Brot und Spiele - Münchner Feuilleton
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FILM<br />
SEITE 04 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
»Die<br />
Welt<br />
braucht<br />
das<br />
Kino«<br />
Seine »Heimat«-Trilogie ist legendär:<br />
Regisseur Edgar Reitz spricht über<br />
sein Serienepos, ein neues Filmprojekt,<br />
Untreue im Filmgeschäft <strong>und</strong><br />
die Eitelkeit der Melancholie.<br />
DAVID STEINITZ<br />
Herr Reitz, ab dem Frühjahr drehen Sie<br />
Ihren nächsten Film. Sind Sie nach so vielen<br />
Jahrzehnten im Filmgeschäft noch aufgeregt?<br />
Ja sicher, immer. Man kann im Filmgeschäft<br />
nie lernen, was man ein für alle Mal zu tun<br />
hat.<br />
Der Film wird dem Geist Ihrer »Heimat«-<br />
Trilogie folgen <strong>und</strong> heißt »Die andere Heimat«.<br />
Worum wird es gehen?<br />
Die Geschichte ist um 1840 angesiedelt, im<br />
Hunsrück, also der Gegend, in der auch die<br />
»Heimat« spielt. Das war die Zeit der Massenauswanderungen.<br />
Nicht nur aus Deutschland,<br />
sondern aus Europa überhaupt haben damals<br />
tausende Menschen ihre Heimat verlassen<br />
<strong>und</strong> sind in die USA oder nach Südamerika<br />
ausgewandert. Vom Hunsrück aus sind die<br />
Leute hauptsächlich nach Brasilien emigriert,<br />
<strong>und</strong> der Film spielt im Vorfeld einer solchen<br />
Auswanderung. Eine Familiengeschichte um<br />
zwei Söhne, es geht um das Thema weggehen<br />
oder hierbleiben.<br />
Warum wieder weiter zurück in die Vergangenheit<br />
<strong>und</strong> nicht näher an die Zukunft,<br />
dort wo die letzte »Heimat« aufhörte?<br />
Diese Geschichte beschäftigt mich schon seit<br />
zwanzig Jahren, ich wollte sie seitdem erzählen<br />
<strong>und</strong> jetzt ist einfach die richtige Gelegenheit<br />
dazu.<br />
»Die andere Heimat« drehen Sie nicht wie<br />
zuvor fürs Fernsehen, sondern fürs Kino.<br />
Ja, das ist ganz eindeutig ein Projekt für die<br />
große Leinwand. Wir werden im Cinema-<br />
Scope-Format drehen. Und das, was ich mir<br />
schon immer gewünscht habe, nämlich in der<br />
Tradition der Kinogeschichte weiterzuarbeiten,<br />
wird hiermit erfüllt.<br />
Und an der Kamera wird wie bei den letzten<br />
beiden »Heimat«-Teilen Ihr Sohn stehen?<br />
Nein, ich arbeite wieder mit Gernot Roll<br />
zusammen, mit dem ich bereits die erste »Heimat«<br />
gemacht habe, eine alte Arbeitfre<strong>und</strong>schaft,<br />
die hier wieder aufgegriffen wird.<br />
Film ist ein Medium, das sehr mit der Zeit<br />
spielt, gerade in ihrem Mammutprojekt »Heimat«.<br />
Sind Filmemacher Melancholiker?<br />
Also das mit der Melancholie ist gerade wieder<br />
so eine Modeerscheinung, durch Lars von<br />
Trier zum Beispiel. Das hat es schon immer<br />
gegeben, um das Jahr 1900 war die Melancholie<br />
auch in Mode. Ich halte davon nichts, das<br />
ist immer ein Zeichen von kultureller Dekadenz.<br />
Ich fi nde, wir müssen unseren Job nicht<br />
anders betrachten als andere. Das Filmemachen<br />
ist in erster Linie ein Handwerk, das<br />
man beherrschen muss. Der Umgang mit den<br />
Inhalten sollte nach Möglichkeit nicht dazu<br />
führen, dass man sich selbst mit seinem Stoff<br />
verwechselt. Es geht immer darum, das, was<br />
man zu erzählen hat, aus seinem eigenen<br />
Innern in die Welt zu tragen <strong>und</strong> es verständlich<br />
zu machen. Der Künstler, der sich im<br />
Weltschmerz der Welt entziehen will, ist eine<br />
eitle Figur. So ein Künstler will sich selbst in<br />
den Mittelpunkt stellen <strong>und</strong> nicht seine<br />
Geschichte.<br />
Eigentlich haben Sie mit »Heimat« die<br />
amerikanischen Serienepen der letzten zehn<br />
Jahre vorweggenommen, diese breit angelegte<br />
Erzählstruktur im Fernsehen. Verfolgen<br />
Sie diese Serien?<br />
Ja, zum Teil schon. Aber ich fand bisher, dass<br />
sie nicht wirklich das weiterentwickeln, was<br />
wir epische Erzählweise nennen. Diese Serien<br />
sind doch sehr stark von einer Suspense-Kultur<br />
geprägt. Jede Folge muss einen Spannungsbogen<br />
haben, in jeder Folge wird nach<br />
einem emotionalen Ergebnis gesucht. Das ist<br />
aber nicht die eigentliche epische Vorgehensweise.<br />
Die führt nämlich ganz im Gegenteil zu<br />
einer Entspannung. Zu einem Zustand, in<br />
dem man anfängt, die Zeit wahrzunehmen,<br />
wo die Zeit selbst zum Thema wird, wo ich<br />
meine eigene Lebenszeit als Betrachter mit<br />
ins Spiel bringen kann. Epos bedeutet Zeiterzählung.<br />
Die amerikanische Kultur leidet aber<br />
unter Zeitmangel. Im Kino fi ndet man diese<br />
epische Erzählweise vor allem in Italien, bei<br />
Ermanno Olmi, Vittorio de Sica, Fellini, Visconti.<br />
Diesem Kino habe ich mich immer sehr<br />
zugehörig gefühlt, aber natürlich auch dem<br />
asiatischen. Kurosawa war ein großer Epiker.<br />
Gehen Sie denn aktuell noch viel ins<br />
Kino?<br />
Natürlich. Was die Kinogeschichte jedes Jahr<br />
aufs Neue beweist, ist, dass sie nach wie vor<br />
kulturell das ist, was die Welt braucht. Das<br />
Kino ist eine Weltkultur, die sich jenseits nationaler<br />
<strong>und</strong> ökonomischer Grenzen abspielt.<br />
Jeder, der für das Kino arbeitet, hat daran teil,<br />
<strong>und</strong> ich habe mich immer als Kinoregisseur<br />
gefühlt – auch bei der »Heimat«-Trilogie. Die<br />
Maßstäbe fürs Erzählen <strong>und</strong> für die Bildästhetik<br />
kommen alle aus dem internationalen<br />
Kino.<br />
Also ist die Unterscheidung zwischen<br />
Kino <strong>und</strong> Fernsehen sek<strong>und</strong>är?<br />
Es geht um das, was man im Französischen<br />
»cinéma« nennt. Eine Erzählweise, die natürlich<br />
mal aus den Lichtspielhäusern hervorgegangen<br />
ist, sich aber inzwischen verselbstständigt<br />
hat. Ich unterscheide nur zwischen<br />
Produktions- <strong>und</strong> Distributionsmedien.<br />
Sowohl die Kinos als auch das Fernsehen sind<br />
Distributionshäuser – mittlerweile auch das<br />
Internet. Aber das ist nicht die eigentliche<br />
gestalterische Ebene, das ist <strong>und</strong> bleibt meine<br />
cineastische Tätigkeit.<br />
Sie haben immer viel unterrichtet. Haben<br />
es junge Filmemacher heute leichter als früher?<br />
Der Anfang ist leichter, die Fortsetzung<br />
schwerer. Obwohl die Regieklassen der Film-<br />
Alle Fotos: © Edgar Reitz Filmproduktion GmbH<br />
hochschulen sehr klein sind, machen doch<br />
deutschlandweit jedes Jahr 50 bis 80 Regisseure<br />
ihren Abschluss. So gut wie jeder von<br />
denen hat die Chance, seinen ersten Film zu<br />
machen, die werden ja alle gefördert. Wenn<br />
der erste Film Erfolg hat, geht es ein bisschen<br />
leichter weiter. Wenn er keinen Erfolg hat,<br />
geht es gar nicht weiter. Und von diesen 50<br />
bis 80 Regisseuren, die alle ihre Träume<br />
haben, bleiben vielleicht fünf übrig. Das ist<br />
das Problem unseres Filmfördersystems: Es<br />
ist ein System der Untreue. Man entdeckt<br />
Leute, pusht sie <strong>und</strong> lässt sie dann sitzen. Das<br />
ist so, als ob man gr<strong>und</strong>sätzlich mit einem<br />
Partner nur einmal ins Bett geht. In dieser<br />
Form kann sich keine wirkliche Liebe entwickeln.<br />
Das empfi nde ich schon seit Jahren als<br />
Skandal.<br />
Und in Ihren Anfängen?<br />
Da war es genau umgekehrt. Der erste Film<br />
war eine Wahnsinnshürde, man hat zehn<br />
Jahre gebraucht, bis man das geschafft hat. In<br />
diesen zehn Jahren hat man das Überleben<br />
gelernt. Die heutigen Filmschüler lernen das<br />
Überleben erst nach dem ersten Film. Und da<br />
habe ich große Zweifel, ob das die richtige<br />
Reihenfolge ist.<br />
Sie waren vor 50 Jahren einer der Unterzeichner<br />
des Oberhausener Manifests, das das<br />
Kino der Väter für tot erklärte <strong>und</strong> den Autorenfi<br />
lm forderte. Fehlt heute im deutschen<br />
Kino eine solche Gruppendynamik wie 1962?<br />
Ach, diese Gruppendynamik hat es doch nie<br />
gegeben. Die Oberhausener Gruppe war keine<br />
Gruppe. Das war ein ziemlich zufällig zusammengewürfelter<br />
Haufen, der sich in einem