Brot und Spiele - Münchner Feuilleton
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China-Restaurant getroffen hatte <strong>und</strong> alle<br />
haben die Erklärung mit unterzeichnet. Richtig<br />
zusammengepasst haben wir nicht, wir<br />
hatten kein gemeinsam erfassbares künstlerisches<br />
Potential. Es sind dann noch einige<br />
Autorenfilmer nachgekommen, die dem<br />
Manifest eigentlich noch zuzurechnen wären,<br />
also Schlöndorff, Fassbinder, Herzog, Wenders<br />
<strong>und</strong> so weiter, die natürlich dazugehört<br />
hätten, die nur zufällig nicht an diesem Abend<br />
mit im Restaurant gesessen haben. Es gab in<br />
dieser Zeit einen Generationsaufbruch, der<br />
aber nicht identisch ist mit der Oberhausener<br />
Gruppe. Das Manifest war ein Bekenntnis zu<br />
einer Haltung, die insgesamt einfach fällig<br />
war.<br />
Mit all der Erfahrung, die Sie sammeln<br />
konnten, was wollten Sie in Ihrer Karriere als<br />
Filmdozent dem Nachwuchs unbedingt mit<br />
auf den Weg geben?<br />
Das Filmemachen ist für mich eine Autorentätigkeit,<br />
<strong>und</strong> eine Autorenschule hat ihre Grenzen.<br />
Zunächst mal würde ich sagen, man ist<br />
ein Autor oder man ist es nicht. Auf der anderen<br />
Seite kann eine Schule das Bewusstsein<br />
für die Ausübung dieser Tätigkeit schaffen.<br />
Wenn man Filme macht, ist man Teil der Filmgeschichte<br />
– <strong>und</strong> dieses Bewusstsein hat man<br />
nicht von Haus aus, das muss eine solche<br />
Schule vermitteln. Außerdem gibt es eine<br />
gewisse Systematik des Nachdenkens über die<br />
Werkzeuge des Filmemachens, auch das kann<br />
eine Schule vermitteln. Was ist eine Kamera,<br />
was ist ein Schnittwerkzeug? Fragen zu stellen,<br />
die man in der Praxis nicht stellt, weil<br />
man meint, man wüsste die Antwort. Alle<br />
»Heimat« - ein Jahrh<strong>und</strong>ertepos deutscher Geschichte<br />
Praktiker glauben, sie wüssten, wie es geht.<br />
Muss ein guter Regisseur immer auch ein<br />
Theoretiker <strong>und</strong> Kritiker des Kinos sein?<br />
Nein. Aber sobald man seinen zweiten oder<br />
dritten Film gemacht hat, gehört das Nachdenken<br />
darüber einfach dazu. Das Filmemachen<br />
ist ein viel zu komplexes Geschäft, als<br />
dass man sich da sein Leben lang spontan <strong>und</strong><br />
intuitiv durchbewegen könnte. Man braucht<br />
das Wissen über den eigenen Job, über die<br />
kulturgeschichtlichen Hintergründe, aber<br />
auch seine Ausdrucksmittel muss man kritisch<br />
betrachten.<br />
Sie haben als Motto einmal formuliert:<br />
»Versuche immer Schritt zu halten mit dem<br />
Leben, damit du es mit der Kamera beschreiben<br />
lernst«. 2012 werden Sie 80, fällt es Ihnen<br />
mittlerweile schwerer, Schritt zu halten?<br />
Das Alter ist eine widersprüchliche Angelegenheit.<br />
Einerseits weiß man immer mehr<br />
<strong>und</strong> kann besser mit vielen Dingen umgehen.<br />
Man hat mehr Übersicht über das eigene Tun.<br />
Andererseits nehmen die Kräfte ab. Man<br />
schafft nicht mehr den 16-St<strong>und</strong>en-Tag, sondern<br />
vielleicht nur noch den 10-St<strong>und</strong>en-Tag.<br />
Aber das ist auch der einzige Unterschied, den<br />
ich merke. ||<br />
EDGAR REITZ<br />
Jahrgang 1932, studierte Germanistik,<br />
Publizistik <strong>und</strong> Theaterwissenschaft<br />
in München. Er war Mitglied<br />
der Oberhausener Gruppe, die 1962<br />
den deutschen Autorenfilm hervorbrachte.<br />
1966 realisierte er seinen ersten<br />
Spielfilm »Mahlzeiten«, der in Venedig<br />
ausgezeichnet wurde. Es folgten<br />
diverse Spiel-, Dokumentar- <strong>und</strong><br />
Experimentalfilme. Reitz verfasste<br />
zahlreiche Schriften über Filmtheorie<br />
<strong>und</strong> Filmästhetik, ab 1994 war er<br />
Professor für Film an der Staatlichen<br />
Hochschule für Gestaltung in<br />
Karlsruhe. Mit der »Heimat«-Trilogie<br />
(1984–2000) hat Reitz ein Jahrh<strong>und</strong>ert-Epos<br />
deutscher Geschichte<br />
geschaffen – mit 54 St<strong>und</strong>en eine<br />
der längsten Erzählungen der Filmgeschichte,<br />
die weltweit große<br />
Anerkennung fand.<br />
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FILM<br />
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 05<br />
ll<br />
MÜNCHEN<br />
IM FILM | 4<br />
FLORIAN GAAG<br />
WHOLETRAIN (2006)<br />
Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass ausgerechnet<br />
München immer wieder als Schauplatz<br />
von Florian Gaags Regiedebüt »Wholetrain«<br />
genannt wird? Gaag, der vier Jahre lang auf der<br />
Tisch School of the Arts in New York studiert hat,<br />
kommt zwar aus München, durchs Bild lässt er<br />
allerdings polnische Züge rollen. Denn die Deutsche<br />
Bahn wollte mit seiner Geschichte um zwei<br />
konkurrierende Sprayer-Crews nicht in Verbindung<br />
gebracht werden, weshalb es für deutsche<br />
Bahnhöfe keine Drehgenehmigungen gab; diese<br />
hat Gaag nach langer Suche dann erst in Warschau<br />
bekommen.<br />
Kein <strong>Münchner</strong> Lokalkolorit also, dafür umso<br />
mehr Warschau-Schnappschüsse, <strong>und</strong> in der<br />
Story selbst bleibt der Ort konsequent im Ungewissen:<br />
keine Adressen, keine Schilder an<br />
U-Bahn-Haltestellen oder sonstige Wegmarken.<br />
Wer »Wholetrain« sieht, wird wohl auch erst einmal<br />
Berlin oder Frankfurt fehl-identifi zieren <strong>und</strong><br />
nicht ausgerechnet München – zu dreckig-urban<br />
<strong>und</strong> schmelztiegelhaft kommt die fi ktive Filmstadt<br />
daher. Doch trotz allem: Immer wieder wird die<br />
bayerische Landeshauptstadt als Schauplatz<br />
genannt – die Toilettentüren, Straßenunterführungen<br />
<strong>und</strong> Stromkästen Münchens sind sogar noch<br />
heute mit »Wholetrain«-Werbestickern verziert.<br />
Liegt das vielleicht daran, dass München Sehnsucht<br />
nach ein wenig Subkultur im Kinoformat<br />
hat? Dass es angenehm ist, sich vorzustellen,<br />
Sprayerboss David <strong>und</strong> seine Crew zögen als<br />
maskierte Bilderstürmer mit ästhetischem Ehrgefühl<br />
in der Dose <strong>und</strong> brüderlicher Loyalität im<br />
Herzen durch die Nacht, um die Bahnen des<br />
MVV <strong>und</strong> die Züge der Deutschen Bahn zu<br />
schmücken?<br />
Bei genauem Hinsehen gibt es dann doch<br />
einige, freilich dezente München-Bezüge: Ein Sticker<br />
des alternativen Klamottenlabels Fuckuall,<br />
der auf einem Plattenspieler klebt, ein Logo des<br />
Basketball-Shops k1x auf der Mütze des Sprayer-<br />
Konkurrenten – der noch dazu vom <strong>Münchner</strong><br />
Rapper Roger Reckless gespielt wird – <strong>und</strong> natürlich<br />
an erster Stelle: die rollenden Graffi ti-Kunstwerke<br />
auf den polnischen Zügen. <strong>Münchner</strong><br />
Writer wie Cemnoz, Won oder Ciel haben sie<br />
gestaltet, mussten sich in Warschau gegen Crossings<br />
polnischer Sprüher wehren <strong>und</strong> haben trotz<br />
all der belegten feindlichen Übernahmeversuche<br />
ihren seit Mitte der 80er-Jahre weiterentwickelten<br />
Stil für den Ex-Writer Gaag vor die Kamera<br />
gebracht. Dass »Wholetrain« also am Ende immer<br />
als <strong>Münchner</strong> Kindl adoptiert wird, liegt eben<br />
nicht an irgendwelchen abfotografi erten Stadtwahrzeichen,<br />
nicht an zur Schau gestellter Seppl-<br />
Gemütlichkeit oder einem als typisch <strong>Münchner</strong>isch<br />
identifi zierten Snobismus – das alles hat es in<br />
diesem Fall glücklicherweise einmal nicht zur<br />
Filmreife geschafft. Es liegt vielmehr an einer Kultur,<br />
die klandestin blüht <strong>und</strong> sich zwangsläufi g,<br />
schon aufgr<strong>und</strong> des Strafgesetzbuches, niemals<br />
lautstark zu Wort meldet.<br />
ll<br />
MATTHIAS LEITNER<br />
Hässlich, sexy, liebevoll, arrogant, sonnig,<br />
versoffen, größenwahnsinnig, fantastisch,<br />
fanatisch, widerspenstig, geheimnisvoll ...<br />
In jeder Ausgabe stellen wir einen wichtigen<br />
München-Film vor – der jedes Mal ein neues<br />
Stadtbild enthüllt: Film-München.