mit Anita Ammersfeld und Hannes Gastinger Regie: Thomas Schendel

Foto: Peter Rigaud
theaterWal
AusgAbe sepTember 2009 ☎ 512 42 00
gAsTspIel
carl djerassi und Isabella gregor mit einem neuen stück über Intrigen am Theater
und in der Wissenschaft
verrechnet!
Carl Djerassi, Chemiker, der Vater (nach eigener
Aussage: die Mutter) der Antibabypille,
seit 20 Jahren auch Schriftsteller und Theaterautor,
hat mit der Wiener Regisseurin und
Schauspielerin Isabella Gregor zusammen
das Theaterstück „verrechnet!“ geschrieben,
das im November im stadtTheater uraufgeführt
wird.
Wir befinden uns in London im Jahre 1725.
Der Dramatiker Sir John Vanbrugh möchte
ein neues Theaterstück auf die Bühne bringen,
zusammen mit dem skandalumwitterten
Theaterleiter und Schauspieler Colley
Cibber. Die junge Nachwuchsschauspielerin
Polly Sterling bewirbt sich um eine Hauptrolle,
hofft, dass Vanbrugh sie in ihrem Bestreben
unterstützen wird, ungeachtet der
Gefühle die zwischen ihr und dem Theaterdirektor
Cibber entstehen. Das sich innerhalb
der Handlung später entwickelnde
Theaterstück handelt von einem der wichtigsten
Streits in der Geschichte der Naturwissenschaft,
dem Prioritätsstreit zwischen
dem englischen Physiker Sir Isaac Newton
und dem deutschen Universalgelehrten Gottfried
Wilhelm Leibniz, um die Frage, wer von
10 theaterWal
ihnen zuerst die Integral- und Differentialrechnung
erfunden hat.
Leibniz hatte die Differentialen 1675 entwickelt
und 1684 veröffentlicht. Newton hatte
die Entdeckung bereits 1666 gemacht, sie allerdings
erst 1687 publiziert. Carl Djerassi zur
Frage, wer nun der wirkliche Entdecker der
Differentialrechnung war: „Es ist gar keine
Frage, dass Newton der erste war. Und es ist
keine Frage, dass Leibniz der erste war, der es
veröffentlicht hat. Newton war obsessiv mit
seiner Geheimhaltung. Er hat Anagramme
verwendet, damit andere seine Notizen nicht
lesen konnten. Er wollte nur den Ruhm, ohne
zu sagen, wie er auf das Ergebnis gekommen
war. Also ein sehr schlechter Charakter. Leibniz,
ein Universalgenie, hat es hauptsächlich
unabhängig von Newton entdeckt. Ich sage
‚hauptsächlich‘, weil er etwas in der Korrespondenz
englischer Kollegen gelesen hatte.
Das Wichtige ist, dass Leibniz die Differentialgleichung
in einer Art und Weise beschrieben
hat, die man heute noch verwendet. Sie
war sehr nützlich für das mathematische Publikum.
Newton hat es in einer schlechten,
komplizierten Weise beschrieben. Aber zu
90% haben die beiden unabhängig voneinander
ihre Entdeckung gemacht.“
Newton beschuldigte Leibniz, ein Plagiat
uraufführung
verfasst zu haben. Auf sein Betreiben führte
die Royal Society, deren Präsident er war,
1712 eine Untersuchung darüber durch.
Carl Djerassi: „Newton hat ein anonymes
Komitee von elf Wissenschaftlern zusammengestellt,
die in ihrem Report festhielten,
dass Leibniz ein Plagiat gemacht habe.
Die Identität dieser elf hat man erst hundert
Jahre später festgestellt. Kaum jemand weiß,
dass Newton den Text für diese elf selbst geschrieben
und ihnen gegeben hat. Das ist das
Ärgste. Diese unbekannten Aspekte des berühmten
Prioritätsstreits, der 30 Jahre dauerte
und auch nach dem Tod von Leibniz
weiterging, haben mich interessiert. Im Stück
„verrechnet!“ bildet der Streit allerdings nur
ein Hintergrundthema.“
Übrigens: in der Folge dieses Prioritätsstreites
kam es zum jahrzehntelangen Bruch
zwischen englischen und kontinentalen
Wissenschaftlern.
Doch zurück zu „verrechnet!“: Vanbrugh
und Cibber wollen mittels ihres Stückes
für einen Skandal sorgen, in dem sie diesen
Streit thematisieren. Doch stattdessen gedeihen
Ehrgeiz, Liebe und Intrige, die Grenzen
zwischen Realität und Erfundenem verschwimmen
immer mehr. Schließlich sorgt
Dr. John Arbuthnot, der als Mitglied der
Foto: Peter Rigaud