April/Mai 2024 - coolibri
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26 | Theater<br />
Gravity & Other Myths zeigt „The Pulse“<br />
Foto: Carnival Cinema<br />
AKTUELLES VOM GRÜNEN HÜGEL<br />
Eine Vorschau auf die am 1.5. startenden RUHRFESTSPIELE RECKLINGHAUSEN <strong>2024</strong><br />
Was in Theatern heute verboten<br />
ist, war von der griechischen<br />
Antike bis zur Shakespearezeit<br />
völlig normal: Laute Kommentare,<br />
herzliches Lachen oder<br />
Buhrufe, dazu wurde natürlich gegessen und<br />
reichlich getrunken. Und auf der Bühne wurde<br />
nicht mit deftigen Darstellungen von Krieg,<br />
Mord und Intrige gegeizt.<br />
Mit diesem historischen Blick zurück zu den Anfängen<br />
der Schauspielkunst fasst Ruhrfestspiel-<br />
Intendant Olaf Kröck sein diesjähriges Programm<br />
auf dem Recklinghäuser Hügel zusammen:<br />
Theater ist für ihn „Vergnügen und Verlust“.<br />
Zur ersten Kategorie gehört das Volksfest<br />
am 1.5. mit Band-Contest, Open-Air-Performances<br />
und Kunstausstellung. Mitte <strong>Mai</strong> lädt<br />
Starschauspieler Lars Eidinger als DJ zu seiner<br />
Autistic Disco-Party ein und die Silent-Disco-Walking<br />
Tour mit Guru Dudu bildet einen krönenden<br />
Abschluss. Die Sparte des Neuen Zirkus hat<br />
es aus dem Nischendasein geschafft, deshalb eröffnet<br />
„The Pulse“ von der australischen Gruppe<br />
„Gravity & Other Myths“ das fünfwöchige Festival.<br />
Die akrobatische Synchronität der 24<br />
Athlet:innen schafft atemberaubende Bilder vom<br />
Einzelnen in der Masse. Mut und Balancegefühl<br />
beweist die Schweizer Truppe „FahrAwaY“, die<br />
sich an die Europalette wagt, die Teil eines exakt<br />
komponierten Happenings wird. In ihrem speziellen<br />
„Ballett“ sind sogar die Instrumente der<br />
Livemusik selbst gezimmert.<br />
Der zweiten Kategorie „Verlust“ sind wohl eher<br />
die Schauspielstücke zugeordnet. Neugierig<br />
macht eine Produktion der „werkgruppe2“, deren<br />
Arbeit Interviews mit Polizeibeamt:innen zugrunde<br />
liegen. Akteur:innen vom Schauspiel<br />
Hannover loten in „Hier spricht die Polizei“ die<br />
Grenzen von Gewalt, psychischem Druck und<br />
der Verteidigung von Grundrechten aus. Ein anderes<br />
Thema behandelt „Dibbuk – zwischen<br />
(zwei) Welten“, der Titel steht als Sinnbild für eine<br />
fremde Kultur im eigenen Körper. Im jüdischen<br />
Volksglauben ist vom bösen Totengeist in<br />
einem Lebenden die Rede, ein Art Besessenheit,<br />
die irrationales Verhalten auslöst. In der gleichnamigen<br />
Uraufführung treffen Schauspieler:innen<br />
aus Afghanistan, Deutschland, Frankreich,<br />
Italien, Iran, Israel und Russland aufeinander<br />
und erzählen die Geschichte eines Brautpaares,<br />
das von dem Dämon eines Toten heimgesucht<br />
wird.<br />
Tragische Helden, ein Fußballdrama und viel<br />
Bewegung<br />
Verlustreich ist auch Shakespeares „König Lear“,<br />
der mit seinem Erbe an die drei Töchter jede<br />
Menge Neid, Machtgelüste und Intrigen auslöst.<br />
Schauspieler Wolfram Koch bestreitet die Titelrolle<br />
in einer Inszenierung von Jan Bosse, stetig<br />
auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit.<br />
Tragische Helden gibt’s bekanntermaßen auch<br />
im Fußballstadion: Die Ruhrfestspiele erinnern<br />
an das Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft<br />
zwischen Deutschland und Frankreich 1982 in<br />
Sevilla. Der Direktor des Deutschen Fußballmuseums<br />
Dortmund, Manuel Neukirchner, hat zu<br />
dem nervenaufreibenden Ereignis einen dokumentarischen<br />
Text verfasst, der in einer szenischen<br />
Lesung von Peter Lohmeyer präsentiert<br />
wird: „Die Nacht von Sevilla – Fußballdrama in<br />
fünf Akten“. Sportlich wird’s auch in den fünf<br />
Tanzproduktionen, die nach Recklinghausen<br />
kommen, darunter ist eine aus Südkorea. Choregrafin<br />
Eun-Me Ahn ist durch ihr Land gereist<br />
und hat Großmütter gebeten, für sie zu tanzen.<br />
Begeistert von der Vielfalt der Ausdruckskraft<br />
entstand so die lebensfrohe Show „Dancing<br />
Grandmothers“ mit Tänzer:innen ihrer Kompanie<br />
und Amateurinnen höheren Alters. Respekt!<br />
Literaturkritiker und Moderator Denis Scheck<br />
freut sich dieses Jahr über den hochdekorierten<br />
Gast und Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah.<br />
Der als herausragender postkolonialer Schriftsteller<br />
gefeierte Autor liest aus seinem Comingof-Age-Roman<br />
„Das versteinerte Herz“, in dem<br />
Migration eine wesentliche Rolle spielt. Zur inhaltlichen<br />
Vertiefung empfiehlt sich die Veranstaltungsreihe<br />
„Resonanzen“, ein Festival der<br />
Schwarzen deutschsprachigen Belletristik mit<br />
Diskussionen und Impulsvorträgen. Interessant<br />
ist das Format, in dem Literaturneulinge aus<br />
Texten lesen, deren Erzählstrukturen und Motivik<br />
denen anderen Schwarzer Schriftsteller:innen<br />
gegenüber gestellt wird. Vom 30.5. bis 2.6.<br />
läuft das von Sharon Dodua Otoo und Patricia<br />
Eckermann kuratierte Literaturtreffen. as<br />
Ruhrfestspiele Recklinghausen <strong>2024</strong>,<br />
1.5.-8.6., diverse Locations;<br />
ruhrfestspiele.de; Facebook: Ruhrfestspiele.Recklinghausen,<br />
Instagram: ruhrfestspiele