Brot und Spiele - Münchner Feuilleton
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MUSIK<br />
SEITE 20 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
Foto: Wilfried Hösl<br />
»Wagner hat die<br />
Musikgeschichte<br />
verändert.«<br />
KENT NAGANO<br />
Kent Nagano, Jahrgang 1951, wuchs in Kalifornien auf <strong>und</strong><br />
dirigierte bereits mit acht Jahren im Kirchenchor. Nach seinem<br />
Studium der Musik <strong>und</strong> Soziologie arbeitete er an der<br />
Bostoner Oper als Korrepetitor, bis er 1984 das Bostoner<br />
Sinfonie-Orchester als Dirigent leitete. Weitere Stationen<br />
führten ihn nach Lyon, Manchester, New York, Berlin <strong>und</strong><br />
Los Angeles. Seit 2006 ist Nagano Generalmusikdirektor<br />
der Bayerischen Staatsoper. Er ist einer der gefragtesten<br />
Dirigenten der Welt.<br />
Bevor sich 2013 der 200. Geburtstag von Richard Wagner jährt, wird an der Bayerischen<br />
Staatsoper bereits 2012 der »Ring des Nibelungen« unter der musikalischen Leitung<br />
von Kent Nagano neu auf die Bühne gebracht. Die Tetralogie ist auch für den erfahrenen<br />
Dirigenten ein außergewöhnliches Mammutprojekt.<br />
GABRIELE LUSTER<br />
Herr Nagano, wann haben Sie zum ersten Mal bewusst<br />
Wagner gehört?<br />
Ich begegnete Wagner in meinem Jugendorchester in Kalifornien,<br />
das von einem Professor aus München geleitet wurde.<br />
Ich war ungefähr 13 Jahre alt <strong>und</strong> wir spielten die Ouvertüre zu<br />
»Die Meistersinger von Nürnberg«. Ich erinnere mich nicht<br />
mehr genau, aber ich nehme an, es war eine Bearbeitung.<br />
Welches Instrument spielten Sie denn damals?<br />
Die Bratsche.<br />
Und wie ging es weiter mit Ihnen <strong>und</strong> Wagner?<br />
Als ich Student war, erlebte ich meinen ersten »Ring des Nibelungen«<br />
in San Francisco mit Birgit Nilsson. Das war in den<br />
70er-Jahren <strong>und</strong> für mich eine prägende Erfahrung. Ein ganz<br />
besonderer Moment. Als Student der Komposition hatte ich<br />
mich bis dahin nur indirekt mit Wagner beschäftigt. Damals<br />
wurde der gesamte »Ring« in den USA nicht oft aufgeführt. Das<br />
war also eine tolle Chance.<br />
War das eine rein konzertante Aufführung oder eine richtige<br />
Inszenierung?<br />
Es war eine volle szenische Produktion <strong>und</strong> eine der letzten<br />
Möglichkeiten, Birgit Nilsson in Amerika zu hören. Sie traf<br />
kurz danach wegen irgendwelcher Querelen mit der Metropolitan<br />
Opera die Entscheidung, nicht mehr in die USA zu reisen.<br />
Was hat Sie fasziniert an Wagners Musik, speziell am<br />
»Ring«?<br />
Zunächst einmal war es diese spezielle Erzählart. Seine geniale<br />
Übernahme des mythologischen Stoffes. Es wird eigentlich<br />
die ganze Geschichte der Menschheit erzählt. Die Mythologie<br />
lebt ja von der mündlichen Überlieferung <strong>und</strong> das Interessante<br />
an der Erzählung ist, dass es sich niemals um eine lineare<br />
Geschichte handelt. Es geht um andere Dimensionen, um existentielle<br />
Fragen, um die Zeit. Mythologie erzählt viel von Vergangenheit,<br />
aber auch von Aktuellem. Von dem, was wir jetzt<br />
tun <strong>und</strong> welche Auswirkungen es auf unser Schicksal, auf die<br />
Zukunft hat. Das alles existiert in der Mythologie gleichzeitig<br />
<strong>und</strong> unterscheidet diese Erzählungen von einer Unterhaltungs-Story.<br />
Was genau passiert mit der Mythologie bei Wagner?<br />
Er hat die Erzähldimension übernommen in seinem selbst verfassten<br />
Libretto <strong>und</strong> mit seiner Kompositionsweise darauf<br />
reagiert. Man kann Musik <strong>und</strong> Libretto nicht voneinander<br />
trennen. Seine Leitmotivtechnik war im Gr<strong>und</strong>e nicht neu:<br />
Schon in der Barockzeit oder in der Klassik haben Komponisten<br />
bestimmte Situationen oder Charaktere mit immer gleichen<br />
Motiven gekennzeichnet – ich denke an Rameau oder<br />
Lully. Aber bei Wagner ist es anders: Es geht nie um eine echte<br />
Wiederholung.<br />
Sondern?<br />
Wagner modifi ziert die Motive, stellt sie in einen leicht anderen<br />
Kontext, gibt ihnen immer eine andere Form, unterlegt<br />
andere Texte <strong>und</strong> schafft so ein außerzeitliches, existentielles<br />
Bewusstsein.<br />
Können Sie ein Beispiel nennen?<br />
Wenn Erda im »Rheingold« zu Wotan über die Vergangenheit<br />
spricht, dann weiß sie auch, was aktuell passiert – <strong>und</strong> was<br />
künftig sein wird. In diesem Moment gibt es vier Pizzicati in<br />
den tiefen Streichern. Unterstützt vom Orchester klingen die<br />
wie Glocken. Glocken der Zeit. Das passiert jedes Mal, wenn<br />
Erda erscheint, in wechselndem Kontext, also zu jeweils anderen<br />
Worten. So gewinnt der Zuschauer den Eindruck, dass verschiedene<br />
Dimensionen der Zeit gleichzeitig existieren. Das ist<br />
Wagners geniale Art, dieses motivische Material zu benutzen<br />
<strong>und</strong> einzusetzen.<br />
Auch Sieglindes Motiv in der »Walküre« ist ein Beispiel<br />
dafür. Es erscheint manchmal in Dur, dann in Moll, in fl ießendem<br />
Tempo, dann wieder ganz breit – je nach der Situation im<br />
Drama. Diese Spannung kreiert etwas immerfort Fließendes<br />
<strong>und</strong> suggeriert Ewigkeit. In diesem Sinne ist das motivische<br />
Material bei Wagner viel mehr als nur ein Leitmotiv. Es kennzeichnet<br />
seine Art zu komponieren. Und wenn man bedenkt,<br />
wie anders das zu seiner Zeit üblich war, w<strong>und</strong>ert es nicht,<br />
dass er so stark polarisiert hat. Wagner wagte Neues <strong>und</strong> hat<br />
damit den Verlauf der europäischen Musikgeschichte geändert.<br />
Sie haben als Student Wagners Partituren studiert <strong>und</strong><br />
analysiert, haben Sie seine Musik damals auch schon dirigiert?<br />
(lacht) Als Student? Nein! Ich habe mich theoretisch mit seiner<br />
Musik auseinandergesetzt. Das gehört zum Standard. Es ist<br />
notwendig zu sehen <strong>und</strong> zu begreifen, wie Wagner die Tonalität<br />
revolutioniert, was er Neues in Bezug auf Musik <strong>und</strong> Drama<br />
geleistet hat. Aber diese analytische Beschäftigung ist etwas<br />
anderes, als Wagner wirklich zu interpretieren.<br />
Wann haben Sie dann Ihre erste Wagner-Oper dirigiert?<br />
Während meiner Zeit in Lyon habe ich zunächst Ausschnitte<br />
dirigiert, aus dem »Fliegenden Holländer« <strong>und</strong> aus »Parsifal«.<br />
Danach habe ich auch in England <strong>und</strong> mit meinem Orchester<br />
in Kalifornien konzertante Wagner-Aufführungen geleitet <strong>und</strong><br />
mit unterschiedlichen Orchestern einen konzertanten »Ring«<br />
in Skandinavien aufgeführt.<br />
Wenn man das hört, sind Sie – auch was den »Ring«<br />
angeht – fast ein alter Hase ...<br />
Ja <strong>und</strong> nein. Ich habe den »Ring« mehrmals dirigiert, aber<br />
eben noch nie eine gesamte szenische Produktion des Stoffes.<br />
Es war mir immer klar, dass ich die Tetralogie nur mit einem<br />
Regisseur erarbeiten kann, zu dem ich eine starke Beziehung<br />
aufbauen kann.<br />
Es gab schon in Lyon Pläne für einen »Ring«, aber wir<br />
bekamen nicht die richtige Besetzung zustande. Und in Los<br />
Angeles, wo wir zwar eine gute Besetzung hatten, scheiterte<br />
das Vorhaben, weil wir keinen passenden Regisseur fanden.<br />
Nun arbeiten Sie mit dem Regisseur Andreas Kriegenburg.<br />
Herr Kriegenburg <strong>und</strong> ich haben hier in München Alban Bergs<br />
»Wozzeck« gemacht <strong>und</strong> das war eine sehr starke Zusammenarbeit.<br />
Deshalb habe ich danach spontan mit unserem Intendanten<br />
Nikolaus Bachler gesprochen <strong>und</strong> er hatte die gleiche<br />
Idee. Andreas Kriegenburg hat bisher noch keinen »Ring«<br />
inszeniert <strong>und</strong> war sofort ganz offen dafür.<br />
Wir haben dann mehr als eineinhalb Jahre über dieses<br />
Projekt gesprochen, Ideen entwickelt, Gedanken ausgetauscht.<br />
Ich bin wirklich überzeugt, dass sein Konzept sich in absoluter<br />
Beziehung zur Musik bewegt.