Emsblick Haren Heft 77 (November/Dezember 2023)
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„Himmel und Hölle“<br />
und „Duurappels“<br />
Ein fast vergessenes Gericht, dass sich vor allen Dingen<br />
bei den Bauernkindern im Herbst größter Beliebtheit erfreute,<br />
war „Himmel und Hölle“. Gekochte Kartoffeln und<br />
dazu fruchtiger, süß-säuerlicher Apfelmus. „Ein Gedicht“,<br />
obwohl so schlicht und einfach gemacht.<br />
Den Namen leitet man wohl daher ab,<br />
dass die Kartoffeln aus der Erde, also<br />
aus der tiefen Hölle und die Äpfel aus<br />
der luftigen Höhe, also dem Himmel<br />
nah, gewachsen und gereift waren.<br />
Fast jedes Haus, jeder Hof hatte früher<br />
seine eigenen Äpfelbäume. Teils<br />
schon jahrzehntealt und von den Generationen<br />
zuvor gepflanzt. Jonagold,<br />
Boskoop, Cox Orange oder königlich<br />
anmutende Sorten wie der „Prinz Albrecht<br />
von Preußen“ konnten im Herbst<br />
geerntet werden.<br />
Am heutigen Mühlendamm, in der<br />
Nähe zum <strong>Haren</strong>er Hafen erstreckte<br />
sich bis in die 40er Jahre eine besonders<br />
große Apfelwiese. Nach und nach<br />
wich sie den nachfolgenden Bebauungen,<br />
obwohl einige alte Apfelbäume<br />
immer noch dort stehen und gute Ernten<br />
bringen.<br />
Körbeweise lieferten sowohl Fall- wie<br />
auch Pflückobst den dringend benötigten<br />
Vitaminschutz für den bevorstehenden<br />
Winter. Kühl und dunkel auf<br />
Regale und Borden gereiht, hielten sich<br />
die Äpfel teilweise über den gesamten<br />
Winter. Blank geputzt ließen sie zusammen<br />
mit Nüssen und etwas Gebäck<br />
Kinderaugen mit ihren Nikolausstiefeln<br />
leuchten. Niemand wird jemals den<br />
unwiderstehlichen Duft eines frischen<br />
Bratapfels aus dem Backofen der Mutter<br />
oder der Oma vergessen. Zusammen<br />
mit einigen Rosinen, Zucker oder<br />
gar Vanillesoße konnte ein Adventssonntag<br />
nicht köstlicher sein. Tagelang<br />
hielt sich dieses vorweihnachtliche<br />
Aroma in der Küche, bis hoffentlich<br />
zum nächsten Adventssonntag.<br />
Eine ganz andere Verwendung für eher<br />
kleinere Äpfel hatte ein <strong>Haren</strong>er Frisör.<br />
Er rasierte seine Kundschaft mithilfe<br />
des damals so genannten „Duurappels“.<br />
Der knapp tennisballgroße „Duurappel“,<br />
übersetzt „Dauerapfel“wurde dem<br />
Kunden in den Mund geschoben. Dieser<br />
beförderte mittels seiner Zunge<br />
den kleinen Apfel unter seine<br />
Wange. Nach dem Einseifen<br />
des Gesichtes setzte<br />
der Herr Barbier nun<br />
sein scharfes Rasiermesser<br />
an und hatte<br />
eine wunderbar<br />
glatte Ebene zum<br />
Entfernen des<br />
Bartwuchses.<br />
Kaum eine noch<br />
so tiefe Hautfalte<br />
störte noch.<br />
So wurde es gemacht.<br />
Nach der<br />
Rasur spuckte der<br />
Kunde den Apfel wieder aus, der Frisör<br />
trocknete ihn und legte ihn zusammen<br />
mit seinen anderen Utensilien bis zum<br />
Eintreffen des nächsten Kunden zur<br />
Seite. Ob der „Duurappel“ nach einiger<br />
Zeit ausgetauscht wurde, oder ob<br />
er in der Pfanne des Frisörs in einen<br />
Pfannkuchenteig geschnitten wurde,<br />
ist nicht überliefert.<br />
Von Luise Schulte-Jerchel<br />
<strong>November</strong>-<strong>Dezember</strong> <strong>2023</strong> – emsblick | 29