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Alster Magazin 04-2024

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LOCAL PEOPLE<br />

GROSSE<br />

WEITE FEINE WELT<br />

PRALLT AUF<br />

DORFKLATSCH<br />

Die Winterhuderin Sylvia Lott war Ressortleiterin und<br />

Textchefin von Frauenzeitschriften, freie Journalistin und ist seit<br />

einigen Jahren eine erfolgreiche Autorin. Ihre Norderney<br />

Saga findet nun ein Ende in ihrem neuesten Roman.<br />

Foto: Melanie Dreysse<br />

ALSTER MAGAZIN: Im Fokus Ihrer Reihe steht ein<br />

Friseursalon auf Norderney. Warum haben Sie sich<br />

diesen Ort als Schauplatz ausgesucht?<br />

SYLVIA LOTT: In einem Friseursalon im vornehmen<br />

Seeheilbad Norderney trafen schon in der Kaiserzeit Prominente -<br />

Politiker wie Reichskanzler von Bülow, mondäne Gäste, Künstler<br />

- auf die Honoratioren der Insel. Da prallen große weite Welt und<br />

Dorfklatsch aufeinander. Das fand ich sehr reizvoll. Ebenso wie<br />

den Wandel, den es dann über die Jahre bis zur Wirtschaftswunderzeit<br />

bei Frisur- und Bartmoden und bei den Gesprächsthemen<br />

im Salon gegeben hat.<br />

Die Saga spielt vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zur<br />

Nachkriegszeit des 2. Weltkrieges. Es handelt sich um Jahrzehnte,<br />

in denen eine Menge passiert ist und die Sie selbst gar<br />

nicht miterlebt haben. Hatten Sie schon immer ein besonderes<br />

Interesse an Geschichte? Und hat die Recherche für Sie eine<br />

Herausforderung dargestellt? Besonders da ihr neuer Roman<br />

zwischen 1935 und 1955 stattfindet, also einer Zeit, in der<br />

Schreckliches passiert ist.<br />

Ja, schon als Kind habe ich es geliebt, den Geschichten alter<br />

Leute zu lauschen. Als Volontärin habe ich gern über Diamantene<br />

Hochzeiten, 90. Geburtstage und Firmenjubiläen geschrieben.<br />

Während des Studiums habe ich mich in allen Fächern auf das<br />

Historische konzentriert - Kommunikationsgeschichte, Literaturgeschichte<br />

und Kunstgeschichte.<br />

Für meine Doktorarbeit über Frauenzeitschriften im Dritten Reich<br />

und in der Nachkriegszeit habe ich 60 Zeitzeugen befragt. Letztlich<br />

bearbeite ich damit, wie viele Autoren meines Alters, wohl<br />

auch die Traumata unserer Großelterngeneration.<br />

In Ihren Romanen wird deutlich, wie Charaktere von äußeren<br />

Umständen beeinflusst werden und sich dadurch ihre<br />

Leben entscheidet. Sie haben mal in einem Blog-Beitrag<br />

geschrieben, Ihnen sei bewusst geworden, dass die Möglichkeiten<br />

für Menschen begrenzter sind, als sie früher dachten.<br />

Hat diese Sichtweise Ihr Leben beeinflusst?<br />

Ich würde es eher umgekehrt formulieren: mein eigenes Leben<br />

hat diese Sichtweise beeinflusst. Dadurch, dass ich bestimmte<br />

Erfahrungen machen durfte und musste und viel beobachtet habe,<br />

ist mir klar geworden, dass man als junger Mensch seine Möglichkeiten<br />

oft falsch - vielfältiger als realistisch - einschätzt. Mehr<br />

als man glaubt, ist jeder ein Kind seiner Zeit. Die Herkunft, die<br />

Erziehung, das Gesellschaftssystem in dem man lebt - all das baut<br />

Leitplanken für den persönlichen Werdegang auf, die man oft erst<br />

später erkennt. Wenn überhaupt.<br />

Sie schrieben auch, dass Außenstehende Ihre Romane zuweilen<br />

als „seichte Frauenliteratur” einschätzen und dass<br />

Unterhaltungsromane oft herablassend betrachtet werden.<br />

Wie bewerten Sie diese Diskussion?<br />

Natürlich ärgern mich solche Von-oben-herab-Kritiken. Erstens<br />

sind meine Romane nicht seicht, nur weil Liebe darin vorkommt.<br />

Die Rückmeldungen meiner Leserinnen sind für mich zum Glück<br />

immer wunderbar bestärkend. Zweitens würde ein Gourmetkritiker<br />

ein Dessert ja auch nicht mit einem Hauptgang vergleichen.<br />

Jedes steht für sich, für das, was es sein soll. Ich möchte spannende<br />

und bewegende Romane schreiben, mit Herz und Verstand,<br />

bei denen man jeden Satz auf Anhieb versteht und noch etwas<br />

Interessantes aus der Historie erfährt. Beim Dessert wie beim<br />

Hauptgang kommt es nur darauf an, dass die Zutaten gut sind,<br />

sorgfältig ausgewählt und verarbeitet. Dass Literaturkritiker gern<br />

„mit spitzer Feder“ zeigen wollen, wie intelligent, anspruchsvoll<br />

und geistreich sie sind, kann ich sogar noch ein bisschen nachvollziehen.<br />

Denn als langjährige Frauenzeitschriften-Journalistin habe<br />

ich gelegentlich auch gern ironisch über große Gefühle geschrieben.<br />

Heute finde ich diese Attitüde schlicht dumm.<br />

Wenn etwa Dennis Scheck Bestseller mit Häme in die Tonne<br />

befördert, so furchtbar eitel bemüht, amüsant zu sein auf Kosten<br />

von Menschen, die monatelang mit viel Engagement daran gearbeitet<br />

haben, dann empfinde ich kein Vergnügen, sondern Mitleid<br />

mit den Kollegen, die es erwischt (von einer Autorin weiß ich,<br />

dass sie hinterher wochenlang an einer Schreibblockade gelitten<br />

hat) - aber besonders für diesen Pharao der Literaturkritik. Warum<br />

so viel Hohn und Spott? Es beleidigt<br />

ja auch die Leserschaft.<br />

Was kommt als nächstes? Ist<br />

schon ein weiterer Roman in<br />

Planung?<br />

Ja, ein neuer Roman ist in Arbeit.<br />

Ein Handlungsstrang spielt wieder<br />

auf einer ostfriesischen Insel. Mehr<br />

möchte ich noch nicht verraten. lm<br />

BUCHTIPP<br />

Neue Träume im Inselsalon,<br />

Norderney-Reihe Band 4, Blanvalet,<br />

512 Seiten, 12 Euro<br />

28 | ALSTER

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