Brot und Spiele - Münchner Feuilleton
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FILM<br />
SEITE 06 · JANUAR · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
Blut <strong>und</strong> Hoden<br />
Auf dem Filmfest München wurde das Neonazi-Drama »Kriegerin«<br />
im letzten Jahr immerhin zweifach ausgezeichnet, es scheitert letztlich<br />
aber doch an seiner Oberfl ächlichkeit.<br />
TIM SLAGMAN<br />
Der Nationalsozialismus <strong>und</strong> die Bilderproduktion,<br />
das ist eine heikle, vielschichtige<br />
Beziehung. Sie verläuft mindestens von den<br />
fetischisierenden, ordnungsgeilen (Halb-)<br />
Dokumentationen einer Leni Riefenstahl bis<br />
zu heutigen Spielfi lmen, die diese Ästhetik –<br />
mal bewusst, mal unbewusst – zitieren oder<br />
die Geisteshaltung, welche dahintersteckt, zu<br />
ihrem Sujet machen.<br />
»Kriegerin« möchte zur zweiten Kategorie<br />
gehören. Zu einer Sorte Film also, die als<br />
»wichtig« gilt, als aufklärerisch, mindestens<br />
aber als aufrüttelnd. Und in jedem Falle auch:<br />
als politisch. Auf dem diesjährigen <strong>Münchner</strong><br />
Filmfest gewannen Autor David Wnendt, der<br />
den Film als Abschlussarbeit an der HFF Potsdam<br />
auch inszenierte, <strong>und</strong> seine Hauptdarstellerin<br />
Alina Levshin den Förderpreis Deutscher<br />
Film in ihren jeweiligen Kategorien.<br />
Auch die Kritik zeigte sich durchweg angetan,<br />
ein »Besonders wertvoll« von der Filmbewertungsstelle<br />
gab es obendrauf. Die erste Merkwürdigkeit<br />
also – ein politischer Film, der<br />
offensichtlich niemandem wehtut. Denn das<br />
größte Verdienst von »Kriegerin« ist, dass er<br />
ein Lehrbeispiel abgibt für eine typisch fi lmische<br />
Auseinandersetzung mit dem Thema<br />
Rechtsextremismus – eine, die zurückschreckt<br />
vor der Komplexität, die dem Neonazismus<br />
innewohnt, wollte man ihn tatsächlich als<br />
Plötzlich war<br />
Revolution<br />
politisches Phänomen behandeln. Von dem<br />
australischen Skinhead-Schocker »Romper<br />
Stomper« (1992) über »American History X«<br />
(1998) bis zu »Kriegerin« äußert sich der Extremismus<br />
der Hauptfi guren primär stets in<br />
einem Hang zur <strong>und</strong> einem Rausch an der<br />
Gewalt. Bei David Wnendt ist es die 20-jährige<br />
Marisa, die mit ihrer Clique pöbelnd,<br />
prügelnd <strong>und</strong> saufend durch die Gegend um<br />
eine namenlose ostdeutsche Kleinstadt<br />
marodiert – unterlegt mit dröhnend lautem,<br />
eigens für den Film komponierten Nazi-<br />
Rock. In einer tatsächlich effektiv inszenierten<br />
Szene in der S-Bahn, gedreht mit nervöser<br />
Kamera – die manchmal auch durch ein<br />
Handy ersetzt wird, mit dem die Nazis ihre<br />
Untaten dokumentieren – zeigt sich das<br />
ästhetische Programm dieses zeitgenössischen<br />
Subgenres überdeutlich: Statt, wie<br />
Riefenstahl, eine hermetisch in sich geschlossene,<br />
rigide durchreglementierte Welt zu feiern,<br />
bricht der Nazismus in diesen Filmen als<br />
punktuelles Moment des Chaos <strong>und</strong> der<br />
Unordnung aus.<br />
Und selten wurde es so deutlich wie bei<br />
Wnendt, dass diese Gewalt zumeist eine<br />
sexualisierte ist <strong>und</strong> die Sexualität dieser Personen<br />
zwanghaft gewaltförmig. Natürlich lässt<br />
sich die Diagnose, auch jugendlicher Hormonüberschuss<br />
habe etwas mit der Genese<br />
»Neither Allah, Nor Master!« | Foto: Doc & Film International<br />
des Neonazis zu tun, schön saftig ins Bild<br />
pressen. Saftiger jedenfalls als das Problem<br />
der Arbeitslosigkeit (die kurz erwähnt wird),<br />
ein dysfunktionales Elternhaus oder die<br />
rechtsradikalen Ansichten der wichtigsten<br />
Bezugsperson, die für Marisa ihr über alles<br />
geliebter Opa darstellt.<br />
Der Regisseur hat intensiv in der Szene<br />
recherchiert, umso unverständlicher ist seine<br />
irreführende Begeisterung für das bloße<br />
Erscheinungsbild des Extremismus. Viel zu<br />
stiernackig <strong>und</strong> tumb setzt er Marisas Fre<strong>und</strong><br />
Sandro (Gerdy Zint) in Szene, viel zu deutlich<br />
<strong>und</strong> ubiquitär die Symbole <strong>und</strong> Insignien des<br />
NS <strong>und</strong> viel zu widerlich <strong>und</strong> schmierig den<br />
pseudointellektuellen Mentor der Clique.<br />
Dass derart oberfl ächlich sozialisierten Nazis<br />
die Läuterung nicht sonderlich schwerfällt,<br />
liegt auf der Hand – hier tritt sie alsbald in<br />
Form des afghanischen Flüchtlings Rasul<br />
MATTHIAS LEITNER<br />
»Tahrir 2011« | Foto: Pacha Pictures<br />
Hektisch wurden Kameraaugen ausgerichtet<br />
auf den Tahrir-Platz in Kairo, Mikrophone im<br />
donnernden Geschrei Tausender Demonstranten<br />
gepegelt, Druckerschwärze für Leitartikel<br />
<strong>und</strong> Kommentare angerührt. Vor allem<br />
Faszination <strong>und</strong> ungläubiges Staunen haben<br />
den westlichen Medienblick auf den »Arabischen<br />
Frühling« bestimmt. Mittlerweile ist das<br />
Staunen wieder verfl ogen <strong>und</strong> die nächste<br />
Quoten-Sau wird durchs globale Dorf getrieben:<br />
Plötzlich war die Revolution vorbei. Auf<br />
den 8. Mittelmeer-Filmtagen im <strong>Münchner</strong><br />
Gasteig gibt es ein Gegenprogramm zur kurzfristigen<br />
Medienmaschine: Im Eröffnungsfi lm<br />
»Microphone« pilgert ein Heimkehrer ganz<br />
gemächlich durch ein ihm unbekannt gewordenes<br />
Alexandria. Er entdeckt die neue Musik<br />
seiner widersprüchlichen Heimat <strong>und</strong> lernt<br />
dabei die Klüfte in der ägyptischen Gesellschaft<br />
zu sehen <strong>und</strong> zu verstehen. »Microphone«<br />
zeigt das Land vor der Revolution <strong>und</strong><br />
gibt seinen Zuschauern mit auf den Weg:<br />
Nichts geschieht aus heiterem Himmel. Die<br />
Dokumentation »Tahrir 2011 – The Good, the<br />
Bad, the Politician« konzentriert sich dann auf<br />
die 18 Tage währenden Proteste <strong>und</strong> stellt,<br />
aufgeteilt in drei Themenblöcke, die Fragen:<br />
Wer sind die Helden? Welcher Geist versteckt<br />
Alina Levshin als »Kriegerin« | Foto: Ascot Elite<br />
(Sayed Ahmad Wasil Mrowat) in die Handlung.<br />
Letztlich ergibt sich »Kriegerin« dem Faszinosum<br />
seiner Bilder des intensiven Lebens<br />
– <strong>und</strong> den Normierungen der Mainstream-<br />
Dramaturgie. Weder die erschreckend professionellen<br />
Mordserien rechter Terroristen in<br />
Norwegen <strong>und</strong> Deutschland noch die längst<br />
nicht mehr neue Strategie der NPD, auf Seriosität<br />
zu setzen statt auf Konfrontation <strong>und</strong><br />
Aggressivität, lassen sich so auch nur ansatzweise<br />
erschöpfend erklären. Wenn das Kino<br />
versucht, ein gesellschaftliches Problem in die<br />
Psyche einer Figur zu projizieren, gerät es<br />
schnell in die Klemme. ||<br />
»KRIEGERIN«<br />
D 2011. | Regie: David Wnendt | Ab dem 19.1.<br />
im Kino<br />
»Microphone« | Foto: Film Clinic<br />
sich hinter den Uniformen der reaktionären<br />
Polizeitruppen? Was für ein Mensch ist eigentlich<br />
der gestürzte Diktator Husni Mubarak?<br />
Die Mittelmeer-Filmtage bieten in diesem<br />
Jahr ein Programm, das politisch engagiert<br />
die Erzählweisen von Spiel- <strong>und</strong> Dokumentarfi<br />
lm kontrastiert. Die Filme zeugen davon,<br />
dass es fi ktionalen Stoffen zunehmend schwerer<br />
fällt, einer komplexen Wirklichkeit gerecht<br />
zu werden: So ist der Eröffnungsfi lm »Microphone«<br />
zwar gefällig inszeniert, erreicht aber<br />
niemals die erschütternde Dichte von Dokumentationen<br />
wie »Tahrir« oder »Neither Allah,<br />
Nor Master!«, in dem sich die religionskritische<br />
Regisseurin Nadia El Fani mit einer drohenden<br />
islamischen Radikalisierung Tunesiens<br />
nach der Revolte beschäftigt <strong>und</strong> damit<br />
auf eine unbestimmte Zukunft weist. ||<br />
DIE 8. MITTELMEER-FILMTAGE<br />
finden vom 13. bis zum 22. Januar im<br />
<strong>Münchner</strong> Gasteig statt.<br />
Das gesamte Programm finden Sie unter:<br />
www.filmstadt-muenchen.de