Campus - Reutlingen - University - Magazine - Hochschule ...
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10 Schweiß, Herzblut…<br />
10 Schweiß, Herzblut und langer Atem<br />
Schweiß, Herzblut und langer Atem<br />
Spielregeln in der Forschung an<br />
Fachhochschulen<br />
„Forschung ist zu einem Prozent<br />
Inspiration und zu 99 Prozent<br />
Transpiration“. Das Zitat des großen<br />
amerikanischen Erfinders Thomas Alvar<br />
Edison ist für Martin Tubach fast zu einem<br />
Leitsatz des Instituts für Angewandte<br />
Forschung (IAF) in <strong>Reutlingen</strong> geworden.<br />
Ergänzen könnte der Geschäftsführer<br />
noch den langen Atem, den Forscher und<br />
Forschung an Fachhochschulen unbedingt<br />
benötigen.<br />
Geforscht wurde in <strong>Reutlingen</strong> schon vor<br />
fast 100 Jahren. Spätestens 1910 mit<br />
Entstehen des Staatlichen Prüfungsamtes<br />
für Textilstoffe wurde die Faserforschung<br />
in <strong>Reutlingen</strong> offiziell institutionalisiert.<br />
Textilchemie und Textiltechnik waren von<br />
Beginn an der Grundstock der<br />
forscherischen Tätigkeit, mit der<br />
Neugründung weiterer Fachbereiche wie<br />
Maschinenbau (1967) und<br />
Betriebswirtschaft (1971) konnte die<br />
Forschung auch auf diese Gebiete<br />
ausgeweitet werden. So unterschiedlich<br />
die Forschungszweige inhaltlich auch sein<br />
mögen, sollten sie doch den Grundsätzen<br />
„praxisnah und anwendungsorientiert“<br />
folgen. „Angewandte Forschung an<br />
Fachhochschulen muss problemorientiert<br />
und zielgerichtet sein. Vorrangig sind<br />
umfassende Antworten auf die Frage<br />
„wie“. Da sie reale Produkte untersucht,<br />
muss sie in der Lage sein, komplexe<br />
Systeme zu bearbeiten“, definierte Tubach<br />
in einem Bericht das<br />
Forschungsgeschehen an den<br />
Fachhochschulen.<br />
Seit der Gründung des IAF im Jahr 1991<br />
wurden mehr als 120 Forschungsprojekte<br />
- mit einer Dauer zwischen zwei Wochen<br />
und drei Jahren - realisiert: Keine<br />
schlechte Bilanz. „Aber es könnte mehr<br />
sein“, sagt Tubach und hat dabei<br />
besonders strukturelle Hindernisse im<br />
Blick. Zum Beispiel die „Sandwich-<br />
Position“ der angewandten Forschungen<br />
der Fachhochschulen zwischen der<br />
langfristig geplanten<br />
Grundlagenforschung, wie sie den<br />
Universitäten vorbehalten bleibt, und<br />
dem kurzfristigen, produktorientierten<br />
und kundenspezifischen<br />
Technologietransfer wie den Steinbeis-<br />
Transferzentren. „Die einen bekommen<br />
die Ressourcen für ihre Forschung<br />
finanziert, die anderen ihre Ergebnisse<br />
bezahlt“, beschreibt Tubach salopp das<br />
Dilemma. Die eher mittelfristig angelegte<br />
angewandte Forschung an<br />
Fachhochschulen hätte es da schwerer.<br />
„Die starke Orientierung der Deutschen<br />
Forschungsgemeinschaft (DFG) und<br />
anderer Förderungsorganisationen der<br />
Wissenschaft an den<br />
Forschungsbedürfnissen der Universitäten<br />
erschwert den Fachhochschulen den<br />
Zugang zu den großen, öffentlich<br />
finanzierten Forschungsförderungsfonds“,<br />
hat Tubach schon in einem Rückblick<br />
2005 geschrieben.<br />
Ein Schicksal, dass die Reutlinger mit<br />
etwa 19 anderen Forschungsinstituten an<br />
Fachhochschulen teilen. Dennoch steht<br />
<strong>Reutlingen</strong> im Vergleich mit ihnen nicht<br />
schlecht da: Durchschnittlich 1 Million<br />
Euro jährlich konnten an Drittmittel<br />
eingeworben werden. Beim jüngsten<br />
Ranking der Forschungsleistung, das ein<br />
Beratungsgremium des<br />
Wissenschaftsministeriums Stuttgart<br />
ermittelt, liegt die <strong>Hochschule</strong> <strong>Reutlingen</strong><br />
mit ihren Kennzahlen deutlich in der<br />
oberen Hälfte.<br />
Trotz aller Gräben im nationalen<br />
Bildungssystem, im europäischen Umfeld<br />
spielen die Kennzahlen keine Rolle. Und<br />
so wurden Forschungsvorhaben der<br />
<strong>Hochschule</strong> <strong>Reutlingen</strong> bei der Förderung<br />
mit EU-Mitteln gleich dreimal (im dritten,<br />
vierten und fünften Rahmenprogramm<br />
der EU) bedacht. „Eine große Ehre, aber<br />
mit unkalkulierbarem Risiko“, wie der<br />
IAF-Geschäftsführer beschreibt. Denn die<br />
EU-Projekte sind riesig. Etwa 40 bis 50<br />
Wissenschaftler verschiedener<br />
Nationalitäten sollen und müssen<br />
zusammenarbeiten. „Das ist kaum<br />
handelbar, Missverständnisse sind<br />
vorprogrammiert“, sagt Martin Tubach.<br />
Das hätten mittlerweile auch die<br />
Verantwortlichen auf europäischer Ebene<br />
erkannt und seien beim siebten<br />
Rahmenprogramm zu kleineren, aber<br />
finanziell gut ausgestatteten Projekten<br />
zurückgekehrt. Die Outputs der<br />
Forschungs- und Entwicklungsarbeit in<br />
<strong>Reutlingen</strong> können sich indes sehen<br />
lassen, zum Beispiel die Autosocks (siehe<br />
dazu neben stehender Bericht), die seit<br />
zwei Jahren auf dem Markt sind.<br />
Nicht alle Erfindungen oder<br />
Forschungsergebnisse sind<br />
gleichermaßen öffentlichkeitswirksam<br />
oder öffentlich präsent. Dass in der<br />
Mercedes-E-Klasse 50 Bauteile aus<br />
ökologischen Naturfasern, also<br />
nachwachsenden Rohstoffen, bestehen –<br />
erforscht in den Laboren der <strong>Hochschule</strong><br />
- , wissen nur die wenigsten Verbraucher.<br />
Und wenn ganze Produktionsprozesse mit<br />
Hilfe von Reutlinger Messmethoden<br />
schrittweise analysiert und überprüft<br />
werden, um bessere Produkte mit<br />
geringeren Fehlern zu ermöglichen und<br />
das Herstellungsverfahren zu optimieren,<br />
sind die betroffenen Unternehmen<br />
meistens nicht unbedingt erpicht darauf,<br />
dass dieses bekannt wird.<br />
Wie so oft sind es Inspiration und Zufälle,<br />
die eine Initialzündung für ein<br />
Forschungsvorhaben auslösen, aber nicht<br />
generell auch tatsächlich zum Erfolg<br />
führen. Manchen gehe die Luft, manchen<br />
das Geld aus, und manchmal lohne es<br />
sich einfach nicht, weiterzuforschen,<br />
berichtet Tubach. „Es gibt Modethemen,<br />
aber auch Themen, die ein Verfallsdatum<br />
haben“. Oder Themen, die einfach nicht<br />
beforscht werden, weil kaum einer daran<br />
Interesse habe, zum Beispiel Gas aus<br />
Gülle. Und dies, obwohl Bio-Energie<br />
durchaus zeitgemäß ist.<br />
Einen nicht zu vernachlässigenden Punkt<br />
in diesem Zusammenhang sieht Tubach<br />
auch im Verhältnis von Lehre und<br />
Forschung, wobei der Lehre im Gesetz<br />
eindeutig Vorrang eingeräumt wird. „Die<br />
Professoren haben mit 18 Wochenstunden<br />
(Universitäten 9 Stunden) ein sehr hohes<br />
Lehrdeputat. Die für die<br />
Forschungsaufgaben verbleibende<br />
Restzeit ist eng begrenzt“, heißt es im<br />
Rückblick von 2005 weiter. Umso höher<br />
seien Eigenmotivation und<br />
wissenschaftliches Interesse der<br />
forschungswilligen Professoren zu<br />
bewerten. Wenn die Professoren mit ihrem<br />
Wissen und Kontakt aus der Wirtschaft<br />
an die <strong>Hochschule</strong> kämen, seien sie erst<br />
mal so mit der Lehre beschäftigt, dass<br />
sie sich frühestens nach zwei, drei Jahren<br />
ihren Forschungsgebieten widmen<br />
könnten.<br />
Martin Tubach ist sozusagen ein<br />
Eigengewächs der <strong>Hochschule</strong>: der<br />
Chemie-Ingenieur hat dort 1985 sein<br />
Studium abgeschlossen, war Assistent,<br />
dann drei Jahre lang bei der Steinbeis-<br />
Stiftung für Wirtschaftsförderung tätig,<br />
schließlich übernahm er die<br />
Projektkoordination am IAF und wurde<br />
vor sechseinhalb Jahren Nachfolger von<br />
IAF-Gründungsdirektor Professor Rudolf<br />
Kessler, als Geschäftsführer des Instituts.<br />
Tubach kennt den Schweiß, das Herzblut<br />
der Forscher und auch das mitunter enge<br />
Korsett einer öffentlich-rechtlichen<br />
Haushaltsführung, die flexibles Vorgehen<br />
erschweren kann. Die derzeitige<br />
Forschungstätigkeit beschreibt der<br />
Geschäftsführer eher als stagnierend.<br />
Etwa zehn Professoren - aus den<br />
Fachrichtungen Maschinenbau, Chemie,<br />
Textil - seien aktiv in den beiden<br />
Forschungsinstituten (1) auf dem <strong>Campus</strong><br />
tätig. Zudem fände ein<br />
Generationswechsel im IAF statt. Viele<br />
ließen ihre Aufträge auslaufen. „Neue<br />
Leute, neue Themen müssen nun<br />
aufgebaut werden“, stellt Tubach fest.<br />
„Es ist ein Jammer, wie viel Potenzial<br />
hier brach liegt“, bedauert er und sieht<br />
seine Aufgabe auch darin, die<br />
Forschungsbedingungen zu erleichtern<br />
und zu verbessern, kurzum Anreize für<br />
forschungswillige Professoren und auch<br />
Studenten (siehe dazu neben stehender<br />
Bericht) zu schaffen. Sein Wunschdenken<br />
für die Zukunft: ein „Brainpool“ von 127<br />
Hochschul- Professoren - mit<br />
Schaltstellen zur Industrie. (mtb)<br />
(1) Neben dem IAF gibt es eine weitere<br />
Forschungseinrichtung der <strong>Hochschule</strong><br />
<strong>Reutlingen</strong>. Das weitgehend regional<br />
ausgerichtete Institut für angewandte<br />
Forschung in der Automatisierung (IFA)<br />
wurde am 1. Juni 1996 gegründet.<br />
www.iaf.hochschule-reutlingen.de<br />
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