w | Titelstory Foto: Alex Weis „POLITIK MACHEN WIR ALLE, UM DINGE ZU VERBESSERN UND PROBLEME ZU LÖSEN.“ Innenminister Herbert Reul im Interview mit w 6 www.diewirtschaft-koeln.de
Titelstory | w Offen, persönlich und ohne Beschönigungen – Herbert Reul sprach mit uns unter anderem über aktuelle und zukünftige innenpolitische Herausforderungen der Landespolitik, die Rolle der Politik in puncto Rechtsradikalismus und darüber, was ihn seit mehr als 37 Jahren motiviert, morgens aus dem Bett zu kommen. Der längst verstorbene und renommierte Fernsehjournalist Hanns Joachim Friedrichs hat einmal gesagt, ein guter Journalist macht sich nicht gemein mit einer Sache. Auch nicht mit einer guten. Nun, dann müssen wir wohl auf das Attribut verzichten. Mit Herbert Reul haben wir in NRW endlich einen Innenminister, der nicht nur geräuschlos, sondern äußerst effizient im Sinne einer über alle Parteigrenzen hinweg anerkannten vorbildlichen Amtsführung agiert. Und der im Kabinett Wüst ein wichtiger, unverzichtbarer Aktivposten ist. Und das in einer Zeit, die an Anforderungen kaum zu übertreffen ist. Wo der Bürger und die <strong>Wirtschaft</strong> das dringend erforderliche und benötigte Sicherheitsvertrauen in die politisch Handelnden als Basis des eigenen Sicherheitsgefühls spüren müssen. Zudem wäre ein Herummäkeln und Stochern, wo es denn evtl. Defizite geben könnte, in der gegenwärtigen allgemeinen Vertrauenskrise in die Parteien extrem kontraproduktiv. Demokratie in all ihren vielseitigen Facetten zu verteidigen und dem Extremismus engagiert die Stirn zu bieten gehört immer, aber derzeit in besonderem Ausmaß zu den herausragenden Aufgaben eines Innenministers. Und dies ist bei Herbert Reul ganz sicher in den besten Händen. Auf kaum einen anderen Politiker trifft das bekannte Zitat des SPIEGEL-Gründers Rudolf Augstein „Sagen, was ist“ besser zu. w: Herr Reul, als Innenminister sind Sie zwar nicht für die <strong>Wirtschaft</strong>spolitik des Landes NRW zuständig, aber sehr viele Aspekte der Kriminalität spielen in die Interessenlage einer funktionierenden <strong>Wirtschaft</strong>spolitik mit rein. Bekanntlich ist die <strong>Wirtschaft</strong> ein zartes Pflänzchen, das gehegt werden muss, und störende Nebengeräusche wie Unsicherheit und mangelndes Vertrauen in die Sicherheit tangieren erheblich die <strong>Wirtschaft</strong> eines Landes: Wie sehen Sie die allgemeine Sicherheitslage in NRW? Herbert Reul: Wir merken es alle: Es war schon mal ruhiger. <strong>Die</strong> Herausforderungen für Polizei und Sicherheitsbehörden sind gewachsen. Abstrakt gesehen war das Risiko für Anschläge selten so hoch wie heute. Das liegt an der internationalen Lage mit den Kriegen in Israel und der Ukraine. Was wir leider auch sehen, ist ein Anstieg der Kriminalität allgemein. Das betrifft Körperverletzungen, häusliche Gewalt oder Kinder- und Jugendkriminalität. Unsere Sicherheitsbehörden sind belastet, aber nicht überlastet und machen gute Arbeit. Wünschen tun wir uns das alle, aber absolute Sicherheit kann es nie geben. w: Derzeit bewegen extrem viele Themen die Menschen, aktuell engagiert sich wie noch nie erlebt die breite Masse gegen einen anscheinend unterschätzten Rechtsradikalismus. Was kann die Politik da bewegen bzw. welche Akzente setzen? Herbert Reul: Ich glaube, die Antwort darauf ist einfacher, als viele immer tun, aber unbequemer, als den meisten Demokraten genehm ist. Der Ball liegt bei denjenigen, die heute in politischer Verantwortung sind und Entscheidungen treffen. <strong>Die</strong> letzten Jahre hat es an Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit gefehlt. Wenn Politik weniger Probleme löst, stattdessen Fragezeichen schafft, ist das Ergebnis Unzufriedenheit und Vertrauensverlust. Das Vertrauen, das den etablierten Kräften abhandenkommt, landet bei denen, die das Kontrastprogramm versprechen. Extremisten haben ihre Arme dann ganz weit geöffnet. Ob die tatsächlich Lösungen haben, sei dahingestellt. Und Verbote sind da meiner Meinung nach hilfloser Aktionismus. Für mich als politisch Verantwortlicher ist wichtig, nicht mit erhobenem Zeigefinger durchs Parlament zu laufen, sondern selbstkritisch zu überlegen, was Menschen in die Arme der Rechtsextremen treibt. „Demonstrieren ist gut. Für die richtige Sache demonstrieren, ist besser.“ w: Was die Bürger derzeit bewegt, ist die kontinuierliche Überprüfung der Verfassungstreue von Rechtsradikalen. Demonstrieren wird vermutlich nicht genügen, man erwartet mehr von der Politik. Welchen Stand können Sie von NRW vermelden? Herbert Reul: Demonstrieren ist per se das richtige Signal und Instrument unserer wehrhaften Demokratie gegen Verfassungsfeinde. Ich bin froh und dankbar, dass sich so viele Menschen in diesen Tagen aufmachen, dass die Menschen sich selbst als mündige Demokraten wahrnehmen, ihre Stimme erheben. In Nordrhein-Westfalen ist die Jugendorganisation der AfD, die Junge Alternative, seit Dezember als Verdachtsfall eingestuft. Unser Verfassungsschutz schaut genau hin. Auch bei der AfD. w: Apropos Demonstrationen: Erst Ende Januar fand in der Landeshauptstadt Düsseldorf eine Demo gegen Rechtsradikalismus mit 100.000 Teilnehmern statt: Welche Grenzen und Möglichkeiten bieten Demonstrationen Ihrer Meinung nach? Herbert Reul: Demonstrieren ist gut. Für die richtige Sache demonstrieren, ist besser. In vielen Ländern dieser Erde kann man nicht einfach auf die Straße gehen, offen gegen oder für etwas sein. In Russland wird man abgeführt, wenn man sich mit einem weißen Blatt auf einen öffentlichen Platz stellt. In Deutschland darf man auch gegen Corona-Beschränkungen demonstrieren und sich solidarisch mit der HAMAS zeigen. Das ist nicht selbstverständlich. Aber dieses gute Recht darf nicht überstrapaziert werden. Gewalt und der Aufruf dazu gehören nicht auf Demonstrationen. Auch Festkleben an Gebäuden kann nicht der richtige Weg zum Ziel sein. Und man sollte immer darauf achten, mit wem man da demonstriert und wer da noch mitmarschiert. Immer öfter werden vermeintlich harmlose Demos zu entgrenzten Veranstaltungen, wie es zum Beispiel im vergangenen November in Essen der Fall war. w: Clankriminalität und Mafia sind Themen, die die meisten Menschen nicht ständig im Fokus haben. Aber was man darüber liest, ist auch nicht geeignet, um den Staat als starken Garanten der Sicherheit zu erleben. Stichwort: unter anderem die schlechte Abstimmung unter den Behörden. Dem Bürger ist es unverständlich, wieso Clanangehörige die sozialen <strong>Die</strong>nstleistungen abgreifen und sich dicke Autos und Villen leisten können, bei gleichzeitigem Bezug von ALG und sonstiger Stütze. Was wird aktuell auf landespolitischer Ebene getan, um dem entgegenzuwirken? Herbert Reul: In Nordrhein-Westfalen machen wir da einiges. Regelmäßige Razzien. Null Toleranz. Nadelstiche. <strong>Die</strong> Schreibtische der Behörden stehen ganz eng zusammen. Aber ich sage auch immer: Der Kampf gegen Clankriminelle ist ein Marathon, der einen langen Atem braucht. Den haben wir hier in Nordrhein-Westfalen. Probleme, die über Jahrzehnte gewachsen sind, können wir nicht von heute auf morgen wegzaubern. www.diewirtschaft-koeln.de 7