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Brot und Spiele - Münchner Feuilleton

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Kunst muss glaubwürdig sein<br />

Wlademir Faccioni bei der Probe<br />

Simone Sandroni<br />

war 1987 in Brüssel Gründungsmitglied<br />

von Ultima Vez <strong>und</strong> arbeitete bis 1992 in der<br />

Compagnie von Wim Vandekeybus. 1996<br />

gründete er in Prag zusammen mit Lenka<br />

Flory die Kompanie Déjà Donné, die vom<br />

Trasimener See aus mittlerweile 26 Länder<br />

Europas, Nordamerikas <strong>und</strong> Asiens bereist hat.<br />

Sandronis Stück »Das Mädchen <strong>und</strong> der<br />

Messerwerfer« wird am zweiten Abend der<br />

»englischen Saison« uraufgeführt, zusammen<br />

mit Werken von Russel Maliphant <strong>und</strong><br />

Kenneth MacMillan (das Münchener <strong>Feuilleton</strong><br />

berichtete in der Dezemberausgabe).<br />

mit den Motorrollern <strong>und</strong> schauen zu <strong>und</strong> hauen wieder ab.<br />

Paare küssen sich <strong>und</strong> verdrücken sich. In einer solchen Indifferenz<br />

<strong>und</strong> Langeweile versuchen sich auch meine HipHopper,<br />

die Zeit zu vertreiben.<br />

Wie arbeiten Sie mit dem Ensemble?<br />

Es ist nicht einfach, Balletttänzer in eine solche Atmosphäre zu<br />

versetzen. Es sind tapfere Performer, sehr diszipliniert, sie<br />

arbeiten intensiv an ihren körperlichen Fähigkeiten, wenden<br />

unendlich Zeit dafür auf, ihren Körper zu formen, sind fantastische<br />

Künstler, sehr präzise <strong>und</strong> fokussiert. Aber wenn ich sie<br />

nun bitte, sich zu öffnen, zu beobachten im gesamten Umkreis<br />

von 360 Grad, dass sie mit ihrem Körper auch darauf reagieren<br />

können, was irgendwo geschieht – natürlich haben sie selbst<br />

totale Körperkontrolle –, dann ist das zwar für sie nicht schwierig,<br />

aber es ist für sie etwas komplett Neues, Ungewohntes. Ich<br />

arbeite hier nur mit dem Ensemble, bringe keine Tänzer von<br />

außen mit ein. So ist es für sie – auch für mich – eine Herausforderung,<br />

glaubhaft zu agieren, nicht nur formal.<br />

Meine Bewegungsprinzipien beruhen auf der Körpermitte<br />

<strong>und</strong> einer fl exiblen Wirbelsäule. Gerade das Gegenteil ihrer<br />

Ausbildung: sie wären damit schon nach einem Jahr aus der<br />

Schule gefl ogen. Es gibt da aber kein Richtig oder Falsch. Balletttänzer<br />

haben, jeder für sich, fantastische Instrumente, <strong>und</strong><br />

die Herausforderung für mich besteht darin, das Beste aus<br />

jedem einzelnen herauszuholen.<br />

Hat sich im Ensemble etwas verändert seit Ihrer Arbeit<br />

»Cambio d´abito«?<br />

Ich war seit 2008 mehrfach am Haus, auch Leute aus der<br />

Besetzung, die mich noch nicht kennen, haben von anderen<br />

schon gehört, dass ich ihnen nicht Spezielles beibringen <strong>und</strong><br />

Ihnen auch nichts wegnehmen möchte. Die Tänzer sind gut<br />

vorbereitet, einige machten diverse Trainings, weil sie wussten,<br />

dass sie mit mir arbeiten werden. Bei mir gibt es keine<br />

statischen Momente, man ist ständig in Bewegung.<br />

Welche Musik wird zu hören sein?<br />

Ich arbeite mit 48Nord zusammen, Ulrich Müller <strong>und</strong> Siegfried<br />

Rössert, aus München. Die Musik hat verschiedene Ebenen.<br />

Sie muss für den Tanz funktionieren. Zweitens muss sie zum<br />

Ambiente <strong>und</strong> zur Atmosphäre passen, die Lenka Flory mit<br />

Bühnenbild <strong>und</strong> Kostümen geschaffen hat. Auf dem Platz passiert<br />

alles mögliche: Er ist umgeben von Musik. Wir sind noch<br />

auf der Suche – das ist schön, denn auch wenn die Zeit kurz<br />

ist, um ein Werk auf die Beine zu stellen, fi nde ich es wichtig,<br />

dass noch geforscht wird, dass man auf Abenteuer ausgeht,<br />

etwas Neues zu fi nden. Eben nicht auf die Bühne zu bringen,<br />

was man schon weiß <strong>und</strong> kann.<br />

Kann Tanz erzählen – nicht im Sinne des klassischen Handlungsballetts<br />

–, hat er narrative Qualität? Erzählen Sie vielleicht<br />

keine Geschichten, sondern davon, wie man Neues entdeckt?<br />

TANZ<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 13<br />

Simone Sandroni choreografi ert mit dem Bayerischen Staatsballett. Ein Gespräch über das Tanzen <strong>und</strong> das Nichtstun.<br />

THOMAS BETZ<br />

In einer späteren Ausgabe von »Das Mädchen <strong>und</strong> der Messerwerfer«<br />

merkt Wolf Wondratschek an, »dass die Geschichte,<br />

die diese Gedichte erzählen, auch als Libretto für ein Ballett<br />

brauchbar sein könnte«. Wie hat der Text Sie gef<strong>und</strong>en?<br />

Ballettdirektor Ivan LiŠka <strong>und</strong> Wondratschek sind Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />

der Autor liebt das Ballett. Schon lange bestand der Wunsch,<br />

daraus ein Ballett zu machen; aber LiŠka suchte noch nach<br />

einem Choreografen. Vor zwei Jahren bekam ich die Anfrage.<br />

Als ich das Poem las, wollte ich mich inspirieren lassen, aber<br />

es funktionierte nicht. Als Gedicht fand ich es w<strong>und</strong>erschön,<br />

aber ich suche die Gr<strong>und</strong>lagen meiner Arbeit nicht irgendwo<br />

draußen, in Musik, in Literatur, sondern im Studio, in den<br />

Menschen, mit denen ich arbeite. Im Leben – nicht in anderen<br />

Kunstwerken. Ich habe auch schon als Opern- <strong>und</strong> Theaterregisseur<br />

mit Textvorlagen gearbeitet, aber da bringe ich auf die<br />

Bühne, was bereits für die Bühne geschrieben ist. Wenn eine<br />

Musik – oder ein Buch – w<strong>und</strong>erbar ist, braucht sie keine<br />

Übersetzung. Denn Kunst verwandelt das Leben. Aus Kunst<br />

wiederum Kunst zu machen, geht mir zu weit.<br />

Sie haben es aber hier getan. Wie?<br />

Aus den fünf Figuren bei Wondratschek machte ich erst einmal<br />

zwei; aus dem kleinen Zirkus wurde ein kaputter Kinderspielplatz.<br />

Was machen sie da? Sie stellen sich zur Schau, sind sehr<br />

gleichgültig, sie haben vieles satt. Es ist übrigens an Wondratscheks<br />

Text schön, dass jedes Gedicht für sich stehen kann, man<br />

braucht nur zufällig eine Seite aufzuschlagen: phantastisch!<br />

Ich arbeite so: beweg dich, geh weg, komm wieder – es ist<br />

an den Bewegungen also nichts deskriptiv, was die Welt des<br />

Textes betrifft.<br />

Sie haben also nicht mit Charakteren begonnen zu arbeiten,<br />

sondern mit einer Atmosphäre?<br />

Nun, ich habe mich eher von der Person Wondratschek inspirieren<br />

lassen, von seiner Hingabe, von seiner Körperlichkeit. Wenn<br />

wir uns unterhielten, sprachen wir nie über die Tanzproduktion,<br />

aber einmal sagte Wolf: »Sie sollten eigentlich nur tanzen, wenn<br />

es sonst nichts zu tun gibt.« Das öffnete mir einen Weg.<br />

Zu dem Mädchen, dem Messerwerfer, den zwei Frauen <strong>und</strong><br />

dem Clown habe ich zwei hinzuerf<strong>und</strong>en, die ich russische Hip-<br />

Hopper nenne. Die sind bei den anderen mit dabei, obwohl sie<br />

dort eigentlich nichts verloren haben. Dann gibt es ein Netz auf<br />

diesem Spielplatz, wie auf einem billigen Asche-Fußballplatz,<br />

<strong>und</strong> dahinter halten sich die gelangweilten Youngsters auf. Apathische,<br />

aggressive Teenager, die nichts tun, die Sachen kaputtmachen,<br />

die für sich selbst tanzen, die Fußball spielen.<br />

Das ist, wie wenn ein Zirkus in einem kleinen Dorf gastiert,<br />

<strong>und</strong> man kommt schon neugierig hin, aber es ist noch zu<br />

früh <strong>und</strong> die Zirkusleute mit ihren zwei Wagen sitzen auf dem<br />

betonierten Fleck <strong>und</strong> essen. Nichts los. Und dann stellen sie<br />

Stühle auf für die Omas <strong>und</strong> die Enkel, dann kommen welche<br />

Liebe zum Tanz<br />

Konsequent forscht die <strong>Münchner</strong> Choreografi n Sabine Glenz in emotionalen <strong>und</strong> atmosphärischen Hybridbereichen, bearbeitet<br />

die situative Qualität einer Live-Performance, mit großem Interesse an Zwischentönen <strong>und</strong> den Abstufungen zwischen<br />

Darstellung <strong>und</strong> Präsenz. In ihrem jüngsten Stück »L.O.V.E.« schickt sie Karen Piewig <strong>und</strong> Zufi t Simon auf das R<strong>und</strong> der<br />

Bühne. Präsent sind dabei noch zwei andere Tänzerinnen – Valeska Gert <strong>und</strong> Rosalia Chladek, Protagonistinnen des<br />

Ausdruckstanzes, die unterschiedlicher kaum sein könnten: die Berlinerin Valeska Gert, exzentrische Kabarett-Frau <strong>und</strong><br />

Schauspielerin mit schneidendem Witz <strong>und</strong> hellwachem politischem Bewusstsein zum einen, zum andern Rosalia Chladek,<br />

die Körperbildung an der Schule Hellerau-Laxenberg studierte <strong>und</strong> später ihr eigenes Tanzsystem entwickelte <strong>und</strong> lehrte.<br />

Emigrantin die eine, Professorin an den Berliner »Meisterstätten für Tanz« <strong>und</strong> der »Deutschen Bühne« ab 1940 die andere.<br />

Deren unterschiedliche Zugriffe auf Tanz <strong>und</strong> Bewegung inspirierten Sabine Glenz zu »Anordnungen für zwei Tänzer«. || tb<br />

Simone Sandroni bei der Probe | Fotos: Wilfried Hösl<br />

Mit Tanz kann man nicht eine Geschichte erzählen, wie in Filmen<br />

oder Büchern. Gleichzeitig glaube ich, dass Tanz Aktion ist, <strong>und</strong><br />

wenn man an der Intensität der Aktion arbeitet, ablesen kann, ob<br />

man darum kämpft oder sich behaglich fühlt, oder sich aussetzt<br />

– man kann damit einiges erreichen. Aber das bedeutet nicht, zu<br />

erzählen: Es trifft geradewegs die Wahrnehmung des Publikums,<br />

ohne den Filter der Frage nach dem Warum. Was passiert gerade<br />

– darum geht es. Nicht um den narrative Weg, die Erklärung.<br />

Ich glaube auch nicht, dass man auf der Bühne realistisch<br />

sein kann, man kann glaubhaft sein. Nun gibt es ja viele Arten<br />

von Theater, keine hat recht, keine ist besser. Für mich kommt<br />

es auf Glaubwürdigkeit an.<br />

Sind Sie als Künstler, wenn man Wondratscheks Text<br />

betrachtet, nicht einerseits mit dem Messerwerfer verb<strong>und</strong>en?<br />

Sie haben Ziegelsteine geworfen <strong>und</strong> gefangen in den 80er-<br />

Jahren bei Ultima Vez, Sie haben Martial Arts geübt, als Tänzer<br />

wie im Zirkus jeden Tag trainiert, sich in den Zustand der<br />

notwendigen Konzentration versetzt. Und sind Sie nicht auch<br />

mit dem Mädchen verb<strong>und</strong>en? Die zwar bei kleineren Kunststücken<br />

mitmacht, dann auch sich den Messern stellt, aber eigentlich<br />

nicht den Formen <strong>und</strong> Konventionen des Zirkus folgt, sondern<br />

offen ist, für alles, was geschieht oder nicht geschieht.<br />

Diese Konstellation schafft dramaturgisch Spannung. Sich<br />

nicht auszustellen. Du gibst dich einer Aktion hin, aber du bist<br />

immer bereit für jede andere Aktion. Ich liebe die Idee, dass<br />

man sich fragt, was wird als nächstes geschehen? Das Unvorhersagbare.<br />

Viele meiner Arbeiten schuf ich basierend auf der<br />

Struktur von Fehlern, von Zufällen: Warum kamst du dazu?<br />

Weil ein anderer dies tat, <strong>und</strong> dann kam etwas Unerwartetes<br />

hinzu. Das liebe ich an der Arbeit. Ich schaue gern aus dem<br />

Fenster, oder sitze irgendwo, <strong>und</strong> beobachte die Leute. Das ist<br />

eine großartige Vorstellung, immer. Duchamps Ready-Mades<br />

berühren mich sehr. Also nimm einen Gegenstand <strong>und</strong> versuche<br />

ihn zu kontextualisieren, versetze ihn in eine andere<br />

Umgebung, mach einen Rahmen darum. Ich habe viel von seinem<br />

Kunstkonzept gelernt. Denn in der Kunst – das ist klar,<br />

dass ich das nicht als erster sage – können wir nichts erfi nden,<br />

wir können nur sammeln, nur auswählen. ||<br />

SIMONE SANDRONI | DAS MÄDCHEN UND DER MESSER-<br />

WERFER || RUSSEL MALIPHANT | AFTERLIGHT | BROKEN<br />

FALL || KENNETH MACMILLAN | LAS HERMANAS<br />

Mo 30. Januar (Premiere) | 19.30<br />

31. Januar, 1.-2. Februar<br />

Prinzregententheater | Prinzregentenplatz 12<br />

Karten: 089 21851970<br />

SABINE GLENZ<br />

L.O.V.E. – ANORDNUNGEN FÜR ZWEI EI TÄNZER<br />

12.-15. Januar | 20.30<br />

schwere reiter | Dachauerstr. 144<br />

Karten: 089 32494270

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