Altern als Chance - Alexianer Krankenhaus GmbH
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6<br />
M E d i z i n<br />
Verbrennungsopfer<br />
brauchen medizinische<br />
und seelische Unterstützung<br />
Den Tag, der sein Leben veränderte, wird<br />
Sven Pohlke* vermutlich nie vergessen:<br />
Es war der 7. Februar 1994, ein Montag.<br />
Pohlke war dam<strong>als</strong> gerade 16 Jahre alt<br />
und Auszubildender in einer Tischlerei im<br />
Münster land.<br />
Kurz vor Feierabend sollte noch Holz im Silo<br />
deponiert werden, Routinearbeit in einer<br />
Schreinerei. Was niemand ahnte: Ein glühendes<br />
Metallteil hatte einen Schwelbrand<br />
verursacht. Als Sven Pohlke die Tür zum Silo<br />
öffnete, nahm das Schicksal seinen Lauf.<br />
Große Stichflammen schlugen ihm entgegen.<br />
Es kam zu einer explosionsartigen Verpuffung.<br />
Binnen Sekunden stand er in Flammen.<br />
Was dann geschah, daran kann sich<br />
der heute 34Jährige nur noch schemenhaft<br />
erinnern: „Ich bin weggerannt und ein Kollege<br />
hinter mir her. Irgendwann lag ich am<br />
Boden, und er erstickte die Flammen mit<br />
einer Decke. Ich spürte nichts mehr.“<br />
der schweregrad ist<br />
entscheidend<br />
Dass Sven Pohlke zu dem Zeitpunkt keine<br />
Schmerzen hatte, lässt sich medizinisch<br />
erklären. Er hatte Verbrennungen dritten<br />
Grades erlitten. In solch einem Fall sind die<br />
Nervenenden völlig zerstört, die Haut ist bis<br />
in das Untergewebe hinein geschädigt.<br />
Bei Verbrennungen sind Haut und Schleimhäute<br />
verletzt, es können auch tiefere<br />
Gewebeschichten betroffen sein. Es gibt<br />
vier Schweregrade von Verbrennungen.<br />
Wenn mehr <strong>als</strong> 20 Prozent der Körperoberfläche<br />
verbrannt sind (ab Schwergrad 2 b)<br />
sind chirurgische Eingriffe nötig.<br />
Professor Dr. Raymund Horch ist Direktor der<br />
Plastisch und Handchirurgischen Klinik des<br />
*Name von der Redaktion geändert<br />
Und plötzlich kam<br />
das Feuer<br />
Universitätsklinikums Erlangen. „Im Allgemeinen hängt es vom Grad der Verbrennung ab,<br />
welche Operationsmethode man wählt. Bei Wunden ab einem Grad von 2 b muss man das<br />
verbrannte Gewebe entfernen, entweder oberflächlich oder tief. Ohne chirurgische Hilfe<br />
heilen diese Wunden nicht mehr und bilden schreckliche Narben“, erklärt der Experte.<br />
In der modernen Medizin gibt es unterschiedliche Operationstechniken, fast immer sind<br />
mehrere Eingriffe notwendig. Wenn die Verpflanzung der eigenen Haut des Patienten<br />
nicht mehr ausreicht, kann auch Fremdhaut mit einer speziellen Technik verpflanzt werden,<br />
bis wieder ausreichend eigene Haut verfügbar ist. Das Züchten von Hautzellen gehört<br />
heute zum selbstverständlichen Repertoire der Transplantationsmedizin.<br />
Aktuelle Erkenntnisse der Doktorandin Hanna Wendt der Medizinischen Hochschule Hannover<br />
sind vielversprechend: Spinnenseide hilft beim Züchten künstlicher Haut und könnte<br />
damit chronische Wunden und Verbrennungen heilen helfen. Die Spinnenseide sei stark<br />
dehnbar und werde vom menschlichen Körper toleriert. Mit den Spinnenfäden ließen sich<br />
Nerven reparieren.<br />
Männer am häufigsten betroffen<br />
In Deutschland gibt es bundesweit rund 25 Zentren für Schwerbrandverletzte in Kliniken.<br />
Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin e. V. werden jährlich<br />
etwa 1.700 Patienten versorgt. 65 Prozent aller Betroffenen sind zwischen 20 und<br />
59 Jahren alt, davon doppelt so viele Männer wie Frauen. Die häufigsten Ursachen sind<br />
Unfälle im Haushalt (67 Prozent), gefolgt von Arbeitsunfällen (21 Prozent). Dass es weniger<br />
Arbeitsunfälle gibt, mag an den zunehmend höheren Sicherheitsbestimmungen liegen <strong>als</strong><br />
noch vor einigen Jahren.<br />
Bei einer Verpuffung wie im Fall von Sven Pohlke lösen Gase den Explosionsdruck aus.<br />
Aber auch Flüssigkeiten, Dämpfe, Sonneneinstrahlung, Strom oder Reibung können zu<br />
Verbrennungen führen. Selbst schwere Erfrierungen verursachen ähnliche Schäden. Nicht<br />
nur die Verbrennungen allein sind das Problem, sondern auch die möglichen Begleitkomplikationen<br />
wie etwa ein Kreislaufschock, Infektionen, eine Blutvergiftung oder gar<br />
Organversagen. ErsteHilfeMaßnahmen und Weiterbehandlung sind entscheidend für den<br />
Verlauf der Krankheit.<br />
Nach der medizinischen Erstversorgung wurde Pohlke mit dem Hubschrauber in das Zentrum<br />
für Schwerbrandverletzte des Universitätsklinikums Aachen geflogen. Seine Haut war<br />
zu 30 Prozent geschädigt. Stark betroffen waren Arme, Hände und Oberkörper. Ein Monat<br />
auf der Intensivstation, weitere sechs Wochen <strong>Krankenhaus</strong>aufenthalt und jahrelange Therapien<br />
retteten ihm das Leben. „Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn das nicht passiert<br />
wäre? Diese Frage habe ich mir oft gestellt“, sagt er. Entlastend sei dam<strong>als</strong> der lockere und<br />
herzliche Kontakt zu den Pflegekräften und Ärzten gewesen, erinnert er sich: „Vielleicht<br />
hat es mir auch geholfen, dass ich schon immer ein positiver Mensch war.“<br />
narben auf der seele<br />
Wie wichtig die psychosoziale Betreuung des Patienten ist, weiß auch Professor Horch:<br />
„Eine frühzeitige Mitbehandlung durch Psychotherapeuten ist sinnvoll. Der Betroffene<br />
muss lernen, mit dem neuen Selbstbild und der Veränderung seines Erscheinungsbildes zu<br />
leben.“ Und auch die Angehörigen und Freunde spielen eine zentrale Rolle, wenn es um<br />
die psychische Genesung geht. „Bis ich wieder auf eine Party gegangen bin, hat es Jahre<br />
M E d i z i n 7<br />
gedauert. Da haben meine Freunde lange<br />
dran gearbeitet“, erzählt Pohlke. Noch<br />
Monate, nachdem es nicht mehr nötig war,<br />
versteckte sich der junge Mann unter Kompressionskleidung,<br />
die er drei Jahre lang<br />
hatte tragen müssen.<br />
Heute lebt Pohlke mit den Folgen seines<br />
Unfalls ein relativ normales Leben – trotz<br />
mancher Einbußen. Die Beweglichkeit in<br />
den Händen ist stark eingeschränkt, denn<br />
das Narbengewebe und die verkürzten<br />
Sehnen machen ihm noch immer zu schaffen.<br />
Seinen Job <strong>als</strong> Schreiner musste er an<br />
den Nagel hängen. Die Hoffnung und der<br />
Ehrgeiz, das Beste aus seinem Leben zu<br />
machen, sind geblieben. Dass er heute seinen<br />
Beruf <strong>als</strong> Bautechniker ausübt, glücklich<br />
verheiratet ist und leidenschaftlich gern<br />
schwimmt und Rennrad fährt, hat er nicht<br />
nur dem medizinischen Fortschritt zu verdanken.<br />
Familie und Freunde standen ihm<br />
zur Seite. „Der Unfall hat mir geholfen, vieles<br />
relaxter und gelassener zu sehen“, sagt<br />
Sven Pohlke.<br />
Text: Britta Ellerkamp<br />
Foto: mauritius images / Walter Bibikow<br />
Erste Hilfe bei<br />
Brand verletzungen<br />
Notruf 112 alarmieren<br />
• Feuer löschen<br />
• Verletzten von der verbrannten<br />
Kleidung befreien<br />
• Verletzten mit lauwarmem Wasser<br />
abduschen (Unterkühlung vermeiden)<br />
• Wunden locker und keimfrei ab decken,<br />
zum Beispiel mit einem Verbandstuch<br />
• Freihaltung der Atemwege<br />
• Kontrolle der Atmung, der Herz-KreislaufZirkulation<br />
und des Bewusstseins<br />
• Wunden keinesfalls mit Hausmitteln<br />
versorgen (keine Salben, kein Speisemehl<br />
oder Ähnliches)