Brot und Spiele - Münchner Feuilleton
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KUNST<br />
SEITE 10 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
Anzeige<br />
Einblicke, Durchblicke,<br />
Spiegelungen. Sabine Hornigs<br />
meisterhafte Fotoarbeiten<br />
in der Alten <strong>und</strong> Modernen<br />
Pinakothek sowie in der<br />
Galerie Barbara Gross<br />
ermöglichen Einsichten in die<br />
Kunst der Anschauung.<br />
Bildfenster<br />
THOMAS BETZ<br />
Wo die Barer Straße in die Nordendstraße einbiegt, ließ sich in<br />
den letzten Wochen ein trauriges Schauspiel beobachten: In<br />
einem verlassenen Blumenladen starben die Pfl anzen, einige<br />
grünten noch standhaft, andere waren bereits mumifi ziert;<br />
kam man gelegentlich wieder vorbei, wusste man nicht genau,<br />
welche inzwischen wieder den Geist aufgeben hatten. Gewöhnlich<br />
erlebt man solche kleinen Veränderungen im Stadtbild<br />
weniger dramatisch. Ein Laden macht dicht. Danach gibt es im<br />
Schaufenster wenig zu sehen, weil gerade renoviert wird. Kein<br />
pittoresker, eher ein prosaischer Anblick – außer man sieht so<br />
aufmerksam <strong>und</strong> präzise hin wie Sabine Hornig.<br />
Durchblicke <strong>und</strong> Oberflächen<br />
Die Berliner Künstlerin hat seit 2001 eine großangelegte Werkserie<br />
dem Phänomen Fenster gewidmet, darunter zeigen zahlreiche<br />
Motive gespenstische Schaufenster während der Renovierung.<br />
Die fotografi schen Arbeiten verewigen nicht nur<br />
einen scheinbar banalen Zustand, sondern schärfen den Blick<br />
auf die zerstörerische Logik der Konsumgesellschaft. Ein Bild<br />
in der Pinakothek der Moderne bringt es auf den Punkt: Das<br />
Konsumtheater hat gerade geschlossen, weiße Papierbahnen<br />
verhindern den Einblick in die Operationen am Innenleben,<br />
der Slogan »Radikal Reduziert« – es sind nur die Klebespuren<br />
der Beschriftung zurückgeblieben – schwebt schemenhaft im<br />
Weiß, im Grau. Dass der künstlerisch-konzeptuelle Blick auf<br />
die spiegelnde Glasfl äche uns gesellschaftlich einen Spiegel<br />
vorhält, ist nur ein Aspekt. Der Veränderung bei der Immobilie<br />
entspricht das performative Potenzial des Bildes. Fensterglas<br />
<strong>und</strong> Vorhang, auch die Spiegelung, die den Raum abschließen,<br />
werden als Äquivalente der Oberfl äche des Bildes begreifbar,<br />
wie es auch die Tesafi lm-Reste, Schlieren, Farbspritzer, Graffi ti<br />
auf dem <strong>und</strong> Sprünge im Glas bei anderen Werken anzeigen.<br />
Das gemalte Bild wurde in der Renaissance ein Fenster zur<br />
Welt, gewährte einen Blick auf die Wirklichkeit. Ab Ende des<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>erts verstand man das Bild, wie der Maler Maurcie<br />
Denis, ehe es ein Schlachtross, einen weiblichen Akt oder<br />
irgendeine Anekdote verkörpere, zunächst <strong>und</strong> prinzipielle als<br />
eine »glatte, mit Farben in einer bestimmten Anordnung<br />
bedeckte Fläche«. Diese Bildfl äche wurde in der Moderne zum<br />
Träger von Expressionen, Abstraktionen, Konstruktionen. Da<br />
hatte die Fotografi e als Bildmedium sich bereits nobilitiert <strong>und</strong><br />
von überall Wirklichkeitszeugnisse verfügbar gemacht.<br />
(Nebenbei: Gleichzeitig mit dem Siegeszug der Fotografi e<br />
wurde das Schaufenster zum Massenmedium.)<br />
Fensterbilder <strong>und</strong> Bildfenster<br />
Die Metapher des Bildes als »Fenster« stellen Hornigs Arbeiten<br />
ebenso zur Diskussion wie die Ordnung des Bildes. Alles Fotos<br />
enthalten, maßstabsgetreu, den Fensterrahmen, der damit<br />
dem Bilderrahmen als akzentuierte Trennung des Bildes vom<br />
Umraum entspricht. Das unterscheidet ihre Bilder von anderen<br />
Aufnahmen der Fotogeschichte, die zuvor Schaufensterscheiben<br />
<strong>und</strong> Fenster, Spiegelungen, Ein- <strong>und</strong> Durchblicke<br />
faszinierend inszeniert hatten. Die Künstlerin stellt sich in die<br />
Tradition der Fensterbilder, die malerisch das Sehen refl ektierten,<br />
<strong>und</strong> kritisiert mit den ungreifbare Bilder erzeugenden<br />
Fenstern das illusionistische Verständnis der Fotografi e als<br />
wirklichkeitsgetreue Abbildung. Besonders deutlich wird dies<br />
in den Kabinetten der Alten Pinakothek, wo Hornigs Fotos mit<br />
holländischer Genremalerei in Dialog treten. Es gibt motivische<br />
Entsprechungen – der Totenschädel <strong>und</strong> das Loch in der<br />
Mauer passen zum Vanitasstillleben, Fenstergitter zu Butzenscheiben,<br />
die Palme zum Landschaftbild – <strong>und</strong> solche der<br />
künstlerischen Verfahren: Das zufällige Arrangement von<br />
Arbeitmaterialien <strong>und</strong> Relikten im Laden erscheint als ebenso<br />
souverän komponiert wie ein Stillleben, der dunkle Gr<strong>und</strong> der<br />
Gemälde macht auf den dunklen Klang vieler Fotos aufmerksam.<br />
Und die desaströsen Raumverhältnisse demonstrieren<br />
das prekäre Verhältnis von Bild <strong>und</strong> Raum, der Grenzen <strong>und</strong><br />
Zugänge vom Betrachter zum Bild. Hornigs Fenster sind mal<br />
vergittert, die Rahmenkonstruktionen Exempel einer kühlgeometrischen<br />
Bauästhetik, die Innenräume oft leer oder zerstört.<br />
In »Fenster ohne Boden« (2006) ist das Zimmer, in das<br />
man neugierig hineinschaut, ein leerer Schacht ohne Boden,<br />
ein Abgr<strong>und</strong>. Wie die Interieurs ist auch der gespiegelte Stadtraum<br />
mit seinen Fensterfassaden menschenleer. Die Fotografi<br />
n ist aus den Bildern verschw<strong>und</strong>en. Nur einmal assistiert sie<br />
dem Standpunkt des Betrachters. Und bei »Rückfenster« (2004)<br />
in der Pinakothek der Moderne blicken wir durch die Triptychon-Rahmung,<br />
durch einen leeren Raum <strong>und</strong> ein hinteres