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LOCAL PEOPLE<br />
GROSSE<br />
WEITE FEINE WELT<br />
PRALLT AUF<br />
DORFKLATSCH<br />
Die Winterhuderin Sylvia Lott war Ressortleiterin und<br />
Textchefin von Frauenzeitschriften, freie Journalistin und ist seit<br />
einigen Jahren eine erfolgreiche Autorin. Ihre Norderney<br />
Saga findet nun ein Ende in ihrem neuesten Roman.<br />
Foto: Melanie Dreysse<br />
ALSTER MAGAZIN: Im Fokus Ihrer Reihe steht ein<br />
Friseursalon auf Norderney. Warum haben Sie sich<br />
diesen Ort als Schauplatz ausgesucht?<br />
SYLVIA LOTT: In einem Friseursalon im vornehmen<br />
Seeheilbad Norderney trafen schon in der Kaiserzeit Prominente -<br />
Politiker wie Reichskanzler von Bülow, mondäne Gäste, Künstler<br />
- auf die Honoratioren der Insel. Da prallen große weite Welt und<br />
Dorfklatsch aufeinander. Das fand ich sehr reizvoll. Ebenso wie<br />
den Wandel, den es dann über die Jahre bis zur Wirtschaftswunderzeit<br />
bei Frisur- und Bartmoden und bei den Gesprächsthemen<br />
im Salon gegeben hat.<br />
Die Saga spielt vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zur<br />
Nachkriegszeit des 2. Weltkrieges. Es handelt sich um Jahrzehnte,<br />
in denen eine Menge passiert ist und die Sie selbst gar<br />
nicht miterlebt haben. Hatten Sie schon immer ein besonderes<br />
Interesse an Geschichte? Und hat die Recherche für Sie eine<br />
Herausforderung dargestellt? Besonders da ihr neuer Roman<br />
zwischen 1935 und 1955 stattfindet, also einer Zeit, in der<br />
Schreckliches passiert ist.<br />
Ja, schon als Kind habe ich es geliebt, den Geschichten alter<br />
Leute zu lauschen. Als Volontärin habe ich gern über Diamantene<br />
Hochzeiten, 90. Geburtstage und Firmenjubiläen geschrieben.<br />
Während des Studiums habe ich mich in allen Fächern auf das<br />
Historische konzentriert - Kommunikationsgeschichte, Literaturgeschichte<br />
und Kunstgeschichte.<br />
Für meine Doktorarbeit über Frauenzeitschriften im Dritten Reich<br />
und in der Nachkriegszeit habe ich 60 Zeitzeugen befragt. Letztlich<br />
bearbeite ich damit, wie viele Autoren meines Alters, wohl<br />
auch die Traumata unserer Großelterngeneration.<br />
In Ihren Romanen wird deutlich, wie Charaktere von äußeren<br />
Umständen beeinflusst werden und sich dadurch ihre<br />
Leben entscheidet. Sie haben mal in einem Blog-Beitrag<br />
geschrieben, Ihnen sei bewusst geworden, dass die Möglichkeiten<br />
für Menschen begrenzter sind, als sie früher dachten.<br />
Hat diese Sichtweise Ihr Leben beeinflusst?<br />
Ich würde es eher umgekehrt formulieren: mein eigenes Leben<br />
hat diese Sichtweise beeinflusst. Dadurch, dass ich bestimmte<br />
Erfahrungen machen durfte und musste und viel beobachtet habe,<br />
ist mir klar geworden, dass man als junger Mensch seine Möglichkeiten<br />
oft falsch - vielfältiger als realistisch - einschätzt. Mehr<br />
als man glaubt, ist jeder ein Kind seiner Zeit. Die Herkunft, die<br />
Erziehung, das Gesellschaftssystem in dem man lebt - all das baut<br />
Leitplanken für den persönlichen Werdegang auf, die man oft erst<br />
später erkennt. Wenn überhaupt.<br />
Sie schrieben auch, dass Außenstehende Ihre Romane zuweilen<br />
als „seichte Frauenliteratur” einschätzen und dass<br />
Unterhaltungsromane oft herablassend betrachtet werden.<br />
Wie bewerten Sie diese Diskussion?<br />
Natürlich ärgern mich solche Von-oben-herab-Kritiken. Erstens<br />
sind meine Romane nicht seicht, nur weil Liebe darin vorkommt.<br />
Die Rückmeldungen meiner Leserinnen sind für mich zum Glück<br />
immer wunderbar bestärkend. Zweitens würde ein Gourmetkritiker<br />
ein Dessert ja auch nicht mit einem Hauptgang vergleichen.<br />
Jedes steht für sich, für das, was es sein soll. Ich möchte spannende<br />
und bewegende Romane schreiben, mit Herz und Verstand,<br />
bei denen man jeden Satz auf Anhieb versteht und noch etwas<br />
Interessantes aus der Historie erfährt. Beim Dessert wie beim<br />
Hauptgang kommt es nur darauf an, dass die Zutaten gut sind,<br />
sorgfältig ausgewählt und verarbeitet. Dass Literaturkritiker gern<br />
„mit spitzer Feder“ zeigen wollen, wie intelligent, anspruchsvoll<br />
und geistreich sie sind, kann ich sogar noch ein bisschen nachvollziehen.<br />
Denn als langjährige Frauenzeitschriften-Journalistin habe<br />
ich gelegentlich auch gern ironisch über große Gefühle geschrieben.<br />
Heute finde ich diese Attitüde schlicht dumm.<br />
Wenn etwa Dennis Scheck Bestseller mit Häme in die Tonne<br />
befördert, so furchtbar eitel bemüht, amüsant zu sein auf Kosten<br />
von Menschen, die monatelang mit viel Engagement daran gearbeitet<br />
haben, dann empfinde ich kein Vergnügen, sondern Mitleid<br />
mit den Kollegen, die es erwischt (von einer Autorin weiß ich,<br />
dass sie hinterher wochenlang an einer Schreibblockade gelitten<br />
hat) - aber besonders für diesen Pharao der Literaturkritik. Warum<br />
so viel Hohn und Spott? Es beleidigt<br />
ja auch die Leserschaft.<br />
Was kommt als nächstes? Ist<br />
schon ein weiterer Roman in<br />
Planung?<br />
Ja, ein neuer Roman ist in Arbeit.<br />
Ein Handlungsstrang spielt wieder<br />
auf einer ostfriesischen Insel. Mehr<br />
möchte ich noch nicht verraten. lm<br />
BUCHTIPP<br />
Neue Träume im Inselsalon,<br />
Norderney-Reihe Band 4, Blanvalet,<br />
512 Seiten, 12 Euro<br />
28 | ALSTER