28.12.2012 Aufrufe

Brot und Spiele - Münchner Feuilleton

Brot und Spiele - Münchner Feuilleton

Brot und Spiele - Münchner Feuilleton

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

China-Restaurant getroffen hatte <strong>und</strong> alle<br />

haben die Erklärung mit unterzeichnet. Richtig<br />

zusammengepasst haben wir nicht, wir<br />

hatten kein gemeinsam erfassbares künstlerisches<br />

Potential. Es sind dann noch einige<br />

Autorenfilmer nachgekommen, die dem<br />

Manifest eigentlich noch zuzurechnen wären,<br />

also Schlöndorff, Fassbinder, Herzog, Wenders<br />

<strong>und</strong> so weiter, die natürlich dazugehört<br />

hätten, die nur zufällig nicht an diesem Abend<br />

mit im Restaurant gesessen haben. Es gab in<br />

dieser Zeit einen Generationsaufbruch, der<br />

aber nicht identisch ist mit der Oberhausener<br />

Gruppe. Das Manifest war ein Bekenntnis zu<br />

einer Haltung, die insgesamt einfach fällig<br />

war.<br />

Mit all der Erfahrung, die Sie sammeln<br />

konnten, was wollten Sie in Ihrer Karriere als<br />

Filmdozent dem Nachwuchs unbedingt mit<br />

auf den Weg geben?<br />

Das Filmemachen ist für mich eine Autorentätigkeit,<br />

<strong>und</strong> eine Autorenschule hat ihre Grenzen.<br />

Zunächst mal würde ich sagen, man ist<br />

ein Autor oder man ist es nicht. Auf der anderen<br />

Seite kann eine Schule das Bewusstsein<br />

für die Ausübung dieser Tätigkeit schaffen.<br />

Wenn man Filme macht, ist man Teil der Filmgeschichte<br />

– <strong>und</strong> dieses Bewusstsein hat man<br />

nicht von Haus aus, das muss eine solche<br />

Schule vermitteln. Außerdem gibt es eine<br />

gewisse Systematik des Nachdenkens über die<br />

Werkzeuge des Filmemachens, auch das kann<br />

eine Schule vermitteln. Was ist eine Kamera,<br />

was ist ein Schnittwerkzeug? Fragen zu stellen,<br />

die man in der Praxis nicht stellt, weil<br />

man meint, man wüsste die Antwort. Alle<br />

»Heimat« - ein Jahrh<strong>und</strong>ertepos deutscher Geschichte<br />

Praktiker glauben, sie wüssten, wie es geht.<br />

Muss ein guter Regisseur immer auch ein<br />

Theoretiker <strong>und</strong> Kritiker des Kinos sein?<br />

Nein. Aber sobald man seinen zweiten oder<br />

dritten Film gemacht hat, gehört das Nachdenken<br />

darüber einfach dazu. Das Filmemachen<br />

ist ein viel zu komplexes Geschäft, als<br />

dass man sich da sein Leben lang spontan <strong>und</strong><br />

intuitiv durchbewegen könnte. Man braucht<br />

das Wissen über den eigenen Job, über die<br />

kulturgeschichtlichen Hintergründe, aber<br />

auch seine Ausdrucksmittel muss man kritisch<br />

betrachten.<br />

Sie haben als Motto einmal formuliert:<br />

»Versuche immer Schritt zu halten mit dem<br />

Leben, damit du es mit der Kamera beschreiben<br />

lernst«. 2012 werden Sie 80, fällt es Ihnen<br />

mittlerweile schwerer, Schritt zu halten?<br />

Das Alter ist eine widersprüchliche Angelegenheit.<br />

Einerseits weiß man immer mehr<br />

<strong>und</strong> kann besser mit vielen Dingen umgehen.<br />

Man hat mehr Übersicht über das eigene Tun.<br />

Andererseits nehmen die Kräfte ab. Man<br />

schafft nicht mehr den 16-St<strong>und</strong>en-Tag, sondern<br />

vielleicht nur noch den 10-St<strong>und</strong>en-Tag.<br />

Aber das ist auch der einzige Unterschied, den<br />

ich merke. ||<br />

EDGAR REITZ<br />

Jahrgang 1932, studierte Germanistik,<br />

Publizistik <strong>und</strong> Theaterwissenschaft<br />

in München. Er war Mitglied<br />

der Oberhausener Gruppe, die 1962<br />

den deutschen Autorenfilm hervorbrachte.<br />

1966 realisierte er seinen ersten<br />

Spielfilm »Mahlzeiten«, der in Venedig<br />

ausgezeichnet wurde. Es folgten<br />

diverse Spiel-, Dokumentar- <strong>und</strong><br />

Experimentalfilme. Reitz verfasste<br />

zahlreiche Schriften über Filmtheorie<br />

<strong>und</strong> Filmästhetik, ab 1994 war er<br />

Professor für Film an der Staatlichen<br />

Hochschule für Gestaltung in<br />

Karlsruhe. Mit der »Heimat«-Trilogie<br />

(1984–2000) hat Reitz ein Jahrh<strong>und</strong>ert-Epos<br />

deutscher Geschichte<br />

geschaffen – mit 54 St<strong>und</strong>en eine<br />

der längsten Erzählungen der Filmgeschichte,<br />

die weltweit große<br />

Anerkennung fand.<br />

Anzeige<br />

FILM<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 05<br />

ll<br />

MÜNCHEN<br />

IM FILM | 4<br />

FLORIAN GAAG<br />

WHOLETRAIN (2006)<br />

Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass ausgerechnet<br />

München immer wieder als Schauplatz<br />

von Florian Gaags Regiedebüt »Wholetrain«<br />

genannt wird? Gaag, der vier Jahre lang auf der<br />

Tisch School of the Arts in New York studiert hat,<br />

kommt zwar aus München, durchs Bild lässt er<br />

allerdings polnische Züge rollen. Denn die Deutsche<br />

Bahn wollte mit seiner Geschichte um zwei<br />

konkurrierende Sprayer-Crews nicht in Verbindung<br />

gebracht werden, weshalb es für deutsche<br />

Bahnhöfe keine Drehgenehmigungen gab; diese<br />

hat Gaag nach langer Suche dann erst in Warschau<br />

bekommen.<br />

Kein <strong>Münchner</strong> Lokalkolorit also, dafür umso<br />

mehr Warschau-Schnappschüsse, <strong>und</strong> in der<br />

Story selbst bleibt der Ort konsequent im Ungewissen:<br />

keine Adressen, keine Schilder an<br />

U-Bahn-Haltestellen oder sonstige Wegmarken.<br />

Wer »Wholetrain« sieht, wird wohl auch erst einmal<br />

Berlin oder Frankfurt fehl-identifi zieren <strong>und</strong><br />

nicht ausgerechnet München – zu dreckig-urban<br />

<strong>und</strong> schmelztiegelhaft kommt die fi ktive Filmstadt<br />

daher. Doch trotz allem: Immer wieder wird die<br />

bayerische Landeshauptstadt als Schauplatz<br />

genannt – die Toilettentüren, Straßenunterführungen<br />

<strong>und</strong> Stromkästen Münchens sind sogar noch<br />

heute mit »Wholetrain«-Werbestickern verziert.<br />

Liegt das vielleicht daran, dass München Sehnsucht<br />

nach ein wenig Subkultur im Kinoformat<br />

hat? Dass es angenehm ist, sich vorzustellen,<br />

Sprayerboss David <strong>und</strong> seine Crew zögen als<br />

maskierte Bilderstürmer mit ästhetischem Ehrgefühl<br />

in der Dose <strong>und</strong> brüderlicher Loyalität im<br />

Herzen durch die Nacht, um die Bahnen des<br />

MVV <strong>und</strong> die Züge der Deutschen Bahn zu<br />

schmücken?<br />

Bei genauem Hinsehen gibt es dann doch<br />

einige, freilich dezente München-Bezüge: Ein Sticker<br />

des alternativen Klamottenlabels Fuckuall,<br />

der auf einem Plattenspieler klebt, ein Logo des<br />

Basketball-Shops k1x auf der Mütze des Sprayer-<br />

Konkurrenten – der noch dazu vom <strong>Münchner</strong><br />

Rapper Roger Reckless gespielt wird – <strong>und</strong> natürlich<br />

an erster Stelle: die rollenden Graffi ti-Kunstwerke<br />

auf den polnischen Zügen. <strong>Münchner</strong><br />

Writer wie Cemnoz, Won oder Ciel haben sie<br />

gestaltet, mussten sich in Warschau gegen Crossings<br />

polnischer Sprüher wehren <strong>und</strong> haben trotz<br />

all der belegten feindlichen Übernahmeversuche<br />

ihren seit Mitte der 80er-Jahre weiterentwickelten<br />

Stil für den Ex-Writer Gaag vor die Kamera<br />

gebracht. Dass »Wholetrain« also am Ende immer<br />

als <strong>Münchner</strong> Kindl adoptiert wird, liegt eben<br />

nicht an irgendwelchen abfotografi erten Stadtwahrzeichen,<br />

nicht an zur Schau gestellter Seppl-<br />

Gemütlichkeit oder einem als typisch <strong>Münchner</strong>isch<br />

identifi zierten Snobismus – das alles hat es in<br />

diesem Fall glücklicherweise einmal nicht zur<br />

Filmreife geschafft. Es liegt vielmehr an einer Kultur,<br />

die klandestin blüht <strong>und</strong> sich zwangsläufi g,<br />

schon aufgr<strong>und</strong> des Strafgesetzbuches, niemals<br />

lautstark zu Wort meldet.<br />

ll<br />

MATTHIAS LEITNER<br />

Hässlich, sexy, liebevoll, arrogant, sonnig,<br />

versoffen, größenwahnsinnig, fantastisch,<br />

fanatisch, widerspenstig, geheimnisvoll ...<br />

In jeder Ausgabe stellen wir einen wichtigen<br />

München-Film vor – der jedes Mal ein neues<br />

Stadtbild enthüllt: Film-München.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!