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Brot und Spiele - Münchner Feuilleton

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BÜHNE<br />

SEITE 16 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

FLORIAN KINAST<br />

Auswärtsspiel in Fröttmaning<br />

Seit drei Jahren wird das Deutsche Theater umgebaut. Im Ausweichquartier am Stadtrand haben die Chefs<br />

die Chance zur Erneuerung des Spielplans genutzt.<br />

Manchmal packt die beiden Wehmut, Carmen Bayer <strong>und</strong> Werner<br />

Steer, die Sehnsucht nach der Schwanthalerstraße. Gerade<br />

an solchen Tagen, wo alles grau ist, der Wolkenbrei am Himmel,<br />

die Kieswüste vor dem Theaterzelt, der Baucontainer<br />

sowieso, der Container mit ihrem Büro. »Heimat«, sagt Steer,<br />

»Heimat wird das nie, das bleibt Exil. Wird Zeit, dass wir wieder<br />

reinkommen.« Rein in die Stadt. Aber sie sitzen immer<br />

noch draußen, die beiden Chefs des Deutschen Theaters.<br />

In New York spielt man Musicals am Broadway, in London<br />

im West End. In München zwischen U-Bahn-Werkstatt <strong>und</strong><br />

Kläranlage. In der Verbannung in Fröttmaning, seit mehr als<br />

drei Jahren. Längst wollten sie wieder daheim sein, Sommer<br />

2011, so war der Plan, doch der Umbau des Haupthauses zieht<br />

sich hin, jetzt reden sie von Frühjahr 2013. »Wir müssen aufpassen,<br />

dass wir hier nicht zur Dauereinrichtung werden«, sagt<br />

Steer. Dass es nicht zur Institution wird, das Provisorium, oft<br />

auch ein Improvisorium.<br />

Zu improvisieren gab es hier anfangs viel, in diesem Zelt,<br />

aber genau das war ein großes Glück. Vor dem Exodus war<br />

alles festgefahren, behäbig, es herrschte Stillstand wie in der<br />

Stoßzeit auf der Schwanthalerstraße, die Kruste so dick wie die<br />

115 Jahre alte Mauer des Theaters, wenn nicht dicker. Es gab<br />

zwei Produktionsfi rmen, von denen bezog man die Stücke,<br />

mehr Auswahl gab es nicht. »Verkrustet ist das richtige Wort«,<br />

sagt Carmen Bayer. »Wenn wir dringeblieben wären, wären wir<br />

gar nicht gezwungen gewesen, das aufzubrechen.« Gezwungen<br />

waren sie, aus Angst vor einer Pleite, einem Flop. Aus Angst,<br />

dass keiner rauskommt, dass der Standort tödlich ist, ohne<br />

Ambiente, ohne Möglichkeit, den Abend nach der Vorstellung<br />

in einer netten Bar ringsherum abzur<strong>und</strong>en. Dass Zuschauer<br />

fernbleiben, das fürchteten sie, doch es kam genau anders.<br />

Aufsehenerregend das provokante Premieren-Papst-Stück<br />

»In Nomine Patris« ab Mitte Oktober 2008, es gab einen kollektiven<br />

Totalverriss in Münchens Medien, beim Publikum<br />

Queen Esther Marrow (Mitte) <strong>und</strong> die Harlem Gospel Singers präsentieren ihre Show vom 19. bis 22. Januar | Foto: Veranstalter<br />

Begeisterung <strong>und</strong> Beschimpfungen, das ganze Spektrum, aber<br />

schon war das Theater auf einmal wieder im Gespräch. Es<br />

rührte sich was, Steer <strong>und</strong> Bayer suchten den Kontakt zu<br />

neuen, anderen Produktionsfi rmen, die Vielfalt wurde größer.<br />

Und die Leute kamen, bis heute im Schnitt 850 Besucher pro<br />

Vorstellung im 1500-Mann-Zelt, eine Auslastung von 60 Prozent,<br />

wie vor dem Auszug auch. Im Jahr sind es r<strong>und</strong> 250 000<br />

Zuschauer.<br />

Die Allianz Arena nebenan hat das allein an vier Samstagen.<br />

Aber jetzt kommen ja immerhin von dort auch Fußballer<br />

herüber ins Theater. Der erste war Oliver Kahn. Der kam noch<br />

vor dem Papst. Und das kam so: Im Sommer 2008 rief Uli<br />

Hoeneß bei Steer an, ob der Torwart-Titan denn nach seinem<br />

letzten Spiel am 2. September seine Abschiedsparty im Deutschen<br />

Theater feiern könne. Sechs Wochen vor der eigentlichen<br />

Premiere. »Kriegen wir hin«, sagte Steer, <strong>und</strong> Steer sagte<br />

es auch, als Kahn am 1. September im Ferrari vorfuhr <strong>und</strong> sich<br />

durchs Zelt führen ließ. Der Boden war aufgerissen, aus den<br />

Wänden hingen Kabel, <strong>und</strong> Kahn fragte: »Sagen Sie, wo fi ndet<br />

das morgen eigentlich statt?« Da sagte Steer: »Hier.« Und es<br />

fand statt, alles wurde fertig, es wurde eine rauschende Gala,<br />

mit vielen Ehrengästen. Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Ottmar<br />

Hitzfeld, sie alle fanden den Weg hierher. Anders als ein<br />

anderes Mal Lothar Matthäus. Der, so erzählt es Steer, rief<br />

eines Spätnachmittags einmal bei ihm an, wegen zwei Karten<br />

für die Abendvorstellung. Matthäus kam auch, aber viel zu<br />

spät, er war irrtümlicherweise in die Schwanthalerstraße<br />

gefahren. Dabei hätte er es ursprünglich ja gar nicht weit<br />

gehabt. Zuvor war er bei einem Spiel in der Arena drüben.<br />

Auch die Löwen haben sie oft als Gäste im Zelt, die <strong>Spiele</strong>r<br />

des TSV 1860, Mitte Dezember war hier ihre Weihnachtsfeier,<br />

davor rückten sie bei »Mamma Mia« oder »Evita« an. »Die fühlen<br />

sich wohl hier«, sagt Steer, »bei uns bekommen sie beste<br />

Unterhaltung.« Beste Unterhaltung, das ist ja genau das,<br />

Leichte Unterhaltung ist eine schwere Kunst.<br />

warum sie gegen Vorurteile aus der Kulturbranche kämpfen<br />

müssen, »dumme Vorurteile«, wie Bayer sagt. Dass sie mit<br />

ihren Stücken massenkompatiblen Mainstream liefern, keine<br />

avantgardistische Hochkultur – aber wenn die anderen die<br />

Nase rümpfen, zuckt Steer mit den Schultern. »Wenn ich die<br />

Gäste nach den Musical-Abenden hier anschaue, dann sind sie<br />

saugut drauf <strong>und</strong> oft beschwingter als die Besucher nach manchen<br />

Stücken an anderen Theatern.« Ja, natürlich sei es Entertainment,<br />

aber deswegen kämen die Leute ja auch, <strong>und</strong> deswegen<br />

werden sie auch so weitermachen.<br />

Auch 2013, wenn sie wieder daheim sind im neuen Deutschen<br />

Theater, das schick aussehen wird, wenn nichts mehr<br />

übrig ist vom alten, opulenten Theatersaal vor dem Umbau. Es<br />

wird heller, moderner, verwechselbarer, statt des alten Weißwurst-Kellers<br />

gibt es dann eine VIP-Lounge, die Patina wird<br />

zwar weg sein, aber eben auch die Kruste. Dem Exil sei Dank.<br />

Hat sich dann ja doch gelohnt, die Zeit neben dem Stadion.<br />

Das Auswärtsspiel in Fröttmaning. ||<br />

Deutsches Theater | Werner-Heisenberg-Allee 11 | Fröttmaning<br />

Spielplan <strong>und</strong> Karten: 089 55234444 | www.deutsches-theater.de

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