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Corner Magazine #11_D

Um das Jahr gut zu beginnen und alle taktischen Aspekte auf unsere Seite zu bringen, haben wir die Winterpause genutzt, um uns mit Fabio Celestini, dem aktuellen Trainer des FC Basel, zu treffen. Er erzählt uns einiges über seine Methode. Diese Ausgabe des Corners Magazine steht im Zeichen von Gesprächen und Italien. Wir entdecken Natan Girma, der in der Serie B glänzt, Giuseppe Sanino, den "Mister Promotion" des FC Paradisio, und den Schweizer, der in der Serie A erfolgreich ist: Dan Ndoye. Und wie üblich haben wir natürlich noch mehr zu berichten. Viel Spass beim Lesen.

Um das Jahr gut zu beginnen und alle taktischen Aspekte auf unsere Seite zu bringen, haben wir die Winterpause genutzt, um uns mit Fabio Celestini, dem aktuellen Trainer des FC Basel, zu treffen. Er erzählt uns einiges über seine Methode.

Diese Ausgabe des Corners Magazine steht im Zeichen von Gesprächen und Italien. Wir entdecken Natan Girma, der in der Serie B glänzt, Giuseppe Sanino, den "Mister Promotion" des FC Paradisio, und den Schweizer, der in der Serie A erfolgreich ist: Dan Ndoye.

Und wie üblich haben wir natürlich noch mehr zu berichten.

Viel Spass beim Lesen.

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CORNER<br />

NATAN GIRMA<br />

Die Schweizer<br />

Entdeckung der Serie B<br />

DAN NDOYE<br />

Der Waadtländer<br />

geniesst Italien<br />

FREIBURG<br />

Eine trendige Adresse<br />

für junge Schweizer<br />

JANUAR 2024 <strong>#11</strong>


DER KOMMENTAR<br />

Die Super League verliert ihre beiden besten Torschützen<br />

Ihre Verträge liefen im Juni 2024 aus und<br />

keiner der beiden Spieler sah es als<br />

sinnvoll an, bei ihren jeweiligen Vereinen<br />

zu verlängern, jeder aus anderen<br />

Gründen. Chris Bedia und Jean-Pierre<br />

Nsame haben beide die Schweiz im<br />

Winter verlassen und hinterlassen eine<br />

grosse Leere in unserer Liga, da sie die<br />

beiden besten Torschützen der Hinrunde<br />

waren.<br />

Auf der einen Seite die Entdeckung von<br />

Servette, die viele Verfolger des<br />

Schweizer Fussballs bei den Young Boys<br />

sehen wollten. Auf der anderen Seite die<br />

Legende, die ihren Weg dort beenden<br />

sollte, wo die schöne Geschichte<br />

begonnen hatte: bei Servette FC.<br />

Am Ende zogen sie es vor oder mussten<br />

ins Ausland gehen. Bedia nimmt die<br />

Berliner Challenge ohne Onkel Urs an. Er<br />

wird alles daran setzen, um nicht in die<br />

Fussstapfen des ehemaligen<br />

Torschützenkönigs der Super League<br />

Jordan Siebatcheu zu treten. Das wird<br />

eine schwierige Aufgabe, denn der<br />

deutsche Verein bietet nicht die<br />

gleichen offensiven Perspektiven wie das<br />

Genfer Spielsystem.<br />

Was "JP" betrifft, so wird er nach Italien<br />

zurückkehren, diesmal näher an der<br />

Schweiz, aber in die Serie B. Für Nsame<br />

ist keine Herausforderung zu gross. Er<br />

möchte wieder Freude daran haben, in<br />

einem gesunden Umfeld zu spielen,<br />

mit einem Trainer, der auf ihn zählt.<br />

Die Kapitel "Young Boys" wird halb<br />

gerissen abgeschlossen. Seit 2017 gab<br />

es natürlich einige Höhen, aber auch<br />

einige Tiefschläge. Zwischen<br />

geplatzten Transfers, Stress und<br />

Abstürzen in der Hierarchie werden<br />

sich die Erinnerungen des<br />

kamerunischen Stürmers vermischen,<br />

wenn er über den Berner Klub spricht.<br />

Für die Fans und die Liga ist die Lücke,<br />

die durch ihren Abgang entstanden ist,<br />

jedoch schwer zu füllen. Ohne Bedia<br />

und Nsame und vor dem 20. Spieltag<br />

steckt die Torschützenliste der Super<br />

League bei 9 Treffern fest.


INHALT<br />

Fabio<br />

CELESTINI<br />

DIE ERFOLGSMETHODE<br />

BUNDESLIGA<br />

Freiburg. Ein in der Romandie eher<br />

unbekannter Verein, der aber jedes<br />

Jahr viele junge Schweizer lockt.<br />

Entdecke, wie und warum dieser<br />

bescheidene Bundesliga-Club unsere<br />

jungen Talente in die Hände<br />

bekommt.<br />

Obwohl er im Jahr 2023 alle Rekorde<br />

brach, bleibt der Wintertransfermarkt<br />

ein kontroverses Thema. Profitieren vor<br />

allem Spielerberater und reiche<br />

Vereine von diesem Markt?<br />

NATAN GIRMA<br />

EXKLUSIV<br />

INTERVIEW<br />

Sie haben Isaac Schmidt, Anel Husic,<br />

Loris Mettler, Andi Zeqiri und Denis<br />

Zakaria trainiert. Peak Performance<br />

hat einen rasanten Aufstieg in der<br />

Welt des Fitnesstrainings hinter sich.<br />

Bei der Eröffnung ihres neuen<br />

Zentrums haben wir sie getroffen.<br />

Sein Tor gegen Inter Mailand sorgte in<br />

ganz Italien (und nicht nur dort) für<br />

Furore. Einen Monat nach diesem<br />

Erfolg hat Daniel Romano, Journalist<br />

bei blue Sport, Dan Ndoye getroffen.<br />

Der Schweizer Nationalspieler fühlt<br />

sich bei seinem neuen Verein wohl<br />

und hat hohe Ziele.<br />

TALENT DER ZUKUNFT<br />

Er ist wahrscheinlich einer der<br />

umstrittensten Spieler der Super<br />

League: Ardon Jashari sorgt abseits<br />

des Spielfelds immer wieder für<br />

Diskussionen. Über seine Leistungen<br />

auf dem Platz sind sich jedoch alle<br />

einig.<br />

Ein früherer Trainer der Premier<br />

League leitet derzeit eine Mannschaft<br />

der Promotion League. Giuseppe<br />

Sanino ist als Spezialist für Aufstiege<br />

bekannt und es fehlt ihm nicht an<br />

Ambitionen.


REPORTAGE<br />

Fabio<br />

CELESTINI<br />

DIE ERFOLGREICHE<br />

METHODE


«ICH BIN EIN TRAINER, DER<br />

IN DER LAGE IST, JUNGE<br />

SPIELER ZU ENTWICKELN»<br />

Fast überall, wo der Trainer Fabio Celestini tätig ist, ist dies mit Erfolg verbunden.<br />

Der 48-jährige Trainer aus dem Kanton Waadt gewann einen Schweizer Pokal<br />

und spielte in der Gruppenphase der Europa League, obwohl er noch kein<br />

Spitzenteam der Schweizer Liga trainiert hatte. Fabio Celestini, der heute beim FC<br />

Basel arbeitet, möchte diese Geschichte fortsetzen. Um dies zu erreichen, kann<br />

der ehemalige Spieler von Olympique Marseille und Getafe auf eine erfolgreiche<br />

Methode zählen, die sich auf zwei wichtige Punkte konzentriert: Anspruch und<br />

harte Arbeit. In der Winterpause trafen wir uns mit ihm. Erfahren Sie mehr über<br />

die "Celestini-Methode", einen Coach mit Ideen und Ansprüchen auf höchstem<br />

Niveau, der im Körper eines Super League-Trainers steckt.<br />

TEXT: JULIEN MORET<br />

FOTOS: EDI KINGORI<br />

Zunächst einmal, Fabio: was ist deine<br />

Referenz als Fussballspieler?<br />

Als Spieler hatte ich das Glück, gegen<br />

die besten Spieler wie Ronaldo,<br />

Cristiano, Ronaldinho, Rivaldo,<br />

Beckham usw. zu spielen. Diese<br />

Erinnerungen sind fantastisch und<br />

diese Spieler waren fantastisch. Auf<br />

persönlicher Ebene könnte ich<br />

Zinedine Zidane erwähnen, der eine<br />

Person ist, die ich sehr schätze. Ich<br />

habe auch mit Ronaldinho zusammen<br />

gespielt, der war ein<br />

aussergewöhnlicher Fussballer. Da<br />

beide mir auch auf persönlicher Ebene<br />

viel gebracht haben, bleiben sie mir in<br />

besonderer Erinnerung.<br />

Als Trainer hat mich Barça unter Pep<br />

Guardiola inspiriert, wie auch viele<br />

andere. Er kam zu einem<br />

entscheidenden Zeitpunkt mit einer<br />

neuartigen Spielidee, die auf Ballbesitz<br />

basiert war, und dem Wunsch, von<br />

hinten aufzubauen. Ich schätze aber<br />

auch jemanden wie Diego Simeone,<br />

der es Jahr für Jahr schafft, seine<br />

Spieler zu motivieren, sie für ihn zu<br />

kämpfen und alles auf dem Platz zu<br />

geben. Wenn man die Renaissance<br />

von Jungs wie Antoine Griezmann<br />

oder Alvaro Morata sieht, ist das auch<br />

eine Seite des Berufes, die mich<br />

inspiriert.<br />

Um deine Methode besser zu<br />

verstehen, muss man zuerst deine<br />

Vision kennen. Was ist deine<br />

Vorstellung von Fussball als Trainer?<br />

Den Gegner zu dominieren ist für mich<br />

das wichtigste Ziel. Ich will, dass meine<br />

Mannschaft dominiert, egal mit oder<br />

ohne Ball. Das bedeutet, dass mein<br />

Team entscheiden muss, wo unsere<br />

Gegner angreifen können: wir<br />

entscheiden über die Räume. Mit dem<br />

Ball schätze ich einen ambitionierten<br />

Fussball, bei dem die Mannschaft<br />

verschiedene Aktionen ausführen kann<br />

und über eine breite Palette an Ideen<br />

verfügt, da unsere Gegner uns jedes<br />

Wochenende etwas anderes bieten.<br />

Für mich besteht der Beruf des<br />

Trainers nicht nur darin, den Spielern<br />

Anweisungen zu geben, sondern<br />

vielmehr darin, ihnen Spielprinzipien


zu vermitteln und ihnen einen<br />

allgemeinen Rahmen zu geben. Es ist<br />

ein bisschen so, als ob sie vor einem<br />

Whiteboard stehen und deine Aufgabe<br />

ist, ihnen das Material mit Pinseln,<br />

Farben und einer allgemeinen Idee zur<br />

Verfügung zu stellen. Dann ist es an<br />

ihnen, das Ganze zu malen. Die grösste<br />

Schwierigkeit besteht darin, dass dies<br />

nicht ein einzelner Spieler tun muss,<br />

sondern 21, 22 oder 23. Alle müssen<br />

erfolgreich sein, ihre Rolle finden, auch<br />

wenn der Trainer in manchen<br />

Momenten nur "11 von ihnen" braucht.<br />

Der Beruf des Trainers ist etwas<br />

Besonderes, weil du deinen Spielern<br />

eine Fussballidee vermitteln und die<br />

Fähigkeit entwickeln musst, dass sie<br />

diese Idee dann selbst interpretieren.<br />

Sie müssen nicht nur das machen, was<br />

ich sage, sondern auch meine Ideen<br />

interpretieren. Deshalb ist "mein<br />

Lausanne" nicht wie "mein Luzern"<br />

oder "mein Lugano". Es sind<br />

Mannschaften mit denselben Ideen,<br />

aber einer völlig anderen<br />

Interpretation. Die Vereine befinden<br />

sich nicht in derselben Region,<br />

verfolgen nicht dieselbe Philosophie<br />

und haben nicht dieselben Attribute.<br />

Spass, gutes Spiel, auf dem Platz<br />

siegreich sein: das sind Ziele, die für<br />

einen Trainer nicht immer Realität<br />

sind. Es gibt noch einen anderen<br />

Aspekt: den Gegner auszutricksen<br />

und das Spiel taktisch zu gewinnen.<br />

Wie findet man das richtige<br />

Gleichgewicht zwischen all diesen<br />

Aspekten, ohne dass sie für die<br />

Spieler zu schwierig werden?<br />

In der Vergangenheit war ich ein<br />

Spezialist darin, alles unter Kontrolle<br />

haben zu wollen. Das ist jedoch<br />

unmöglich, absolut unmöglich. Man<br />

muss für jede Gruppe herausfinden,<br />

was sie am besten kann. Manche<br />

brauchen mehr Analyse, mehr Details,<br />

andere weniger. Freiheit ist ein<br />

wichtiger Begriff. Man muss auch in<br />

Betracht ziehen, dass jeder Spieler eine<br />

Fussballgedächtniskarte hat, die nur<br />

ein bestimmtes Informationslevel<br />

speichern wird.<br />

Heute werde ich in der Gruppe das<br />

"Big Picture" erklären.<br />

Damals konnte ich<br />

extrem frustriert sein,<br />

wenn ich aus einem<br />

nicht perfekten<br />

Training kam. Heute<br />

ist es genau<br />

umgekehrt. Das wird<br />

mir helfen, das Team<br />

zu verbessern!<br />

Die Grundprinzipien: wie man sich auf<br />

dem Platz verhält, wie man die<br />

Spielfeldbreite nutzt, wie man in<br />

Zweikämpfe geht, sehr einfache<br />

Elemente. Ich spare mir den<br />

"komplexeren" Teil für die individuellen<br />

Einheiten auf, die auch ein wichtiger<br />

Teil der Diskussion mit den Spielern<br />

sind.<br />

Was den technisch-taktischen<br />

Aspekt betrifft, wie arbeitest du<br />

täglich im Training daran? Wie hat er<br />

sich im Laufe deiner Trainerkarriere<br />

entwickelt?<br />

Ich habe gelernt, mehr " Schweizer " zu<br />

sein. Damals konnte ich extrem<br />

frustriert sein, wenn ich aus einem<br />

nicht perfekten Training kam. Heute ist<br />

es genau umgekehrt. Das wird mir<br />

helfen, das Team zu verbessern. Ich<br />

hatte das Glück, eine Karriere in<br />

Spanien zu machen, wo ich viel über<br />

Fussball gelernt habe, auch wenn ich<br />

bei Olympique Marseille ebenfalls<br />

grosse Momente erlebt habe. Ich habe<br />

meine Diplome in Spanien begonnen,<br />

dann in der Schweiz und konnte die<br />

beiden wichtigsten in Italien<br />

absolvieren. Italien ist in taktischer und<br />

analytischer Hinsicht der Wahnsinn!<br />

Man wiederholt ständig die<br />

Defensivaktionen und die<br />

Spielorganisation. Ich denke, dass ich<br />

zu Beginn meiner Trainerkarriere als<br />

Photo: USG


junger Mann diese Sitzungen<br />

überstrapaziert habe. Wir denken, dass<br />

dies der richtige Ansatz ist, um die<br />

Elemente des Spiels zu kontrollieren.<br />

Wir werden Situationen kreieren, um<br />

die Positionierung zu sichern,<br />

Anweisungen geben, so viele Fälle wie<br />

möglich abdecken, um den<br />

Überraschungseffekt zu vermeiden.<br />

Das Problem ist, dass es bei einem<br />

Spiel so viele andere Parameter gibt:<br />

die Stimmung, die Emotionen, die<br />

Dynamik usw. Die Spieler müssen sich<br />

auf diese Situationen vorbereiten. Mir<br />

ist klar geworden, dass ich diese<br />

Situationen durch das Spiel vorbereiten<br />

muss. Man kann 10, 15 Minuten lang die<br />

Abläufe üben, aber dann muss man an<br />

anderen Aspekten arbeiten, vor allem<br />

an mentalen, um den Bedürfnissen, die<br />

man auf dem Spielfeld haben wird, zu<br />

entsprechen. Beim<br />

Du bist für deine hohen Ansprüche<br />

an die Spieler bekannt. Kannst du<br />

diese Anforderungen beschreiben?<br />

Wie zeigt sich das im Alltag und auf<br />

lange Zeit?<br />

Versuchen, immer und immer wieder.<br />

Ich habe hohe Ansprüche an mich<br />

selbst und versuche jeden Tag, neue<br />

Dinge zu lernen. Jeden Tag stelle ich<br />

mich selbst in Frage. Dasselbe erwarte<br />

ich von meinen Spielern. Ich glaube,<br />

dass ich als Trainer so bin, weil ich als<br />

Spieler auch so war. Ich hatte<br />

Qualitäten, aber vor allem eine starke<br />

Mentalität und einen ständigen<br />

Lernhunger. Dass ich es geschafft<br />

habe, die Karriere zu machen, die ich<br />

gemacht habe, ist auf harte Arbeit<br />

zurückzuführen. Diese Mentalität muss<br />

man haben. Ich kann einen Spieler<br />

nicht ertragen, der einen Pass spielt,<br />

um einen Pass zu spielen. Man muss<br />

Ich kann einen Spieler nicht ertragen, der einen Pass<br />

spielt, um einen Pass zu spielen. Man muss den Willen<br />

haben zu gewinnen, in jedem Spiel, in jedem Training<br />

Emotionsmanagement geht es zum<br />

Beispiel darum, unter jedem Druck und<br />

in jeder Umgebung erfolgreich zu sein.<br />

Wenn du an die Spitze kommen willst,<br />

ist das ein wichtiger Teil des Erfolgs.<br />

Stressmanagement ist fundamental.<br />

Und heute denke ich, dass die neuen<br />

Generationen in dieser Hinsicht einen<br />

Vorteil gegenüber älteren<br />

Generationen wie meiner haben. Sie<br />

werden in jungen Jahren mit viel mehr<br />

Herausforderungen konfrontiert,<br />

sodass diese Fähigkeit leichter erlernt<br />

werden kann. Sie sind besser<br />

vorbereitet. Andererseits denke ich,<br />

dass unsere Generation "instinktiver"<br />

war. Wir lernten Fussball auf der<br />

Strasse. Wir haben immer Fussball<br />

gespielt. Der Sport im Verein war nur<br />

ein kleiner Teil unseres Spiels. Der<br />

Verein bot uns einen gewissen<br />

Rahmen, aber das Spiel wurde im<br />

Freien gelernt. Heute ist das anders.<br />

den Willen haben zu gewinnen, in<br />

jedem Spiel, in jedem Training. So<br />

macht man Fortschritte. Dieser<br />

Anspruch war überall, wo ich war,<br />

hilfreich, denn ich konnte Spieler, vor<br />

allem junge Spieler, finden, die diese<br />

Mentalität hatten. Ich bezeichne mich<br />

gerne als Trainer, der in der Lage ist,<br />

junge Spieler zu entwickeln, und das<br />

gefällt mir. Ich rede nicht einmal über<br />

Ergebnisse und das Gewinnen von<br />

Spiele, sondern über die Entwicklung.<br />

Das ist mein Markenzeichen. Ich mag<br />

diese Arbeit, diese Beziehung zu den<br />

Spielern. Natürlich gibt es Momente<br />

des Zweifels, Momente, die schwieriger<br />

sind. Aber mein Ziel ist es, jeden Spieler<br />

aus seiner Komfortzone herauszuholen.<br />

Ich sage ihnen immer, dass eine<br />

Karriere zehn Jahre dauert. Da gibt es<br />

keine Zeit zu verlieren. Wir trainieren<br />

zwei oder drei Stunden am Tag, also<br />

versuche ich, diese Zeit so gut wie<br />

möglich zu nutzen, um sie zu<br />

Höchstleistungen zu bringen.


Hilft es dir, dass du ein Topspieler<br />

warst, um respektiert zu werden?<br />

Ja. In einer Kabine auf höchstem<br />

Niveau zu sein, in einem grossen<br />

Stadion, ein Spiel in der Champions<br />

League gegen die stärksten Spieler der<br />

Welt zu spielen: das ist ein Gefühl, das<br />

man erleben muss, um es zu<br />

verstehen. Das macht es einfacher, sich<br />

zu unterhalten. Da ich jedoch Spieler<br />

war, können die mich nicht<br />

austricksen. Es ist also ein doppeltes<br />

Spiel. Ich versuche meinerseits, sie<br />

nicht mit Dingen zu belästigen, die<br />

mich damals geärgert hätten. Aber ich<br />

weiss, dass es möglich ist, jeden<br />

Morgen zu kommen und motiviert zu<br />

sein, um zu versuchen, sich zu<br />

verbessern. Ich nutze also meine<br />

Erfahrung, um diese Arbeitskultur zu<br />

vermitteln.<br />

David Degen sagte kürzlich, dass er<br />

noch nie einen Trainer gehabt habe,<br />

der so professionell und akribisch auf<br />

die kleinen Details achte. Heute gibt<br />

es keinen Zweifel mehr daran, dass<br />

Details den Unterschied im Fussball<br />

ausmachen. Auf welche Details<br />

achtest du am meisten?<br />

Ich denke, es ist ein bisschen wie in der<br />

italienischen Schule, d. h. du gehst<br />

jedes Training wie ein Spiel an, indem<br />

du technische oder taktische Aspekte<br />

in den Vordergrund stellst, sei es<br />

individuell oder in der Gruppe. Du<br />

betrachtest jede Übung mit dem Ziel,<br />

dem Team einen Vorteil zu<br />

verschaffen, indem du auf jedes Detail<br />

achtest, wie z. B. Körperorientierung,<br />

Passsprache, Informationsaufnahme,<br />

die sehr wichtig sind. Die Spieler<br />

brauchen das, um sich zu verbessern.<br />

Wir arbeiten auch an Spielplänen, um<br />

nichts dem Zufall zu überlassen.<br />

Einfache Dinge, aber wir lassen kein<br />

kleines Detail aus.<br />

Wie integrierst du die physischen<br />

und mentalen Aspekte in deinen<br />

Ansatz?<br />

Ich passe sie immer wieder an. Am<br />

Montag legen wir die Ziele für die<br />

Woche fest, um uns auf das Spiel am<br />

Wochenende vorzubereiten. Wir<br />

berücksichtigen die Verletzten, das<br />

letzte Spiel und so planen wir die<br />

Schwerpunkte der Arbeit. Das ist es,<br />

was mir an meiner Arbeit gefällt.<br />

Heutzutage sind die Spieler mental<br />

nicht in der Lage, einem Trainer<br />

zuzuhören, der viele Worte macht. Man<br />

muss schlagkräftig sein, um die<br />

Aufmerksamkeit der Gruppe zu<br />

behalten. Man muss sie überraschen.<br />

Aber ich denke, das Wichtigste in<br />

meinem Ansatz ist, dem<br />

Entwicklungsprozess treu zu bleiben<br />

und dabei manchmal das Ziel, das<br />

Ergebnis, aus den Augen zu verlieren.<br />

Ich lege sehr viel Wert auf den Prozess.<br />

Der FC Basel hat schrecklich unter<br />

einer schlechten Vorbereitung<br />

gelitten, sowohl in physischer,<br />

taktischer als auch mentaler<br />

Hinsicht. Der heutige Fussball ist<br />

extrem anstrengend. Hat man als<br />

Trainer die Zeit oder die Lust, sich<br />

mit Spielern zu beschäftigen, die<br />

körperlich nicht auf der Höhe sind<br />

oder nicht die richtige Mentalität<br />

haben?<br />

Das hängt von der Proportionalität ab.<br />

Es sind zwei verschiedene Dinge, ob du<br />

drei Spieler in einer Gruppe von 20<br />

hast, die nicht den Regeln oder dem<br />

taktischen Aspekt entsprechen, den<br />

wir erreichen wollen, oder eine ganze<br />

Gruppe. Wenn es drei sind, ist es relativ<br />

einfach zu lösen. Um den zweiten Fall<br />

zu vermeiden, muss der Verein über<br />

allem stehen. Die Spieler müssen<br />

spüren, dass nicht nur der Trainer in<br />

diese Richtung geht, sondern ein<br />

ganzer Verein. Es ist paradox, dass der<br />

Trainer eine Schlüsselrolle in einem<br />

Verein hat, aber es ist auch die<br />

schwächste Position. Wir leben von<br />

Ergebnissen und es ist immer<br />

einfacher, einen Trainer auszuwechseln<br />

als eine ganze Mannschaft. Es gibt kein<br />

Geheimnis: Um erfolgreich zu sein,<br />

müssen alle am gleichen Strang<br />

ziehen. Man muss die Entscheidungen<br />

akzeptieren und sich mit ihnen<br />

arrangieren.<br />

Lass uns ein wenig über dein Image<br />

sprechen. Wenn es um Fabio<br />

Celestini geht, loben ihn alle, aber sie<br />

erwähnen auch, dass er eine<br />

Methode hat, die sich langsam<br />

abnutzt und die Mannschaft<br />

schliesslich zu einer Serie von<br />

Niederlagen führt. Bist du mit dieser<br />

Analyse einverstanden? Wenn ja,


warum ist die Methode oder das<br />

Ergebnis heute anders?<br />

Ja und nein. Ich habe mehr als fünf<br />

Jahre zwischen Lausanne und Luzern<br />

gearbeitet, das ist eine lange Zeit im<br />

Leben eines Trainers. In Lugano bin ich<br />

der zweite Trainer, der am längsten<br />

unter Renzetti geblieben ist. Ich hatte<br />

überall, wo ich war, Erfolg, mit<br />

Ausnahme von Sion, was immer noch<br />

ein sehr spezieller Kontext ist. Aber in<br />

der Tat denke ich, dass es das<br />

Schwierigste ist, meiner Methode und<br />

meinem Anspruch treu zu bleiben,<br />

nachdem ich erfolgreich war. Wenn<br />

man einen Schweizer Pokal<br />

eine bestimmte Art und Weise spielen.<br />

Das sind die beiden Punkte, die<br />

herauskommen würden.<br />

Wie nahe stehst du ihnen?<br />

Auch wenn man als Trainer lernen<br />

muss, zu delegieren, bin ich gerne nah<br />

bei meinen Spielern. Ich nehme mir<br />

Zeit, um mit der Gruppe zu diskutieren,<br />

individuelle Videosessions zu<br />

organisieren und so weiter. Das macht<br />

am Ende den Unterschied.<br />

Kommen wir zurück auf Basel. Erzähl<br />

uns von den ersten Monaten. Wie<br />

siehst du die Arbeit, die du geleistet<br />

Der FC Basel wird immer von seinen zahlreichen Fans unterstützt.<br />

gewinnt, kann man dazu tendieren,<br />

lockerer zu werden, während ich der<br />

Meinung bin, dass man weiterhin seine<br />

Bemühungen verstärken muss, um<br />

diesen Erfolg zu wiederholen. Nur<br />

durch harte Arbeit kann man das<br />

höchste Niveau erreichen. Auch im<br />

Fussball gibt es Zyklen, und manchmal<br />

ist dein Zyklus in einem Verein einfach<br />

zu Ende.<br />

Wenn ein Spieler über dich sprechen<br />

würde, was würde er sagen?<br />

Ich denke, er würde von Anspruch und<br />

Spielweise sprechen. Ob als Spieler<br />

oder als Trainer, ich wollte immer auf<br />

hast? Zur Erinnerung: Am Ende des<br />

Jahres 2023 würde Basel auf Platz 3<br />

stehen, wenn man eine virtuelle<br />

Tabelle seit deiner Ankunft erstellt.<br />

Dein Punkteschnitt liegt bei 2 und du<br />

hast 2 von 3 Spielen mit einem<br />

besonderen Vergehen verloren (eine<br />

rote Karte in der Anfangsphase des<br />

Spiels).<br />

Es ist alles sehr schnell gegangen. Das<br />

ist eine Situation, die ich kenne: in eine<br />

Gruppe zu kommen, die schlechte<br />

Ergebnisse in Folge liefert und das<br />

Vertrauen verliert. Wir mussten schnell<br />

arbeiten, um die Tendenz umzukehren<br />

und eine neue Dynamik zu schaffen.


Ich denke, die ersten Monate sind<br />

positiv. Hier in Basel lässt man mich in<br />

Ruhe arbeiten. Jeder kennt seine Rolle<br />

und bleibt an seinem Platz. Das ist<br />

wichtig, um erfolgreich zu sein. Ich<br />

denke, ich habe einen idealen Verein<br />

gefunden, mit sehr offenen Spielern,<br />

einer tollen Gruppe und einem Verein,<br />

der es schaffen will und Vertrauen in<br />

meine Person hat. Von Anfang an habe<br />

ich das Gefühl, dass wir gut arbeiten<br />

können. Die Struktur des Vereins ist<br />

fantastisch. Wenn man diesen<br />

unbedingten Willen hat, mehr für den<br />

einen oder anderen zu tun, dann<br />

kommen die Ergebnisse von ganz<br />

allein.<br />

Du hast damals gesagt, dass du nie<br />

die Möglichkeit haben würdest, bei<br />

einem Verein wie Basel zu arbeiten.<br />

Warum ist dies so? Und wie<br />

beschreibst du den Verein?<br />

Ja, das habe ich damals gesagt. Ich<br />

hatte mehrmals Kontakt mit dem<br />

Verein, aber es gab nie ein Angebot.<br />

Ich dachte, der Moment sei vorbei.<br />

Basel ist ein grosser Verein, mit einem<br />

wunderschönen Stadion, einer<br />

erstklassigen Infrastruktur und<br />

grossartigen Fans. Der Verein befindet<br />

sich im Umbruch. Es gibt Dinge, die<br />

sich ändern, es ist ein Wendepunkt.<br />

Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen,<br />

dass man sich auf das Spiel<br />

konzentriert und die externen<br />

Elemente ausblenden kann. In jeder<br />

Umbruchphase gibt es ein wenig<br />

Unsicherheit. Aber der FC Basel bleibt<br />

der grösste Klub in der Schweiz. Ich<br />

glaube nicht, dass wir über das Modell,<br />

das es vor einigen Jahren gab, zum<br />

Erfolg zurückkehren werden. Aber das<br />

bedeutet nicht, dass wir nicht wieder<br />

erfolgreich sein können.<br />

Wie ist deine Beziehung zu David<br />

Degen und Ruedi Zbinden, den<br />

beiden stärksten Leuten im Verein?<br />

Beide sind präsent, aber nicht<br />

omnipräsent. Jeder respektiert seine<br />

Rolle. Ich vertraue ihnen und sie<br />

vertrauen mir, was die Führung der<br />

Gruppe betrifft. Ich bin sehr zufrieden,<br />

es läuft sehr gut. Wir sind offen für<br />

Diskussionen über alle Themen. Sie<br />

wissen, dass sie in mein Büro kommen<br />

Es ist fantastisch,<br />

auf ein<br />

erfolgreiches<br />

Campus zählen zu<br />

können!<br />

können, um zu diskutieren. Ich mag<br />

diese Kommunikation. Es ist immer ein<br />

Vorteil für die Beziehungen, wenn man<br />

sich transparent zeigt, was man in der<br />

Woche zur Vorbereitung auf das Spiel<br />

am Wochenende macht. Es ist auch<br />

wichtig, die Arbeit zu verstehen, die<br />

dahinter steckt. Alles geschieht auf<br />

natürliche Weise. Ich habe auch eine<br />

gute Beziehung zu Marco Streller und<br />

Valentin Stocker. Es ist immer ein<br />

Vergnügen, sie zu sehen und mit ihnen<br />

zu diskutieren.<br />

Hast du als Trainer eine Präferenz für<br />

eine Organisation mit einem<br />

Sportdirektor oder einer<br />

Sportkommission? Was ist deiner<br />

Meinung nach die Stärke der<br />

aktuellen Organisation des Vereins<br />

(Sportkommission mit David Degen,<br />

Andy Rey (Mitglied des<br />

Verwaltungsrats), Marco Streller,<br />

Ruedi Zbinden - beide ehemalige<br />

Sportchefs des FC Basel -, Martin<br />

Andermatt, Daniel Stucki und<br />

Valentin Stocker)?<br />

Ich habe keine Präferenzen, ich denke,<br />

dass alle Organisationen funktionieren<br />

können. Man muss nur den richtigen<br />

Weg finden, um zusammenzuarbeiten.<br />

Am schwierigsten ist es, direkt mit<br />

Photo: USG


dem Präsidenten in Kontakt zu treten.<br />

Ich denke, dass es eine Hierarchie<br />

zwischen den beiden geben muss. Ich<br />

habe öfter einen Sportdirektor gehabt,<br />

aber ich finde das Kommissionssystem<br />

im Moment sehr gut und produktiv.<br />

Wir müssen allerdings aufpassen, dass<br />

wir nicht zu viel Zeit bei der<br />

Entscheidung verlieren, aber bis jetzt<br />

hat alles sehr gut funktioniert.<br />

Lass uns über die Mannschaft<br />

sprechen, die dir zur Verfügung<br />

steht. Zu jung, zu wenig<br />

ausgeglichen, talentiert. In den<br />

Medien gab es viele Beschreibungen,<br />

um den Kader zu beschreiben. Wie<br />

würdest du die Mannschaft von<br />

innen beschreiben und was ist deine<br />

grösste Herausforderung, um ihr<br />

Potenzial voll auszunutzen?<br />

Die grösste Herausforderung wird sein,<br />

diese Mannschaft konstant zu halten.<br />

Die Sorglosigkeit der jungen Spieler ist<br />

ein Bonus, eine echte Qualität, aber wir<br />

wissen, dass es am schwierigsten ist,<br />

jedes Wochenende konstant zu<br />

spielen. Es muss gelingen, diese Spieler<br />

so zu trainieren, dass sie in jedem Spiel<br />

ihre Leistung bringen. Und zwar die<br />

ganze Zeit. Ich glaube an diese Gruppe.<br />

In der Vergangenheit habe ich den<br />

Fehler gemacht, im Winter<br />

Revolutionen durchführen zu wollen,<br />

aber das hat sich nur sehr selten<br />

ausgezahlt. Wenn es zu viele<br />

Veränderungen gibt, ist es sehr<br />

schwierig, schnell Ergebnisse zu<br />

erzielen. Man muss das Gleichgewicht<br />

zwischen der Verstärkung des Teams<br />

und der Weiterarbeit finden, ohne dass<br />

sich dies auf die Kabine auswirkt. Ich<br />

denke, es ist besser, im Winter<br />

vorsichtig zu sein. Ich bin zufrieden mit<br />

der Situation, wir haben sehr gut<br />

gearbeitet. Die Gruppe hat sich gut<br />

entwickelt.<br />

Du hast in einem Interview für den<br />

Channel des Vereins über die Grösse<br />

und Wichtigkeit des FC Basel<br />

gesprochen und sogar gesagt, dass<br />

es nicht die Schweiz ist. Wie<br />

vermittelst du die DNA des Clubs an<br />

deine Spieler?<br />

Durch den Anspruch. Unsere Spieler<br />

wollen eine grosse Karriere machen<br />

und Trophäen gewinnen. Um in den<br />

besten Clubs der Welt zu spielen, muss<br />

man sehr hohe Ansprüche an sich<br />

selbst stellen und so professionell wie<br />

möglich sein. Die DNA des FC Basel<br />

beruht auch auf der Arbeitskultur, und<br />

das ist es, was ich meinen Spielern<br />

vermitteln möchte.<br />

Zur DNA gehört auch das<br />

Ausbildungszentrum des Clubs. Bei<br />

allen Erfolgen des FCB waren Talente<br />

aus dem Campus dabei. Da trifft es<br />

sich gut, dass mit Junior Ze, Roméo<br />

Beney, Leon Avdullahu, Marvin<br />

Akahomen, Demir Xhemalija und<br />

Axel Kayombo eine goldene<br />

Generation heranwächst. Bist du mit<br />

diesem Begriff einverstanden? Und<br />

wie stellst du dir diese Talente vor?<br />

Ich mag den Begriff nicht, denn sie<br />

haben den schwersten Teil ihres<br />

Lebens noch vor sich. Aber es ist eine<br />

Generation mit der richtigen<br />

Mentalität und ich denke, das ist das<br />

Wichtigste. Sie haben den Willen, hart<br />

zu arbeiten. Es macht extrem viel<br />

Spass, täglich mit ihnen zu arbeiten<br />

und es ist sehr interessant, junge<br />

Spieler mit viel Potenzial zu haben. Es<br />

ist fantastisch, auf ein erfolgreiches<br />

Ausbildungszentrum zählen zu<br />

können.<br />

Was sind die Ziele für das Ende der<br />

Saison? Wie soll sich dein Team<br />

weiter entwickeln?<br />

Das wichtigste Ziel ist eine konstante<br />

Leistung. Ich möchte auch eine<br />

signifikante Entwicklung bei den<br />

jungen Spielern sehen, aber auch bei<br />

den weniger jungen. Die gesamte<br />

Mannschaft muss sich verbessern.<br />

Wenn wir dieses Ziel erreicht haben,<br />

werden wir in sechs Monaten sehen,<br />

wohin uns das führt. Ich glaube an das<br />

Team und bin mir sicher, dass wir uns<br />

positiv entwickeln werden. Ich hoffe,<br />

dass wir dadurch so weit wie möglich<br />

nach oben kommen. In unserer<br />

Situation ist es klar, dass der Schweizer<br />

Cup der schnellste Weg ist, um den


Europapokal zu erreichen. Wir werden<br />

mit vollem Einsatz spielen. Wir müssen<br />

das Trikot und die Fans respektieren.<br />

Gegen Yverdon, als wir Letzter waren,<br />

kamen 22'000 Zuschauer, um uns zu<br />

unterstützen. In Kriens waren es an<br />

einem Abend unter der Woche im Cup<br />

fast 2'000, obwohl die Situation<br />

dramatisch war. Welcher Verein in der<br />

Schweiz kann sich einer solchen<br />

Unterstützung rühmen? Er ist es wert,<br />

dass man sich für ihn einsetzt!<br />

Dein Vertrag läuft am Ende der<br />

Saison aus. David Degen hat bereits<br />

gesagt, dass er mit dir planen<br />

möchte. Siehst du dich langfristig<br />

beim FC Basel?<br />

Es wäre schön, weiterzumachen. Aber<br />

zuerst: Wir müssen den Verein retten.<br />

Die persönliche Situation von jedem<br />

Einzelnen ist sekundär. Wenn wir in die<br />

richtige Richtung arbeiten, dann sollte<br />

es kein Problem sein, miteinander<br />

auszukommen und weiterzumachen.<br />

Eine letzte, leichtere Frage: Du<br />

kennst Zinedine Zidane sehr gut.<br />

Wenn du ihm eine Qualität<br />

wegnehmen würdest, die er als<br />

Trainer hat, was wäre das?<br />

Ich denke, ich würde ihm die Art und<br />

Weise nehmen, wie er eine Gruppe von<br />

den besten Spielern der Welt führt.<br />

Meiner Meinung nach ist das etwas,<br />

das man nicht lernen kann, sondern<br />

leben muss, um es zu verstehen.


AUSBILDUNG<br />

SC FREIBURG:<br />

DIE JUNGEN SCHWEIZER<br />

SIND GEFRAGT<br />

Diese Saison spielen fünf Schweizer für die Reserve des SC Freiburg. Seit einigen<br />

Monaten ist der süddeutsche Verein ein beliebter Anlaufpunkt für junge Talente<br />

aus unserem Land. Der Genfer Johan Manzambi erklärt, wie das Leben im SC<br />

Freiburg läuft.<br />

TEXT: BÉNÉDICT PERRET<br />

FOTOS: SC FREIBURG<br />

Sie sind zwischen 18 und 23<br />

Jahre alt, Schweizer, wurden<br />

alle von Schweizer Klubs<br />

ausgebildet und haben sich<br />

entschieden, ihre<br />

Entwicklung bei der Reserve<br />

des SC Freiburg fortzusetzen,<br />

einer Mannschaft, die in der<br />

dritten deutschen Liga<br />

engagiert ist. Eine Wahl, die<br />

aus Schweizer Sicht<br />

überraschend sein könnte.<br />

Johan Manzambi, der im<br />

Januar 2023 nach<br />

Deutschland wechselte,<br />

erklärt uns seine<br />

Entscheidung: "Ich hatte<br />

keinen Vertrag mit Servette<br />

und mehrere Angebote<br />

von verschiedenen Vereinen.<br />

Ich habe mich mit meiner<br />

Familie und meinem<br />

Agenten zusammengesetzt<br />

und mich für Freiburg<br />

entschieden, weil es hier ein<br />

echtes Projekt gibt, in dem<br />

ich mich weiterentwickeln<br />

kann. Ich bin stolz darauf,<br />

diese Entscheidung<br />

getroffen zu haben."<br />

Der 19-jährige<br />

Mittelfeldspieler pendelt<br />

zwischen der U19 und der<br />

U23 in der 3. Liga, der<br />

höchsten Spielklasse im<br />

deutschen Profifussball, in<br />

der auch seine Landsleute<br />

Joel Bichsel (ausgeliehen von<br />

den Young Boys), Serge<br />

Müller, Bruno Ogbus und<br />

Alessio Bessio spielen.<br />

Obwohl alle das gleiche<br />

Ziel verfolgen, als sie für die<br />

Reserve von Freiburg spielen,<br />

nämlich sich im Profifussball<br />

zu etablieren, haben sie nicht<br />

alle den gleichen<br />

Hintergrund.<br />

Johan Manzambi und Bruno<br />

Ogbus sind sehr junge<br />

Spieler (beide sind Jahrgang<br />

2005). Für sie ist es die erste<br />

Erfahrung im Profifussball,<br />

nachdem sie in den<br />

Juniorenmannschaften von<br />

Servette und Grasshoppers<br />

gespielt haben. In Freiburg<br />

finden sie ein gesundes<br />

Umfeld vor, in dem junge<br />

Spieler gefördert werden,<br />

und einen Verein, der ihnen<br />

ein Projekt anbietet, das auf<br />

Weiterentwicklung<br />

ausgerichtet ist.


«IN DER 3. LIGA<br />

GIBT ES SPIELE<br />

VOR 20'000<br />

FANS»<br />

JOHAN<br />

MANZAMBI<br />

Alessio Bessio ist nur wenig<br />

älter, hat aber bereits 34 Mal<br />

das Trikot von St. Gallen in<br />

der Super League getragen<br />

und dabei 2 Tore erzielt.<br />

Nach einer ersten Saison<br />

2021-2022, in der er mit 29<br />

Spielen auf sich aufmerksam<br />

machte, war die letzte Saison<br />

für das Talent komplizierter:<br />

nur 4 kurze Spiele und 47<br />

Minuten Einsatzzeit. Da er<br />

nicht mehr in die Pläne von<br />

Peter Zeidler passte, nahm er<br />

das Angebot des SC Freiburg<br />

an. In dieser Saison spielte er<br />

20 Mal und erzielte 3 Tore.<br />

Serge Müller hat mehr<br />

Erfahrung, da er ehemaliger<br />

U21-Nationalspieler ist (er<br />

gehörte zum Kader der<br />

Schweizer U21 bei der EM<br />

2023) und 133 Spiele in der<br />

Challenge League für<br />

Schaffhausen absolviert hat.<br />

In der letzten Saison war er<br />

dort Kapitän. Logischerweise<br />

hätte er Anspruch darauf, für<br />

einen Super League Club zu<br />

spielen. Für den<br />

Innenverteidiger ist es<br />

wichtig, dass er sich durch<br />

seine Zeit in der Reserve von<br />

Freiburg für die erste<br />

Mannschaft in der<br />

Bundesliga empfehlen kann.<br />

Er ist übrigens Stammspieler<br />

in der 3. Liga und hat seit<br />

Beginn der Saison kein<br />

einziges Spiel verpasst.<br />

Ein wenig<br />

unterschiedlicher<br />

als die anderen<br />

ist der Fall des<br />

anderen<br />

Innenverteidigers<br />

, der Berner Joel<br />

Bichsel, der von<br />

YB ausgeliehen<br />

ist. Für ihn, der<br />

beim<br />

amtierenden<br />

Schweizer<br />

Meister einen Vertrag bis<br />

2025 hat, ist diese Saison in<br />

der 3. Liga eine Gelegenheit,<br />

Erfahrung auf einem<br />

höheren Niveau als der<br />

Schweizer Promotion League<br />

zu sammeln (ein<br />

Wettbewerb, in dem er<br />

bereits mehr als 50 Spiele<br />

absolviert hat).<br />

Die 3. Liga, eine<br />

konkurrenzfähige und<br />

engagierte Liga<br />

Die 3. Liga wird zwar<br />

ausserhalb Deutschlands<br />

kaum mediatisiert, ist aber<br />

dennoch eine qualitativ<br />

hochwertige Liga, in der<br />

neben den U21<br />

Mannschaften von Freiburg<br />

und Dortmund auch<br />

historische Vereine des<br />

deutschen Fussballs spielen,<br />

wie z.B. Dresden, Magdeburg<br />

oder Bielefeld. Mannschaften<br />

die von durchschnittlich<br />

20.000 Fans verfolgt sind. Es<br />

stimmt, dass die 3. Liga in der<br />

Schweiz nicht sehr bekannt<br />

ist", gibt Johan Manzambi zu.<br />

Aber in Deutschland ist sie<br />

sehr bekannt und ich kann<br />

sagen, dass sie von hoher<br />

Qualität ist.”<br />

In Deutschland bestreiten<br />

die jungen Schweizer<br />

engagierte Spiele, treffen auf<br />

erfahrene Profis und haben<br />

oft mit einer heissen<br />

Stimmung zu tun. Ein<br />

Kontext, der dem Genfer<br />

gefällt. "Für mich war es<br />

immer ein Ziel, in vollen<br />

Stadien zu spielen. Und man<br />

kann sich nur verbessern,<br />

wenn man gegen<br />

Erwachsene spielt, die mehr<br />

Erfahrung haben als wir."<br />

Diese Erfahrung bringt sie<br />

nicht nur fussballerisch,<br />

sondern auch menschlich<br />

weiter. Sie lernen eine<br />

andere Kultur und eine neue<br />

Art von Fussball kennen, und<br />

das alles direkt neben der<br />

Schweiz. Das ist praktisch,<br />

wenn man nach Hause zu<br />

seiner Familie muss oder den<br />

Einladungen der Schweizer<br />

Juniorenmannschaften<br />

nachkommen muss.


«IN DER SUPER<br />

LEAGUE GAB ES<br />

FÜR MICH<br />

KEINE<br />

PERSPEKTIVEN»<br />

Thomas Stamm<br />

Joel Bichsel (21) ist von Young Boys ausgeliehen.<br />

Eine gewisse Anerkennung<br />

des Schweizer<br />

Ausbildungssystems<br />

Die Ankunft dieser jungen<br />

Spieler in der Reserve des FC<br />

Freiburg ist in erster Linie als<br />

ein Zeichen der<br />

Anerkennung des<br />

Ausbildungssystems unseres<br />

Landes zu sehen, was<br />

allerdings nicht neu ist, da<br />

die Schweizer Ausbildung<br />

seit einigen Jahren sehr gute<br />

Arbeit leistet. Es ist also<br />

logisch, dass unsere<br />

Nachbarn in die<br />

Juniorenausbildung unseres<br />

Landes schauen.<br />

Der Fall Freiburg ist jedoch<br />

auch symptomatisch für eine<br />

gewisse gefühlte oder<br />

tatsächliche<br />

Perspektivlosigkeit der<br />

jungen Schweizer Talente in<br />

Bezug auf ihre<br />

Möglichkeiten, sich in den<br />

Schweizer Klubs<br />

weiterzuentwickeln. Dies gilt<br />

umso mehr, wenn sie nicht<br />

bei den Young Boys oder<br />

Basel spielen. Das beste<br />

Beispiel dafür ist Servette,<br />

das fast jedes<br />

Jahr zwei oder<br />

mehr Talente<br />

verliert, weil es<br />

ihnen nicht<br />

möglich ist, auf<br />

höchstem Niveau<br />

zu spielen.<br />

Der Chef heisst Thomas<br />

Stamm<br />

Die jungen Spieler werden<br />

von einem Landsmann<br />

trainiert, dem Schaffhauser<br />

Thomas Stamm (40). Der<br />

Mann, der 2021 vom Blick als<br />

"möglicher talentiertester<br />

Schweizer Trainer"<br />

bezeichnet wurde, ist in<br />

unserem Land kaum<br />

bekannt. Sein Name wurde<br />

bereits im Februar und Mai<br />

2023 als möglicher Kandidat<br />

für den Trainerposten beim<br />

FC Basel gehandelt. Als<br />

Spieler hat er 183 Spiele in<br />

der Challenge League für<br />

den FC Winterthur und den<br />

FC Schaffhausen bestritten.<br />

Mit 27 Jahren hörte er aber<br />

mit dem Profifussball auf,<br />

ohne jemals damit<br />

gerechnet zu haben, eines<br />

Tages auf höchstem Niveau<br />

spielen zu können. Er<br />

kommentiert die Situation<br />

sachlich: "In der Super<br />

League gab es für mich<br />

keine Perspektiven".<br />

Die Frustration, ein<br />

durchschnittlicher Spieler<br />

gewesen zu sein, weckte in<br />

Thomas Stamm jedoch den<br />

Wunsch, Trainer zu werden.<br />

Noch während er für<br />

Winterthur spielte, erlangte<br />

er sein erstes Trainerdiplom.<br />

Er begann mit den B-<br />

Junioren und wurde bald<br />

darauf als Trainer der U-18-<br />

Mannschaft des Vereins<br />

engagiert. Als seine<br />

Mannschaft mehrmals<br />

gegen die U-17 des SC<br />

Freiburg spielte, wurde er<br />

von den Verantwortlichen<br />

des deutschen Vereins<br />

entdeckt. Sie machten ihm<br />

2015 ein Angebot für die U-<br />

19-Mannschaft. Sechs Jahre<br />

später wird er Trainer der<br />

Reservemannschaft. Johan<br />

Manzambi betont seine gute<br />

Beziehung zu ihm und<br />

beschreibt den Mann als<br />

"ideenreichen Trainer, mit<br />

dem man sich wirklich<br />

weiterentwickeln kann".<br />

Thomas Stamm wird im<br />

Umfeld des Vereins sehr<br />

geschätzt und es wird<br />

regelmäßig gemunkelt, dass<br />

er die Nachfolge von<br />

Christian Streich als Trainer<br />

der ersten Mannschaft (seit<br />

2011 im Amt!) antreten<br />

könnte, wenn dieser<br />

abtreten wird.


Alessio Besio (19) Serge Müller (23) Bruno Ogbus (18)<br />

Der Sprung in die<br />

Bundesliga ist noch kein<br />

Selbstläufer<br />

Unseren jungen Talenten<br />

steht der komplizierteste<br />

Schritt bevor: Sie müssen auf<br />

sich aufmerksam machen<br />

und Spielzeit für die erste<br />

Mannschaft in der<br />

Bundesliga bekommen. Mit<br />

Ausnahme von Bichsel, der<br />

in der nächsten Saison zum<br />

Kader der Young Boys<br />

gehören soll und Amenda<br />

ersetzen wird, haben die<br />

anderen Schweizer keine<br />

Garantie, eines Tages das<br />

Trikot der "Breisgau-<br />

Brasilianer" tragen zu dürfen<br />

Denn trotz der Nähe zu<br />

unserem Land hat seit 2015<br />

und den Wechseln von<br />

Roman Bürki, Gelson<br />

Fernandes und Admir<br />

Mehmedi kein Schweizer<br />

Spieler im Verein seine<br />

Spuren gelassen. Noch<br />

schlimmer ist, dass von den<br />

sechs Schweizern, die<br />

zwischen 2019 und 2021 in<br />

der Reserve spielten, vier in<br />

unsere Ligen zurückkehrten<br />

und zwei ihre Karriere<br />

beendeten. Wünschen wir<br />

Johan und seinen<br />

Mitspielern ein<br />

glücklicheres Schicksal.<br />

SC FREIBURG IN ZAHLEN<br />

4x<br />

DEUTSCHER ZWEITLIGAMEISTER<br />

7.<br />

BUNDESLIGA 2023/24<br />

5.<br />

BUNDESLIGA 2022/23


INTERVIEW<br />

EIN TREFFEN<br />

MIT DEN<br />

VORBEREITUNGSTEAMS<br />

DER SCHWEIZER<br />

STARS


as haben Isaac Schmidt, Anel Husic, Loris Mettler, Andi Zeqiri, Denis<br />

Zakaria und Jérémy Guillemenot alle gemeinsam? Sie alle sind durch<br />

die Hände von Peak Performance Conditioning gegangen, einem<br />

Unternehmen, das Trainingsprogramme anbietet und körperliche<br />

Fitness und Fussballtechnik miteinander verbindet.Khalil Ouared und Sébastien<br />

Christe, die Mitbegründer des Zentrums, erklären uns, wie das funktioniert.<br />

TEXT: BÉNÉDICT PERRET<br />

FOTOS: PEAK PERFORMANCE<br />

«Das Wichtigste, um unsere Methode zu<br />

beschreiben, ist Freude», stellt Khalil Ouared, einer<br />

der Mitbegründer von Peak Performance, gleich<br />

zu Beginn fest. «Und wir betonen das sehr stark».<br />

Die Methode, die von dem ehemaligen Spieler von<br />

Dijon und seinem Partner Sébastien Christe,<br />

einem ehemaligen Spitzensportler im Kampfsport,<br />

entwickelt wurde, basiert auf zwei Achsen:<br />

Kondition und Fußballtechnik. Sie ist fordernd,<br />

aber immer spielerisch.<br />

Mit Spass die Leistung steigern<br />

Die Fussballmethode wurde von Peak<br />

Performance von Anfang an erfunden. «Ich war zu<br />

hitzig für den Profifussball, weil ich sehr schnell<br />

frustriert war von den Übungen, die man mir beim<br />

Training vorlegte, und von den Ungerechtigkeiten,<br />

mit denen Fussballer konfrontiert sind», fährt Khalil<br />

Oualed fort. «Ich konnte oft den Sinn nicht sehen<br />

und war nicht stark genug, um mich ihnen zu<br />

widersetzen, weil ich den Spass vergessen hatte.<br />

Deshalb versuchen wir, den Spielern viel Freude<br />

am Training zu bieten, auch wenn es immer noch<br />

sehr anstrengend ist. Je mehr Spass ein Spieler<br />

hat, desto härter wird er arbeiten.»<br />

Was die körperliche Fitness angeht, so begeben<br />

sich die Fussballspieler in die erfahrenen Hände<br />

von Sébastien Christe, der an der Universität von<br />

Lausanne einen Master in Sportwissenschaften mit<br />

Schwerpunkt Training und Leistung erworben hat<br />

und ein enger Freund des Konditionstrainers von<br />

Genk ist. Die Methoden sind innovativ,<br />

insbesondere durch die Verwendung von Velocity<br />

based training (ein moderner Ansatz für Kraft- und<br />

Leistungstraining), und auf Fussballspieler<br />

spezialisiert.<br />

Der letzte Punkt, auf den sich die beiden<br />

konzentrieren, ist der kognitive Aspekt. «Wir<br />

wissen, dass der Fussball immer schneller wird. Die<br />

Spieler müssen in der Lage sein, sehr schnell<br />

Entscheidungen zu treffen, also trainieren wir sie<br />

wirklich darauf.»


Seit vier Jahren treffen sich Spitzenfussballer in den Sommer- und<br />

Wintermonaten bei Peak Performance, um sich in Gruppen von zwölf Spielern<br />

vorzubereiten (die ideale Anzahl, um ein gutes Gleichgewicht zwischen<br />

individuellem und Gruppentraining zu erreichen).<br />

Spieler, die voneinander lernen<br />

Während die Spieler in ihren Vereinen daran gewöhnt sind, täglich mit denselben<br />

Mitspielern zu trainieren, ist das Trainieren mit neuen Partnern manchmal eine<br />

echte Erfrischung. Die Zusammenarbeit zwischen Rivalen (Peak Performance<br />

zählt bei seinen Vorbereitungen sowohl Lausanner als auch Genfer)<br />

ermöglicht es jedem, sich besser kennen zu lernen,<br />

und die Atmosphäre ist immer sehr gut zwischen<br />

Spielern, von denen die meisten auch im Leben<br />

Freunde geworden sind.<br />

Ein letzter wichtiger Punkt ist, dass die<br />

unterschiedlichen Lebensläufe der Spieler auch<br />

prägend sind, wie Khalil Ouared betont: «Sowohl ein<br />

Denis Zakaria als auch ein Loris Mettler müssen<br />

voneinander lernen. Zakaria hat nicht den harten Weg<br />

hinter sich, den Loris gehen musste, während die<br />

Erfahrung von Denis für alle lehrreich ist, auch für uns,<br />

da wir noch junge Trainer sind. Der Austausch<br />

zwischen den Spielern ist wirklich sehr interessant<br />

und der Werdegang des einen ermutigt den anderen,<br />

insbesondere die Jüngeren.» Die Trainer ihrerseits<br />

legen besonderen Wert darauf, das ganze Jahr über<br />

mit ihren Schützlingen in Kontakt zu bleiben<br />

Jugendliche auf den modernen Fussball<br />

vorbereiten<br />

Die Vorbereitungscamps für Profis machen jedoch<br />

nur einen kleinen Teil der Aktivitäten von Peak<br />

Performance aus, das neben den Profis auch drei<br />

Arten von Spielern betreut.<br />

Die Jüngsten sind die jungen «Elite»-Spieler, die<br />

zwischen 10 und 14 Jahre alt sind und das ganze Jahr<br />

lang gecoacht werden. Bereits in den Strukturen von<br />

Vereinen wie Lausanne oder Servette stehen sie in<br />

ihrem jungen Alter unter viel Druck. Deshalb erklärt<br />

Khalil Ouared: «Das Ziel für diese jungen Spieler ist es,<br />

sie weiterzubringen, ihnen aber gleichzeitig ein<br />

Maximum an Spass zu bieten. Es gibt kein<br />

körperliches Training, sondern wir konzentrieren uns<br />

auf das Spiel. Wir achten auch sehr darauf, dass der<br />

Wille von den Spielern selbst kommt und nicht von<br />

den Eltern, die sie unter Druck setzen würden».


Danach kommen die Elitespieler in der<br />

Ausbildung (Kategorien U16 bis U21).<br />

Diese Spieler, die in ihrem<br />

Fussballerleben schon weiter<br />

fortgeschritten sind, kommen mit klar<br />

definierten Zielen zu Peak Performance.<br />

«Wir bieten ihnen hybride<br />

Trainingseinheiten mit körperlichen und<br />

spielerischen Übungen und<br />

Leistungszielen an. Wir achten dabei<br />

sehr auf ihre Psychologie, da in diesem<br />

Alter viel passiert. Es geht auch darum,<br />

sie mental gut zu begleiten: Nur weil ein<br />

Spieler eine schlechte Phase erlebt,<br />

heisst das nicht, dass alles vorbei ist. Wir<br />

haben das Beispiel von Denis Zakaria,<br />

der bis zur U18 nicht in den Servette-<br />

Plänen stand, und der die Karriere<br />

gemacht hat, die wir kennen».<br />

Nicht zuletzt betreuen die jungen<br />

Coaches auch Amateurspieler, die in den<br />

Profibereich wechseln möchten. «Viele<br />

dieser Spieler sind sehr talentiert, aber es<br />

fehlt ihnen an Disziplin. Wir versuchen,<br />

ihnen eine gesunde Lebensweise zu<br />

vermitteln, wobei wir die gleichen<br />

Anforderungen stellen wie an die Elite.»<br />

Eine Initiative, die von den Schweizer<br />

Vereinen anfangs nicht gut<br />

empfangen wurde<br />

Wie kommen die jungen Coaches mit<br />

den Fussballclubs zurecht?<br />

«Als wir vor vier Jahren angefangen<br />

haben, sahen uns die Klubs als Betrüger<br />

an», erzählt der ehemalige Servette-<br />

Spieler. Es gab keine Athletiktrainer und<br />

es war sehr selten, dass sich die Spieler<br />

während der Spielpause vorbereiteten.<br />

«Man kann sagen, dass die Klubs uns<br />

nicht respektiert haben, und einige<br />

haben ihren Spielern sogar mit<br />

Konsequenzen gedroht, wenn sie unser<br />

Programm absolvieren würden. Aber wir<br />

waren immer davon überzeugt, dass was<br />

im Verein und daneben passiert, sich<br />

ergänzt.»<br />

Denn während Cristiano Ronaldo seine<br />

Legende grösstenteils durch sein<br />

individuelles Fitnesstraining aufgebaut<br />

hat oder Michel Platini zu einem der<br />

besten Freistossschützen der Geschichte<br />

wurde, weil er die Übung vor einer von<br />

seinem Vater gebastelten Mauer aus<br />

Karton wiederholt hat, waren die Schweizer<br />

Vereine lange Zeit nicht bereit, ihre Spieler<br />

Extras machen zu lassen. Der Grund dafür<br />

war ein angeblich erhöhtes<br />

Verletzungsrisiko.<br />

Sébastien Christe wischt diese Angst weg:<br />

«Verletzungen entstehen durch<br />

mangelnde körperliche Vorbereitung oder<br />

Überlastung, aber auch durch andere<br />

Faktoren, wie z.B. die Lebensweise...<br />

Wichtig ist, dass man weiss, was man tut.<br />

Wir bieten eben eine angepasste<br />

Vorbereitung an, wodurch das Risiko<br />

begrenzt werden kann, ohne die Spieler zu<br />

überfordern.»<br />

Khalil Ouared ergänzt: «Als ich jung in der<br />

Schweiz und im Ausbildungszentrum war,<br />

hatte man mich daran gewöhnt, keine<br />

Extras zu machen. Doch als ich in<br />

Frankreich ankam, wurde mir vorgeworfen,<br />

nicht genug zu tun. Dort haben alle<br />

zusätzlich gearbeitet, obwohl sie sechs Mal<br />

pro Woche trainierten. Sie machten<br />

Krafttraining und spielten 1 gegen 1.» Ein<br />

Mentalitätsunterschied besteht also. Aber<br />

das hat sich inzwischen geändert, denn<br />

viele Spieler aus der Schweizer Liga, aber<br />

auch aus dem Ausland, entscheiden sich<br />

dafür, sich in den (kurzen) Pausen fit zu<br />

halten. Auch Amateurvereine aus der<br />

Region (zwischen der 1. und 2. Liga)<br />

wenden sich an Peak Performance, um<br />

sich körperlich vorzubereiten. Neben dem<br />

Fussball trainiert Peak Performance u.a.<br />

Basketballer, Eiskunstläufer, MMA-Kämpfer<br />

oder auch Rennfahrer.<br />

Das Team hat gerade seinen ersten Raum<br />

in Chavannes-près-Renens eröffnet, und<br />

das Abenteuer wächst weiter. Das ist für sie<br />

eine Möglichkeit, das Geschäft auf lange<br />

Sicht zu sichern. «Wir haben vier Jahre lang<br />

Geld gespart und dank des Vertrauens der<br />

Spieler konnten wir diesen Raum<br />

eröffnen», sagt Khalil Ouared. «Jetzt<br />

können wir mit dem Raum in eine echte<br />

Alltagsroutine eintreten, und das ist<br />

wirklich toll.»


ZOOM<br />

NATAN<br />

GIRMA<br />

UM DAS ZU ERREICHEN,<br />

HABE ICH ZU NEUNT IN<br />

EINER<br />

DREIZIMMERWOHNUNG<br />

GESCHLAFEN!


#interview<br />

Nach jahrelangem Hin und Her in den Amateurligen der Schweiz und Italiens<br />

findet Natan Girma endlich zur Konstanz. Der 22-jährige gebürtige Lausanner<br />

spielt heute bei La Reggiana in der Serie B. Im Interview spricht er über seinen<br />

Lebensweg, seine Ambitionen und seinen Traum von der Schweizer<br />

Nationalmannschaft.<br />

TEXT: TÉO NANIA<br />

FOTOS: AC REGGIANA 1919<br />

Du hast für verschiedene<br />

Amateurvereine in der Westschweiz<br />

gespielt. Kannst du uns etwas über<br />

deinen Karriereweg erzählen?<br />

Ich habe in der Region Lausanne für<br />

viele Vereine gespielt. Angefangen<br />

habe ich bei Stade Lausanne Ouchy im<br />

Alter von vier Jahren. Einige Jahre<br />

später schlossen sich SLO und<br />

Lausanne-Sport zur Lausanne Foot<br />

Académie (LFA) zusammen, wurde für<br />

diese ausgewählt und spielte von der<br />

U10 bis zur U14. Als ich in die U15 kam,<br />

wollte Lausanne mich nicht mehr<br />

halten. Ich war körperlich sehr<br />

schwach, hatte in dem Jahr nicht viel<br />

gespielt und sie dachten, dass ich das<br />

Niveau für die U15 nicht erreichen<br />

würde.<br />

Ich begann also auf einer niedrigeren<br />

Stufe mit Porto Lausanne. Alle meine<br />

Freunde waren in dieser Mannschaft,<br />

und das war der Grund dafür, dass ich<br />

wieder Spass am Spielen hatte. In<br />

Lausanne hatte ich viel Selbstvertrauen<br />

verloren.<br />

Danach bin ich viel unterwegs<br />

gewesen: Espagnol Lausanne, eine<br />

Rückkehr zu Stade-Lausanne, bevor<br />

ich wieder zu Porto Lausanne in die 2<br />

Liga.Ich war damals 15 Jahre alt. In den<br />

ersten Monaten hatte ich einige<br />

Einsätze, und zu diesem Zeitpunkt<br />

bekam ich die Gelegenheit, ein<br />

Probetraining bei Neuchâtel Xamax zu<br />

machen. Die Sache lief gut, aber ich<br />

konnte keinen Vertrag unterschreiben,<br />

da ich im Laufe des Jahres bereits zwei<br />

Transfers hinter mich hatte.<br />

Ich habe trotzdem weiter mit Xamax<br />

trainiert. Meine Schule war in Lausanne<br />

und ich nahm sofort den Zug nach<br />

Neuchâtel. Es waren lange Tage:<br />

Natan Girma (links) amüsiert sich in der Serie B beim AC Reggiana 1919.


Ich fuhr um 7 Uhr von zu Hause los und<br />

kam um 23 Uhr zurück. Sechs Monate<br />

lang trainierte ich unter der Woche in<br />

Neuenburg und spielte am<br />

Wochenende mit Porto in der 2. Liga.<br />

Nach dieser Erfahrung habe ich mich<br />

entschieden, zu Dardania in die 2. Liga<br />

Inter zu gehen. Ich spielte ein gutes<br />

Match gegen die U-21 von Servette und<br />

weckte ihre Aufmerksamkeit. Mein<br />

Fitnesstrainer nahm Kontakt mit ihnen<br />

auf und sie haben mich zum<br />

Probetraining mitgenommen. Im<br />

November kickte ich bei Signal-Bernex<br />

in der 2. Liga Inter, und drei Monate<br />

später war ich in La Masia und spielte<br />

gegen Barcelona. Für einen Barça-Fan<br />

wie mich war das magisch (lacht).<br />

Bei Servette habe ich in den ersten<br />

sechs Monaten nicht viel gespielt, aber<br />

ich habe enorm viel gelernt. Massimo<br />

Lombardo, der Sportdirektor der<br />

Nachwuchsabteilung, sagte mir, dass<br />

sie mich im Auge behalten würden,<br />

aber der Trainer, Adrian Ursea, wollte<br />

mich nach drei Wochen unter Vertrag<br />

nehmen. Ich war der einzige Spieler,<br />

der keinen Vertrag von der Mannschaft<br />

hatte. Ich bin jeden Tag zwischen<br />

Lausanne und Genf hin und her<br />

gefahren. Von Prilly, meinem Zuhause,<br />

bis zum Spielfeld in Balexert waren es<br />

hin und zurück vier Stunden, wenn die<br />

der Bus pünktlich war. Inzwischen<br />

hatten sie mir einen Vertrag<br />

angeboten, vor allem, weil Ursea darauf<br />

bestand. Er war derjenige, der am<br />

meisten an mich glaubte und mein<br />

Selbstvertrauen stärkte. Im ersten Jahr<br />

hatten wir die ersten 13<br />

Meisterschaftsspiele gewonnen, bevor<br />

uns die Covid-19-Pandemie stoppte.<br />

In meinem letzten Jahr bei Servette<br />

wurde ich Kapitän der U21 und spielte<br />

eine gute erste Saisonhälfte, aber dann<br />

kam die zweite Welle von Covid. Zu<br />

diesem Zeitpunkt hatte ich auch eine<br />

kleine Knieverletzung. Ich kam zurück<br />

und beendete die Saison mit vier Toren<br />

in den letzten fünf Spielen.<br />

Wie ist deine Beziehung zu Adrian<br />

Ursea?<br />

Er ist der beste Trainer, den ich je hatte.<br />

Er ist nicht nur ein guter Fussballer,<br />

sondern auch ein super Mensch. Er ist<br />

ein sehr wichtiger Mensch für meine<br />

Karriere, denn er ist der Grund dafür,<br />

dass ich mich wieder auf den Weg<br />

gemacht habe. Als er das Team<br />

übernahm, bemerkte er meinen<br />

Wunsch, zu arbeiten und mich zu<br />

verbessern, und er hat mein<br />

Selbstvertrauen vollkommen neu<br />

aufgebaut. Jedes Jahr denkt er an<br />

meinem Geburtstag an mich. Er ist<br />

wirklich eine grossartige Person. Als er<br />

Servette verliess, hat mich das sehr<br />

betroffen gemacht.<br />

Er blieb nur vier Monate bei uns, aber<br />

ich habe von ihm mehr gelernt als in<br />

meinem gesamten Leben im Fussball.<br />

Er stellt einen echten Durchbruch in<br />

meiner Karriere dar. Er hat mir die<br />

Augen dafür geöffnet, wie man<br />

Fussball sehen kann und er ist sehr<br />

akribisch in jedem Detail.<br />

Das zeigt sich auch darin, was er in<br />

Carouge leistet. Ich stehe immer noch<br />

in Kontakt mit ihm und habe ihn im<br />

Sommer auch besucht. Ich habe ihm<br />

gesagt, dass sie in die<br />

Von Prilly, meinem Zuhause, bis zum Spielfeld in<br />

Balexert waren es hin und zurück vier Stunden,<br />

wenn die der Bus pünktlich war !


Challenge League aufsteigen werden.<br />

Er ist sehr bescheiden geblieben, aber<br />

man sieht das Resultat. Da sie ihn als<br />

Trainer hatten und seine<br />

Arbeitsmethode beobachtet haben,<br />

konnte es nur gut für sie laufen.<br />

Warum hast du Servette verlassen?<br />

Weil ich die Chance haben wollte, mit<br />

der Profimannschaft zu trainieren.<br />

Die wurde mir<br />

nicht ermöglicht,<br />

also bin ich zum<br />

Probetraining nach<br />

Hannover<br />

gegangen. Das lief<br />

sehr gut, ich wollte<br />

unbedingt dort<br />

unterschreiben. Sie<br />

boten mir sogar<br />

meinen ersten<br />

Profivertrag an.<br />

Servette verlangte<br />

jedoch eine<br />

Ausbildungsentsch<br />

ädigung. Für einen<br />

Spieler, der noch<br />

nie in der<br />

Nationalmannschaf<br />

t war, der noch nie<br />

einen Profivertrag<br />

hatte, der ein<br />

Niemand in der<br />

Fussballwelt ist und<br />

der einfach aus den<br />

Schweizer<br />

Amateurligen<br />

kommt,<br />

konnte Hannover nicht die<br />

Summe zahlen, die<br />

Servette einfach auf der<br />

Basis von einer<br />

Probewoche verlangte.<br />

Also ist alles daran<br />

gescheitert.<br />

Das hat mich wirklich sehr getroffen.<br />

Ich hatte die Möglichkeit, meinen<br />

ersten Profivertrag zu unterschreiben.<br />

Ich hatte kein Problem damit, dass ich<br />

keinen Platz bei Servette hatte, auch<br />

wenn ich denke, dass ich ihn gehabt<br />

hätte. Nicht in Deutschland<br />

unterschreiben zu können, war ein<br />

echter Tiefschlag.<br />

Wie bist du nach diesem Test wieder<br />

aufgestanden?<br />

Da die Diskussion mit Servette völlig<br />

geschlossen war,<br />

habe ich<br />

verstanden, dass<br />

ich zu einem<br />

anderen<br />

Amateurverein<br />

gehen muss , um<br />

überhaupt meinen<br />

ersten Profivertrag<br />

unterschreiben zu<br />

können.<br />

Und so fährst du<br />

nach Italien.<br />

Ja, ich habe vom<br />

Sona-Projekt in der<br />

italienischen Serie<br />

D erfahren.<br />

Eigentlich wollte<br />

ich dort sechs<br />

Monate verbringen,<br />

bevor ich zu einem<br />

Profiverein gehen<br />

würde. Als ich dort<br />

einen Fuss setzte,<br />

merkte ich, dass es<br />

dort total chaotisch<br />

war. Als ich zum<br />

ersten Training<br />

kam und die<br />

Spielfelder sah,<br />

wow: So etwas<br />

hatte ich noch nie<br />

in meinem Leben<br />

gesehen. Sie waren<br />

in einem<br />

katastrophalen<br />

Zustand. Es war nur<br />

Erde, es gab kein<br />

Gras.<br />

Am Ende des Trainings gehe ich zu<br />

dem Agent, der mich dorthin gebracht<br />

hat, und sage ihm, dass ich nicht<br />

unterschreiben würde.


Am Ende verstehe ich, dass es eine<br />

obligatorische Etappe ist. Ich versuche,<br />

das Ganze zu relativieren und denke<br />

mir, dass es nur sechs Monate dauern<br />

wird. Das waren die längsten sechs<br />

Monate meines Lebens (lacht).<br />

Du sagst, dass die Bedingungen nicht<br />

gut waren. Ich nehme an, du meinst<br />

damit nicht nur den Zustand des<br />

Platzes?<br />

Nein, die ersten sechs Monate waren in<br />

jeder Hinsicht schrecklich. Ich könnte<br />

ein Buch über das Ganze schreiben. Ich<br />

verbrachte einen Monat zu neunt in<br />

einer Dreizimmerwohnung. Einige<br />

tranken und rauchten abends, einige<br />

mussten im Wohnzimmer schlafen, es<br />

war wirklich nicht ideal. In den<br />

folgenden Monaten zog ich von Hotel<br />

zu Hotel. Eines Tages gab es im Hotel<br />

kein Frühstück. Der Verein sagte mir,<br />

ich sollte in die Buvette kommen und<br />

sie würden mir etwas zu essen<br />

machen. Ich komme an und sie geben<br />

mir ein Kinder Bueno zum Frühstück<br />

(lacht).<br />

Das waren sechs extrem harte Monate,<br />

die dazu führten, dass es mir mental<br />

nicht gut ging. Innerhalb weniger<br />

Monate komme ich von den<br />

unglaublichen Anlagen in Deutschland<br />

zu so etwas. Das war ein echter<br />

emotionaler Schlag. Und wenn es dir<br />

nicht gut geht, kommt es natürlich zu<br />

Verletzungen. Es gab keinen<br />

Physiotherapeuten, der mir helfen<br />

konnte. Zudem wurde ich im ersten<br />

Jahr nur für zwei Monate bezahlt. Ein<br />

totales Chaos.<br />

Und nach diesen ersten sechs<br />

Monaten, haben sich die<br />

Bedingungen verbessert?<br />

Der Schweizer erzielte in seinen letzten vier Ligaspielen 4 Tore.


Nach sechs Monaten liegen mir<br />

Angebote aus der Serie C und der Serie<br />

B vor, aber ich konnte nicht gehen, weil<br />

ich an einer Pubalgie litt. Die<br />

Konditionen im Verein ändern sich<br />

nicht, aber ich gewöhne mich daran.<br />

Normalerweise lässt man los, wenn es<br />

am schlimmsten ist. Aber hier habe ich<br />

noch härter gearbeitet und sogar sechs<br />

Kilo Muskelmasse zugenommen. Das<br />

konnte mir nicht wehtun (lacht).<br />

Ich war fest davon überzeugt, es zu<br />

erreichen. Das hat mir menschlich sehr<br />

viel gebracht und ich bin wahnsinnig<br />

schnell gewachsen. Sportlich habe ich<br />

nicht viel gelernt, aber menschlich bin<br />

ich zu einem Mann geworden. Ich habe<br />

Italienisch und Englisch gelernt und<br />

auch, allein weit weg von meiner<br />

Familie zu leben. Aus dem Negativen<br />

konnte ich das Positive ziehen.<br />

Tor, bei dem ich den Ball erobere, drei<br />

Spieler umdribble und den Ball mit der<br />

Spitze unter die Latte schiesse. Alle<br />

denken, ich hätte einen Aussenrist<br />

geschossen, aber es war ein alter Spitz<br />

(lacht).<br />

Nach diesem Tor kontaktierte der<br />

Sportdirektor von Reggiana, der mir<br />

bereits gefolgt war, meinen Berater<br />

und sagte ihm, dass er mich haben<br />

wollte. Reggiana war in der Serie C,<br />

aber auf dem besten Weg nach oben.<br />

Am 31. Dezember 2022 kam ich dort an<br />

und am nächsten Tag hatte ich das<br />

erste Training. Zum Abschluss dieses<br />

Trainings gibt es ein kleines Spiel, das<br />

wir mit 5:0 gewinnen und bei dem ich<br />

alle fünf Tore schiesse. Der<br />

Sportdirektor ruft meinen Berater an<br />

und sagt: "Was hast du mir da<br />

mitgebracht?". Mein Agent hat erst<br />

einmal Angst bekommen und dachte,<br />

ich hätte alles falsch gemacht (lacht).<br />

Zum Abschluss dieses Trainings gibt es ein kleines<br />

Spiel, das wir mit 5:0 gewinnen und bei dem ich alle<br />

fünf Tore schiesse.<br />

Letztendlich hat sich diese Erfahrung<br />

für dich gelohnt, denn du hast es<br />

geschafft, in der Serie B zu<br />

unterschreiben.<br />

Ja, denn schliesslich konnte ich meine<br />

Pubalgie heilen und auf dem Platz lief<br />

es besser. Der Sommer 2022 kam und<br />

Sona kündigte an, dass er mit Chievo<br />

Verone, das gerade Insolvenz<br />

angemeldet hatte, fusionieren wollte.<br />

Man verkaufte mir ein grosses Projekt<br />

mit einem grossen Budget in einem<br />

grossen Stadion. Auch wenn es Serie D<br />

war, hatte es immer noch das Prestige<br />

eines ehemaligen Serie-A-Vereins, mit<br />

der entsprechenden Exposition und<br />

Visibilität.<br />

Ich komme dort an und es geht wieder<br />

schief. Der Präsident verschwindet<br />

nach drei Wochen, die Spieler werden<br />

nicht mehr bezahlt. Ich spiele trotzdem<br />

ein paar Spiele mit ihnen, mache ein<br />

paar Tore, vor allem ein wunderschönes<br />

Der Verein teilte ihm mit, dass sie mich<br />

behalten wollten, der Kader aber schon<br />

komplett sei. Also bleibe ich sechs<br />

Monate, ohne zu spielen, ohne Vertrag<br />

und ohne bezahlt zu werden.<br />

Sie finanzierten mir das Hotel und das<br />

Essen. Nach den Erlebnissen in Sona<br />

war das für mich schon Luxus. Ich hatte<br />

ein Zimmer für mich, was ich früher<br />

nicht hatte. Auch wenn ich nicht<br />

bezahlt wurde, konnte ich auch mit<br />

Spielern trainieren, die bereits in der<br />

Serie A und im Europapokal gekickt<br />

hatten. Das ist ein Riesenunterschied<br />

zum Amateurfussball.<br />

Wie geht es nach diesen sechs<br />

Monaten weiter?<br />

Zum Ferienbeginn habe ich immer<br />

noch nicht unterschrieben. Aber ich<br />

vertraue dem Wort des Sportdirektors.<br />

Im Juli fahren wir ins Trainingslager


und es wird uns mitgeteilt, dass der<br />

Trainer Alessandro Nesta sein wird. Ich<br />

wechsle von der Amateurwelt zu einem<br />

der besten Verteidiger der Geschichte<br />

und werde von ihm trainiert. Ich<br />

unterschreibe meinen Vertrag in<br />

diesem Trainingslager.<br />

Zunächst verpflichten sie mich als<br />

Ersatzspieler. Der Trainer kannte mich<br />

nicht und ich konnte ihn überraschen.<br />

Im ersten Freundschaftsspiel treffe ich.<br />

Dann kommt das erste Pokalspiel<br />

gegen Pescara und auch hier treffe ich<br />

wieder.<br />

Im zweiten Pokalspiel spielen wir<br />

gegen Monza, eine Mannschaft aus der<br />

Serie A. Sechs Monate zuvor hatte ich<br />

noch auf einem Dreckplatz gespielt,<br />

und jetzt muss ich gegen eine<br />

Mannschaft aus der Serie A ran. Ich<br />

mache ein gutes Spiel, alle sind<br />

zufrieden mit mir und das gibt mir die<br />

Möglichkeit, weiterzumachen. Ich<br />

spiele regelmässig Spiele und schiesse<br />

mein erstes Tor in der Liga. Seit einigen<br />

Wochen finde ich auch eine gewisse<br />

Konstanz in meinen Leistungen.<br />

Innerhalb weniger Monate adaptierst<br />

du dich an die berufliche Arbeitswelt.<br />

Wie erlebst du diese rasante<br />

Anpassung?<br />

Ich war immer von meinen Qualitäten<br />

überzeugt und wusste, dass ich auf<br />

professioneller Stufe spielen kann. Seit<br />

ich 18 Jahre alt war, wusste ich, dass es<br />

in meiner Hand lag. Als ich also im<br />

Sommer mit 21 Jahren in die Serie B<br />

kam, wusste ich, dass ich die<br />

Fähigkeiten habe, auf diesem Niveau<br />

zu spielen. Für mich war das kein<br />

Blitzaufstieg, es hat einfach nur lange<br />

gedauert, bis es soweit war. Wenn ich<br />

ehrlich bin, weiss ich, dass ich noch<br />

mehr kann. Mein letzter Monat war gut,<br />

aber früher in der Saison hat mir die<br />

Konstanz gefehlt. Alle reden über den<br />

letzten Monat, weil man im Fussball an<br />

die Gegenwart denkt und die<br />

Vergangenheit schnell vergessen wird.<br />

Aber für mich, der sehr anspruchsvoll<br />

ist, ist klar, dass ich viel besser sein<br />

kann.


Du hast es bereits erwähnt: Du wirst<br />

von Alessandro Nesta trainiert. Was<br />

bringt er dir im Alltag?<br />

Die Ansprüche. Ich bin schon sehr<br />

anspruchsvoll, aber er erwartet noch<br />

viel mehr. Er ist oft hinter mir, schaut<br />

sich jedes Detail an. Meine<br />

Körperorientierung, die kleinste<br />

Kontrolle - er will, dass alles perfekt ist.<br />

Er erzählt mir auch oft Geschichten.<br />

Einmal hat er mir erzählt, als er bei<br />

Lazio gespielt hat, war er sich sicher,<br />

dass er gut trainiert hat. Aber als er<br />

nach Mailand kam, wurde ihm klar,<br />

dass es etwas anderes war, ein Sieger<br />

zu sein. Bei jedem Training gingen sie<br />

mit 2000 km/h zur Sache. Am Ende<br />

jeder Trainingseinheit ist jeder noch<br />

geblieben. Und es ist diese Mentalität,<br />

die dafür sorgt, dass du in einem Spiel<br />

ganz oben stehen kannst. Es ist diese<br />

Mentalität des Gewinners, des<br />

Champions, die er versucht, uns<br />

einzuprägen.<br />

Du hast die Schweiz und Italien aus<br />

der Amateur- und jetzt aus der<br />

Profiperspektive kennengelernt.<br />

Welche Unterschiede fallen dir auf?<br />

Die Arbeitskultur hier ist völlig anders.<br />

In Italien arbeitet man vier- oder<br />

fünfmal so viel. Aber es stimmt schon,<br />

dass wir in der Westschweiz nicht dafür<br />

bekannt sind, dass wir hart arbeiten<br />

(lacht). Auch die Arbeitsmentalität ist<br />

zehnmal höher. Während des Trainings<br />

wird viel mehr gelaufen. Auch wenn es<br />

sinnvoll ist, ist es das, was ich am<br />

wenigsten mag. Bei Servette zum<br />

Beispiel wurde nicht viel gelaufen,<br />

sondern nur mit dem Ball gespielt.<br />

Auch die Disziplin bei der Arbeit ist<br />

grösser. Das ist eindeutig eine Chance,<br />

sich in dieser Sicht zu steigern.


Und aus fussballerischer Sicht, ist es<br />

ein Land, das dir gefällt?<br />

Ja und nein. Ich bin eher ein<br />

Ballspieler, und es ist klar, dass die<br />

Serie D nicht ballorientiert war (lacht).<br />

In der Serie B gibt es mehr Spiel. Wir<br />

haben einen Trainer, der von hinten<br />

spielen will, und das ist es, was ich<br />

gerne habe und was mir gefällt. Ich<br />

habe dieses System bei Ursea<br />

kennengelernt und seitdem will ich so<br />

Fussball spielen. Seine Ideen sind<br />

ähnlich wie meine, deshalb macht es<br />

mir Spass. Für mich muss man spielen.<br />

Das ist das Schöne und das gefällt den<br />

Fans.<br />

Auf Klubebene haben Sie für einen<br />

Neuaufsteiger eine gute Saison<br />

gespielt. Welche Ziele haben Sie sich<br />

für diese erste Saison in der Serie B<br />

gesetzt?<br />

Wir hatten eine schlechte Phase mit<br />

zwei Monaten ohne Sieg, aber es geht<br />

uns etwas besser und wir schaffen es,<br />

weiterzumachen. Das Ziel des Vereins<br />

ist es vor allem, sich zu retten. Das ist<br />

das Wichtigste. Was danach passiert,<br />

ist nur ein Bonus. Wir nehmen das, was<br />

es zu holen gibt. Danach ist klar, dass<br />

ich persönlich Fussball spiele, um zu<br />

gewinnen. Aber zuerst müssen wir<br />

alles geben, um uns zu retten. Den<br />

Rest werden wir sehen.<br />

Verfolgst du von Italien aus die<br />

Schweizer Meisterschaft ? Ist das<br />

eine Liga, die dich für die Zukunft<br />

interessiert?<br />

Ich schaue mir den Schweizer Fussball<br />

an, ja. Aber es ist keine Liga, die mich<br />

im Moment interessiert. Das ist nicht<br />

das, was ich anstrebe. Wenn ich die<br />

Wahl hätte, würde ich jetzt wohl nicht<br />

in die Schweiz zurückkehren. Weil hier<br />

die Leidenschaft, die Atmosphäre, die<br />

Liebe zum Fussball, die Fans, alles<br />

wirklich aussergewöhnlich ist.<br />

Möchtest du dann in Italien bleiben?<br />

In Italien oder anderswo, das werden<br />

wir sehen. Ich bin keinem Land<br />

gegenüber geschlossen. Im Moment<br />

bin ich bei der Reggiana, ich habe<br />

meinen Vertrag bis 2027, also werden<br />

wir sehen, was danach passiert. Ich<br />

möchte diese sechs Monate einfach<br />

nur ruhig verbringen und versuchen,<br />

den Verein zu retten. Was danach<br />

kommt, werden wir später sehen.<br />

Denkst du an die<br />

Nationalmannschaft?<br />

Ja, ganz klar. Das wäre ein Traum. Ich<br />

würde sehr gerne in die Schweizer<br />

Nationalmannschaft kommen.<br />

Natürlich ist das nicht meine<br />

Entscheidung (lacht). Aber ich hoffe,<br />

dass meine Leistungen zumindest bis<br />

zu den Augen des Trainers reichen. Ich<br />

weiss, dass es auf meiner Position viele<br />

Leute gibt und dass es vor allem noch<br />

viel Arbeit gibt, bevor ich es schaffe.<br />

Aber man weiss ja nie. Ich habe keine<br />

Grenzen, was Träume und Ziele<br />

angeht.<br />

Was kann man dir für die Zukunft<br />

wünschen?<br />

Gesundheit, das ist das Wichtigste. Die<br />

körperliche und die psychische<br />

Gesundheit. Weil man nicht oft<br />

darüber spricht, aber die psychische<br />

Gesundheit ist wirklich sehr wichtig.<br />

Ich habe viel gelernt und viel an mir<br />

gearbeitet. Ich konnte lernen, mit<br />

meinen Emotionen umzugehen. Die<br />

letzten zwei Jahre waren hart, aber ich<br />

habe viel gelernt.


ES WAR EINMAL<br />

GIUSEPPE<br />

SANINO


DIE LEIDENSCHAFT ALS<br />

MOTOR<br />

Dies ist die Geschichte eines Mannes, der im April 1957 in der Provinz Neapel<br />

geboren wurde. Giuseppe Sannino ist ein leidenschaftlicher Fussballfan, wie er<br />

sich selbst beschreibt. In den 1970er und 1980er Jahren spielte er als offensiver<br />

Mittelfeldspieler in den italienischen Serien B bis D. 1996 begann er seine<br />

Trainerkarriere in seinem Heimatland. Als Junioren- und später als Amateurtrainer<br />

hat er in alle italienischen Spielklassen trainiert, bis er in die Serie A mit Palermo<br />

und Siena aufgestiegen ist. Seine Karriere ist für viele erstaunlich, da er mit 66<br />

Jahren mehr als die Hälfte seines Lebens (35 Jahre) als Trainer verbracht hat. Als<br />

Spezialist für Aufstiege ist "Monsieur Promotion", wie man ihn nennen könnte,<br />

auch ein echter Globetrotter: vom Land der Tifosis nach England, über<br />

Griechenland, Ungarn, Libyen und nun in die Schweiz mit dem FC Paradiso im<br />

Tessin in der Promotion League. Der Mann hat dazu noch Weltklassespieler wie<br />

Paulo Dybala oder Josip Ilicic trainiert.<br />

TEXT: LUDOVIC CHEVALIER<br />

Was macht dieser reisende Trainer in<br />

einer Promotion League Mannschaft?<br />

Giuseppe Sannino antwortet wenig<br />

überraschend, dass er vor allem aus<br />

Leidenschaft dabei ist: "Ich habe in<br />

mehreren Ländern Meisterschaften<br />

gewonnen. Ich habe<br />

Amateurmannschaften (Varese und<br />

Südtirol) von der vierten Liga bis in die<br />

Serie A geführt. Ich habe den<br />

Europacup, England oder die<br />

afrikanische Champions League erlebt.<br />

Jetzt besteht meine Herausforderung<br />

darin, Paradiso von der Premiere<br />

League Classic in die Challenge League<br />

zu führen."<br />

Der Neapolitaner, der im Oktober 2022<br />

zum Verein kommt, hat bereits in<br />

diesem Sommer den Aufstieg in die<br />

Promotion League geschafft. Und die<br />

Tessiner sind nach der Hälfte der<br />

Meisterschaft hinter Étoile Carouge auf<br />

Platz 2 der Tabelle. Zur Erinnerung:<br />

Paradiso war 2017 nur in der 2.<br />

interregionalen Liga. Zwar sind die<br />

Infrastrukturen der 4. Liga angemessen<br />

und das Budget liegt bei rund 750.000<br />

Franken, doch der ehemalige Trainer<br />

von Watford hat viel Ideen vor. Mit 66<br />

Jahren hat dieser passionierte<br />

Fussballfan seine Karriere noch lange<br />

nicht beendet und er könnte sich<br />

vorstellen, eines Tages wieder ganz<br />

oben zu stehen. Warum nicht in der<br />

Schweiz und in der Super League?<br />

Giuseppe, wie hast du das Jahr 2024<br />

begonnen?<br />

Ich habe das Jahr auf dem Feld mit<br />

einem ersten Training in einer<br />

Doppelstunde am 3. Januar gestartet.<br />

Wir bereiten uns etwa 40 Tage lang vor,<br />

um für den Rückrundenstart gegen<br />

Delémont bereit zu sein. Ich muss<br />

ehrlich sagen, dass die Winterpause in<br />

der Schweiz sehr lang ist.<br />

Warum Paradiso und wie bist du in<br />

der Schweiz gelandet?<br />

Da ich viele Jahre in Varese gelebt<br />

habe, hat mich die Schweiz schon<br />

immer fasziniert, aber es war schwierig,<br />

in die Schweiz einzureisen. Ich kam im<br />

Oktober 2022 eher zufällig in die<br />

Schweiz. Nachdem ich Al-Ittihad in der<br />

ersten libyschen Liga verlassen hatte,<br />

kontaktierten mich einige Amerikaner,<br />

um nach Italien zurückzukehren. Sie<br />

haben über einen Verein mit einem


Dreijahresprojekt gesprochen, aber ich<br />

merkte sofort, dass etwas nicht<br />

stimmte. Und nach einem Monat bin<br />

ich geflohen.<br />

Wirklich?<br />

Ja, ich konnte nicht mehr länger<br />

bleiben. Ich bin in der Nacht<br />

weggelaufen und nach Hause<br />

gegangen. Ich hatte Glück, dass ich in<br />

einem Gespräch mit einen meiner<br />

vielen Kontakte erfahren hatte, dass ein<br />

Verein in der Schweiz einen Trainer<br />

suchte. Als ich mich jedoch nach der<br />

Kategorie umschaute und sie mir von<br />

der Ersten Liga Classic erzählten,<br />

wusste ich nicht wirklich, wie hoch das<br />

Niveau war. Trotzdem überlegte ich<br />

nicht lange und beschloss, das<br />

Angebot anzunehmen, denn das<br />

Wichtigste war, dass ich Lust hatte, auf<br />

dem Platz zu stehen. So kam ich also<br />

zum FC Paradiso in der Schweiz. Den<br />

Rest kennen wir alle, wir haben die<br />

Meisterschaft gewonnen und sind in<br />

die Promotion League aufgestiegen.<br />

Kann man also sagen, dass du dieses<br />

Abenteuer aus Passion angenommen<br />

hast?<br />

Ja, ganz und gar. Es ist die Leidenschaft<br />

für den Fussball denn wenn es keine<br />

Leidenschaft gibt, gibt es auch keine<br />

Arbeit. Alle Berufe müssen mit<br />

Leidenschaft gemacht werden. Wenn<br />

es die Passion nicht gibt, kann man im<br />

Leben nichts erreichen. Und für mich<br />

ist es hier so, als würde ich in der Serie<br />

A trainieren.<br />

Wie siehst du den Schweizer<br />

Fussball?<br />

Der Schweizer Fussball ist reich an<br />

technischen Qualitäten. Zudem sind<br />

die Vereine ab der ersten Liga sehr gut<br />

strukturiert. Was mir sofort aufgefallen<br />

ist, sind die vielen jungen Spieler mit<br />

grossen Qualitäten. Was für eine<br />

Talentschmiede, das habe ich letztes<br />

Jahr gegen einige U21-Mannschaften<br />

sofort gemerkt. Man kann sich<br />

allerdings fragen, warum das so ist, und<br />

es bedauern, dass so viele dieser<br />

jungen Leute auf dem Weg nach oben<br />

scheitern.<br />

Wie stellst du dir deine Zukunft in der<br />

Schweiz vor?<br />

Mein Ziel ist es, wie bei allen, die in<br />

diesem Beruf arbeiten und täglich<br />

besser zu werden. Ich bin als Gast in<br />

dieses Land gekommen. Ich mag es zu<br />

verstehen, ich mag es zu beobachten,<br />

aber vor allem mag ich es, die<br />

Erfahrungen einzubringen, die ich im<br />

Laufe meiner Karriere und auf meiner<br />

Fussballreise gesammelt habe.<br />

Was sind deine Ziele mit Paradiso?<br />

Vielleicht die Challenge League?<br />

Als ich in die erste Liga kam, war es<br />

nicht das Ziel, die Meisterschaft zu<br />

gewinnen, aber wir haben es geschafft.<br />

Dieses Jahr ist das Ziel, Paradiso als<br />

Verein bekannt zu machen, der jungen<br />

Spielern eine Chance gibt. Wir können<br />

uns zum Beispiel nicht mit Étoile<br />

Carouge vergleichen, da wir zu Beginn<br />

nicht darauf ausgerichtet sind, um die<br />

Meisterschaft zu gewinnen.<br />

Giuseppe Sanino ist ein Spezialist für<br />

Promotionen.


Kommen wir zurück zu deiner<br />

Karriere, zu dieser Reise von Palermo<br />

über Honved und Watford, bis hin zu<br />

Siena. Wer war deiner Meinung nach<br />

der grösste Verein, den du trainiert<br />

hast?<br />

Ich denke, dass es mir fast überall, wo<br />

ich trainiert habe, sehr gut gegangen<br />

ist. Jeder hat mir die Möglichkeit<br />

gegeben, zu lernen und vor allem zu<br />

leisten. Sei es in der Serie A, in Siena,<br />

Palermo oder in der Serie B mit Varese,<br />

Chievo und natürlich den Serie-C-<br />

Teams, die ich trainiert habe - das sind<br />

alles sehr grosse Vereine.<br />

Und natürlich hatte ich das Glück, dort<br />

trainieren zu können, wo jeder gerne<br />

hingehen würde: in England, in<br />

Watford. Und es war einfach<br />

unglaublich. Ich war wirklich glücklich,<br />

weil ich in einen Fussball gekommen<br />

bin, der sich wirklich von allen anderen<br />

Ländern unterscheidet. Dort gibt es die<br />

Magie der ständig vollen Stadien, die<br />

Schönheit der extraordinären<br />

Spielfelder und eine 360°-Organisation.<br />

Fast alles läuft über den Fussball. Es<br />

gibt auch das grosse Privileg, nicht mit<br />

der Polizei unterwegs sein zu müssen.<br />

Wenn Sie mit Ihrem Bus am Stadion<br />

ankommen, bitten Sie die Gästefans<br />

um Fotos und Autogramme. Und<br />

dieser Wille, sich in jeder Sekunde zu<br />

beweisen, egal ob man verliert oder 3:0<br />

gewinnt. England ist sicherlich der Ort<br />

mit der schönsten Umwelt, den ich je<br />

zum Kicken gefunden habe.<br />

Man spürt eine gewisse Nostalgie...<br />

Ja, ich habe gekündigt, als wir<br />

Tabellenzweiter der Championship<br />

waren und nur einen Punkt hinter<br />

Norwich lagen. Ein paar Monate später<br />

sind sie durch den Gewinn der<br />

Meisterschaft in die Premier League<br />

aufgestiegen. Wenn du mich fragst, ob<br />

ich etwas in meiner Karriere bereue,<br />

dann ist es das, dass ich in Watford<br />

aufgehört habe.<br />

Du hast mit Budapest auch in der<br />

Europa League gespielt. Ist das<br />

genauso intensiv wie die englische<br />

Liga?<br />

Ich hatte das Glück, die grösste und<br />

erfolgreichste Mannschaft Ungarns zu<br />

trainieren. Sie hat gesunde Strukturen<br />

und ein in sportlicher Hinsicht sehr<br />

beeindruckendes Wachstum in diesem<br />

Land. Mit Honved habe ich tatsächlich<br />

in der Europa League gespielt, unter<br />

anderem gegen Craiova. Wir wurden<br />

Fünfter in der Meisterschaft und<br />

gewannen den ungarischen Pokal. Das<br />

ist keine schlechte Erinnerung!<br />

Du hast Paulo Dybala in Palermo<br />

trainiert. Wie erkennt man einen<br />

grossen oder zukünftigen grossen<br />

Spieler?<br />

Als Dybala nach Palermo kam, war er<br />

ein junger Mann von nur 18 Jahren. Wir<br />

müssen Präsident Zamparini und<br />

seinen Scouts ein dickes Lob für ihre<br />

Arbeit zusprechen, da sie in diesem<br />

Junge ein unglaubliches Talent erkannt<br />

haben. Heute sehen ihn alle als<br />

Nummer 10, aber er kam als<br />

Mittelstürmer, ohne jemals in der<br />

ersten argentinischen Liga gespielt zu<br />

haben oder für die Junioren-<br />

Nationalmannschaft nominiert worden<br />

zu sein. Schon bei seiner Ankunft sah<br />

ich, dass er Talent hatte.<br />

Gibt es andere Spieler, die dir in<br />

Erinnerung geblieben sind?<br />

Es gibt viele Spieler, die in meinen<br />

Vereinen gespielt haben und es ist<br />

immer schwierig, einen Namen zu<br />

nennen, ohne einen zu vergessen. Aber<br />

ich würde Franco Brienza nennen,<br />

"mamma mia...che giocatore", einer<br />

dieser Spieler, die dir alles geben. Ich<br />

könnte dir auch von Francesco Bolzoni<br />

erzählen, der mit 18 Jahren bei Inter<br />

angefangen hat und heute mein<br />

Assistent beim FC Paradiso ist. Ein<br />

goldener Typ, der jeden Tag lernen will.<br />

Ich hatte auch Josip Ilicic, Fabrizio<br />

Miccoli oder Mickael Barreto. Weniger<br />

prominente wie der ehemalige<br />

Liverpooler Sebastian Leto gehören<br />

ebenfalls zu diesen unglücklichen<br />

Spielern.


Er war der erste Spieler, bei dem das<br />

Kreuzband mit dem Band einer<br />

anderen Person rekonstruiert wurde,<br />

und jedes Mal, wenn ich ihn am<br />

Feldrand sah, sagte ich ihm, dass er der<br />

beste Spieler war, den ich je trainiert<br />

hatte.<br />

Aber diese Spieler sind nur die Spitze<br />

des Eisbergs, ich werde nie die Jungs<br />

vergessen, die ich im Jugendbereich<br />

trainiert habe und die mich durch ihre<br />

Leistungen auf dem Spielfeld im Spiel<br />

enorm gefördert und weiterentwickelt<br />

haben.<br />

Kommen wir zurück zu Paradisos<br />

semiprofessioneller Umgebung.<br />

Trainiert man Paulo Dybala anders als<br />

Noah Kamé oder Lorenzo Loiero?<br />

Ich trainiere meinen Kapitän Loiero<br />

und Kamé, als ob er Dybala wäre.<br />

Das ist die Stärke von Paradiso. Als ich<br />

angekommen bin, haben sie sofort<br />

verstanden, dass sie für mich Spieler<br />

der ersten Klasse sind. Es stimmt, dass<br />

du in der Serie A morgens und<br />

nachmittags trainierst und hier nicht<br />

vor halb acht Uhr abends, wenn du<br />

nach acht Stunden Arbeit in der Kälte<br />

trainierst. Aber ich habe versucht,<br />

ihnen klarzumachen, dass wir trotz der<br />

Opfer, die sie bringen, und obwohl wir<br />

nur in der erste Liga spielen, die<br />

Mentalität eines Serie-A-Teams haben<br />

können. Und das ist unsere wahre<br />

Stärke.<br />

Für dieses Jahr habe ich wieder<br />

versucht, einige Änderungen<br />

vorzunehmen, indem wir manchmal in<br />

Doppelstunden, mittags und abends,<br />

trainieren, um eine noch etwas<br />

professionellere Dimension zu<br />

erreichen.<br />

L’actuel entraîneur du FC Paradisio est connu pour être un globetrotteur.


Das Wichtigste ist,dass die Spieler<br />

verstehen, dass man authentisch ist.<br />

Und dass Sie, wenn Sie sprechen, nicht<br />

sprechen, um Metaphern zu bilden.<br />

Ist es nicht schwieriger, wenn die<br />

Infrastruktur und die Mitarbeiterzahl<br />

reduziert werden? Oder passt man<br />

sich an, weil alles eine Frage der<br />

Mentalität ist?<br />

Ich sage immer, dass man überall<br />

organisiert sein kann, wo man hingeht,<br />

in jeder Kategorie, ob es nun die vierte<br />

Liga oder die Super League ist. Mit den<br />

Mitteln, die uns zur Verfügung stehen,<br />

können wir uns so strukturieren, als ob<br />

es sich um die Super League handeln<br />

würde, aber das braucht natürlich viel<br />

Kreativität.<br />

Wenn Sie persönlich sprechen,<br />

glauben Sie noch an die Serie A?<br />

Ja, ich habe noch viele Ziele, die ich<br />

erreichen möchte. Es gab bereits die<br />

Möglichkeit, diese Saison in die<br />

Challenge League zu kommen, aber<br />

ich bin Präsident Caggiano sehr<br />

dankbar, dass er mir die Chance<br />

gegeben hat, bei Paradiso anzufangen,<br />

und ich ziehe es vor, meine Werte über<br />

alles andere zu stellen. Mein Hauptziel<br />

ist es, den Jungs, die ich derzeit habe,<br />

alle möglichen Optionen bieten zu<br />

können, damit diese Mannschaft in<br />

Zukunft noch mehr von mir reden<br />

macht.<br />

Ansonsten, ja warum nicht, hoffe ich,<br />

eines Tages eine Nationalmannschaft<br />

trainieren zu können. Und wieder in die<br />

erste Division zurückzukehren.<br />

Du hast in 26 Jahren 24 Vereine in 6<br />

verschiedenen Ländern trainiert.<br />

Kann man sagen, dass du ein<br />

Fussballglobetrotter bist?<br />

Ja, und ich bin sehr zufrieden damit.<br />

Ich würde sagen, wenn ich vor 10<br />

Jahren die Möglichkeit gehabt hätte,<br />

früher ins Ausland zu gehen, hätte ich<br />

wohl noch mehr international trainiert.<br />

Kommen wir zurück in die Schweiz.<br />

Was ist deine Vision für den<br />

Schweizer und Tessiner Fussball?<br />

Ich schaue mir oft Lugano in der Super<br />

League an, und es ist ein Spiel, das man<br />

gerne sieht. Ich höre oft, dass es<br />

Unterschiede zwischen dem Tessin und<br />

dem Rest der Schweiz gibt, aber das<br />

Niveau und die Infrastruktur sind da.<br />

Und ich glaube, dass in Lugano<br />

momentan der Wille besteht, die Lücke<br />

zu den Allerersten zu verkleinern. Sie<br />

bauen gerade ihr Stadion um, haben<br />

den Schweizer Cup gewonnen und<br />

spielen in der Europa League. Was für<br />

ein Erfolg für den Kanton.<br />

Das Tessin kann sich also zwei Teams<br />

in der Challenge League leisten?<br />

Ich würde es sehr schätzen, wenn es<br />

mehr Tessiner Teams in der Super<br />

League und der Challenge League<br />

gäbe. Und warum nicht auch eine<br />

Erweiterung der Challenge League mit<br />

einer Meisterschaft, in der man von<br />

unten nach oben kämpfen kann.<br />

Dieses Jahr gibt es zum Beispiel in der<br />

Promotion League nur eine einzige<br />

Mannschaft, die aufsteigt. Wenn Sie<br />

nach England gehen, besteht die<br />

zweite Liga aus 24 Mannschaften, Sie<br />

sind wettbewerbsfähiger und geben<br />

jungen Spielern mehr Raum. Auch die<br />

Nationalmannschaft würde davon<br />

profitieren. Viele junge Leute hören zu<br />

schnell auf, weil es- wie ich bereits<br />

erwähnt habe- nur wenige<br />

Mannschaften gibt.<br />

Man kann die Leidenschaft wieder<br />

spüren...<br />

Ja, Fussball ist der Sport des Volkes, ich<br />

spreche nicht von einem Sport der<br />

Armen, sondern vom Sport für alle. Der<br />

Fussball bleibt ein Sport, der sich zu<br />

einem Märchen entwickeln kann. Es<br />

geht also nicht darum, ob es in einem<br />

Kanton eine, zwei oder acht<br />

Mannschaften geben kann.<br />

Das Beste ist, dass der Fussball für<br />

jeden die Möglichkeit bieten kann, ein<br />

professioneller Verein zu werden. Und<br />

das kann überall passieren. Schau, als<br />

ich in Varese war: ich wurde angerufen,<br />

wir waren Letzter in der C2 (die heutige<br />

D4). Wir gewannen im nächsten Jahr


die Meisterschaft, im Jahr darauf die C1-<br />

Meisterschaft und zwei Jahre später<br />

waren wir in der Serie B, bevor wir im<br />

Halbfinale um den Aufstieg in die Serie<br />

A scheiterten. Und als wir in die Serie B<br />

aufgestiegen sind, habe ich den Jungs<br />

gesagt: "Jetzt hat sich eine Tür<br />

geöffnet, durch die wir überall in dieser<br />

Fussballwelt gehen können."<br />

Du kennst Steve Von Bergen gut,<br />

weil du ihn in Palermo trainiert hast,<br />

kann dir das helfen?<br />

Ich habe mich sehr gefreut, ihn<br />

zweimal in Lugano zu sehen. Für mich<br />

war es eine Überraschung, als er<br />

aufhörte zu spielen und sofort<br />

Sportdirektor wurde. Und dann auch<br />

noch bei diesem aussergewöhnlichen<br />

Verein, Young Boys. Wir haben uns<br />

dann ein wenig per SMS ausgetauscht.<br />

Steve ist eine Person mit tadelloser<br />

Erziehung und einem unglaublichen<br />

Grinta auf dem Platz, ein echter Soldat.<br />

Ich bin froh, dass ich ihn<br />

wiedergesehen habe. Fussball ist zwar<br />

ein Sport, bietet aber auch diese<br />

Möglichkeit, Menschen aus der ganzen<br />

Welt zu treffen und kennenzulernen.<br />

Und Steve kennt meine Arbeitsweise.<br />

Mit 66 Jahren hört die Leidenschaft<br />

also nie auf?<br />

Nein, schauen Sie hier bei Paradiso,<br />

diesem Verein, der mir die Möglichkeit<br />

gegeben hat, in ein anderes Land in<br />

der Schweiz zu kommen, ich bin immer<br />

noch so leidenschaftlich. Ich möchte<br />

mich bei Präsident Caggiano, den<br />

Mitarbeitern, den Führungskräften,<br />

allen, die mir nahe stehen und mich<br />

unterstützen, und natürlich bei den<br />

Spielern bedanken. Sie sind die<br />

Hauptakteure.<br />

Und zu meinem Alter: Wenn jemand<br />

meinen Personalausweis sieht, soll er<br />

sich auch mein Training ansehen.<br />

Komm zum Training und stell mir dann<br />

die Frage erneut.<br />

Wäre eine Super League Mannschaft<br />

an sich ein Ziel für das Ende deiner<br />

Karriere in der Schweiz?<br />

Ich setze mir nie Grenzen, es ist immer<br />

der Rasen, der entscheidet. Mein Ziel ist<br />

es, dass durch dieses Team so viele<br />

Menschen wie möglich mich<br />

kennenlernen und mir Chancen geben<br />

können. Es ist ziemlich normal, ganz<br />

unten anzufangen und sich nach oben<br />

zu arbeiten. Also ja, die Super League<br />

ist ein normales Streben, ein Ziel.<br />

Fussball ist zwar ein Sport, bietet aber auch diese<br />

Möglichkeit, Menschen aus der ganzen Welt zu treffen<br />

und kennenzulernen.


TORSCHÜTZENLISTE<br />

SAISON 2023/24 MATCHWEEK 19<br />

1 Chris Bedia 17 Spiele 10 Tore<br />

2 Jonathan Okita 19 Spiele 9 Tore<br />

3 Jean-Pierre Nsame 18 Spiele 9 Tore<br />

4 Chadrac Akolo 18 Spiele 8 Tore<br />

5 Antonio Marchesano 17 Spiele 7 Tore<br />

6 Kaly Sène 18 Spiele 7 Tore<br />

7 Tsiy Ndenge 18 Spiele 7 Tore<br />

8 Matteo Di Giusto 18 Spiele 6 Tore<br />

9 Willem Geubells 18 Spiele 6 Tore<br />

10 Sayfallah Ltaief 17 Spiele 6 Tore


Dan Ndoye<br />

Ein grosser<br />

europäischer Hunger


Dezember 2023. Es ist die<br />

letzte Stunde vor<br />

Mitternacht. Genau 23:19<br />

Uhr, als Dan Ndoye einen Doppelschlag<br />

landet: Er qualifiziert Bologna für das<br />

Viertelfinale des italienischen Pokals<br />

und erzielt sein erstes Tor in Italien. Vier<br />

Minuten vor dem Elfmeterschiessen.<br />

Im Giuseppe Meazza-Stadion. Vor über<br />

64.000 Zuschauern. Gegen den<br />

Tabellenführer und das derzeit beste<br />

Team in der Stiefel: das Inter-Team von<br />

Lautaro Martinez.<br />

Ein Traumszenario. "Das Gefühl ist<br />

unbeschreiblich", sagt er mir. In dem<br />

Kontext des Pokals, in den letzten<br />

Minuten, in einem so legendären<br />

Stadion. Es ist wahrscheinlich einer<br />

meiner schönsten Momente seit<br />

meiner Zeit in Bologna. Wir wollen ihm<br />

das gerne glauben! Ein siegbringendes<br />

Tor, erzielt nach einem monströsen<br />

Sprint, der mit einem köstlichen,<br />

perfekten Heber abgeschlossen wird,<br />

um sein eins gegen eins mit Emil<br />

Audero zu gewinnen. Ein Wunder.<br />

"Eine Liebkosung des Balls, aber auch<br />

ein Sprint, der einem 100-Meter-Lauf<br />

bei den Olympischen Spielen würdig<br />

ist", analysiert La Gazzetta dello Sport<br />

am Tag nach dem Spiel und gibt ihm<br />

die Note 7.<br />

Was mich bei diesem Tor beeindruckt<br />

hat, ist die Ruhe des ehemaligen<br />

Lausanners und seine Fähigkeit, die<br />

Aktion abzuschliessen, auch nachdem<br />

er den Ball kaum zu weit geschoben<br />

hat. Lass uns darüber sprechen. Er ist<br />

nicht meiner Meinung. Er analysiert<br />

sein Tor. «Ich sehe zuerst Zirkzee, der<br />

den Ball bekommt. Ich sehe, wie er<br />

Acerbi tunnelisiert, was Raum vor ihm<br />

freigibt. In diesem Moment weiss ich,<br />

dass ich in die Tiefe gehen muss. Ich<br />

mache einen Lauf, der ihm den Pass in<br />

den Raum andeutet. Und dann weiss<br />

ich, dass es eine gefährliche Aktion<br />

wird. Ich bleibe sehr konzentriert auf<br />

das, was passieren wird. Während<br />

meines Laufs analysiere ich: Ich sehe<br />

die Bewegungen des Torwarts vor mir<br />

und der Verteidiger, die hinter mir<br />

zurückkommen. Und da weiss ich, dass<br />

Daniel Romano<br />

Journalist<br />

blue Sport<br />

Ich mag es nicht,<br />

meine Feierlichkeiten<br />

im Voraus zu planen!<br />

Dan Ndoye<br />

mein erster Kontakt nicht zu kurz sein<br />

darf, weil sonst der Verteidiger hinter<br />

mir zurückkommen kann. Er darf auch<br />

nicht zu lang sein, damit ich den<br />

Torwart konfrontieren kann. Dieser<br />

Kontakt ermöglicht es mir, meinen<br />

Lauf fortzusetzen. Du denkst vielleicht,<br />

er ist zu lang, wie mir auch andere<br />

gesagt haben. Aber wenn ich ihn<br />

kürzer mache, kommt Audero nicht<br />

heraus. Und ich kann nicht<br />

abschliessen.»<br />

Ein Tor, das eine grossartige Arbeit<br />

während der gesamten Aktion krönt.<br />

Ein Tor, das auch schon seit mehreren<br />

Wochen in der Luft lag, wenn man an<br />

die sehr gelungenen Leistungen des<br />

Waadtländers gegen Roma oder<br />

Atalanta denkt. «Ich wollte dieses Tor<br />

schon seit mehreren Wochen erzielen,<br />

das stimmt», gibt er zu. «Ich habe hart<br />

an der Verfeinerung, den Flanken, den<br />

Situationen vor dem Tor im Training<br />

gearbeitet, ich habe gespürt, dass es<br />

passieren würde.» Dennoch hat man<br />

beim Einnetzen des Balls den klaren<br />

Eindruck, dass er trotzdem seine<br />

Jubelgeste nicht unbedingt<br />

vorausgeplant hatte. «Ich mag es nicht,<br />

solche Dinge im Voraus zu planen. Ich<br />

gehe nach Gefühl, um den Moment zu<br />

erleben. Alle sind auf mich gesprungen.<br />

Das war zu gut», gibt der ehemalige


Nach zwei Saisons beim FC Basel wechselte Dan Ndoye für 9 Millionen nach Italien<br />

und Bologna.<br />

Basler zu, der heute in der Mannschaft<br />

mit dem grössten Hype in Italien spielt.<br />

Das Team des Augenblicks<br />

Das Jahr 2023 war eine wundervolle<br />

Hochzeitsreise für den Verein, mit<br />

seiner Stadt und seinem Publikum. Es<br />

ist auch ein historischer Punkterekord<br />

am Ende der letzten Saison in der<br />

Meisterschaft. «Ich spüre, dass sich eine<br />

besondere Chemie um dieses Team<br />

und seine Stadt gebildet hat», sagte<br />

Thiago Motta in der italienischen<br />

Presse, der ehemalige italienische<br />

Nationalspieler und eine Legende von<br />

Inter und PSG mit mehr als 30<br />

Trophäen, darunter 2 Champions-<br />

League-Titel in seiner persönlichen<br />

Sammlung. «Diese Gruppe hat ein<br />

riesiges Herz. Ich habe Spieler, die<br />

zusammenarbeiten, sich gegenseitig<br />

helfen und gut miteinander leben.»<br />

Dan Ndoye bestätigt: «Die<br />

Umkleidekabine ist sehr familiär. Wir<br />

sehen uns auch außerhalb des<br />

Spielfelds. Unter der Woche gehen wir<br />

mit den Teamkollegen gerne die Virtus<br />

Bologna in der EuroLeague spielen<br />

sehen. Ich liebe Basketball. Ich mag<br />

auch die Formel 1. Ich schaue alles im<br />

Fernsehen. Ich konnte noch nie bei<br />

einem Rennen live dabei sein, aber ich<br />

plane, eines Tages den Grossen Preis<br />

von Imola oder Monza zu besuchen, da<br />

es nicht weit von meinem Wohnort<br />

entfernt ist. Ich habe mich bereits bei<br />

einigen Leuten hier erkundigt.»<br />

Kommen wir zurück zum Fussball.<br />

Warum ist der FC Bologna das Team<br />

des Augenblicks? Weil er eine echte<br />

Spielidentität hat, die man natürlich<br />

erkennt: den Wunsch, Fussball zu<br />

spielen, Spass zu haben, so zu spielen<br />

wie auf dem Schulhof am Wochenende<br />

nach harter Arbeit im Training unter<br />

der Woche.


Das Spiel der Stuhlkreise<br />

Das sieht auf den ersten Blick einfach<br />

aus. Aber eine solche Philosophie ist<br />

sehr kompliziert umzusetzen. Zunächst<br />

einmal ist es nicht einfach, den Fussball<br />

von Thiago Motta zu lernen - und zu<br />

verstehen. Damit sein Fußball<br />

funktioniert, habe ich den Eindruck,<br />

dass jeder Spieler ungefähr alles<br />

können muss und dass jeder seine<br />

Mitspieler auswendig kennen muss,<br />

um auf eine Bewegung, eine Idee,<br />

einen Pass, auf alles, was eine Aktion<br />

auslöst, fast sofort vorhersehen oder<br />

reagieren zu können.<br />

auf, sehr hoch zu spielen und<br />

Tiefenläufe zu machen, um das<br />

gegnerische Team zu strecken und<br />

damit wir mehr am Ball spielen<br />

können. Der Trainer war entscheidend<br />

für meine Entscheidung, nach Bologna<br />

zu kommen, weil ich wusste, dass er<br />

gerne spielt und den Ball haben will.<br />

Und so macht es mir Spass.» Der Spass<br />

am Spielen, wie mit 8 Jahren auf dem<br />

Schulhof, wieder einmal.<br />

Eine Idee, die sich auf dem Spielfeld<br />

bestätigt. Nehmen Sie zum Beispiel<br />

Ndoye. Der Waadtländer ist auf dem<br />

Papier Flügelspieler. Aber er kann auch<br />

so viele andere Dinge in einem<br />

einzigen Spiel sein, ein bisschen wie ein<br />

riesiges Spiel der Stuhlkreise, abhängig<br />

davon, was passiert oder wer den Ball<br />

führt. Mal sehen Sie ihn auf der rechten<br />

Seite im Flügelmodus, mal werden Sie<br />

überrascht sein, ihn sich lösen zu<br />

sehen, im Herz des Spiels oder sogar<br />

manchmal auf der anderen Seite, da<br />

einer seiner Teamkollegen den Bereich<br />

abgedeckt hat, der durch den<br />

ehemaligen Lausanner verwundbar<br />

hinterlassen wurde. Sich gegenseitig<br />

auswendig kennen, um dem Gegner<br />

keine Anhaltspunkte zu geben. «Es ist<br />

ein Positions- und kein Rollenspiel»,<br />

bestätigt Ndoye. «Der Trainer<br />

beschränkt sich nicht darauf, uns eine<br />

Rolle zuzuweisen und uns zu<br />

blockieren.»<br />

«Thiago Motta<br />

entscheidend bei meiner<br />

Wahl»<br />

Und dann gibt es auch diesen Fokus<br />

auf den Ballbesitz, um das Spiel zu<br />

organisieren (durchschnittlich 53,5%<br />

Ballbesitz bis zum 31. Dezember), tief zu<br />

spielen, auf den Gegner zu warten und<br />

dann die Tiefe zu suchen, sobald die<br />

Falle zugeschnappt ist. «In meiner Zone<br />

zum Beispiel muss ich manchmal<br />

weniger den Ball berühren, um den<br />

Verteidigern oder Mittelfeldspielern<br />

mehr Platz zu lassen, um das Spiel<br />

aufzubauen», bestätigt Ndoye. «In<br />

solchen Fällen fordert mich der Mister<br />

Gegen Inter Mailand erzielte der Schweizer<br />

Nationalspieler sein erstes Tor.


In Wirklichkeit ist das nichts<br />

Überraschendes. Wenn Sie sich nicht<br />

daran erinnern können, schauen Sie<br />

sich an, wie Thiago Motta Fussball<br />

gespielt hat. Er hatte eine so enge, so<br />

verschmolzene Beziehung zum Ball. Er<br />

war ein «Ballträger». Er holte ihn sehr<br />

tief ab. Er war manchmal der erste<br />

Spielaufbauer und spielte tiefer als die<br />

Verteidigungslinie, ähnlich wie Pirlo es<br />

tat. Es ist nicht überraschend, dass sein<br />

Team heute so spielt. Ein Team, das<br />

auch ohne den Ball aktiv ist: Wenn es<br />

den Ball nicht besitzt, ist es eine der<br />

wenigen Mannschaften in Italien<br />

neben Juventus und Inter, die den<br />

taktischen Kontext aktiv vorgibt.<br />

Wie also kann man all das von seinen<br />

Spielern erwarten und empfangen?<br />

Indem man an Vertrauen und<br />

Teamgeist arbeitet. Der Trainer hat die<br />

volle Aufmerksamkeit seiner<br />

Umkleidekabine. Die Spieler betonen<br />

oft in der Presse, dass sie an ihr grosses<br />

Ziel glauben, nächste Saison in Europa<br />

zu sein, gerade weil ihr Trainer an sie<br />

glaubt, und im Gegenzug glauben sie<br />

an ihn.<br />

Zurück im Februar<br />

erletzt am Ischias, befindet sich Dan<br />

Ndoye seit seiner Verletzung gegen<br />

Atalanta am 23. Dezember in voller<br />

Rehabilitation. Der Schmerz ist bereits<br />

weniger stark als zu Beginn. «Es ist eine<br />

schwierige Verletzung, die in den<br />

ersten Tagen schwer zu akzeptieren<br />

war, weil ich in einer sehr guten Phase<br />

war, in der ich spürte, dass alles gut für<br />

mich und das Team lief», bedauert der<br />

Schweizer Nationalspieler. «Es ist<br />

schwer, sich zu diesem Zeitpunkt zu<br />

verletzen, aber ich sage mir, dass es<br />

zum Fussball gehört. Sobald ich<br />

wusste, wie lange ich ausfallen würde,<br />

habe ich die Bedingungen geschaffen,<br />

um mich meiner Rehabilitation<br />

widmen zu können, um bereit zu sein,<br />

auf die bestmögliche Weise<br />

zurückzukehren», enthüllt er, der die<br />

Serie A in seiner Kindheit mit<br />

leuchtenden Augen verfolgte. «Ich


liebte Ronaldinho in seiner Zeit beim<br />

AC Milan. In dieser Liga zu spielen, ist<br />

ein Traum, der wahr wird», sagte er<br />

kürzlich in La Gazzetta dello Sport.<br />

Seine Rückkehr wird auf etwa den 14.<br />

Februar geschätzt, zum Zeitpunkt der<br />

Wiederaufnahme der europäischen<br />

Wettbewerbe: der Champions League,<br />

der Europa League, die er bereits mit<br />

Nice gespielt hat, und der Conference<br />

League, die er bereits mit Basel<br />

bestritten hat. Die europäischen Pokale<br />

haben Ndoye und seine Teamkollegen<br />

im Visier. Wenn dieses Team im Jahr<br />

2024 das bietet, was es 2023 gezeigt<br />

hat, dann würde ich es ihnen sehr übel<br />

nehmen, wenn sie nicht versuchen,<br />

etwas zu erreichen, solange sie vier<br />

oder fünf Spieltage vor Ende der Saison<br />

noch oben in der Tabelle stehen.<br />

Mit der Nati in Deutschland<br />

Ein Saisonende, das mit der<br />

Europameisterschaft in Deutschland<br />

und einem ersten grossen Turnier mit<br />

der Schweiz krönen wird. Wenn der in<br />

Nyon geborene Spieler weiterhin so<br />

regelmässig in der Serie A spielt, wenn<br />

er die gleichen Leistungen wie 2023<br />

zeigt, wenn er dieses Niveau beibehält<br />

und dabei entscheidend ist und einen<br />

Europaplatz mit Bologna sichert, dann<br />

werde ich es sehr schwer verstehen<br />

können, wenn er nicht mit dabei ist.<br />

Besonders, da er an der<br />

Qualifikationskampagne<br />

teilgenommen hat. «Ich hoffe,<br />

ausgewählt zu werden und eine<br />

grossartige Europameisterschaft zu<br />

spielen», sagt er unter anderem, wenn<br />

man ihn nach seinen Wünschen für<br />

das neue Jahr fragt. «Ich hoffe,<br />

weiterhin in der Nationalmannschaft<br />

und im Verein so oft wie möglich gut<br />

zu performen und entscheidend zu<br />

sein. Und nach dieser Verletzung hoffe<br />

ich, von Verletzungen verschont zu<br />

bleiben.» Möge es so sein.


MERCATO<br />

WINTER<br />

TRANSFERMARKT<br />

AUSGABEN<br />

FAIRNESS


it der Ankunft der kalten Tage und der mit Schnee bedeckten<br />

Fussballspiele kommt auch der Wintermercato. Der kleine Bruder<br />

des Sommermercatos wird manchmal in seiner Nützlichkeit in<br />

Frage gestellt, obwohl die Ausgabe 2023 alle Rekorde gebrochen<br />

zu haben scheint. Über 1,46 Milliarden Euro wurden im letzten<br />

Jahr in diesem Zeitraum ausgegeben. Diese Summe könnte auch in diesem<br />

Winter wieder Rekordwerte erreichen und hängt von der Situation einiger<br />

Vereine ab, die sich retten, einfach nur verstärken oder auch Verletzungen<br />

ausgleichen müssen.<br />

TEXT: HUGO SIMON<br />

FOTO: FC BÂLE<br />

ALLES FÜR DIE KOMMISSSION<br />

Ein Mercato, der normalerweise als<br />

Ergänzungsmercato bezeichnet wird, nahm im<br />

letzten Jahr mit über 4.387 registrierten<br />

internationalen Bewegungen eine ganz andere<br />

Dimension an. Nie zuvor hatte der Wintermercato<br />

solche Höhen erreicht, was die Ausgaben und die<br />

Bewegungen zwischen den Vereinen betraf. Und<br />

die winterliche Transferperiode, die wir gerade<br />

erleben, könnte in die gleiche Richtung gehen oder<br />

sogar noch stratosphärischere Zahlen erreichen.<br />

Vor einigen Monaten hat die FIFA eine Regelung<br />

für Spielerberater und eine Obergrenze für die<br />

Provisionen, die Spielerberater bei jedem Transfer<br />

erhalten, in Kraft gesetzt. Eine Regelung, die in<br />

vielen europäischen Fussballnationen Fragen<br />

aufgeworfen hat und die die FIFA deshalb für<br />

diesen Winter vorübergehend aufheben wird.<br />

Deshalb wird der Winter 2024 wahrscheinlich der<br />

letzte Zeitraum sein, in dem es keine Regulierung<br />

der Provisionen für Spieleragenten gibt. In der<br />

Angst vor dieser Regelung gibt es bei einigen<br />

Vermittlern die Tendenz, bei einigen Transfers in<br />

diesem Winter etwas mehr Druck zu machen, um<br />

eine volle Provision ohne Obergrenze zu erhalten.<br />

In diesem Sinne ist eine Rekordzahl von 5.000<br />

internationalen Transfers zu erwarten.


EIN MERCATO MIT BRITISCHEM AKZENT<br />

Aber trotz der jährlich steigenden Zahlen sorgt der Wintermercato für<br />

Diskussionen und sein Sinn wird manchmal in Frage gestellt. Eine Debatte,<br />

die England nicht betrifft. Die englische Liga ist mit Sicherheit die Liga, in<br />

der die Transferperiode im Januar ihren Rhythmus findet und die am<br />

meisten unter einer möglichen Einstellung des Wintertransfermarkts leiden<br />

würde. Die englischen Vereine allein waren im Januar letzten Jahres für 57,3<br />

% der weltweiten Gesamtausgaben in Höhe von 835 Millionen Euro<br />

verantwortlich. Acht der zehn ausgabenstärksten Vereine sind in<br />

Grossbritannien tätig, wobei Chelsea mit über 300 Mio. Euro im Winter des<br />

letzten Jahres der Spitzenreiter ist. Dieser ausgabefreudige Verein, der in der<br />

Liga auf einem traurigen neunten Platz liegt, wird in Zukunft noch mehr<br />

Geld ausgeben. Das hängt auch davon ab, ob Vereine wie Chelsea oder<br />

Manchester United das Sparschwein für einen neuen Rekordtransfer platzen<br />

lassen, wie es bei Enzo Fernandes und seinen 120 Millionen Euro im Januar<br />

der Fall war.<br />

EIN MANGEL AN FAIRNESS<br />

Die Zahlen zeigen, dass sowohl die Vereine als auch die Spieler<br />

immer noch ein Interesse daran haben, eine Transferperiode im<br />

Winter zu behalten. Doch neben der Frage nach dem Sinn<br />

dieses Mercatos stellt sich auch eine andere Frage, nämlich die<br />

nach der Fairness. Denn der Wintertransfermarkt bleibt,<br />

zumindest in Europa, eine Möglichkeit, den Kader mitten in<br />

einer Meisterschaft zu verändern. Und in dieser Hinsicht sind die<br />

reichsten Vereine immer noch am meisten bevorteilt. In vielen<br />

europäischen Ländern ist es nicht ungewöhnlich, dass Klubs, die<br />

in ihrer jeweiligen Liga schlecht abschneiden, ihre Saison durch<br />

einen Wintertransfermarkt retten und damit das Gesicht der<br />

Mannschaft verändern. Ein Verein wie Lyon, der derzeit um den<br />

Klassenerhalt in der Ligue 1 kämpft, wird in diesem Mercato<br />

nicht mit gleichen Waffen wie Clermont oder Metz kämpfen. Mit<br />

einem doppelt oder sogar dreifachen Budget ist es schwer<br />

vorstellbar, dass OL am Ende der Saison absteigt. Ein Beweis<br />

dafür ist die kürzliche Verpflichtung von Malick Fofana von KAA<br />

Gent für 17 Mio. Euro, ein Spieler, den sich kein anderer Verein<br />

aus dem Tabellenkeller leisten könnte. Eine Situation, die in<br />

unserer nationalen Liga mit dem FC Basel besteht. Der Basler<br />

Klub, der mit 18 von 54 möglichen Punkten sehr schlecht<br />

dasteht, hat ein viel höheres Budget als Lausanne-Ouchy oder<br />

Yverdon-Sport, die direkten Konkurrenten des FCB in dieser<br />

Saison. Basel hat bereits Nicolas Vouilloz offiziell verpflichtet.<br />

Der Wert eines Wintertransfermarktes ist also nicht mehr zu<br />

beweisen: Die Ausgaben und Transaktionen belegen dies. Aber<br />

die Zunahme der Aktivitäten im Winter erweitert die Lücke<br />

zwischen den Klubs mit drastisch unterschiedlichen Budgets.<br />

Aus dieser Perspektive können wir es in Frage stellen, weil der<br />

Wintermercato immer mehr Geld für immer weniger Fairness<br />

bedeutet.


TALENT DER ZUKUNFT<br />

ARDON<br />

JASHARI<br />

EIN KONTROVERSER


ABER FASZINIERENDER<br />

SPIELER


ls Opfer seiner zahlreichen Polemiken ist der Newcomer des<br />

Schweizer Fussballs bei den Fans umstritten. Dennoch ist sein<br />

Potenzial zweifellos gross und sein Talent strahlt die Super<br />

League aus.<br />

TEXT: ROBIN GODINAT<br />

FOTOS: FC LUCERNE<br />

Entweder man liebt ihn oder man hasst ihn. Mit seinen<br />

21 Jahren sorgt Ardon Jashari bereits für viel Wirbel.<br />

Diese Mischung aus Talent, Charakter, Stil und Potenzial<br />

kann nur explosiv sein. Sowohl in der Super League für<br />

den FC Luzern als auch in der Nationalmannschaft hat<br />

der defensive Mittelfeldspieler seit einem Jahr viel<br />

Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zwischen seinen<br />

XXL-Leistungen, Polemiken mit der Nati und einem<br />

gescheiterten Transfer wurde schnell klar, dass Jashari<br />

die Schlagzeilen des Schweizer Fussballs für viele Jahre<br />

beschäftigen würde. Wie konnte der Luzerner Talent in<br />

anderthalb Jahren so viel Begeisterung wecken?<br />

Ardon Jashari machte seine ersten Schritte in der<br />

Profiwelt am 31. Januar 2020, als der FC Luzern 2:1 gegen<br />

den FC Zürich siegte. Während dieser Partie spielte<br />

Jashari nur eine Minute. Fabio Celestini, der damalige<br />

Trainer des FC Luzern, gab ihm jedoch bereits am<br />

nächsten Spieltag gegen den FC Basel (0:0) 27<br />

Spielminuten. Danach dauerte es eineinhalb Jahre, bis<br />

das Luzerner Juwel wieder in der Super League zu<br />

sehen war. Erneut gegen den FC Basel, aber diesmal 90<br />

Minuten lang. Seitdem ist er ein wichtiger Akteur im<br />

Mittelfeld der Mannschaft von Mario Frick. Sein Talent ist<br />

viel zu gross, dass der Trainer auf ihn verzichten könnte.<br />

Ardon ist in der Luzerner Elf nicht mehr wegzudenken<br />

und gehört mittlerweile zu den besten Spielern der<br />

Super League. Mit einem geschätzten Wert von 6,5<br />

Millionen Euro ist er der Spieler mit dem höchsten<br />

Marktwert in der Schweizer Liga.<br />

Beeindruckende Gelassenheit mit dem Ball<br />

Ardon Jashari profiliert sich durch seinen besonderen<br />

Stil. In seiner Rolle als Nummer 6 bietet er eine wichtige<br />

Unterstützung bei dem Pressing. Mit weniger als 100<br />

Spielen als Profi zeigt er dennoch eine beeindruckende<br />

Reife mit dem Ball, die sogar eine gewisse Eleganz<br />

aufweist. Seine Spiel- und Raumübersicht ermöglicht es<br />

ihm, sich von den vielen individuellen Markierungen,<br />

unter denen er leidet, zu befreien. Diese Qualität kommt


seinen Mitspielern zugute, die daran gewöhnt<br />

sind, sich auf ihn zu verlassen, um das Spiel nach<br />

vorne zu bringen.<br />

Auch ohne Ball unterstützt er oft die<br />

Innenverteidigung, indem er aus dem Mittelfeld<br />

aufrückt. Mit seinen 1,81 m glänzt er auch im<br />

Luftspiel und kann entscheidend sein (3 Tore und<br />

eine Vorlage im bisherigen Saisonverlauf). Jashari<br />

fasziniert auch durch seine Führungsqualitäten,<br />

was ihm bereits in seiner ersten Profisaison die<br />

Kapitänsbinde einbrachte, wobei er von den<br />

wiederholten Abwesenheiten von Gentner und<br />

Schürpf nutzte. Eine Rolle, die Jashari nach ein<br />

paar Turbulenzen in diesem Sommer wieder<br />

verlor.<br />

Ein geplatzter Transfer zum FC Basel und der<br />

Beginn einer Kontroverse<br />

Aufgrund des Auftritts des jungen Talents in der<br />

Saison 2022-23 wurden zahlreiche europäische<br />

Vereine auf ihn aufmerksam. Zu den<br />

Hauptinteressenten gehörten Vereine aus der<br />

Bundesliga, darunter Werder Bremen und<br />

Borussia Mönchengladbach, aber auch<br />

Anderlecht, Juventus, Bologna... und der FC<br />

Basel. Der rheinische Verein stand im Juli kurz<br />

davor, sich die Dienste des Spielers zu sichern,<br />

nachdem Jashari öffentlich seinen Wunsch<br />

äusserte, zu Basel zu wechseln. "Zusammen mit


meinem Berater und meiner Familie haben wir<br />

beschlossen, dass es Zeit für einen Wechsel ist. Wir<br />

sind zu dem Schluss gekommen, dass ich in der<br />

Schweiz bleiben möchte. Ich bin überzeugt, dass ich<br />

in Basel den nächsten Schritt in meiner Karriere<br />

machen kann", hatte er in einem Interview für die<br />

Luzerner Zeitung gesagt. "Ich fordere die<br />

Verantwortlichen auf, mit Basel zu verhandeln".<br />

Eine Bitte, die von der Luzerner Führung kategorisch<br />

abgelehnt wurde, da sie den Spieler nicht an eine<br />

Mannschaft verkaufen wollte, die nun in der Super<br />

League konkurrierte. Jasharis öffentlicher Wille, in die<br />

Basler Reihen zu wechseln, gefiel Luzern nicht, und<br />

sie beschlossen, ihn zu bestrafen, indem sie ihm die<br />

Kapitänsbinde abnahmen. Erst im November letzten<br />

Jahres gegen die Grasshoppers erhielt er sie wieder<br />

zurück.<br />

Die Ablehnung, für die<br />

Schweizer U21-<br />

Nationalmannschaft zu spielen<br />

Dies ist nicht die einzige<br />

Polemik, die Jashari ins<br />

Rampenlicht brachte. Seine<br />

Geschichte mit der<br />

Nationalmannschaft ist bereits<br />

besonders turbulent. Jashari trug<br />

das Schweizer Trikot zum ersten


Mal im März 2022, als er mit der U21 gegen Wales<br />

spielte. Seine Entwicklung war so rasant, dass er<br />

schon bald in die Nationalmannschaft aufgenommen<br />

wurde. Murat Yakin bot ihn im September 2022 zum<br />

ersten Mal auf. Er spielte zwar nur eine Minute gegen<br />

die Tschechische Republik, aber seine Leistung in der<br />

Super League reichte aus, um den Nationaltrainer<br />

davon zu überzeugen, ihn für die Weltmeisterschaft<br />

in Katar zu nominieren.<br />

Ungeachtet dessen sorgte der Name Jashari<br />

während des Turniers für viel Gespräch, insbesondere<br />

nach dem Spiel gegen Serbien. Nach dem Sieg der<br />

Schweiz zog Granit Xhaka sein Trikot an, um das<br />

Ergebnis zu feiern. Obwohl er erklärte, er wolle den<br />

jungen Spieler ehren, sorgte die Geste für<br />

Kontroversen, da Jashari auch der Name eines der<br />

wichtigsten Gründer und Führer der Kosovo-<br />

Befreiungsarmee (UÇK), Adem Jashari, ist - der in<br />

Serbien als Krimineller gilt. Eine Aktion, die für viel<br />

Aufsehen sorgte. Seitdem hat er nicht mehr unter<br />

dem Trikot der Nati gespielt.<br />

Jasharis Popularität hat im November einen weiteren<br />

Rückschlag erlitten. Der in Cham (Zug) geborene<br />

Jashari lehnte sein Aufgebot für die letzte<br />

Zusammenkunft des Jahres ab, nachdem er sich in<br />

der U21 zu einem Stammspieler entwickelt hatte. Mit<br />

dieser Entscheidung zog er den Unmut der<br />

Beobachter auf sich, von denen einige darin eine<br />

Arroganz und andere einen Mangel an<br />

Professionalität sahen. Indem er seinen Platz in der<br />

ersten Mannschaft für selbstverständlich hielt,<br />

brachte er viele Fans gegen sich auf, potenziell aber<br />

auch den Schweizer Verband. Es ist nicht sicher, dass<br />

er 2024 erneut in die von Trainer Sascha Stauch<br />

geleitete Schweizer Jugendauswahl aufgeboten wird.


Der Nachfolger von Granit<br />

Xhaka?<br />

Wenn man von Jashari<br />

spricht, kommt ein<br />

offensichtlicher Vergleich<br />

auf. Ein defensiver<br />

Mittelfeldspieler mit<br />

kosovarischen Wurzeln,<br />

einem gewissen<br />

Temperament,<br />

Führungsqualitäten und<br />

einer hervorragenden<br />

Raumaufteilung. Wie<br />

könnte man da nicht an<br />

Granit Xhaka denken? Auf<br />

jeden Fall scheint sich<br />

Ardon als sein würdiger<br />

Nachfolger auszuzeichnen.<br />

Er hätte den Vergleich mit<br />

dem Nati-Kapitän nicht<br />

gebraucht, um zusätzlichen<br />

Druck aufzubauen - Jashari<br />

hat schon genug davon. Die<br />

Erwartungen sind hoch,<br />

denn nur wenige Schweizer<br />

Nachwuchsspieler haben so<br />

viel Potenzial gezeigt. Das<br />

bringt ihm solche Kritik ein,<br />

sobald er einen falschen<br />

Schritt macht. Jashari wird<br />

Ausdauer, Professionalität<br />

und viel Arbeit brauchen,<br />

um das Niveau seines<br />

älteren Bruders zu<br />

erreichen.<br />

Photo: FC Lucerne<br />

In der Zwischenzeit wird er<br />

Luzern möglicherweise im<br />

nächsten Sommer<br />

verlassen, was ihm einen<br />

Schritt nach vorne in seiner<br />

Karriere ermöglichen<br />

könnte. Ein wichtiger<br />

Sprung für Jashari, der mit<br />

Spannung erwartet wird.<br />

Die Angst, dass er<br />

enttäuschen wird, ist da,<br />

aber der<br />

Hoffnungsschimmer, dass<br />

er explodieren wird,<br />

dominiert.<br />

Photo: Thomas Henzelin


Julien Moret<br />

Fondateur<br />

KMedia / <strong>Corner</strong> <strong>Magazine</strong><br />

L’avis<br />

Aigusé<br />

21 Jahren und mit klaren Vorstellungen, das kann man wohl sagen: Ardon Jashari ist<br />

ein Spieler und ein junger Mann mit Charakter. Nicht umsonst ist er trotz<br />

Entscheidungen, die man als unklug bezeichnen könnte, (seine Entscheidung, nicht<br />

mehr mit der Schweizer U21-Nationalmannschaft spielen zu wollen) Kapitän seines<br />

Teams,. Die Ära des Juwels aus Luzern, der von einem gewissen Fabio Celestini mit 18<br />

Jahren und einem Tag eingeführt wurde, geht endlich zu Ende. Luzern ist zu klein für<br />

ihn, und auf kleiner oder grosser Ebene (fragt mal bei Mbappé nach), ist das nie gut<br />

für gemeinsame Interessen. Das weiss Ardon. Er stellt heute eine finanziell zu wichtige<br />

Ressource dar, als dass sein FC Luzern etwas tun würde, was nicht in seine Richtung<br />

geht. Aber sprechen wir über Fussball. Denn im Fussball ist Jashari purer Genuss.<br />

Was mich an diesem Spieler am meisten fasziniert, ist seine Reife im Spiel. Im System<br />

von Mario Frick ist er der, der das Spiel und das Tempo seines Teams vorgibt. Er ist so<br />

versiert, dass er immer entscheidender wird. Ohne Ball ist er ebenfalls der Chef. Trotz<br />

seiner relativ geringen Grösse (1,81 m) ist er in Zweikämpfen und beim Ballgewinn<br />

präsent. Nicht überraschend ist er der, der auf dem Feld die Anweisungen gibt. Die<br />

Parallelen zu Granit Xhaka sind sehr deutlich. In ihm sehe ich das Granit, das ich 2011<br />

an der Seite von Benjamin Huggel gesehen habe. Wenn man die einzigartige Eleganz<br />

von Xhaka wegnimmt, ist Die Einstellung auf dem Spielfeld fast identisch.<br />

Für mich hat Ardon das "Unglück", nicht in einem der beiden besten Clubs des<br />

Landes zu spielen, wie die meisten der grössten Talente der Schweiz der letzten 20<br />

Jahre. Im vergangenen Sommer hat er das verstanden und versucht, seinen Wechsel<br />

zum FC Basel zu erzwingen. Leider hat das für den Schweizer Fussball nicht geklappt.<br />

Ja, leider. Denn der Wechsel von Luzern zu einem Club der Big 5 ist keine leichte<br />

Aufgabe. Es ist sogar fast unmöglich, wenn man auf einen ambitionierten Verein<br />

abzielt. Ruben Vargas, trotz seines grossen Talents, fristet seit fast 5 Jahren sein Dasein<br />

bei Augsburg. Leonidas Stergiou hat trotz 153 Spielen für St. Gallen im Alter von 21<br />

Jahren seit Beginn der Saison nur 38 Minuten Bundesliga gespielt. Tatsächlich sind<br />

die Erfolgsaussichten für seinen zukünftigen Wechsel zu einem der fünf grossen<br />

Ligen - rein sportlich betrachtet - gering, es sei denn, es handelt sich um einen Verein,<br />

der irgendwann gegen den Abstieg kämpft. Man muss hoffen, dass auch hier Ardon<br />

die Dinge nicht so angeht wie die anderen. Denn die Schweiz bringt nicht alle drei<br />

Jahre einen jungen Spieler seines Kalibers und Talents hervor.

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