Jahrmarkt der Sensationen - Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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trag „Franz Kafka und <strong>der</strong> Glaube an die literatur“.<br />
Trotzdem sei Kafka „ein Autor, <strong>der</strong> immerwährend<br />
literatur produziert“. Damit spielte Engel auf literarische<br />
Bezugnahmen mo<strong>der</strong>ner Autoren auf Kafka<br />
ebenso an wie auf Zeitungsartikel o<strong>der</strong> Texte <strong>der</strong><br />
Sekundärliteratur. Allgemein jedoch scheine <strong>der</strong><br />
Glaube an die literatur in <strong>der</strong> Gegenwart nicht<br />
son<strong>der</strong>lich ausgeprägt zu sein. Das liege wohl auch<br />
am „grausamen Darwinismus <strong>der</strong> Medienvielfalt,<br />
in dem die literatur ihre Führungsposition eingebüßt<br />
hat.“<br />
Natürlich ist Kafka ein Klassiker. Das war Konsens<br />
des Podiums bei <strong>der</strong> Antwort auf die Frage, die<br />
Sandra Poppe als Titel und leitthema <strong>der</strong> Tagung<br />
vorgegeben hatte. „Klassiker“, das meinte dabei<br />
nicht nur die Kanonisierung von Autor und Text,<br />
son<strong>der</strong>n auch die Rolle als Klassiker, „weil er immer<br />
wie<strong>der</strong> lesenswert ist und neue Erkenntnisse bietet“,<br />
sagte Ritchie Robertson.<br />
Dann landet Franz nach<br />
„Kafkawarten“ und „Kafkasitzen“<br />
im Bahnhof endlich<br />
zusammen mit Max Brod in<br />
<strong>der</strong> Eisenbahn.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg habe Kafka geradezu<br />
als „Generalschlüssel <strong>der</strong> literaturwissenschaft<br />
gedient“, sagte Martin lüdke. Das habe sich bis<br />
heute allerdings grundlegend verän<strong>der</strong>t, betonte<br />
<strong>der</strong> literaturredakteur des Südwest-Rundfunks aus<br />
<strong>Mainz</strong> in seinem Vortrag „Die laufrichtung hat sich<br />
geän<strong>der</strong>t. Eine Befürchtung, Kafka betreffend“: An<br />
den literarischen Klassiker Kafka hätten sich jüngere<br />
Autoren wie Martin Walser und Wolfgang Hildesheimer<br />
in den 1950er Jahren sehr deutlich angelehnt,<br />
sagte lüdke – „davon haben sie sich erst später<br />
freigeschrieben.“<br />
Parallel zu dieser Abnabelung hat sich offenbar<br />
auch die Rolle Kafkas in <strong>der</strong> öffentlichen Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit literatur verän<strong>der</strong>t. Den übermächtigen<br />
Deutungsanspruch hätten Autor und Werk<br />
jedenfalls verloren, fasste lüdke das „evolutionslo-<br />
Initiatorin <strong>der</strong> Tagung:<br />
Junior-Professorin Sandra Poppe<br />
gische Pech Kafkas“ in <strong>der</strong> Rezeption des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
zusammen. Chancen für eine produktive,<br />
spannende Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem Autor sah<br />
<strong>der</strong> SWR-Kritiker darin, das Verständnis von Kafka<br />
als „einem, <strong>der</strong> über sich selbst lachen konnte und<br />
auch über sich selbst lachte“ zu stärken. Im Kontext<br />
von Zeitgenossen wie Peter Altenberg und Robert<br />
Walser entstehe so ein neues Kafka-Bild. Dazu<br />
müssten aber noch immer Vorurteile in <strong>der</strong> literarischen<br />
Welt abgebaut werden: lüdke erinnerte an<br />
die Weigerung <strong>der</strong> Medien, Fotos aus <strong>der</strong> Sammlung<br />
Wagenbach zu zeigen, auf denen ein herzlich<br />
lachen<strong>der</strong> Franz Kafka abgebildet ist. Der fröhliche<br />
Autor passte einfach nicht ins Bild vom literarischen<br />
Schmerzensmann und blieb deshalb unver-<br />
öffentlicht.<br />
Kafka „ein Autor,<br />
<strong>der</strong> immerwährend<br />
Literatur produziert.“<br />
Neue Aspekte in <strong>der</strong> Kafka-Forschung erhoffte sich<br />
Sandra Poppe auch vom intermedialen Ansatz: Das<br />
betreffe zunächst Kafkas eigenen Kinoblick und<br />
seine Bildbeschreibungen im Subtext. Umgekehrt<br />
böte aber auch die Adaption von Kafka und seinem<br />
Werk in Medien vom Film bis zum Comic reiches<br />
Material. Das lesepublikum solle Kafka ebenfalls<br />
unter diesem Blickwinkel wie<strong>der</strong> für sich<br />
entdecken, machte die Organisatorin<br />
<strong>der</strong> Tagung und Mitherausgeberin<br />
<strong>der</strong> Kafka-Ausgabe von<br />
Artemis & Winkler in ihrem<br />
Schlusswort Mut: Noch sei<br />
<strong>der</strong> „Mythos vom einsamen<br />
Kafka“ zwar präsent,<br />
aber selbst die Publikumsmedien<br />
nähmen im Jahr<br />
seines 125. Geburtstages<br />
die neue Sicht auf den Autor<br />
auf und trügen dazu bei,<br />
das Stereotyp aufzulösen.<br />
Nur Ortheils Schreibtrainer<br />
hat noch immer etwas<br />
an dem Autor auszusetzen:<br />
„Du bist mit Deinen Phantasien<br />
nicht bei <strong>der</strong> Sache“, rügt er<br />
den Schüler Franz, „das ist richtig<br />
schlimm.“ Hätte Kafka die Geschichte<br />
gehört, wahrscheinlich hätte er sich<br />
zusammen mit Referenten und Gästen<br />
von „Franz Kafka – Ein Klassiker?“<br />
gut darüber amüsiert.<br />
Peter THOMAS n<br />
21<br />
Wissenschaft & Forschung<br />
Abb.: Wikimedia Commons