Ersti-Info - GWDG
Ersti-Info - GWDG
Ersti-Info - GWDG
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Seite 34 Bundestagswahl g rotation<br />
Recalled to Life<br />
Eine Nachlese der Bundestagswahl<br />
Ein Roman von Charles Dickens hat als<br />
Überschrift eines Abschnitts „Recalled to Life“.<br />
So mag sich auch die rot-grüne Regierung vorgekommen<br />
sein, nachdem sie sich in den frühen<br />
Morgenstunden des 23. September als gerettet<br />
betrachtet konnte. Nachdem Rot-Grün einige<br />
Wochen vor der Wahl bei Medien und Politikwissenschaftlern<br />
schon als klinisch tot galt und<br />
wohl auch selbst den Lebenswillen verloren hatte,<br />
erfolgte durch Flut und Frieden eine Wiederbelebung.<br />
Was aber können wir aus dieser<br />
Nah-Tod-Erfahrung lernen?<br />
Marginalien wie Hertas Geschichtskenntnisse,<br />
Edmunds Stottern oder Schröders rhetorische<br />
Gewandtheit können außer Acht gelassen<br />
werden.<br />
g Deus ex machina<br />
Die SPD hat die Wahl gerupft überstanden.<br />
Ohne die hohe Zustimmung der Ostdeutschen<br />
wäre es schlimmer ausgegangen. Die Ursachen<br />
liegen wesentlich darin, dass Schröder das<br />
Hauptversprechen seiner 1998er Kampagne,<br />
mehr Arbeitsplätze, nicht einlösen konnte. Sein<br />
neokorporativistischer Ansatz mit dem Bündnis<br />
für Arbeit erwies sich als wirkungslos. Die<br />
neu-mittig neoliberale Lösung der Steuerreform<br />
ruinierte zwar die öffentlichen Haushalte, veranlasste<br />
die Unternehmen aber keineswegs zur<br />
Schaffung neuer Arbeitsplätze. Gerettet wurde<br />
die SPD vom Mangel an Alternativen, einigen<br />
Zufällen wie der Flut und natürlich der Irak-<br />
Debatte. Nun war die Position der Bundesregierung<br />
in der Sache durchaus verständlich. Die<br />
massive Forcierung zu einer Zeit aber, als noch<br />
niemand nach einen deutschen Beitrag fragte,<br />
schmeckte nach Taktik. Die verwundete Seele<br />
der rot-grünen Pazifisten wurde nach Kosovo<br />
und Afghanistan endlich wieder geheilt. Die<br />
unschönere Seite war die Bedienung des in<br />
Deutschland latenten Antiamerikanismus – von<br />
denen, die den Amis nie die Nachrüstung verziehen<br />
haben bis zu denen, die nie vergessen<br />
haben, dass „uns der Ami in Jalta an den Iwan<br />
verkauft hat“.<br />
Ob die CDU wirklich gewonnen hat, darüber<br />
streiten sich die Gelehrten. Ihr Ergebnis<br />
war zumindest im Westen passabel, aber die<br />
Zuwächse kamen fast nur aus Süddeutschland.<br />
Die Defizite des Kandidaten waren eher sekundär;<br />
immerhin hat sich Kohl auch ohne Charisma<br />
16 Jahre an der Macht gehalten. An die<br />
Macht gekommen ist die CDU/CSU eben nicht<br />
und das ist der Punkt.<br />
Den Sieg gekostet hat die Union und Stoiber<br />
letztlich ihre Unentschlossenheit. Nirgendwo<br />
traute sich die Union ein Gegenkonzept vorzuschlagen,<br />
aus der Angst, irgendwo anzustoßen.<br />
Besonders berühmt waren die fehlenden Gegenfinanzierungsvorschläge.<br />
Und Seehofer fiel vornehmlich<br />
mit Attacken auf Maßnahmen auf, die<br />
er größtenteils selbst eingeführt hatte. Der Höhepunkt<br />
wurde in der Irakdebatte erreicht, wo<br />
die durchaus diskutable Meinung der Union<br />
nach etwa 10 Schwankungen erreicht wurde.<br />
Stoiber wusste sichtlich nicht, ob er vor Präsident<br />
Bush oder der Antikriegshaltung im Volk<br />
mehr Angst haben sollte. So erging es ihm wie<br />
dem Esel in der Fabel, der sich zwischen zwei<br />
Heubündeln nicht entscheiden konnte und verhungerte.<br />
g Zwischen 4 und 9 Prozent<br />
Da Totgesagte länger leben, sind die Grünen<br />
der große Gewinner der Wahl. Machterhalt und<br />
bestes Ergebnis der Geschichte - klarer geht es<br />
nicht. Joschka riss es, und die Flut brachte - wenn<br />
auch nicht immer inhaltlich gerechtfertigt -<br />
Ökologie wieder ins Gedächtnis. Dieses Thema<br />
hatten zum Glück der Grünen alle anderen Parteien<br />
aufgegeben. Allerdings kommen die Stimmenzugewinne<br />
vor allem von der SPD. Dies lässt