Kontakte - Ev. Grunewald-Gemeinde
Kontakte - Ev. Grunewald-Gemeinde
Kontakte - Ev. Grunewald-Gemeinde
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Auch im neuesten Duden steht<br />
das Wort »Muße«. In dem etwas<br />
älteren »Wörterbuch der deutschen<br />
Umgangssprache« von Heinz Küpper<br />
kommt es als Stichwort nicht<br />
mehr vor. Dabei gehört es mit zu<br />
den ältesten Wörtern der deutschen<br />
Sprache, wie in anderen mehr historisch<br />
geprägten Wörterbüchern<br />
nachzulesen wäre.<br />
»Arbeit« hat einen Bedeutungswandel<br />
durchgemacht, meinte es<br />
ursprünglich soviel wie »Mühe« oder<br />
»Plage«, hat es in der Gegenwart so<br />
etwas wie einen erblichen Adelstitel<br />
verliehen bekommen, wer auf sich<br />
hält, muss von der Arbeit sprechen,<br />
und »Arbeit« bedeu tet soviel wie:<br />
nützlich sein, der Gesellschaft irgendetwas<br />
geben, Alte pflegen, kranke<br />
Kin der in Afrika betreuen, und was<br />
es sonst nicht noch alles für Arbeiten<br />
gibt. Ja, natürlich die Arbeit in Betrieb<br />
und Verwaltung, in Handwerk und<br />
auf dem Felde – und es gibt Leute, die<br />
keine Arbeit finden, das wird in der<br />
öffentlichen Meinung behandelt, als<br />
wäre es eine Krankheit: Arbeitsloser,<br />
Hartz-IV-Empfänger, Rentner...<br />
All dies vermittelt dem unbefangenen,<br />
wenn auch etwas ratlosen<br />
Betrachter den Eindruck, daß unsere<br />
Welt von einer großen Rastlosigkeit<br />
erfüllt ist, der die eigentlichen Ziele<br />
fehlen. Natürlich ist es sinnvoll, an<br />
allgemeinen Aufgaben zu arbeiten,<br />
Goethe schrieb im »Wilhelm Meister«,<br />
dass es gut sei, dass der Mensch,<br />
wenn er seine Bildung erlangt habe,<br />
»lernt, um anderer willen zu leben<br />
und seiner selbst in einer pflichtmäßigen<br />
Tätigkeit zu vergessen. Da lernt<br />
er erst sich selber kennen; denn das<br />
Handeln eigentlich vergleicht uns mit<br />
andern.« [Wilhelm Meisters Lehrjahre,<br />
VII (HA Bd. 7, S. 493)]<br />
An dieser Stelle machen wir eine<br />
Pause, holen tief Luft und fragen, was<br />
das wohl bedeuten soll. Wer weiß es<br />
schon genau, und deswegen sind wir<br />
ganz frei, uns etwas dabei zu denken,<br />
z.B. meint er vielleicht:<br />
Es ist die gestaltende Tätigkeit, die<br />
etwas anderes ist als Rastlosigkeit. Es<br />
Titel<br />
Arbeit oder Muße?<br />
Von Hatwig Grubel<br />
ist die Tätigkeit, die zum Lebensglück<br />
gehört, eine selbstvergessene Tätigkeit,<br />
auf den Nutzen anderer und<br />
damit auch auf den eigenen Nutzen<br />
gerichtet.<br />
Und die Muße?<br />
Freilich ist »Tätigkeit« etwas anderes<br />
als »Arbeit«. Tätigkeit hat nicht<br />
den Hauch von Schweiß und Last,<br />
der dem Wort »Arbeit« anhaftet.<br />
Was nicht bedeutet, dass sie mühelos<br />
und von selbst erfolgt. Aber sie<br />
gewinnt ihren Sinn durch die freie<br />
Entscheidung des Menschen und<br />
wird nicht durch fremde Interessen<br />
vorgegeben.<br />
Ihre Voraussetzung ist die Muße –<br />
die man nicht mit »Müßiggang« verwechseln<br />
darf. »Müßiggang ist aller<br />
Laster Anfang«, sagt das Sprichwort<br />
und Goethe schreibt: »Was verkürzt<br />
mir die Zeit? Tätigkeit! Was macht sie<br />
unerträglich lang? Müßiggang!«<br />
Muße aber ist die Ruhe, die jeder<br />
Gedanke zum Reifen braucht, mag<br />
es sich um Stein, Vers, Flötenlied<br />
handeln, um die Erfindung der<br />
Dampfmaschine oder des Radios,<br />
der Elektrik und der Elektronik, der<br />
Weltraumfahrt oder des Bergbaus,<br />
der Interkontinentalrakete, eines Romans<br />
oder der Strafprozessordnung,<br />
einer Stein- oder Schmetterlingssammlung.<br />
Muße ist die Bedingung für die Gestaltungsfähigkeit<br />
des Menschen und<br />
die Gestaltung der Welt. Man kann<br />
es schon daran erkennen, dass wohl<br />
ein jeder, wenn er etwas erledigen<br />
will oder soll, antworten wird: »Lasst<br />
mich erst einmal nachdenken....«<br />
Muße ist auf jeden Fall etwas anderes<br />
als »rumhängen«, »abchillen«<br />
oder »durchfeiern«, das sind nur<br />
Formen des Müßiggangs, fruchtlose<br />
Zeiten, die sich eigentlich nur durch<br />
den Rausch verkürzen lassen – das<br />
aber ist schon wieder ein anderes<br />
Thema! Obwohl: wie oft hat nicht<br />
schon jeder von uns, wenn er den Tag<br />
über gearbeitet hatte, gesagt, sobald<br />
er nach Hause kam: »Ich muss erst<br />
einmal zur Ruhe, ich muss erst einmal<br />
wieder zu mir selbst kommen!«<br />
Damit ist eigentlich schon das Wesentliche<br />
gesagt: Wer bei sich selbst<br />
ist, hat Muße. Muße wird nicht in Minuten<br />
oder Stunden, nicht in Urlaubstagen<br />
und Jahren gemessen, sie hat<br />
überhaupt keine zeitliche Dimension.<br />
Muße ist die Freiheit des Geistes, sie<br />
ist der Über- und Rundblick, den jede<br />
Tätigkeit, die der Mensch ausüben<br />
will, braucht. Freilich ist damit nichts<br />
über das Ergebnis gesagt. Das wird<br />
bei den einen fruchtbar, bei anderen<br />
furchtbar sein …<br />
Muße und Arbeit sind keine Gegensätze,<br />
sie sind nur zwei Seiten<br />
derselben Medaille.<br />
Dr. Hartwig Grubel ist Pfarrer im<br />
Ruhestand und ehrenamtlich in Alt-<br />
Schmargendorf tätig<br />
Juli/August 2011 13