10 Bernoulli-Experimente und Bernoulli-Ketten
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<strong>10</strong> <strong>Bernoulli</strong>-<strong>Experimente</strong> <strong>und</strong> <strong>Bernoulli</strong>-<strong>Ketten</strong><br />
<strong>10</strong>.1 <strong>Bernoulli</strong>-<strong>Experimente</strong><br />
In vielen Fällen genügt es zur stochastischen Modellierung, <strong>Experimente</strong> zu betrachten, die nur zwei<br />
mögliche Ergebnisse haben. Ein einfaches Beispiel hierfür ist das einmalige Werfen einer Münze. Aber<br />
auch bei <strong>Experimente</strong>n mit mehr als zwei Ergebnissen (wie z. B. dem Würfeln mit einem Würfel) ist<br />
oftmals nur die Frage interessant, ob ein bestimmtes Ergebnis (z. B. die Augenzahl 6) eintritt oder<br />
nicht (wenn unerheblich ist, welche Augenzahl zwischen 1 <strong>und</strong> 5 erzielt wurde). In solchen Fällen spricht<br />
man dann einfach von den Ergebnissen Treffer <strong>und</strong> Niete oder noch einfacher von der Ergebnismenge<br />
Ω = {0, 1}, wobei natürlich klar sein muss, was mit Treffer (meist 1) oder Niete (meist 0) gemeint sein<br />
soll.<br />
Definition 1 Ein Zufallsexperiment mit genau 2 möglichen Ergebnissen heißt <strong>Bernoulli</strong>-Experiment. 1<br />
Auf der Ergebnismenge Ω0 = {0, 1} wird dann durch P ({1}) =: p (Trefferwahrscheinlichkeit, p ∈ [0; 1])<br />
<strong>und</strong> P ({0}) = 1 − p =: q (Nietenwahrscheinlichkeit) ein Wahrscheinlichkeitsmaß definiert.<br />
Bemerkung: Was unter 1 bzw. 0 zu verstehen ist, muss von Fall zu Fall festgelegt werden. Beispiele:<br />
Zufallsexperiment 1 0<br />
Münzwurf Zahl Kopf<br />
Würfelwurf Augenzahl = 6 Augenzahl < 6<br />
Fahrprüfung bestanden durchgefallen<br />
Test positiv negativ<br />
Qualitätskontrolle Produkt brauchbar Produkt unbrauchbar<br />
Qualitätskontrolle Produkt defekt Produkt intakt<br />
beliebiges Zufallsexperiment A A<br />
<strong>10</strong>.2 <strong>Bernoulli</strong>-<strong>Ketten</strong><br />
Bei vielen Problemen in der Praxis treten Serien von identischen <strong>Bernoulli</strong>-<strong>Experimente</strong>n auf. Hierbei<br />
muss die Mehrstufigkeit des Zufallsexperimentes nicht chronologisch verstanden werden. So kann z. B. das<br />
Herausgreifen von <strong>10</strong> Produkten aus einer Produktionsserie (bei einer Qualitätskontrolle) als Folge von<br />
<strong>10</strong> <strong>Bernoulli</strong>-<strong>Experimente</strong>n aufgefasst werden, obwohl die Produkte nicht nacheinander herausgegriffen<br />
werden, sondern mit einem Mal. Wichtig hierbei ist, dass die einzelnen <strong>Bernoulli</strong>-<strong>Experimente</strong> als unabhängig<br />
voneinander betrachtet werden können, was beim fünfmaligen Würfeln eines Würfels sicherlich<br />
eine vernünftige Annahme ist. 2 Das Kennzeichnende dieser Serien ist dann, dass die Trefferwahrscheinlichkeit<br />
von Experiment zu Experiment gleich bleibt <strong>und</strong> dass sich die <strong>Experimente</strong> gegenseitig nicht<br />
beeinflussen.<br />
Definition 2 Das n-stufige Zufallsexperiment aus n gleichen <strong>Bernoulli</strong>-<strong>Experimente</strong>n mit der Trefferwahrscheinlichkeit<br />
p heißt <strong>Bernoulli</strong>-Kette der Länge n mit dem Parameter p.<br />
Bezeichnet Ω0 = {0, 1} die Ergebnismenge des <strong>Bernoulli</strong>-<strong>Experimente</strong>s, so ist Ω = Ω n 0 = {0, 1} n die<br />
Ergebnismenge der <strong>Bernoulli</strong>-Kette.<br />
Bemerkung: Die Elemente von Ω sind also n-Tupel, deren Stellen jeweils mit 0 oder 1 besetzt sind.<br />
Beispiel: (0; 0; 1; 0; 1; 1; 0; 0) ist ein Ergebnis mit genau 3 Treffern einer <strong>Bernoulli</strong>-Kette der Länge 8.<br />
Aus der 1. Pfadregel für mehrstufige Zufallsexperimente folgt unmittelbar<br />
Satz 1 In einer <strong>Bernoulli</strong>-Kette der Länge n mit dem Parameter p haben alle Elementarereignisse aus<br />
P(Ω) mit genau k Treffern (0 ≤ k ≤ n) die Wahrscheinlichkeit<br />
p k q n−k = p k (1 − p) n−k .<br />
1 Jakob <strong>Bernoulli</strong> (1654–1705), Schweizer Mathematiker <strong>und</strong> Physiker, ab 1687 als Professor an der Universität Basel.<br />
Mitbegründer der Wahrscheinlichkeitsrechnung.<br />
2 Genau dieses ist bei der Qualitätskontrolle streng genommen nicht der Fall: Da mit dem Herausgreifen eines defekten<br />
Produkts der Anteil defekter Produkte in der verbleibenden Menge sinkt, so dass die Wahrscheinlichkeit, ein weiteres<br />
defektes Produkt herauszugreifen, (geringfügig) geringer geworden ist, handelt es nicht um <strong>10</strong> paarweise unabhängige,<br />
identische <strong>Bernoulli</strong>-<strong>Experimente</strong>. Das Problem darf jedoch dann ignoriert werden, wenn die Gesamtheit der Produkte<br />
hinreichend groß gegen die Größe der Stichprobe ist.
Beispiel: Das dreimalige Würfeln mit einem Laplace-Würfel, wobei nur die erzielten Sechsen von<br />
Interesse sein sollen, kann als <strong>Bernoulli</strong>-Kette der Länge drei mit dem Parameter p = 1 5<br />
6 (q = 6 )<br />
aufgefasst werden. Da bei jedem Wurf eine Sechs erzielt werden kann, wird das Ereignis A: Es wur-<br />
”<br />
den genau zwei Sechsen erzielt.“ durch drei Ergebnisse realisiert: A = {(0; 1; 1), (1; 0; 1), (1; 1; 0)}. Jedes<br />
einzelne der drei Elementarereignisse hat die Wahrscheinlichkeit p2q = ( 1<br />
6 )2 · 5<br />
6 . Da |A| = 3, folgt<br />
= 0,0694...<br />
P (A) = 3p2q = 3 · ( 1<br />
6 )2 · 5<br />
6<br />
<strong>10</strong>.3 <strong>Bernoulli</strong>sche Formel<br />
Bezeichnungen: Wenn mit Z die Anzahl der Treffer in einer <strong>Bernoulli</strong>-Kette bezeichnet wird, so<br />
können bestimmte Ereignisse in Kurzform notiert werden (0 ≤ k ≤ n):<br />
” Z = k“: Es werden genau k Treffer erzielt.“ <strong>und</strong> dementsprechend bezeichnet P (Z = k) die Wahr-<br />
”<br />
scheinlichkeit für das Ereignis Z = k“.<br />
”<br />
” Z ≥ k“: Es werden mindestens k Treffer erzielt.“ <strong>und</strong> dementsprechend bezeichnet P (Z ≥ k) die Wahr-<br />
”<br />
scheinlichkeit für das Ereignis Z ≥ k“.<br />
”<br />
Entsprechendes für Z ≤ k“, Z < k“, Z > k“.<br />
” ” ”<br />
Offensichtlich gilt: P (Z ≥ k) = �n i=k P (Z = i), P (Z < k) = �k−1 i=0 P (Z = i) für alle 0 ≤ k ≤ n.<br />
Nun stellt sich noch die Frage, wie die Wahrscheinlichkeit für genau k Treffer in einer <strong>Bernoulli</strong>-<br />
Kette ermittelt werden kann. Nach der 2. Pfadregel müssen die Wahrscheinlichkeiten aller entsprechenden<br />
Elementarereignisse, d. h. aller Pfade mit gleicher Trefferzahl k zur totalen Wahrscheinlichkeit aufaddiert<br />
werden. Da alle Elementarereignisse mit gleicher Trefferzahl gleichwahrscheinlich sind, reduziert sich<br />
das Problem darauf, die Anzahl der Pfade mit genau k Treffern zu ermitteln. Da auf jeder Stufe der<br />
<strong>Bernoulli</strong>-Kette der Länge n ein Treffer erzielt werden kann, gibt es genau � � n<br />
k Pfade mit k Treffern,<br />
schließlich müssen jeweils nur die Stufen für die k Treffer aus den n vorhandenen ausgewählt werden.<br />
Damit kommt man zur <strong>Bernoulli</strong>schen Formel:<br />
Satz 2 (<strong>Bernoulli</strong>sche Formel) Bei einer <strong>Bernoulli</strong>-Kette der Länge n mit dem Parameter p beträgt<br />
die Wahrscheinlichkeit für genau k Treffer (0 ≤ k ≤ n)<br />
� �<br />
n<br />
B(n; p; k) := P (Z = k) = p<br />
k<br />
k q n−k � �<br />
n<br />
= p<br />
k<br />
k (1 − p) n−k .<br />
Bemerkung: Wenn klar ist, von welcher <strong>Bernoulli</strong>-Kette die Rede ist (d. h. wenn sowohl n als auch<br />
p bekannt sind), kann statt der ausführlichen Bezeichnung B(n; p; k) die Kurzform P (Z = k) verwendet<br />
werden. Es liegt jedoch auf der Hand, dass P (Z = k) bei <strong>Bernoulli</strong>-<strong>Ketten</strong> unterschiedlicher Länge<br />
n <strong>und</strong>/oder unterschiedlichen Parameters p in aller Regel verschieden ist. Dann ist die Bezeichnung<br />
B(n; p; k) eindeutig.<br />
Beispiel: 1. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, beim 12-maligen Würfeln mit einem Laplace-Würfel<br />
genau 2 Sechsen zu erzielen?<br />
Modell: <strong>Bernoulli</strong>-Kette der Länge 12 mit Parameter p = 1<br />
Gesucht: P (Z = 2) = � � 12 1<br />
2 ( 6 )2 · ( 5<br />
6 )<strong>10</strong> = 0,29609...<br />
2. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, beim 12-maligen Würfeln mit einem Laplace-Würfel mindestens<br />
2 Sechsen zu erzielen?<br />
Modell: <strong>Bernoulli</strong>-Kette der Länge 12 mit Parameter p = 1<br />
6 .<br />
Zur Berechnung der gesuchten Wahrscheinlichkeit P (Z ≥ 2) geht man günstigerweise zum Gegenereignis<br />
über: P (Z ≥ 2) = 1 − P (Z < 2) = 1 − (P (Z = 1) + p(Z = 0)) = 1 − ( � � 12 1<br />
1 ( 6 )1 · ( 5<br />
6 )11 + � � 12 1<br />
0 (<br />
1 − 0,38133... = 0,618667...<br />
Damit ist P (Z ≥ 2) mehr als doppelt so groß wie P (Z = 2)!<br />
<strong>10</strong>.4 Übungen<br />
6 .<br />
6 )0 · ( 5<br />
6 )12 ) =<br />
1. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, beim 12-maligen Würfeln mit einem Laplace-Würfel 5 (11,<br />
mindestens 11, höchstens 2) Sechsen zu erzielen?<br />
2. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Glücksspiel zu gewinnen, sei <strong>10</strong>%. An wie vielen unabhängigen<br />
Partien muss sich ein Spieler mindestens beteiligen, um mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens<br />
90% in wenigstens einer Partie zu gewinnen?