Leipzig lebt »bachisch« Interview mit Dr. Dettloff Schwerdtfeger

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MOTETTE/KANTATE
Herbert Blomstedt, Ehrendirigent des Leipziger Gewandhausorchesters, beschreibt die Kantate BWV 140
»Wachet auf, ruft uns die Stimme« mit großer emotionaler Intensität.
Balance und Wahrheit in der Musik Bachs
Herbert Blomstedt über die Kantate BWV 140
Wachet auf, wachet auf… Diese Töne, diese Wellen in der
Luft, diese Gedanken, die mir zufl iegen, die reißen mich mit
und führen mich in ungeahnte Gefi lde, wo ich nie früher
gewesen bin, wo ich immer Neues entdecke und mich doch
wie zu Hause fühle.
Es ist mir gleich, ob ich sie in der Kirche höre, oder im
Konzertsaal, oder nur beim Lesen der Partitur. Jedes Mal
ergreifen sie mich, ich fühle mich direkt angesprochen und
an der Hand geführt. Ich muss mitgehen. Und doch – wo es
real klingt, da unter den Gewölben, ist es am eindringlichsten.
Diese Musik entspricht meiner Sehnsucht nach Freiheit
und Abenteuer, aber auch nach Geborgenheit und Stille. Die
beiden Gefühle ergänzen sich, halten sich die Waage. Sobald
das Eine übermächtig zu werden droht, ist das Andere da
und ruft mich zurück zu Balance und Wahrheit.
Wie schafft es Bach, uns heute nach 250 Jahren so lebendig
und unwiderstehlich anzusprechen? Die Stimmen seiner
Zeitgenossen auf den Kanzeln oder Kathedern sind ja längst
verstummt. Sie waren ja gleich ernst und gleich gute Christen,
vielleicht sogar besser. Nur die Historiker, fl eißig wie die
Ameisen, stöbern da herum und fi nden manchmal Körner
der Weisheit, die sie zu prächtigen Haufen zusammentragen.
Aber Bach ist noch heute wie ein Berg des Glaubens, er predigt
als »fünfter Evangelist« für Millionengemeinden, und
zwar so überzeugend, dass einige Andersgläubige sich überlegen,
ob sie nicht die Aufführungen mit einer Warnung versehen
sollten: »Gefährlich!«