28.12.2012 Aufrufe

Brot und Spiele - Münchner Feuilleton

Brot und Spiele - Münchner Feuilleton

Brot und Spiele - Münchner Feuilleton

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ter, Ritualbad, Schule <strong>und</strong> Geschäften – deutlich, wenn Filme<br />

vom Besuch einstiger Bewohner in der heutigen Siedlung<br />

erzählen <strong>und</strong> Erinnerungen der hier aufgewachsenen Kinder<br />

zu hören sind.<br />

Um die Geschichte der Überlebenden in bisher noch nie da<br />

gewesenem Umfang der Öffentlichkeit zu zeigen, haben die<br />

Kuratorinnen, Jutta Fleckenstein <strong>und</strong> Tamar Lewinsky, zwei<br />

Jahre lang Familien in Deutschland aufgesucht, die ihren<br />

Ursprung in Föhrenwald haben. Sie haben Stücke aus dem F<strong>und</strong>us<br />

der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem entliehen<br />

<strong>und</strong> Einzelteile aus privaten Sammlungen. Auf einen Satz<br />

sind sie immer wieder gestoßen: »Ach, das interessiert Sie?«<br />

Nicht zuletzt deshalb ist es überfällig, dass diese Thematik<br />

in München Raum fi ndet. Es wird als Ironie des Schicksals<br />

bezeichnet, dass die »Hauptstadt der Bewegung« nach Todesmärschen<br />

<strong>und</strong> antisemitischen Pogromen in Osteuropa zu<br />

einer Anlaufstelle wurde. Dabei ist es die eigentliche Ironie<br />

des kulturellen Gedächtnisses der Stadt, dass die wenigsten<br />

<strong>Münchner</strong> wissen, dass das heutige Waldram einst Föhrenwald<br />

hieß <strong>und</strong> für Tausende jüdische Überlebende über mehrere<br />

Jahre Heimat war, wo es gleichzeitig wohl kaum <strong>Münchner</strong><br />

gibt, die nicht wüssten, wofür Dachau steht.<br />

Angesichts des wenigen Wissens in der breiten Öffentlichkeit<br />

– die Geschichtswissenschaft hat sich dem Thema durchaus<br />

ausführlich gewidmet – ist es die Stärke der Ausstellung,<br />

dass das Objekt im Vordergr<strong>und</strong> steht. »Es macht keinen<br />

Unterschied für Ihren Eindruck, ob hier 10.000 oder 100.000<br />

Stück liegen«, erklären immer wieder Mitarbeiter in KZ-<br />

Gedenkstätten, wenn Besucher entsetzt vor Bergen aus Schuhen<br />

oder Brillen stehen, »das bleibt für das menschliche<br />

Gehirn ohnehin unbegreifl ich.« Der gegenteilige Schluss, am<br />

einzelnen Objekt entlang zu erzählen, ist da logisch. Nicht,<br />

dass er das Geschehen plötzlich begreifbarer machen würde.<br />

Aber in diesem Fall liefert er einen überfälligen Blick in den<br />

Anfangszustand jener »gepackten Koffer«, auf denen Juden<br />

nicht zuletzt in München gelebt haben <strong>und</strong> leben <strong>und</strong> die<br />

zwar, laut Charlotte Knobloch, in einigen Fällen ausgepackt<br />

sind, aber eben doch stets griffbereit scheinen. Umso spannender<br />

wird es im Juli, wenn der zweite Teil der Ausstellung<br />

eröffnet wird. Ihm ist das »90« im Titel gewidmet: Es wird um<br />

die Juden gehen, die in den letzten 20 Jahren aus der ehemaligen<br />

Sowjetunion nach München kamen, um ihre Koffer auszupacken.<br />

||<br />

ZARA S. PFEIFFER<br />

Auf dem <strong>Münchner</strong> Marienplatz lässt sich bisweilen ein<br />

Schauspiel beobachten, das bei Beteiligten <strong>und</strong> Unbeteiligten<br />

gleichermaßen Irritationen hervorruft. Eine Gruppe von Menschen<br />

versammelt sich in einer Ecke des Platzes, um mit<br />

Plakaten <strong>und</strong> Transparenten ihren Protest auszudrücken.<br />

Trillerpfeifen werden geblasen <strong>und</strong> Reden<br />

gehalten. Zu bestimmten Zeiten des Tages jedoch wird die<br />

Protestszenerie gestört. Die Reden werden unterbrochen, die<br />

Figuren des Glockenspiels erhalten die Hoheit über den Platz<br />

<strong>und</strong> ziehen ihre Kreise. Das Spiel der 43 Glocken, dem eine<br />

andere Ansammlung von Menschen mehr oder weniger<br />

andächtig lauscht, soll nicht von politischen Reden gestört<br />

werden.<br />

Die Reaktionen der Protestierenden auf diese Auflage<br />

des Kreisverwaltungsreferats reichen von leichter<br />

Belustigung über Befremden bis hin zu deutlich geäußerter<br />

Verärgerung. Nach wenigen Minuten jedoch ist der klingende<br />

Spuk vorbei, die Reden werden wieder aufgenommen, während<br />

sich die Glockenspielversammlung in die umliegenden<br />

Konsumwelten verstreut. Diese pittoresk anmutende<br />

Szene zum Sinnbild für die Protestkultur in München<br />

zu erklären wäre übertrieben. Für den Umgang der<br />

Behörden mit Protesten hingegen fi ndet sich hier ein<br />

wesentliches <strong>und</strong> wiederkehrendes Moment. Proteste sind in<br />

München durchaus nicht unerwünscht, wirklich stören aber<br />

sollten sie bitte nicht.<br />

Die Geschichte der Proteste in München seit 1945 macht genau<br />

dies deutlich. Immer wieder gab es Proteste, die für das gute<br />

<strong>und</strong> weltoffene Ansehen Münchens gerne gesehen<br />

waren. Beispielsweise, als im März 1997 r<strong>und</strong> 10.000<br />

Menschen mit einer Blockade verhinderten, dass die mit<br />

5.000 Teilnehmer/innen <strong>und</strong> Teilnehmern größte neonazistische<br />

Demonstration der Nachkriegsgeschichte ihre Abschlussk<strong>und</strong>gebung<br />

auf dem Marienplatz abhalten konnte. Oder als<br />

im Dezember 1992 mit der Aktion Lichterkette bis zu 400.000<br />

Menschen unter dem Motto »München – eine Stadt sagt nein«<br />

ihre Betroffenheit über rechtsextremistische Gewalttaten<br />

auf die Straße trugen.<br />

Die Proteste 1992 gegen den Weltwirtschaftsgipfel <strong>und</strong><br />

die als ungerecht empf<strong>und</strong>ene kapitalistische Weltordnung<br />

waren dagegen weniger gerne gesehen <strong>und</strong> von massiver<br />

Repression begleitet. Ebenfalls nicht genehm waren die Proteste<br />

gegen die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten<br />

1953/54: Die rigorosen Polizeieinsätze hatten bürgerkriegsähnliche<br />

Zustände in der Innenstadt zur<br />

Folge.<br />

Die Liste der Proteste, die sich in München erlaubt haben, mit<br />

ihren Inhalten <strong>und</strong> Formen die öffentliche Ordnung zu stören,<br />

ist beachtlich. Es fi nden sich nicht nur Demonstrationen <strong>und</strong><br />

K<strong>und</strong>gebungen, sondern auch Blockaden <strong>und</strong> Barrikaden,<br />

STADTBILD<br />

MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR · SEITE 09<br />

Bitte nicht stören!<br />

Proteste, die nicht beißen,<br />

sind wie Tiger ohne Zähne<br />

Auch das Jahr 2012 steht im Zeichen des Protestes. Der Arabische Frühling<br />

jährt sich, soziale Unruhen werden durch die Finanzkrise verschärft.<br />

Das <strong>Münchner</strong> <strong>Feuilleton</strong> hat Zarah S. Pfeiffer gebeten, einen historischen Blick<br />

auf die Protestkultur Münchens zu werfen.<br />

Anzeige<br />

M, EINE<br />

STADT<br />

SUCHT<br />

IHREN<br />

MÖRDER<br />

DANIEL KNORR<br />

lothringer13_halle<br />

18.11.2011 –<br />

22.01.2012<br />

Hausbesetzungen <strong>und</strong> Piratensender, Streiks <strong>und</strong> Sabotagen,<br />

subversive Aktionen <strong>und</strong> Farbe an den Wänden. Die Reaktionen<br />

auf potentiell störende Proteste sind bisweilen ebenfalls<br />

beachtlich: Im Februar 2002 wurden beispielsweise sämtliche<br />

Demonstrationen des Bündnisses gegen die NATO Sicherheitskonferenz<br />

für die komplette Zeit der Konferenz verboten,<br />

um vermeintlich anreisende »Chaoten« daran zu hindern, die<br />

schöne <strong>Münchner</strong> Innenstadt zu verwüsten. Trotz dieses Verbots<br />

ließen sich gut 10.000 Menschen ihr Recht zu demonstrieren<br />

nicht nehmen <strong>und</strong> gingen auf die Straße. Gestört wurde an<br />

diesem Wochenende das Ansehen der Stadt weniger durch die<br />

Demonstrieren, sondern vor allem durch das Verbot, den<br />

umfangreichen Polizeieinsatz <strong>und</strong> die zahlreichen Festnahmen.<br />

Wenn angesehene <strong>Münchner</strong> Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger<br />

der Stadt ihren Unmut auf die Straße tragen, ist dies im Rückblick<br />

oft ein gerne gesehenes Zeichen von Demokratiefähigkeit,<br />

die sich auch diejenigen auf die Fahnen schreiben, die<br />

das im entscheidenden Moment noch ganz anders gesehen<br />

haben. Die damit verb<strong>und</strong>ene Vorstellung eines guten <strong>und</strong><br />

erwünschten Protests <strong>und</strong> die Abwertung eines störenden Protests<br />

durch so genannte Störer oder Chaoten verkennt jedoch,<br />

dass Proteste vor allem eines müssen: stören, um auf diese<br />

Weise einen Raum zu schaffen für die Artikulation <strong>und</strong><br />

Demonstration von Kritik. Proteste, die nicht stören, sind wie<br />

Tiger ohne Zähne, sie beißen nicht. ||<br />

ZARA S. PFEIFFER<br />

hat Politikwissenschaften studiert. Sie ist Lehrbeauftragte am<br />

Institut für Soziologie der LMU München sowie am Institut für<br />

Medien der Kunstuniversität Linz <strong>und</strong> arbeitet in der politischen<br />

Bildungs- <strong>und</strong> Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Mehr über die Proteste in München findet sich unter<br />

www.protest-muenchen.sub-bavaria.de <strong>und</strong> in dem Buch:<br />

Auf den Barrikaden. Proteste in München seit 1945.<br />

Herausgegeben von Zara S. Pfeiffer im Auftrag des Kulturreferats<br />

der Landshauptstadt München, Volk Verlag, 2011.<br />

Anzeige<br />

PAINTING TO REMEMBER<br />

ZERSTÖRT DEUTSCHE SYNAGOGEN<br />

ALEXANDER DETTMAR<br />

3.2. – 18.3.2012 | Vernissage 2.2., 20.00 Uhr<br />

Infotelefon Pasinger Fabrik: 089 - 829290-13<br />

www.pasinger-fabrik.com

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!