
Wagners Opern-Tetralogie gewagt: Man hört<br />
es gleich in »Die Gefährten«, dem ersten Teil<br />
der Filmtrilogie: Als Gandalf in Bilbo Beutlins<br />
Häuschen das erste Mal die Macht des Ringes<br />
spürt, lässt Shore eine ganz bestimmte Kombination<br />
zweier Moll-Akkorde erklingen, die<br />
auch Richard Wagner gerne verwendet, wenn<br />
er die Macht seines Rings musikalisch<br />
beschreibt.<br />
Das Spiel, nach Ähnlichkeiten zum Nibelungen-»Ring«<br />
zu suchen, lässt sich über alle drei<br />
Filme hinweg beliebig fortsetzen. Erstaunlich<br />
dabei ist, dass Shore den Wagner’schen Kompositionsstil<br />
radikal auf U-Musik ummünzt.<br />
Ob diese musikalischen Parallelen im Interesse<br />
von J.R.R. Tolkien gewesen wären, darf<br />
aber bezweifelt werden: Zeitlebens wehrte<br />
sich der Brite mit Händen <strong>und</strong> Füßen dagegen,<br />
dass sein Fantasy-Roman irgendetwas<br />
mit dem Opern-»Ring« gemein hätte. Sein<br />
kauziger Kommentar: »Beide Ringe sind r<strong>und</strong>,<br />
<strong>und</strong> das war’s dann auch schon mit den<br />
Gemeinsamkeiten.«<br />
r<strong>und</strong><br />
Wagner <strong>und</strong> Popkultur vertragen sich nicht<br />
so richtig. Es sei denn, man horcht mal in<br />
Hollywoods Filmmusik hinein.<br />
Richard Wagner war in den<br />
fünfziger <strong>und</strong> sechziger Jahren des letzten<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts eben kein Name, mit dem man<br />
sich gerne schmückte – schon gar nicht in der<br />
leichtlebigen Populärkultur. Die Unterhaltungsindustrie<br />
wollte von Wagner nichts wissen.<br />
Es dauerte nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
noch eine geraume Zeit, bis man etwas lockerer<br />
im Umgang mit jenem ideologisch vorbelasteten<br />
Komponisten wurde, den sich die<br />
Nationalsozialisten für ihre Zwecke zu eigen<br />
gemacht hatten. Bezeichnenderweise tönt bei<br />
den »Blues <strong>Brot</strong>hers«<br />
während ihrer Verfolgungsjagd mit den<br />
Neonazis der »Ritt der Walküren«. Das war<br />
1979, ein ehrwürdiger Schritt Richtung Pop,<br />
Wagner für die Massen. Nicht ganz unschuldig<br />
daran ist die vom gestrengen Wagner wohl<br />
nicht intendierte Komik, die dem »Ring« innewohnt<br />
<strong>und</strong> die man nach <strong>und</strong> nach erkannte.<br />
Der Jurist Ernst von Pidde etwa sammelte<br />
sämtliche illegalen Gaunereien in der Opernhandlung<br />
<strong>und</strong> verurteilte diese in seinem<br />
Buch »Richard Wagners »Ring des Nibelungen«<br />
im Lichte des deutschen Strafrechts«<br />
höchstrichterlich mit dem jeweils gebührenden<br />
Strafmaß. Auch Loriot hat erfolgreich die<br />
sechzehnstündige Oper auf zweistündige Massentauglichkeit<br />
zusammengekürzt <strong>und</strong> in seiner<br />
unnachahmlichen Manier nacherzählt.<br />
Dabei stieß er auf reichlich popkulturelles<br />
Potential. Als sich zum Beispiel in der »Walküre«<br />
Siegm<strong>und</strong> <strong>und</strong> seine verheiratete Zwillingsschwester<br />
Sieglinde ihrer glühenden<br />
Liebe zueinander Luft machen, bemerkt Loriot<br />
gewohnt trocken: »Es<br />
handelt sich hierbei um<br />
Inzest <strong>und</strong> Ehebruch – man<br />
ist begeistert«. Die »Walküre« als<br />
Soap-Opera – es wäre denkbar.<br />
Doch abgesehen von augenzwinkernder<br />
Sek<strong>und</strong>ärliteratur war <strong>und</strong> ist tatsächlich die<br />
Filmmusik die einzige Massenkunst, die sich<br />
in aller Ernsthaftigkeit an den Nibelungen-<br />
»Ring« herantraut – natürlich auch deswegen,<br />
weil es sich bei Filmmusik mit der<br />
Wagner’schen Leitmotiv-Technik so bequem<br />
arbeiten lässt. Pionier in dieser Hinsicht war<br />
John Williams, der die »Star Wars«-Reihe vertonte.<br />
Er ging auch ganz offen damit um, dass<br />
er sich bei seinen Kompositionen eng an Wagner<br />
orientierte. Dem Sternenkrieger Luke<br />
Skywalker etwa verpasste er eine Melodie, die<br />
nur deshalb anders als das Siegfried-Motiv<br />
klingt, weil Williams hier die einzelnen Notengruppen<br />
gleichsam auseinanderschnitt <strong>und</strong><br />
um ein paar weitere Noten ergänzte. Also<br />
Hausaufgabe für die nächste Opernpause:<br />
Leitmotiv-Vergleich der Figuren <strong>und</strong> Gegenstände<br />
bei »Star Wars« mit jenen im »Ring des<br />
Nibelungen«. ||<br />
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»Ich bin fest<br />
verwurzelt in der<br />
deutschen Kultur«<br />
Daniel Grossmann leitet seit sechs Jahren das Orchester<br />
Jakobsplatz, um von München bis Usbekistan jüdische<br />
Musik <strong>und</strong> Kultur zu pfl egen. 2012 will er sich auch<br />
Richard Wagner nähern.<br />
GABRIELE LUSTER<br />
»Wir wollen keine Erinnerungskultur betreiben,<br />
aber wir möchten jüdische Musik <strong>und</strong><br />
Kultur pfl egen, die mit uns hier <strong>und</strong> heute<br />
etwas zu tun haben.« Nach diesem Credo leitet<br />
Daniel Grossmann seit sechs Jahren das<br />
Orchester Jakobsplatz München. Es hat sich<br />
in der <strong>Münchner</strong> Musikszene längst etabliert<br />
<strong>und</strong> geht als Kulturbotschafter auch gern auf<br />
Reisen – besonders in Länder, die die großen<br />
Orchester nie besuchen, etwa Moldawien oder<br />
Usbekistan, wo das Orchester Jakobsplatz<br />
Ende 2011 gastierte. Ob in Samarkand,<br />
Buchara, Karschi oder Taschkent – die Usbeken<br />
feierten die Konzerte des Orchesters als<br />
epochales Ereignis <strong>und</strong> überhäuften Musiker<br />
<strong>und</strong> Dirigenten bei jedem Konzert mit Beifall<br />
<strong>und</strong> Blumen.<br />
Angeregt durch die Eröffnung des Jüdischen<br />
Zentrums am <strong>Münchner</strong> Jakobsplatz<br />
gründete der 1978 in München geborene<br />
Daniel Grossmann 2005 das Orchester. »Dieses<br />
Zentrum am Jakobsplatz braucht Inhalte<br />
<strong>und</strong> die bieten wir mit unseren Konzerten, für<br />
jedermann.« Dazu gehören auch die anschließenden<br />
Treffen im Restaurant Einstein, wo<br />
Musiker <strong>und</strong> Dirigent gern den Kontakt mit<br />
ihrem Publikum suchen <strong>und</strong> diskutieren.<br />
Grossmann, Sohn ungarischer Eltern, der<br />
sein Musikstudium in München, New York<br />
<strong>und</strong> Budapest absolvierte, betont: »Ich bin in<br />
der deutschen Kultur groß geworden <strong>und</strong> fest<br />
verwurzelt. Als Jude in Deutschland möchte<br />
ich zwar keinen Schlussstrich unter die Vergangenheit<br />
ziehen, aber mich insofern davon<br />
befreien, dass ich einen neuen Anfang mitgestalten<br />
<strong>und</strong> in einen fruchtbaren Dialog eintreten<br />
kann.« Dafür greift er immer wieder auf<br />
Werke vergessener jüdischer Komponisten<br />
zurück, die er, wie Klassisches oder Romantisches,<br />
gern mit Zeitgenössischem konfrontiert.<br />
Wenn Daniel Grossmann <strong>und</strong> seine Musiker<br />
ein Werk des in einem KZ ermordeten<br />
jüdischen Komponisten Erwin Schulhoff aufführen,<br />
»dann geht es für mich nicht darum,<br />
Schulhoffs als Opfer zu gedenken oder an sein<br />
Schicksal zu erinnern, sondern um die Qualität<br />
seiner Musik. Sie ist es wert, aufgeführt zu werden.<br />
Das ist für mich entscheidend.«<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber<br />
<strong>Münchner</strong> <strong>Feuilleton</strong> UG (haftungs-beschränkt) Breisacher<br />
Straße 4 l 81667 München<br />
Telefon: 089 48920971 l info@muenchner-feuilleton.de<br />
www.muenchner-feuilleton.de<br />
Redaktion<br />
Thomas Betz, Gisela Fichtl, Matthias Leitner,<br />
Gabriella Lorenz, David Steinitz<br />
Daniel Grossmann | Foto: Christine Schneider<br />
30 Profi musiker aus 20 Nationen schart der<br />
33-Jährige für seine unterschiedlichen Projekte<br />
um sich. Da sitzt ein Konzertmeister aus<br />
Regensburg am ersten Geigenpult, daneben<br />
Kollegen von den <strong>Münchner</strong> Philharmonikern,<br />
den Symphonikern oder vom Staatsorchester.<br />
Obwohl das Orchester Jakobsplatz<br />
nicht nur durch seinen Namen, sondern auch<br />
durch seine Programmatik seine Verb<strong>und</strong>enheit<br />
mit dem Jüdischen Zentrum ausdrückt,<br />
ist es eine eigene, fi nanziell auf sich gestellte<br />
Institution. Entsprechend muss das Kammerorchester<br />
sich jeden Cent erkämpfen, berichtet<br />
Grossmann. Immerhin unterstützen der<br />
Freistaat Bayern <strong>und</strong> der Bezirk Oberbayern<br />
das Ensemble, während die Stadt ihren Säckel<br />
geschlossen hält. Der Löwenanteil, 60 Prozent<br />
des Etats, stammt aus den Konzerteinnahmen,<br />
von privaten Sponsoren <strong>und</strong> vom Fre<strong>und</strong>eskreis<br />
des Orchesters. Für die Auslandsgastspiele<br />
– die erste Tour 2009 führte natürlich<br />
nach Israel – greift gottlob immer wieder das<br />
Goethe-Institut in die Tasche.<br />
Regelmäßig tritt das Orchester Jakobsplatz<br />
im Hubert-Burda-Saal des Jüdischen<br />
Autoren dieser Ausgabe<br />
Christine Auerbach, Wolfgang Benz, Thomas Betz,<br />
Cornelia Fiedler, Gisela Fichtl, Ralph Glander,<br />
Lea Hampel, Florian Kinast, Markus Köbnik,<br />
Christine Knödler, Matthias Leitner, Sabine Leucht,<br />
Gabriella Lorenz, Gabriele Luster, Rolf May,<br />
Zara S. Pfeiffer, Sylvia Rein, Barbara Reitter-Welter,<br />
Bernd Rodenhausen, Katrin Schuster, Sven Siedenberg,<br />
Tim Slagman, David Steinitz, Max Theiss,<br />
Erika Wäcker-Babnik, Christiane Wechselberger<br />
Orchester Jakobsplatz | Foto: Erol Gurian<br />
Zentrums auf, musizierte aber auch im Cuvilliéstheater,<br />
in der Allerheiligenhofkirche, der<br />
Villa Stuck, dem Künstlerhaus. Ein Konzert<br />
zum jüdischen Neujahrsfest ist natürlich<br />
Ehrensache.<br />
Im Frühjahr spielt das Ensemble erstmals<br />
in der Schwabinger St. Ursula Kirche. Im Rahmen<br />
der »Langen Nacht der Musik« kooperiert<br />
das Orchester Jakobsplatz mit der Erzdiözese<br />
München <strong>und</strong> Freising <strong>und</strong> wird in St.<br />
Ursula die Vertonung eines Sabbat-Gottesdienstes<br />
von Paul Ben Haim musizieren.<br />
Auch mit der Bayerischen Staatsoper hat<br />
das Orchester Jakobsplatz mehrfach erfolgreich<br />
zusammengearbeitet: 2010 bei Victor<br />
Ullmanns Kammeroper »Der Kaiser von<br />
Atlantis« <strong>und</strong> 2011 bei den Kurzopern »Rothschilds<br />
Geige« von Benjamin Fleischmann<br />
<strong>und</strong> »Herzland« von Sarah Nemtsov. Auch bei<br />
den Opernfestspielen 2012 mischen sich<br />
Daniel Grossmann <strong>und</strong> sein Ensemble in ein<br />
spannendes Projekt ein, das aktuell vorbereitet<br />
wird: Sie werden sich musikalisch mit<br />
Richard Wagner <strong>und</strong> seinem »Ring« auseinandersetzen.<br />
||<br />
Projektleitung l V.i.S.d.P. Christiane Pfau<br />
Geschäftsführung Ulrich Rogun, Christiane Pfau<br />
Vertrieb Ulrich Rogun<br />
Gestaltung l Layout<br />
bild+text l München l www.bild<strong>und</strong>text.biz l<br />
Anja Wesner l Susanne Gumprich l Agnes Diehr l Uta Pihan<br />
Druckabwicklung<br />
ulenspiegel druck gmbh l Birkenstraße 3 l 82346 Andechs<br />
Im Gedenken an Helmut Lesch.<br />
MUSIK<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 23<br />
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Mit Autorennamen gekennzeichnete Artikel geben die Meinung<br />
des Autors wieder <strong>und</strong> müssen nicht unbedingt die<br />
Meinung der Redaktion <strong>und</strong> der Herausgeber widerspiegeln<br />
Das Förder-Abo<br />
Für 50 Euro gibt es 11 Ausgaben im Jahr inkl. Versand.<br />
Rufen Sie uns an oder schreiben Sie an<br />
abo@muenchner-feuilleton.de<br />
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Kto.-Nr: 1278444 l <strong>Münchner</strong> Bank EG l BLZ 701 900 00<br />
Stichwort: Förderabo MF / Ihr Name
LITERATUR<br />
SEITE 24 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
WOLFGANG BENZ<br />
Münchens neu gekürte Kuratorin des formum:autoren, Thea<br />
Dorn, hat sich in ihrem jüngsten Buch gemeinsam mit Richard<br />
Wagner der »deutschen Seele« angenommen. 64 alphabetisch<br />
sortierte Stichworte von »Abendbrot« bis »Zerrissenheit« haben<br />
die Autoren ihrer Analyse <strong>und</strong> Betrachtung wert bef<strong>und</strong>en, um<br />
in <strong>Feuilleton</strong>s, Essays <strong>und</strong> Versen die Seele der Deutschen zu<br />
ergründen.<br />
W<strong>und</strong>erbar ausgestattet. Gewichtig. Opulent illustriert. Einfach<br />
prachtvoll. Man ringt um Superlative zur Beschreibung des<br />
Werks, in dem sich Thea Dorn <strong>und</strong> Richard Wagner um die<br />
deutsche Seele mühen. Auf der Rückseite des Umschlags sind<br />
sie in edler Pose, einander gleichermaßen zu- wie abgewandt,<br />
zu erblicken <strong>und</strong> über ihrem Doppelkonterfei liest man die<br />
Botschaft, dass es so ein Buch noch nicht gegeben habe, eine<br />
Liebeserklärung sei es, »zwei Autoren, wie sie unterschiedlicher<br />
nicht sein könnten«, würden die deutsche Seele erk<strong>und</strong>en,<br />
»liebevoll <strong>und</strong> kritisch, kenntnisreich <strong>und</strong> ohne Berührungsängste«.<br />
Das stimmt erwartungsfroh <strong>und</strong> verspricht tiefe Einsichten auf<br />
hohem literarischem Niveau, fern der öden Prosa, in der sich<br />
Sozialwissenschaftler, Historiker oder wer sonst sich professionell<br />
des Themas anzunehmen hat, zu verbreiten pfl egen.<br />
Wenn zwei Literaten von Rang gemeinsam ein Sachbuch schreiben,<br />
in dem es um Politik, Geschichte, kollektives Bewusstsein,<br />
öffentliche Erfahrung <strong>und</strong> vor allem um Befi ndlichkeiten<br />
geht, darf man gespannt sein.<br />
Mit Erlaubnis der Autoren, dass man mit der Lektüre überall<br />
anfangen <strong>und</strong> nach Belieben irgendwo weiterlesen dürfe,<br />
beginnen wir mit dem Artikel »Sehnsucht«, aus dem zu erfahren<br />
ist, dass Reinhold Messner ein philosophischer Kopf <strong>und</strong><br />
ein »Heimatsehnsuchtsverräter« ist. Wir lesen allerlei Gereimtes,<br />
vernehmen die Namen etlicher Komponisten <strong>und</strong> werden<br />
zum Schluss von der Autorin aufgefordert, an den CD-Schrank<br />
zu gehen, um zu »Hören, hören, hören ... « Ist das schlechtes<br />
<strong>Feuilleton</strong> oder hat nur der Rezensent ein Problem damit?<br />
Zweiter Versuch. Der Artikel »Bauhaus« aus der Feder Richard<br />
Wagners (der Schwierigkeiten mit dem Genitiv hat) gerät zur<br />
unterschwelligen Denunziation des Aufbruchs in die Moderne<br />
nach dem Ersten Weltkrieg. »Das Bauhaus propagierte die<br />
angewandte Kunst, <strong>und</strong> Vater Staat hielt die Subvention<br />
bereit«: War das eine denn schlimm <strong>und</strong> wäre das andere,<br />
hätte es denn zugetroffen, unanständig gewesen? Das Unbehagen<br />
wächst. Wir werden verwiesen auf das Kapitel »Pfarrhaus«.<br />
Dass dies ein emblematischer Ort ist in der deutschen<br />
Geschichte, wurde schon oft erkannt. Der Autor, der für den<br />
misanthropischen Teil der deutschen Seele zuständig zu sein<br />
scheint, bekräftigt diese Erkenntnis durch die Parabel,<br />
»Deutschlands Aufklärung« sei letzten Endes nicht viel mehr<br />
als die Politisierung der Lutherbibel. So einfach ist das also.<br />
Alphabet der Banalitäten<br />
DIE DEUTSCHE SEELE<br />
Thea Dorn <strong>und</strong><br />
Richard Wagner<br />
Knaus, 2011 | 560 Seiten |<br />
26,99 Euro<br />
Schuppen von den Augen fallen dem Leser auch bei der Lektüre<br />
des Abschnitts »Strandkorb« (Wagner). Enzyklopädisches<br />
Wissen um die Entstehung des maritimen Möbels ist darin<br />
ebenso verarbeitet wie politische Deutung <strong>und</strong> philosophische<br />
Sinnstiftung. Thomas Mann hat den Strandkorb genutzt <strong>und</strong><br />
Angelika Merkel hat ein Sondermodell anfertigen lassen, in<br />
dem sie acht Staatsmänner um sich scharte. Auch das ist also<br />
ein Teil der deutschen Seele.<br />
Den altertümlichen Ausdruck Galimathias, der bei der Lektüre<br />
im Rezensenten aufsteigen will, niederkämpfend, blättert er<br />
weiter <strong>und</strong> weiter. Richard Wagners Sinnieren über »Wiedergutmachung«<br />
erreicht mühelos Stammtischniveau. Verräterische<br />
Vokabeln wie »Betroffenheitsboten« oder »smarte linksorientierte<br />
Anwälte« (die seinerzeit das KPD-Verbot verschleppt<br />
haben sollen) geben Hinweis auf die Gesinnung des Denkers<br />
<strong>und</strong> Deuters, der in epigonaler Fragebogen-Schelte à la Ernst<br />
von Salomon allerlei zusammenmengt, was ihm zum Luxemburger<br />
Abkommen, zur deutschen Erinnerungskultur, zu<br />
»Schindlers Liste« einfällt. Das Thema selbst hat er verfehlt.<br />
Das trifft für das Lemma »Weihnachtsmarkt« nicht zu. Hier ist<br />
alles richtig <strong>und</strong> wahr. Der Weihnachtsmarkt ist älter als der<br />
Kapitalismus, er ist »ein wahres Labyrinth«, die Städte haben<br />
tausend Lichter, der Weihnachtsmarkt ist tatsächlich der Ort<br />
der Nüsse, der Mandeln <strong>und</strong> Maronen <strong>und</strong> »dialektisch mit der<br />
Marktwirtschaft verb<strong>und</strong>en«.<br />
Ein Stück zurück zu Thea Dorns Abhandlung über »Das Weib«.<br />
Der Leser erfährt auf über dreißig Seiten alles, was er über das<br />
interessante Sujet schon längst einmal wissen wollte, betrachtet<br />
mit Lust die Bilder <strong>und</strong> wird in die Geheimnisse – ja in<br />
welche eigentlich? – eingeweiht. Es geht jedenfalls um tolle<br />
Frauen, die ob ihrer Schönheit oder anderer Leistungen<br />
berühmt wurden, wie Brünhilde <strong>und</strong> Loreley, Hanna Reitsch<br />
<strong>und</strong> Lena Meyer-Landrut.<br />
Im Kapitel »Sozialstaat« wird, nachdem der Autor durch die<br />
Besichtigung der Fuggerei in Augsburg Schwung geholt <strong>und</strong><br />
Bismarcks Intentionen bei der zeitgleichen Bekämpfung der<br />
Sozialdemokratie <strong>und</strong> der Einführung der Sozialgesetzgebung<br />
erläutert hat, das Wesen des Kapitalismus erklärt <strong>und</strong> der Korporatismus<br />
als »Instrument der Demokratie« gepriesen. Möglicherweise<br />
ist da ein Stück Text bei der Herstellung verloren<br />
gegangen, der den Sinnzusammenhang zwischen dem<br />
gescheiterten Korporatismus des NS-Regimes <strong>und</strong> dem der<br />
Foto: Kerstin Ehmer, © Knaus<br />
DDR <strong>und</strong> der vom Autor geforderten pragmatischen Begründung<br />
seiner Notwendigkeit hergestellt hätte. Der auf den Sozialstaat<br />
zwingend folgende Beitrag »Spargelzeit« erscheint da<br />
logischer <strong>und</strong> er ist, ein weiterer Vorteil, dem Thema gewidmet,<br />
das die Überschrift verheißt.<br />
Das Buch enthält auf 560 Seiten noch viel Beherzigenswertes.<br />
Das Lesebändchen tut da gute Dienste. Über »Abendstille« <strong>und</strong><br />
»Bierdurst«, über »Heimat« <strong>und</strong> »Kulturnation«, das »Mutterkreuz«,<br />
den »Vater Rhein«, die »Zerrissenheit« <strong>und</strong> »Winnetou«<br />
ist Wesentliches zu erfahren. Nicht alles ist so bedeutungsschwer<br />
<strong>und</strong> sauertöpfi sch vorgetragen, wie das bei den Themen<br />
»Doktor Faust«, »Männerchor« oder »Schrebergarten« ja<br />
sein muss.<br />
Das Kapitel »Wurst« hat der Rezensent mit besonderem Gewinn<br />
gelesen, den »Kitsch« auch noch als eigenes Stichwort zu<br />
behandeln, nötigt ihm Hochachtung ab <strong>und</strong> auf die Passagen<br />
über »Freikörperkultur« möchte er, der treffl ichen Bebilderung<br />
wegen, besonders aufmerksam machen.<br />
Fazit: Solche Bücher nannte man einst »Hausschatz«, las en<br />
famille an langen Winterabenden darin oder daraus vor oder<br />
abonnierte die Textsorte, solange sie unter dem Namen »Gartenlaube«<br />
erschien. Das Werk ist offensichtlich in der Marketing-Abteilung<br />
ausgeheckt worden, als Beitrag für Ratlose zum<br />
Gabentisch. Zwei prominente Autoren, von denen man lieber<br />
anderes lesen würde, <strong>und</strong> zwar im Genre, das sie beherrschen,<br />
haben sich dazu hergegeben, den Bildern den notwendigen<br />
Text beizumischen. Eine geniale Person hat sich den Titel »Die<br />
deutsche Seele« ausgedacht. In den Buchhandlungen liegen<br />
die Stapel gleich neben dem Tisch, auf dem des fränkischen<br />
Barons Erguss über sein zeitweiliges Scheitern feilgeboten<br />
wird. Das Buch ist so banal, dass man ihm keinen Erfolg wünschen<br />
muss – es hat ihn längst.<br />
Besonders ärgerlich ist bei der gequält geistreichen Seelenk<strong>und</strong>e<br />
das Vorwort, die leutselige Ansprache an den »lieben<br />
Leser«, der gewarnt wird, weil er in diesem Buch nicht »vor<br />
dem Deutschen« gewarnt wird. In der larmoyanten Attitüde,<br />
Tabus zu brechen, die nicht existieren, wird miefi ger Deutschtümelei<br />
gefrönt. »Die Gedanken sind frei«, versichern Thea<br />
Dorn <strong>und</strong> Richard Wagner treuherzig. Das weiß der Leser<br />
eigentlich schon. So steigt der schreckliche Verdacht auf: Die<br />
meinen das ernst, was sie schreiben. ||<br />
Der Historiker Wolfgang Benz leitete bis März 2011 das Zentrum<br />
für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. 1992 erhielt er<br />
den Geschwister-Scholl-Preis. Wolfgang Benz ist Mitbegründer<br />
<strong>und</strong> Herausgeber der »Dachauer Hefte«.
CHRISTINE KNÖDLER<br />
Die Idee ist großartig: Schluss mit Augen-Verderben beim<br />
heimlichen Lesen unter der Bettdecke! Sternchen, Mond <strong>und</strong><br />
Sonne, sonst an Wände <strong>und</strong> Decke geklebt, um die Dunkelheit<br />
ein wenig zu erhellen, bekommen Verstärkung: »Wer ist hier<br />
der Chef?« ist ein Leucht-Bilderbuch, das inhaltlich ebenfalls<br />
auf Erleuchtung setzt, denn hier werden große Themen verhandelt:<br />
Ein H<strong>und</strong> wartet, an den Baum angeleint, auf seinen<br />
Herrn, die Katze, gänzlich ungeb<strong>und</strong>en, spaziert von Ast zu<br />
Ast, erst ärgert sie den H<strong>und</strong>, dann tut er ihr leid. Und während<br />
der H<strong>und</strong> dasitzt <strong>und</strong> heult <strong>und</strong> wartet, kommen Eule, Fuchs,<br />
Katze, H<strong>und</strong>, Motte, Mäuse, Schmetterling ins Grübeln. Sie<br />
reden über Unterschiede, Gleichheit, Anderssein, über Ausharren<br />
<strong>und</strong> Geduld, Vertrauen <strong>und</strong> Autonomie, Fantasie <strong>und</strong><br />
Weisheit. Es geht um Hunger <strong>und</strong> Hoffnung, ums Fressen <strong>und</strong><br />
Gefressenwerden, um das, was richtig oder falsch sei. Und<br />
Anzeige<br />
Licht ins Dunkel<br />
23. JANUAR<br />
MICHAEL SKASA<br />
zum 70. Geburtstag<br />
Seerosenkreis in der Seidlvilla<br />
Nikolaiplatz 1b | 80802 München | 19.30 Uhr | Eintritt 10/8 Euro<br />
Dem Journalisten Michael Skasa, dessen »Sonntagsbeilage«<br />
in Bayern 2 vierzig Jahre lang zum Weiterlesen, Wiederentdecken,<br />
zum Lachen <strong>und</strong> Nachdenken animierte, gratulieren:<br />
Maria Peschek, Gert Heidenreich, Walter Zauner, Angelika<br />
Beier, Asta Scheib, Dagmar Nick, Barbara Bronnen, Anatol<br />
Regnier, Winfried Zehetmeier, Brigitta Rambeck <strong>und</strong> Überraschungsgäste.<br />
31. JANUAR<br />
WER IST HIER DER CHEF?<br />
Bart Moeyaert<br />
Übersetzt aus dem Niederländischen<br />
von Mirjam Pressler. Illustriert von<br />
Katrien Matthys | Hanser, 2011 |<br />
60 Seiten | 19,90 Euro | Ab 6 Jahre<br />
Die Erde ist gewaltig schön, doch sicher ist sie<br />
nicht – Ein Abend mit ALEXANDER KLUGE<br />
Literaturhaus | Salvatorplatz 1 | 20.00 Uhr |<br />
Karten 089 291934-0<br />
LITERATUR<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 25<br />
dabei immer: um die Freiheit. Gar nicht so einfach. Schließlich<br />
hängt die Antwort auf die Frage, wer der Chef ist (<strong>und</strong> dabei<br />
stets mitbedacht: wer <strong>und</strong> womöglich wie man selbst ist oder<br />
selbst wird), davon ab, was man ist: eine Katze oder eine Maus,<br />
ein H<strong>und</strong> – oder ein Mensch. Aus all dem hat Bart Moeyaert,<br />
einer der derzeit interessantesten Kinder- <strong>und</strong> Jugendbuchautoren,<br />
einen philosophischen Geschichtenteppich gewoben,<br />
eine Fabel voller Poesie <strong>und</strong> notwendigerweise Ungereimtheiten,<br />
die sich auf diese Weise jeder Wertung enthält <strong>und</strong> vielmehr<br />
Platz für eigene Interpretationen lässt. Mit den scherenschnittartigen<br />
Illustrationen von Katrien Matthys <strong>und</strong> den<br />
Leuchteffekten erinnert das Buch an eine Laterna magica: eine<br />
Bühne voll Magie, Überraschungen, Geistesblitze, glänzender<br />
Dialoge, erstaunlicher Wortgefechte; ein Gedankenkarussell,<br />
das sich dreht <strong>und</strong> dreht <strong>und</strong> dreht <strong>und</strong> lange begleitet. ||<br />
7. FEBRUAR<br />
CHARLES DICKENS<br />
zum 200. Geburtstag<br />
Literatur Moths | Rumfordstraße 48 | 80469 München | 19.30 Uhr<br />
Als Zauberer des Wortes galt Charles Dickens schon den Zeitgenossen,<br />
seine Lesungen waren fulminante Bühnenauftritte,<br />
den von ihm als genialem Selbstvermarkter erf<strong>und</strong>enen Fortsetzungsromanen<br />
fi eberten die Menschen entgegen. Und wir<br />
können nun unser Dickensbild mithilfe der Neuerscheinungen<br />
<strong>und</strong> Ausstellungen zu Werk <strong>und</strong> Person anlässlich des Jubiläumsjahrs<br />
erweitern (etwa durch die Biographie von Hans-<br />
Dieter Gelfert, die Ausstellung »Die Geheimnisse des Charles<br />
Dickens« in Zürich sowie diverse Neuübersetzungen seiner<br />
Werke).<br />
In München wird bei Literatur Moths just an seinem<br />
Geburtstag, dem 7. Februar, gefeiert: Die mehrfach ausgezeichnete<br />
<strong>Münchner</strong> Übersetzerin Melanie Walz wird im<br />
Gespräch mit dem Lektor, Kristian Wachinger (Hanser), die<br />
Neuübersetzung des hier wenig bekannten, in England als<br />
Klassiker geltenden Romans »Große Erwartungen« vorstellen.<br />
Ein Roman, in dem es um fremde Geldgeber, um Schulden<br />
<strong>und</strong> den Fluch großer Erwartungen geht – Themen, die uns<br />
vertraut erscheinen. || gf
LITERATUR<br />
SEITE 26 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
KATRIN SCHUSTER<br />
Am<br />
Mutterort<br />
Der Regisseur Oskar Roehler hat<br />
seinen ersten Roman geschrieben.<br />
Er heißt »Herkunft« <strong>und</strong> trägt<br />
zweifellos autobiografi sche Züge:<br />
Das macht den Reiz aus, bereitete<br />
dem Autor jedoch offensichtlich<br />
einige Schwierigkeiten.<br />
Am 17. Januar stellt der Regisseur Oskar Roehler »Herkunft«,<br />
seinen ersten Roman, in München vor: keine zufällige Station<br />
auf einer b<strong>und</strong>esweiten Lesereise, sondern aktuell der einzige<br />
Termin in Deutschland. Ohnehin ist diese Stadt mit einer Vergangenheit<br />
beschwert, die Roehler immer wieder umzutreiben<br />
scheint. Denn München muss ihm als Mutterort gelten – dort<br />
wohnte die Schriftstellerin Gisela Elsner die meiste Zeit ihres<br />
Lebens, nachdem sie ihren dreijährigen Sohn Oskar <strong>und</strong> ihren<br />
Mann, den Lektor Klaus Roehler, verlassen hatte, <strong>und</strong> dort<br />
beging sie 1992 Selbstmord. »Als Schriftsteller allein zu sein,<br />
sein Haus nicht verlassen zu können, kein Geld zu haben <strong>und</strong><br />
sich bei den meisten seiner Fre<strong>und</strong>e diskreditiert zu haben,<br />
weil man irgendwann schlecht über sie geschrieben hat, <strong>und</strong><br />
dann noch in einer Stadt wie München zu leben – da ist es<br />
schon fast ein Heldentod, den diese Frau gestorben ist«, sagte<br />
Roehler in einem Interview über seine Mutter.<br />
Vor elf Jahren hat er schon einmal versucht, dieser großen<br />
Leerstelle seines Lebens mit den Mitteln der Kunst beizukommen.<br />
In dem Film »Die Unberührbare« verhandelte er die letzten<br />
Jahre der Schriftstellerin bis zu deren Suizid. In »Herkunft«<br />
steht die fehlende Mutter zwar nicht im Mittelpunkt der<br />
Geschichte, da der Autor den Bogen viel weiter als in seinem<br />
Film spannt, nämlich von 1949 bis zum Ende der 70er-Jahre,<br />
von der Rückkehr der Großvaters aus der Kriegsgefangenschaft<br />
bis zum 18. Geburtstag des Enkels – er mithin die ganze<br />
BRD zu fassen bekommt. Und dennoch scheint das Verlassenwerden<br />
die Motivation des Schreibens zu sein, wenn der<br />
Abgang der Mutter bereits am Anfang als »dunkles Mysterium<br />
meiner Kindheit« vorweggenommen wird, als der Ich-Erzähler<br />
Robert noch gar nicht geboren ist. Solche Zeitsprünge fi nden<br />
sich des Öfteren in dem Roman, obwohl der Autor ansonsten<br />
brav chronologisch vorgeht. Dazu gesellen sich einige sprachliche<br />
Merkwürdigkeiten, die ebenfalls von den Schwierigkeiten<br />
zeugen mögen, die Oskar Roehler mit diesem zweifelsfrei<br />
autobiografi schen Stoff gehabt hat – es lässt sich eben nicht<br />
immer alles in die schönsten Worte fassen, nicht immer alles<br />
in die richtige Ordnung bringen, wenn die eigenen Erfahrungen<br />
auf dem literarischen Spiel stehen. Ein w<strong>und</strong>gescheuertes<br />
Leben inszeniert als w<strong>und</strong>gescheuerter Roman: An vielen Stellen<br />
blättert der Schorf, die Narben werden ohne falsche Scham<br />
zur Schau gestellt, <strong>und</strong> gerade deshalb übt »Herkunft« eine<br />
Faszination aus, der man sich kaum entziehen kann. ||<br />
HERKUNFT. ROMAN<br />
Oskar Roehler<br />
Ullstein, 2011 | 588 Seiten| 19,99 Euro<br />
OSKAR ROEHLER LIEST AUS »HERKUNFT«<br />
Tukan-Kreis<br />
Seidlvilla | Nikolaiplatz 1b | 17. Januar | 19.30 Uhr |<br />
Karten unter Telefon 1290677 oder tukan-kreis@beck.de<br />
SYLVIA REIN<br />
Unterm<br />
Baobab<br />
Ein Star der französischen<br />
Literaturszene <strong>und</strong> mit Preisen<br />
überhäuft: Alain Mabanckou, geboren<br />
in der Republik Kongo, lebt in Paris<br />
<strong>und</strong> Los Angeles. Nun liegen<br />
»Stachelschweins Memoiren« auf<br />
Deutsch vor – ein Glück.<br />
Schon sitzt der Leser tief im afrikanischen Busch, unter einem<br />
Baobab, einem Affenbrotbaum, <strong>und</strong> hört einem Stachelschwein<br />
zu. Hört zu? Ja! Denn das ist der erste Kunstgriff Alain<br />
Mabanckous: Es gibt keine Punkte <strong>und</strong> jeder Absatz beginnt<br />
mit einem Kleinbuchstaben. Das wirkt, als würde das Stachelschwein<br />
ununterbrochen reden, tief bewegt <strong>und</strong> atemlos. Die<br />
Geschichte entwickelt dadurch einen Sog, der einen nicht<br />
mehr loslässt. Das Nagetier blickt auf sein Leben zurück, es<br />
gesteht – <strong>und</strong> bittet um Vergebung.<br />
Denn: Das Stachelschwein ist ein Serienmörder. Es hat<br />
durch gezielte Schüsse mit seinen Stacheln 99 Menschen<br />
umgebracht, einen nach dem andern. Dabei war es nur<br />
Befehlsempfänger: Sein »Herr« hat es mit diesen Morden<br />
beauftragt <strong>und</strong> es musste trotz wachsender Schuldgefühle<br />
gehorchen. Sein Herr, das ist der junge Kibandi, ein Außenseiter<br />
im Dorf, der von Alkohol <strong>und</strong> einem halluzinogenen Trunk<br />
abhängig ist. Den Dorfbewohnern ist bald klar, dass hier etwas<br />
nicht mit rechten Dingen zugeht: »verzehrt« worden seien die<br />
Opfer, sagen sie. Wer hier eigentlich wen frisst, bleibt jedoch<br />
w<strong>und</strong>erbar unklar, <strong>und</strong> die Schilderung des ersten Mordes an<br />
einem jungen Mädchen liest sich, als hätte das Stachelschwein<br />
zum ersten Mal Sex. Am Ende siegt scheinbar die Gerechtigkeit:<br />
Kibandi wird gelyncht, das Stachelschwein überlebt.<br />
Eine Fabel mit phantastischen Elementen ist das, basierend<br />
auf dem Glauben an Tier-Doppelgänger, wie er in einigen<br />
Gegenden Afrikas verbreitet ist. Nun kommen aber die weiteren<br />
Kunstgriffe Mabanckous, der auch französische Literaturwissenschaften<br />
lehrt: Der Roman ist zugleich Parodie, Krimi<br />
<strong>und</strong> Horrorgeschichte. Und er erzählt vom Erwachsenwerden,<br />
eine Initiationsgeschichte. Er ist ein Kommentar zum Verhältnis<br />
von Europa <strong>und</strong> Afrika <strong>und</strong> nicht zuletzt zur »afrikanischen«<br />
Mentalität – je nachdem, wie man ihn liest. Wer nicht<br />
alles für bare Münze nimmt, was das Stachelschwein mit gehobener<br />
Pfote schwört, dem eröffnet sich der Reichtum dieses<br />
witzigen Verwirrspiels. Das ist große Literatur: In der Tiefe<br />
schlummern Welten.<br />
Mabanckou reißt mit seinem Roman Grenzen ein –<br />
zunächst die Grenzen zwischen Pfl anzen-, Tier-, Menschen-<br />
<strong>und</strong> Geisterwelt: Tiere lesen, philosophieren <strong>und</strong> empfi nden<br />
Schuld. Menschen sehen aus wie Tiere, Gewissensbisse sind<br />
ihnen fremd. Tote Babys kehren wieder <strong>und</strong> rächen sich. Und<br />
auch die Grenze zwischen Realität <strong>und</strong> Fiktion fl ießt: Erzählt<br />
uns das Stachelschwein etwa nur eine Gruselgeschichte à la<br />
Edgar Allan Poe? Ja, lebt es denn überhaupt oder ist das alles<br />
nur Ausdruck einer paranoiden Persönlichkeitsstörung? Der<br />
Clou: Mabanckou öffnet uns die Augen für Parallelen zwischen<br />
der europäischen Literatur <strong>und</strong> Psychologie <strong>und</strong> den animistischen<br />
Weltvorstellungen Afrikas. Das alles zu entdecken, ist<br />
nicht nur unterhaltsam, sondern erfordert Witz <strong>und</strong> Kombinationsgabe.<br />
Aber wir Leser sind ja intelligente Wesen (auch wenn<br />
uns das Stachelschwein das Gegenteil beweisen möchte). ||<br />
STACHELSCHWEINS MEMOIREN. ROMAN<br />
Alain Mabanckou<br />
Aus dem Französischen von Holger Fock <strong>und</strong> Sabine Müller |<br />
Verlagsbuchhandlung Liebeskind, 2011 | 192 Seiten | 18,90 Euro<br />
Sie kamen<br />
unerwünscht,<br />
aber wie gerufen<br />
In »Europa erfi ndet die Zigeuner«<br />
zeichnet der Literaturwissenschaftler<br />
Klaus-Michael Bogdal den Diskurs über<br />
die »Zigeuner« der letzten fünfh<strong>und</strong>ert<br />
Jahre nach: so überfällig wie lehrreich,<br />
so spannend wie verstörend.<br />
KATRIN SCHUSTER<br />
Nur auf den ersten Seiten seiner kulturgeschichtlichen Monografi<br />
e »Europa erfi ndet die Zigeuner« verwendet Klaus-Michel<br />
Bogdal Anführungszeichen, wenn er von »Zigeunern« spricht<br />
– um dann zu erklären, warum er es fortan nicht mehr tun<br />
wird. Dem Bielefelder Literaturwissenschaftler geht es weniger<br />
um die Lebensrealität der Sinti <strong>und</strong> Roma, sondern allererst<br />
um die Bilder, die sich Europa von den Romvölkern in den<br />
vergangenen fünf Jahrh<strong>und</strong>erten gemacht hat. Bogdal will sich<br />
gerade nicht unter diejenigen Autoren einreihen, die vermeintliche<br />
Wahrheiten über Lebenswelten <strong>und</strong> -weisen des »fahrenden<br />
Volks« zu Papier gebracht haben, sondern nimmt den<br />
Diskurs über sie – von dem sie als dessen bloße Objekte konsequent<br />
ausgeschlossen bleiben – in den Blick. Angesichts<br />
dieser »Konzentration auf die Geschichte des Fremdbildes« ist<br />
es beinahe überraschend, dass in der ausführlichen Bibliografi<br />
e Walter Benjamins »Thesen über den Begriff der Geschichte«<br />
nicht vorkommen, in denen Benjamin darauf hinweist, dass<br />
die offi zielle Historie stets nur die Historie der Mächtigen<br />
meint: »Wer immer bis zu diesem Tage den Sieg davontrug, der<br />
marschiert mit in dem Triumphzug, der die heute Herrschenden<br />
über die dahinführt, die heute am Boden liegen. Die Beute<br />
wird, wie das immer so üblich war, im Triumphzug mitgeführt.<br />
Man bezeichnet sie als die Kulturgüter [...] Es ist niemals ein<br />
Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei<br />
zu sein.« Genau davon erzählt Bogdal in seinem Buch: Wie<br />
barbarisch sich die so genannten Kulturgüter äußern <strong>und</strong> wie<br />
eifrig <strong>und</strong> verzweifelt Europa darum bemüht ist, von »Zigeunern«<br />
zu schwadronieren, ohne die Romvölker je selbst zu<br />
Wort kommen zu lassen.<br />
Bereits der Untertitel »Eine Geschichte von Faszination<br />
<strong>und</strong> Verachtung« bezeichnet die doppelte Bewegung, die der<br />
Autor immer wieder gewärtigt in seiner überaus anschaulichen,<br />
spannenden, differenzierten <strong>und</strong> kritischen Recherche.<br />
Dem zunehmenden Interesse der Gesellschaft an der Kultur<br />
der Romvölker steht eine grauenhafte soziale Ächtung zur<br />
Seite, zu der nicht zuletzt die Literatur zahllose Diskriminierungen<br />
<strong>und</strong> Rassismen beigetragen hat <strong>und</strong> auch heute noch<br />
beiträgt. Von Anfang an werden die Romvölker im ganz buchstäblichen<br />
Sinne als Andere ver-fremdet, damit sie uns ja<br />
nicht zu nahe kommen: »Sie kommen unerwünscht, aber doch<br />
wie gerufen, um in Abgrenzung zu ihnen das Bild einer europäischen<br />
Kultur zu schaffen«. So entwirft Europa die eigene<br />
Gestalt als moderne <strong>und</strong> aufgeklärte, die all das ist, was Sinti<br />
<strong>und</strong> Roma nicht sind: national gr<strong>und</strong>iert, sesshaft <strong>und</strong> schriftlich<br />
verwaltet. Dass ausgerechnet der Holocaust eine Hauptursache<br />
dafür darstellt, dass eine schriftliche Rom-Literatur entsteht,<br />
deren Sinn <strong>und</strong> Funktion unter Sinti <strong>und</strong> Roma allerdings<br />
umstritten ist, nennt die Aporie ein weiteres Mal beim Namen.<br />
Und so kann man auch hier nur schließen, wie der Autor seine<br />
bew<strong>und</strong>ernswerte Monografi e beschließt: »Das Buch endet<br />
hier, nicht jedoch die Geschichte, die es erzählt hat.« ||<br />
EUROPA ERFINDET DIE ZIGEUNER. EINE GESCHICHTE<br />
VON FASZINATION UND VERACHTUNG<br />
Klaus-Michael Bogdal<br />
Suhrkamp, 2011 | 590 Seiten | 24,90 Euro
Franz-Josef Czernin 2011 | Foto privat, Copyright Carl Hanser Verlag<br />
zungenenglisch<br />
Dichten als Denken <strong>und</strong> Denken<br />
als Dichten – kaum einer<br />
nimmt es dabei so genau mit<br />
den Wendungen <strong>und</strong> Übergängen<br />
wie Franz Josef Czernin, der im<br />
Januar Geburtstag hat <strong>und</strong> im<br />
Lyrik Kabinett die Poesie feiert.<br />
THOMAS BETZ<br />
Es handelt sich wohl nicht um ein Spezialidiom der heutigen<br />
Weltsprache, englisch wird hier von Engelszungen gesprochen.<br />
Franz Josef Czernin sagt über sein Projekt »zungenenglisch«,<br />
das er im Lyrik Kabinett vorstellt: »Für Johann Georg Hamann<br />
beispielsweise ist Reden Übersetzen – aus einer Engelsprache in<br />
eine Menschensprache.« Wer den Königsberger Philosophen<br />
<strong>und</strong> Schriftsteller nicht kennt, sollte Czernin lesen. Denn der<br />
österreichische Dichter <strong>und</strong> Essayist wurde 2011 mit dem<br />
Magus-Preis ausgezeichnet für seinen Beitrag zur Frage: inwiefern<br />
könne »poetische Sprache heute Instrument <strong>und</strong>/oder<br />
Medium eine Denkens <strong>und</strong> Fühlens sein, das ohne sie weder<br />
möglich noch mitteilbar wäre«. Antworten auf diese Frage nämlich<br />
sucht der 1952 geborene Czernin seit Ende der 70er-Jahre<br />
in Gedichtbüchern <strong>und</strong> Essays – »Dichtung als Erkenntnis« ist<br />
sein Lebensthema als Lesender, Denkender, Schreibender.<br />
Dabei treibt ihn eine Lust am Umformen.<br />
Czernin wurde mit manch einschlägiger Auszeichnung<br />
bedacht (zuletzt 2007 mit dem Georg-Trakl-Preis <strong>und</strong> dem<br />
Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik). Ein Adabei im<br />
Literatur- <strong>und</strong> Lyrikzirkus ist er nicht, aber eine verlässliche kritische<br />
Stimme. Er gilt, wie sein <strong>Münchner</strong> Verlag, Hanser, formuliert,<br />
»als einer der ungewöhnlichsten Dichter unserer Zeit«.<br />
Der Schriftsteller Martin Mosebach, der bei Czernins Geburtstagsnachfeier<br />
in München mit von der Partie ist, charakterisiert<br />
im Nachwort zum Sammelband »staub.gefäße« (Hanser, 2008)<br />
dessen Poesie der letzten Jahre so: »Dieses Werk wirkt vor allem<br />
deshalb exzentrisch, irritierend oder gar verstörend, weil es sich<br />
so weit außerhalb des als gegenwärtige Literatur Kanonisierten<br />
<strong>und</strong> Erwarteten befi ndet; weil diese Gedichte sich aus Sphären<br />
nähren, die heute nicht oder nur in Form von Surrogaten erlebbar<br />
scheinen. Ich spreche von der mythischen, der kultischrituellen<br />
<strong>und</strong> schließlich der sakralen <strong>und</strong> religiösen oder mystischen<br />
Sphäre.« Um eine Annäherung an Hamanns<br />
Engelssprache zu erreichen, diese »mythische Sprache, die vielleicht<br />
jeder Poesie aufgegeben ist«, wie Czernin schreibt, muss<br />
das Gedicht das Dickicht der alltäglichen Rede durchforschen,<br />
alles in neue Wendungen <strong>und</strong> Verbindungen bringen.<br />
Das kann auch, von uns Lesern selbst, im Alltag probiert<br />
werden. Czernin, der ein großer Kombinatoriker ist <strong>und</strong> Ende<br />
der 80er-Jahre ein Computerprogramm zur Analyse <strong>und</strong> Synthese<br />
von poetischen Texten entwickelt hat, ist in vielen Haushalten<br />
mit den Magnettafeln seiner »Kühlschrankpoesie« vertreten.<br />
Wer es selbst noch nicht ist, kann also mit Czernin zum<br />
Dichter werden. Aktuell mit seinem neuen Kombinatorikspiel<br />
»Metamorphosen. Die kleine Kosmologie«, das bei seinem Wiener<br />
Verlag, Droschl, erscheint. Verszeilen, die sich unendlich<br />
kombinieren lassen plus Gebrauchsanweisung ergeben eine<br />
kleine Poetik, die neugierig macht auf Czernins enzyklopädisches<br />
Projekt einer »Kunst des Dichtens«, die auf das Ganze<br />
zielt. ||<br />
ZUNGENENGLISCH. VISIONEN UND VARIANTEN<br />
Franz Josef Czernin | Einführung: Martin Mosebach<br />
18. Januar | 20.00 Uhr<br />
Lyrik Kabinett | Amalienstraße 83 Rgb | Karten: 089 346299<br />
Nora Gomringer auf der Göteburger Buchmesse 2011 | Foto: Arild Vågen<br />
Die Nation<br />
<strong>und</strong> ihr<br />
M<strong>und</strong>werk<br />
Nora Gomringer ist eine der<br />
erfolgreichsten Lyrikerinnen derzeit –<br />
ein Ende ist nicht in Sicht.<br />
CHRISTINE AUERBACH<br />
Ihre Gedichte kann man lesen. Aber eigentlich muss man sie<br />
hören – am besten von ihr selbst. Denn wenn Nora Gomringer<br />
ihre Poesie liest, dann kaut sie die Verse, zerteilt die Silben,<br />
schiebt mit dem Zwerchfell nach <strong>und</strong> wuchtet sie dem<br />
Hörer in die Ohren. Dort stecken dann wahlweise sprachliche<br />
Sahnetorten oder Henkersmahlzeiten, Samtkissen oder<br />
Rasiermesser – je nachdem, in welche Richtung die Lyrikerin<br />
die Sprache gedehnt <strong>und</strong> gewendet hat.<br />
Dass die 31-Jährige eine der virtuosesten Lyrikerinnen<br />
dieser Zeit ist, hat letztes Jahr auch die Jury des Jacob-<br />
Grimm-Preises bemerkt. Der mit 30.000 Euro dotierte Preis<br />
dient dem Erhalt <strong>und</strong> der kreativen Entwicklung der deutschen<br />
Sprache <strong>und</strong> dass ausgerechnet sie ihn bekommen<br />
hat, hält Nora Gomringer für einen »schmeichelhaften Irrtum«.<br />
Entwickeln ja, das stimmt, erhalten – kommt darauf<br />
an, wie: Statt die Sprache in den abgeschotteten Literaten-<br />
Elfenbeinturm zu packen, holt sie Nora Gomringer lieber auf<br />
die Straße. Sie dreht Youtube-Videos, in denen sie vor einem<br />
Möbelhaus lyrisch mit dem Exfre<strong>und</strong> abrechnet, der gerade<br />
mit einem Tisch für sich <strong>und</strong> die neue Fre<strong>und</strong>in vorbeiläuft:<br />
»An mir vorbei baust du einen Tisch, unter dem ich jedem<br />
auf die Füße trete. Ein Tisch, an dem ich gar kein Gespräch<br />
mehr bin.«<br />
Ihren Gedichtbänden liegen CDs bei, auf denen sie selbst<br />
ihre Werke liest. Mit Lesungen im herkömmlichen Sinn, mit<br />
Tisch <strong>und</strong> Wasserglas, haben ihre Auftritte allerdings wenig<br />
zu tun, denn Nora Gomringers Schule war jahrelang der Poetry<br />
Slam – was man auch immer noch merkt. Der Slam darf<br />
seinen Namen übrigens ruhig behalten <strong>und</strong> braucht kein<br />
deutsches Pendant, im Gegenteil: Nora Gomringer fi ndet es<br />
geradezu notwendig, dass sich andere Sprachen mit ins<br />
Deutsche mischen, denn »wo eine Nation steht, sieht man an<br />
ihrem M<strong>und</strong>werk«. Ins Deutsche könnte sich da ihrer Meinung<br />
nach noch viel mehr mischen.<br />
So mancher hat sich gew<strong>und</strong>ert, als sie im April 2010 die<br />
Leitung des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia<br />
in Bamberg übernommen hat <strong>und</strong> zur Herbergsmutter für<br />
zwölf Stipendiaten wurde, die jeweils ein Jahr in der Villa<br />
wohnen <strong>und</strong> arbeiten dürfen. Als Spoken-Word-Poetin ausgerechnet<br />
an eine solch altgediegene Institution ... Aber »bieder<br />
is, who bieder does«, sagt Gomringer <strong>und</strong> arbeitet seither<br />
für zwei, um neben der Villa auch noch ihr Schreiben zu<br />
organisieren. Für sie war der Schritt von der Subkultur in die<br />
Villa gar nicht so groß, denn sie kennt die verschiedenen<br />
Welten: Im Elternhaus gab es eher Hochkultur – ihr Vater ist<br />
Eugen Gomringer, der als Mitbegründer der konkreten Poesie<br />
gilt.<br />
»Ich war kein cooles Kind, Jugendkultur war mir immer<br />
irgendwie fremd«, sagt Gomringer. »Ich war eher ein Danebensteher,<br />
der beobachtet <strong>und</strong> durch die verschiedenen Welten<br />
wandelt«. Sie ist gegen zu viel Häppchenkultur in der<br />
Kunst – schließlich könne man sich schon mal 100 Minuten<br />
zusammenreißen, <strong>und</strong> dann erst Pipi machen gehen. Auch<br />
bei ihren Texten setzt sie nicht auf die einfachen Lacher, sondern<br />
verschwindet lieber in unwegsames Gelände. Das Publikum<br />
folgt ihr, denn was Nora Gomringer mit der Sprache<br />
macht, ist spannend, ihre »Gedichte sind Gefechte / Auf weißen<br />
Seiten / Oder Tierhäuten / Ausgetragen«. ||<br />
LITERATUR<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 27<br />
ll<br />
LYRIK<br />
ein Schneider saß am Fluss<br />
<strong>und</strong> nähte ihm Arme aus dem Schilf<br />
das Wasser rann<br />
in dünnen Fäden<br />
durch seine Hände<br />
er strich es glatt<br />
mit Geduld <strong>und</strong> Obacht<br />
am Ufer lachten sie<br />
über den Schneider<br />
aus dem fernen Land<br />
sichtlich ahnungslos<br />
in hiesiger Wetterk<strong>und</strong>e<br />
in den Nächten aber<br />
an denen er am Fluss saß<br />
schimmerte das Wasser<br />
wie in noch keiner<br />
Mondnacht gesehen<br />
nie war der Fluss empfänglicher<br />
der gewaltige Wille<br />
der an jeder Grenze<br />
störrisch hinzugewann<br />
ruhte nun ohne Widerstand<br />
ein Körper nächtens vollendet<br />
ll<br />
wuchs in sein lichtes Kleid<br />
Zafer Şenocak<br />
GETEILTE MÜNDUNG. GEDICHTE<br />
Zafer Şenocak<br />
Babel Verlag, Bülent Tulay, 2011 | mit fre<strong>und</strong>licher<br />
Genehmigung des Verlags<br />
Zafer Şenocak wurde 1961 in Ankara geboren,<br />
wuchs in Istanbul <strong>und</strong> München auf <strong>und</strong> lebt<br />
seit 1989 in Berlin. Er war 1984 Literaturstipendiat<br />
der Stadt München <strong>und</strong> erhielt 1988 den<br />
Förderpreis zum Adelbert-von-Chamisso-Preis.<br />
Neben zahlreichen Gedichtbänden hat er<br />
mehrere Romane <strong>und</strong> Essaybände geschrieben.<br />
Zuletzt erschien »Deutschsein. Eine Aufklärungsschrift«<br />
in der Edition Körber-Stiftung,<br />
Hamburg 2011. Derzeit ist Şenocak Stipendiat<br />
der Feldafinger Villa Waldberta.<br />
Anzeige<br />
Gerade war sie wieder auf Tour, am 12. Januar im <strong>Münchner</strong><br />
Volkstheater, man wird sie wieder sehen <strong>und</strong> hören, am 15. beim<br />
Erlanger Poetry Slam Jubiläum etwa, im Februar in Stuttgart <strong>und</strong><br />
Würzburg, im März in Isny ... Und ihre ersten vier Gedichtbände<br />
seit 2000 hat sie in einem Band gesammelt.<br />
MEIN GEDICHT FRAGT NICHT LANGE<br />
Nora Gomringer<br />
Voland & Quist, 2011 | 332 Seiten mit Audio-CD | 24,90 Euro
FAVORITEN<br />
SEITE 28 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
Tipps der Redaktion<br />
11.-15.1. <strong>und</strong> 18.-22.1.<br />
VERWALTUNGSPERFORMANCE<br />
Holger Dreissig:<br />
Heiratsmarkt. 21. St<strong>und</strong>e<br />
i-camp | neues theater münchen | 20.30<br />
Entenbachstr. 37<br />
Tickets: www.i-camp.de | 089 650000<br />
Ein Ausgangspunkt für dieses Stück ist die<br />
Erschütterung darüber, dass Liebesbeziehungen<br />
mit Geschäftsbeziehungen gleichgesetzt werden:<br />
Ob dicke Kohle, schnelle Boliden, protzige Statussymbole<br />
oder Schönheits-OP – immer geht es<br />
darum, der Gockel mit dem prächtigsten Gefieder<br />
zu sein oder das geilste Bunny, um sich so für die<br />
Ehe zu empfehlen.<br />
Alles Marketing, alles Heiratsmarkt.<br />
Foto: Holger Dreissig<br />
14.1.-15.2.<br />
THEATER | Showcase Beat Le Mot<br />
zu Gast im Residenztheater<br />
Max-Joseph-Platz | Tickets: Tel 089 21851940<br />
www.residenztheater.de<br />
SPIELART-Gäste kennen diesen Namen – jetzt<br />
erobert das Künstlerkollektiv Showcase Beat Le<br />
Mot den Marstall! Die international renommierte<br />
Performancegruppe gilt als Keimzelle der neueren<br />
deutschen Theaterszene. Vom 12.1. bis 15.2.<br />
zeigt Showcase Altes <strong>und</strong> Neues, feiert Feste <strong>und</strong><br />
interpretiert Kafkas »Schloss« frech ganz neu.<br />
Wiederholungstäter gehen mit ihren Kindern<br />
(ab 6) nochmal in den »Räuber Hotzenplotz«<br />
(14./15.1.).<br />
14.1.-25.2.<br />
THEATER | William Shakespeare:<br />
Was ihr wollt (Zwölfte Nacht)<br />
Theater VIEL LÄRM UM NICHTS<br />
in der Pasinger Fabrik | Do, Fr, Sa 20.00<br />
August-Exter-Str. 1 | Tickets: 089 8342014<br />
www.theaterviellaermumnichts.de<br />
Sinnenwahn <strong>und</strong> Wahnsinn, Obsession <strong>und</strong><br />
Amour fou, die Welt als Wahn <strong>und</strong> Täuschung…<br />
ob Männlein oder Weiblein, wahre oder irre<br />
Liebe: kein Halt, nirgends. In der Regie von<br />
Andreas Seyferth <strong>und</strong><br />
Margrit Carls erblüht<br />
der Klassiker um<br />
Irrungen <strong>und</strong> Wirrungen<br />
ganz neu – wie<br />
eine Seerose im<br />
Elfenteich, als wär’s<br />
kein Frauenkopf ...<br />
19.1.<br />
KLASSIK ZUM STAUNEN MIT<br />
DEM MÜNCHNER RUND-<br />
FUNKORCHESTER | Einblicke in<br />
eine Opernprobe mit Ausschnitten<br />
aus »Giuditta« von Franz Lehár<br />
Aktionstage für Kinder ab 12 Jahren von 12.00-<br />
17.00 | Studio 1 im Funkhaus | 14.30<br />
R<strong>und</strong>funkplatz 1 | Anmeldung: 089 5900-4387<br />
Tickets: 089 5900-4545 oder<br />
www.muenchenticket.de<br />
»Mittendrin beim <strong>Münchner</strong> R<strong>und</strong>funkorchester«:<br />
Gespräche mit Künstlern <strong>und</strong> Konzert-Organisatoren,<br />
Führungen durch das Funkhaus, das<br />
Schall- <strong>und</strong> Notenarchiv <strong>und</strong> das Konzert selbst<br />
als Höhepunkt laden zu vielen Blicken hinter die<br />
Kulissen ein.<br />
21.1.<br />
Konzert | Eric Truffaz (Trompete)<br />
mit Benoît Corboz (Piano)<br />
Kaufhaus Beck<br />
Musikabteilung, 5. OG | 18.00<br />
Marienplatz 11 | Eintritt frei<br />
in Kooperation mit dem BMW Jazz Award 2012<br />
22.1.<br />
Erik Truffaz zählt zu den experimentierfreudigsten<br />
Jazztrompetern der Gegenwart.<br />
Seine Musik ist geprägt von ungewöhnlichen<br />
Begegnungen mit Kollegen<br />
aus ganz anderen Bereichen – Benoît Corboz,<br />
mit dem er gemeinsam auftritt, war bislang<br />
als Toningenieur für Truffaz tätig.<br />
Foto: B. Peverelli<br />
MUSIKALISCHE KOMÖDIE<br />
<strong>Münchner</strong> R<strong>und</strong>funkorchester:<br />
»Giuditta« von Franz Lehár Leitung: Ulf Schirmer<br />
Prinzregententheater | 19.00<br />
Tickets: www.br-klassikticket.de<br />
www.muenchenticket.de<br />
1934 gelang dem Operettenkönig Franz Lehár mit<br />
»Giuditta« endlich der ersehnte Erfolg auf der<br />
Opernbühne. Richard Tauber glänzte als Octavio<br />
an der Wiener Staatsoper, über 100 R<strong>und</strong>funkanstalten<br />
übertrugen das Ereignis live, <strong>und</strong> das Lied<br />
»Fre<strong>und</strong>e, das Leben ist lebenswert« wurde zum<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert-Hit. Einführung mit Irina Paladi,<br />
Gartensaal, 18.00.<br />
26.1.<br />
KONZERT | Asa | Support: Y’Akoto<br />
Muffathalle | 20.30<br />
Zellstraße 4 | Tickets: www.muenchenticket.de<br />
Dreadlocks <strong>und</strong> Hornbrille,<br />
w<strong>und</strong>erbare poetisch-politische<br />
World-<br />
Pop-Perlen <strong>und</strong> zwei<br />
Alben, die so schnell<br />
nichts von ihrem Glanz<br />
verlieren werden: Dafür<br />
steht die nigerianische<br />
Foto: Veranstalter<br />
Sängerin Asa, für die<br />
das Ampere bereits zu klein geworden ist. Wer<br />
zuletzt draußen bleiben musste, hat jetzt in der<br />
Muffathalle gute Chancen, Asa live zu erleben.<br />
bis 28.1.<br />
AUSSTELLUNG | Unterwelt<br />
MaximiliansForum | Unterführung Maximilianstraße<br />
| Altstadtring | Eintritt frei<br />
Raum-, Video- <strong>und</strong> So<strong>und</strong>installationen verwandeln<br />
die Passage unter Münchens Prachtstraße<br />
zum Utopieraum. Florian Fischer nimmt mit der<br />
Inszenierung von »Hector Umbra« (Comic von Uli<br />
Oesterle) die Zuschauer mit in einen Transitraum,<br />
der sich Münchens düsterer Seite nähert (26.-<br />
28.1., 21.00). Warm anziehen!<br />
28.1.<br />
DOPPELKONZERT<br />
Louva Marguerite <strong>und</strong> IRXN<br />
Spectaculum M<strong>und</strong>i | 20.30<br />
Graubündener Straße 100 | Tel. 089 74576582<br />
Tickets: www.muenchenticket.de<br />
IRXN sind aufmüpfig, impulsiv <strong>und</strong> mystisch: Die<br />
Balladen der fünf Bayern leben von großen<br />
Gefühlen, aber auch Tanzbares, Fetziges, Irrwitziges<br />
<strong>und</strong> Brachiales fegen sie dem Publikum um<br />
die Ohren. Ganz anders <strong>und</strong> doch seelenverwandt<br />
erzählen Louva Marguerite mit einem breiten<br />
Instrumentarium auf Französisch, Spanisch <strong>und</strong><br />
Deutsch von tiefblauem Kummer, zyklamroter<br />
Leidenschaft oder zitronengelber Lebensfreude.<br />
IRXN | Foto: Veranstalter<br />
29.1.<br />
KONZERT-LESUNG ZWISCHEN<br />
FALAFEL UND WEISSWURST<br />
Nirit Sommerfeld, Linda Benedikt:<br />
Reality Check<br />
Theater VIEL LÄRM UM NICHTS<br />
in der Pasinger Fabrik | 16.00<br />
August-Exter-Str. 1 | Tickets: 089 8342014<br />
Was Sie noch nie über Israel wissen wollten, sich<br />
aber immer schon gefragt haben... Politisch unbestritten<br />
unkorrekt, moralisch dafür einwandfrei,<br />
humorvoll, böse <strong>und</strong> bajuwarisch sind die Texte,<br />
die Linda Benedikt <strong>und</strong> Nirit Sommerfeld zu<br />
einer mitreißenden Tour de Force komponieren,<br />
begleitet von der Band »Mirdochwurscht« alias<br />
Andi Arnold (Saxophon, Klarinette), Pit Holzapfel<br />
(Posaune, Gitarre) <strong>und</strong> Miene Costa (Bass, Tuba).<br />
bis 31.1.<br />
AUSSTELLUNG | Johann Ludwig<br />
Gildein: »money can´t buy me love«<br />
buch.laden | während der Ladenöffnungszeiten<br />
Lothringer Str. 17 | Tel. 089 54804725<br />
Vor zehn Jahren wurde der Euro eingeführt.<br />
Bedrucktes, gestaltetes Papier wurde durch anderes<br />
bedrucktes, gestaltetes Papier ersetzt. Die<br />
Arbeiten von Johann Ludwig Gildein zeigen<br />
geschredderte, konservierte D-Mark- <strong>und</strong> Euroscheine<br />
in Präparatengläsern, führen über die<br />
Kenntlichmachung des Scheins als Objekt zur<br />
Frage nach dem Wert des Geldes an sich.<br />
2.2. <strong>und</strong> 3.2.<br />
KONZERT<br />
SYMPHONIEORCHESTER DES<br />
BAYERISCHEN RUNDFUNKS<br />
4. Abonnementkonzert<br />
Philharmonie im Gasteig | 20.00<br />
Rosenheimer Str. 5<br />
Tickets: www.br-klassikticket.de<br />
www.muenchenticket.de<br />
Unter der Leitung von Mariss Jansons spielt das<br />
R<strong>und</strong>funkorchester Bohuslav Martinùs »Konzert<br />
für zwei Streichorchester, Klavier <strong>und</strong> Pauken<br />
d-Moll, H. 271«, das »Konzert für Violine <strong>und</strong><br />
Orchester Nr. 1, Sz 36« von Béla Bartók <strong>und</strong> Leoš<br />
Janácˇeks »Glagolitische Messe« für Soli, Chor,<br />
Orgel <strong>und</strong> Orchester.<br />
3.2.<br />
Konzert | 20 Jahre ACT-Jubilee Night<br />
Muffathalle | 20.30<br />
Zellstr. 4 | Tickets: www.karsten-jahnke.de<br />
Das renommierte Jazzlabel ACT feiert seinen 20.<br />
Geburtstag mit einer großen Jubilee Night: Mit<br />
ACT-Urgestein Nils Landgren, Cæcilie Norby<br />
(voc), Lars Danielsson (bass), Michael Wollny (p)<br />
<strong>und</strong> Wolfgang Haffner (dr) hat Mr. Redhorn langjährige<br />
Weggefährten zu den musikalischen Feierlichkeiten<br />
eingeladen: Der Gitarrist Nguyên Lê<br />
ist ebenso mit an Bord wie der finnische Trompeter<br />
Verneri Pohjola <strong>und</strong> die französische Saxofonistin<br />
Céline Bonacina, gerade für den »Victoire<br />
du Jazz« nominiert. Der polnische Pianist Leszek<br />
Możdżer, ein Phänomen des europäischen Jazz,<br />
hat mit seinem aktuellen Soloalbum »Komeda«<br />
mittlerweile Doppel-Platin erreicht.<br />
Foto:<br />
Sebastian Schmidt<br />
ab 3.2.<br />
AUSSTELLUNG | Aylin Langreuter:<br />
Off/On | Blindlichter/Neonstiche<br />
Galerie Wittenbrink<br />
Di, Mi, Fr, Sa 10.00-18.00, Do 10.00-20.00<br />
Türkenstraße 16 | Tel. 089 2605580<br />
Aylin Langreuter (*1976 in<br />
München) zeigt neue<br />
Objekte in Form einer<br />
nicht leuchtenden Neonschrift:<br />
als »Blindlichter«.<br />
Für die »Neonstiche«<br />
sammelte sie Bücher mit<br />
Stichen aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
<strong>und</strong> montierte in<br />
die existierenden alten<br />
Bilder eigene Bilder ihrer<br />
dreidimensionalen Werke<br />
ein. (bis 14.4.)<br />
3.2.<br />
TANZ | URAUFFÜHRUNG<br />
Augenblick, verweile<br />
Ein Abend über den Tanz zu Musik von<br />
Peter Iljitsch Tschaikowsky<br />
Staatstheater am Gärtnerplatz | 19.30<br />
Gärtnerplatz 3 | Tickets: 089 21851960<br />
Foto: Aylin Langreuter<br />
Die meiste Zeit seines Lebens war Tschaikowsky<br />
unterwegs: auf Reisen, auf der Suche, auf der<br />
Flucht. Viele Künstler kennen diesen Zustand. Zu<br />
Orchesterwerken <strong>und</strong> Liedern Peter Iljitsch<br />
Tschaikowskys entwickelt Hans Henning Paar<br />
einen sehr persönlichen Abend über den Tanz<br />
<strong>und</strong> das Tänzerleben.<br />
7.-12.2.<br />
KONZERT<br />
20 Jahre ACT - Piano Club Tour<br />
Jazzclub Unterfahrt | 21.00<br />
Einsteinstr. 42 | Tickets: 089 4482794<br />
Auf der Jubiläums-Club-Tour stellt ACT sechs<br />
Ausnahmepianisten deutschlandweit ins Rampenlicht<br />
– in München spielen in der Unterfahrt<br />
Flavio Boltro & Danilo Rea Duo (7.2.), Leszek<br />
Możdżer Solo (8.2.), Jens Thomas / Verneri Pohjola<br />
Quartet (9.2.), Ida Sand & Band mit einem<br />
Sonderkonzert (10.2.), Yaron Herman Solo (11.2.)<br />
<strong>und</strong> Ulf Wakenius & Vincent Peirani Duo (12.2.).<br />
bis 12.2.<br />
KONZERTREIHE<br />
Fraunhofer Volksmusiktage<br />
Theater im Fraunhofer | div. Anfangszeiten<br />
Fraunhoferstr. 9 | Tickets: 089 267850 (AB)<br />
www.fraunhofertheater.de<br />
Foto: Hans Lauer<br />
Die »Volksmusiktage im Fraunhofer« gelten seit<br />
den Neunzigerjahren als Talentschmiede <strong>und</strong><br />
Hort der Innovation. Am 10.2. servieren Beatrix<br />
Klöckner, Maria Hafner, Evi Keglmaier <strong>und</strong><br />
Simon Ackermann als »Zwirbeldirn« wirtshauserprobte<br />
Volksmusik von hier, da <strong>und</strong> ganz<br />
woanders, ohne Staub <strong>und</strong> Sofaflair, angerichtet<br />
mit drei Geigen, Kontrabass, der Bratsche<br />
Konrad, Dreigesang <strong>und</strong> einer Prise bröseltrockenem<br />
Humor.