28.12.2012 Aufrufe

Brot und Spiele - Münchner Feuilleton

Brot und Spiele - Münchner Feuilleton

Brot und Spiele - Münchner Feuilleton

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

LITERATUR<br />

SEITE 24 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

WOLFGANG BENZ<br />

Münchens neu gekürte Kuratorin des formum:autoren, Thea<br />

Dorn, hat sich in ihrem jüngsten Buch gemeinsam mit Richard<br />

Wagner der »deutschen Seele« angenommen. 64 alphabetisch<br />

sortierte Stichworte von »Abendbrot« bis »Zerrissenheit« haben<br />

die Autoren ihrer Analyse <strong>und</strong> Betrachtung wert bef<strong>und</strong>en, um<br />

in <strong>Feuilleton</strong>s, Essays <strong>und</strong> Versen die Seele der Deutschen zu<br />

ergründen.<br />

W<strong>und</strong>erbar ausgestattet. Gewichtig. Opulent illustriert. Einfach<br />

prachtvoll. Man ringt um Superlative zur Beschreibung des<br />

Werks, in dem sich Thea Dorn <strong>und</strong> Richard Wagner um die<br />

deutsche Seele mühen. Auf der Rückseite des Umschlags sind<br />

sie in edler Pose, einander gleichermaßen zu- wie abgewandt,<br />

zu erblicken <strong>und</strong> über ihrem Doppelkonterfei liest man die<br />

Botschaft, dass es so ein Buch noch nicht gegeben habe, eine<br />

Liebeserklärung sei es, »zwei Autoren, wie sie unterschiedlicher<br />

nicht sein könnten«, würden die deutsche Seele erk<strong>und</strong>en,<br />

»liebevoll <strong>und</strong> kritisch, kenntnisreich <strong>und</strong> ohne Berührungsängste«.<br />

Das stimmt erwartungsfroh <strong>und</strong> verspricht tiefe Einsichten auf<br />

hohem literarischem Niveau, fern der öden Prosa, in der sich<br />

Sozialwissenschaftler, Historiker oder wer sonst sich professionell<br />

des Themas anzunehmen hat, zu verbreiten pfl egen.<br />

Wenn zwei Literaten von Rang gemeinsam ein Sachbuch schreiben,<br />

in dem es um Politik, Geschichte, kollektives Bewusstsein,<br />

öffentliche Erfahrung <strong>und</strong> vor allem um Befi ndlichkeiten<br />

geht, darf man gespannt sein.<br />

Mit Erlaubnis der Autoren, dass man mit der Lektüre überall<br />

anfangen <strong>und</strong> nach Belieben irgendwo weiterlesen dürfe,<br />

beginnen wir mit dem Artikel »Sehnsucht«, aus dem zu erfahren<br />

ist, dass Reinhold Messner ein philosophischer Kopf <strong>und</strong><br />

ein »Heimatsehnsuchtsverräter« ist. Wir lesen allerlei Gereimtes,<br />

vernehmen die Namen etlicher Komponisten <strong>und</strong> werden<br />

zum Schluss von der Autorin aufgefordert, an den CD-Schrank<br />

zu gehen, um zu »Hören, hören, hören ... « Ist das schlechtes<br />

<strong>Feuilleton</strong> oder hat nur der Rezensent ein Problem damit?<br />

Zweiter Versuch. Der Artikel »Bauhaus« aus der Feder Richard<br />

Wagners (der Schwierigkeiten mit dem Genitiv hat) gerät zur<br />

unterschwelligen Denunziation des Aufbruchs in die Moderne<br />

nach dem Ersten Weltkrieg. »Das Bauhaus propagierte die<br />

angewandte Kunst, <strong>und</strong> Vater Staat hielt die Subvention<br />

bereit«: War das eine denn schlimm <strong>und</strong> wäre das andere,<br />

hätte es denn zugetroffen, unanständig gewesen? Das Unbehagen<br />

wächst. Wir werden verwiesen auf das Kapitel »Pfarrhaus«.<br />

Dass dies ein emblematischer Ort ist in der deutschen<br />

Geschichte, wurde schon oft erkannt. Der Autor, der für den<br />

misanthropischen Teil der deutschen Seele zuständig zu sein<br />

scheint, bekräftigt diese Erkenntnis durch die Parabel,<br />

»Deutschlands Aufklärung« sei letzten Endes nicht viel mehr<br />

als die Politisierung der Lutherbibel. So einfach ist das also.<br />

Alphabet der Banalitäten<br />

DIE DEUTSCHE SEELE<br />

Thea Dorn <strong>und</strong><br />

Richard Wagner<br />

Knaus, 2011 | 560 Seiten |<br />

26,99 Euro<br />

Schuppen von den Augen fallen dem Leser auch bei der Lektüre<br />

des Abschnitts »Strandkorb« (Wagner). Enzyklopädisches<br />

Wissen um die Entstehung des maritimen Möbels ist darin<br />

ebenso verarbeitet wie politische Deutung <strong>und</strong> philosophische<br />

Sinnstiftung. Thomas Mann hat den Strandkorb genutzt <strong>und</strong><br />

Angelika Merkel hat ein Sondermodell anfertigen lassen, in<br />

dem sie acht Staatsmänner um sich scharte. Auch das ist also<br />

ein Teil der deutschen Seele.<br />

Den altertümlichen Ausdruck Galimathias, der bei der Lektüre<br />

im Rezensenten aufsteigen will, niederkämpfend, blättert er<br />

weiter <strong>und</strong> weiter. Richard Wagners Sinnieren über »Wiedergutmachung«<br />

erreicht mühelos Stammtischniveau. Verräterische<br />

Vokabeln wie »Betroffenheitsboten« oder »smarte linksorientierte<br />

Anwälte« (die seinerzeit das KPD-Verbot verschleppt<br />

haben sollen) geben Hinweis auf die Gesinnung des Denkers<br />

<strong>und</strong> Deuters, der in epigonaler Fragebogen-Schelte à la Ernst<br />

von Salomon allerlei zusammenmengt, was ihm zum Luxemburger<br />

Abkommen, zur deutschen Erinnerungskultur, zu<br />

»Schindlers Liste« einfällt. Das Thema selbst hat er verfehlt.<br />

Das trifft für das Lemma »Weihnachtsmarkt« nicht zu. Hier ist<br />

alles richtig <strong>und</strong> wahr. Der Weihnachtsmarkt ist älter als der<br />

Kapitalismus, er ist »ein wahres Labyrinth«, die Städte haben<br />

tausend Lichter, der Weihnachtsmarkt ist tatsächlich der Ort<br />

der Nüsse, der Mandeln <strong>und</strong> Maronen <strong>und</strong> »dialektisch mit der<br />

Marktwirtschaft verb<strong>und</strong>en«.<br />

Ein Stück zurück zu Thea Dorns Abhandlung über »Das Weib«.<br />

Der Leser erfährt auf über dreißig Seiten alles, was er über das<br />

interessante Sujet schon längst einmal wissen wollte, betrachtet<br />

mit Lust die Bilder <strong>und</strong> wird in die Geheimnisse – ja in<br />

welche eigentlich? – eingeweiht. Es geht jedenfalls um tolle<br />

Frauen, die ob ihrer Schönheit oder anderer Leistungen<br />

berühmt wurden, wie Brünhilde <strong>und</strong> Loreley, Hanna Reitsch<br />

<strong>und</strong> Lena Meyer-Landrut.<br />

Im Kapitel »Sozialstaat« wird, nachdem der Autor durch die<br />

Besichtigung der Fuggerei in Augsburg Schwung geholt <strong>und</strong><br />

Bismarcks Intentionen bei der zeitgleichen Bekämpfung der<br />

Sozialdemokratie <strong>und</strong> der Einführung der Sozialgesetzgebung<br />

erläutert hat, das Wesen des Kapitalismus erklärt <strong>und</strong> der Korporatismus<br />

als »Instrument der Demokratie« gepriesen. Möglicherweise<br />

ist da ein Stück Text bei der Herstellung verloren<br />

gegangen, der den Sinnzusammenhang zwischen dem<br />

gescheiterten Korporatismus des NS-Regimes <strong>und</strong> dem der<br />

Foto: Kerstin Ehmer, © Knaus<br />

DDR <strong>und</strong> der vom Autor geforderten pragmatischen Begründung<br />

seiner Notwendigkeit hergestellt hätte. Der auf den Sozialstaat<br />

zwingend folgende Beitrag »Spargelzeit« erscheint da<br />

logischer <strong>und</strong> er ist, ein weiterer Vorteil, dem Thema gewidmet,<br />

das die Überschrift verheißt.<br />

Das Buch enthält auf 560 Seiten noch viel Beherzigenswertes.<br />

Das Lesebändchen tut da gute Dienste. Über »Abendstille« <strong>und</strong><br />

»Bierdurst«, über »Heimat« <strong>und</strong> »Kulturnation«, das »Mutterkreuz«,<br />

den »Vater Rhein«, die »Zerrissenheit« <strong>und</strong> »Winnetou«<br />

ist Wesentliches zu erfahren. Nicht alles ist so bedeutungsschwer<br />

<strong>und</strong> sauertöpfi sch vorgetragen, wie das bei den Themen<br />

»Doktor Faust«, »Männerchor« oder »Schrebergarten« ja<br />

sein muss.<br />

Das Kapitel »Wurst« hat der Rezensent mit besonderem Gewinn<br />

gelesen, den »Kitsch« auch noch als eigenes Stichwort zu<br />

behandeln, nötigt ihm Hochachtung ab <strong>und</strong> auf die Passagen<br />

über »Freikörperkultur« möchte er, der treffl ichen Bebilderung<br />

wegen, besonders aufmerksam machen.<br />

Fazit: Solche Bücher nannte man einst »Hausschatz«, las en<br />

famille an langen Winterabenden darin oder daraus vor oder<br />

abonnierte die Textsorte, solange sie unter dem Namen »Gartenlaube«<br />

erschien. Das Werk ist offensichtlich in der Marketing-Abteilung<br />

ausgeheckt worden, als Beitrag für Ratlose zum<br />

Gabentisch. Zwei prominente Autoren, von denen man lieber<br />

anderes lesen würde, <strong>und</strong> zwar im Genre, das sie beherrschen,<br />

haben sich dazu hergegeben, den Bildern den notwendigen<br />

Text beizumischen. Eine geniale Person hat sich den Titel »Die<br />

deutsche Seele« ausgedacht. In den Buchhandlungen liegen<br />

die Stapel gleich neben dem Tisch, auf dem des fränkischen<br />

Barons Erguss über sein zeitweiliges Scheitern feilgeboten<br />

wird. Das Buch ist so banal, dass man ihm keinen Erfolg wünschen<br />

muss – es hat ihn längst.<br />

Besonders ärgerlich ist bei der gequält geistreichen Seelenk<strong>und</strong>e<br />

das Vorwort, die leutselige Ansprache an den »lieben<br />

Leser«, der gewarnt wird, weil er in diesem Buch nicht »vor<br />

dem Deutschen« gewarnt wird. In der larmoyanten Attitüde,<br />

Tabus zu brechen, die nicht existieren, wird miefi ger Deutschtümelei<br />

gefrönt. »Die Gedanken sind frei«, versichern Thea<br />

Dorn <strong>und</strong> Richard Wagner treuherzig. Das weiß der Leser<br />

eigentlich schon. So steigt der schreckliche Verdacht auf: Die<br />

meinen das ernst, was sie schreiben. ||<br />

Der Historiker Wolfgang Benz leitete bis März 2011 das Zentrum<br />

für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. 1992 erhielt er<br />

den Geschwister-Scholl-Preis. Wolfgang Benz ist Mitbegründer<br />

<strong>und</strong> Herausgeber der »Dachauer Hefte«.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!