FORUM WARE - DGWT
FORUM WARE - DGWT
FORUM WARE - DGWT
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
WIRTSCHAFT – GESELLSCHAFT - NATUR 65<br />
diesem Naturforscher bestätigt, dessen Kenntnis in manchen Punkten umfassender ist als die meine“ (Darwin<br />
1876, S. 3). 1 2<br />
Darwin, der zwar Spencers „Development Hypothesis“ vom Jahre 1852 zitiert, hat jedoch damit nicht sehr<br />
viel anfangen können. Denn er war sich darüber im klaren, dass die Erweiterungen der biologischen Evolutionstheorie,<br />
die ein derartig allgemeines und bloß deskriptives Gesetz in seinem kausalen Mechanismus konkretisieren<br />
hätte können, Probleme für eine „ferne Zukunft“ waren, wenn sie überhaupt jemals durch den Menschen<br />
gelöst werden können: „In welcher Weise sich die Geisteskräfte in den niedrigsten Organismen entwickelt<br />
haben, ist eine nicht weniger hoffnungslose Frage, als die, wie das Leben selbst zuerst entstanden ist“<br />
(Darwin 1876, S. 66).<br />
Am Anfang dieses universalen Konzepts der Evolution standen also ein „nichtssagendes Prinzip“, wie einer<br />
der bekanntesten Evolutionsbiologen der Gegenwart, Ernst Mayr (1979), das Spencersche Gesetz nannte, und<br />
zwei hoffnungslose Fragen. Diese Situation hat sich jedoch heute drastisch geändert. Kein Geringerer als der<br />
Begründer der „modernen Synthese“ in der Biologie, Julian Huxley, hat bereits festgehalten, dass wir nun<br />
entdeckt haben, „dass alles Wirkliche in einem völlig eindeutigen Sinn aus einem einzigen alles umfassenden<br />
Evolutionsprozeß besteht“ (Huxley 1966).<br />
Mit der Annahme einer solchen universalen Evolution wird jedoch nicht die gesamte Wirklichkeit zu einem<br />
unterschiedslosen Brei verschmiert. Die Evolutionstheorie in ihrer universellen Bedeutung schlägt vielmehr<br />
einen Mechanismus vor, der nicht nur die einzelnen Phasen oder Stufen dieses Prozesses miteinander verbindet,<br />
sondern diese auch trennt, indem er ihnen eigene Produkte und eigene Entwicklungsgeschwindigkeiten<br />
zuordnet. Es gibt also auch so etwas wie eine Evolution der Evolutionsmechanismen. Im Rahmen eines Konzeptes<br />
der universalen Evolution ist diese Vorstellung eine Selbstverständlichkeit. Denn die drei Phasen der<br />
präbiotischen, biotischen und postbiotischen Evolution unterscheiden sich so deutlich durch den ihnen eigenen<br />
Evolutionsmechanismus, dass es eher fragwürdig ist, ob es sich hier um einen einzigen, in sich zusammenhängenden<br />
Prozess handelt: So wird die kosmische oder anorganische, präbiotische Evolution durch physikalische<br />
oder einfache chemische Prozesse gesteuert, während die organisch-genetische Evolution von dem Mechanismus<br />
der Rekombination, Mutation und Selektion bestimmt wird und die sog. soziokulturelle Evolution auf<br />
dem Übertragungsmechanismus der direkten Kommunikation und Tradition beruht, die von den Vererbungsmechanismen<br />
und somit vom Generationswechsel unabhängig sind.<br />
Wenn man daher von einer universellen Evolution spricht oder auch nur den Begriff „Evolution“ sowohl im<br />
kosmologisch-physikalisch-chemischen Bereich als auch im biologischen und soziokulturellen Bereich gleichsinnig<br />
verwenden will, dann geht es darum, trotz dieser Unterschiede der jeweiligen Mechanismen der Evolution<br />
ein reales „Verwandtschaftsverhältnis“ zwischen ihnen in dem Sinne nachzuweisen, dass einer aus dem<br />
anderen hervorgegangen ist. Dieser Nachweis muss an jenen „kritischen Punkten der Evolution“ (Huxley<br />
1966) geschehen, die Darwin als die beiden hoffnungslosen Fragestellungen bezeichnet hat: Die Entstehung<br />
des Lebens und des menschlichen Geistes. In beiden Fällen ist dieser Nachweis bereits weitgehend dadurch<br />
gelungen, dass man innerhalb des jeweiligen Bereiches eine sich selbst steigernde Entwicklung des jeweiligen<br />
Mechanismus feststellen konnte. Im Bereich der präbiotischen chemischen Evolution waren es synergetische<br />
Kooperationsphänomene (Haken 1981), Fluktuationen fern vom thermodynamischen Gleichgewicht (Glansdorff<br />
& Prigogine 1971), katalytische Zyklen und autokatalytische Hyperzyklen (Eigen & Winkler 1975), mit<br />
denen man schließlich der Erklärung des Entstehens des Lebens nahegekommen ist, während es im biologischen<br />
Bereich um die Vorstellung einer Evolution des Vererbungsapparates ging. In diesem engeren Sinne hat<br />
schon 1936 der Genetiker A. Shull von einer „Evolution der Evolution“ gesprochen. In einem weiteren Sinn<br />
handelt es sich um die Frage, ob die Faktoren und der durch sie gebildete Mechanismus der organischen Evolution<br />
sich stets gleichgeblieben sind, so dass sie einfach als gegebene Voraussetzungen für die theoretische<br />
Erklärung der Evolution aller Arten und Artengruppen zu allen Zeiten genommen werden können.<br />
Dass dies nicht der Fall ist, zeigt sich schon am Beginn der Evolution des Lebendigen. Die übliche Minimalforderung<br />
zur Kennzeichnung des Lebens, Stoffwechsel, Selbstreproduktion und Übertragung von Mutation,<br />
ist schon im Eigenschen Hyperzyklus erfüllt. Durch die sexuelle Fortpflanzung, die mit Eukarioten auftritt,<br />
wird jedoch systematisch Varietät erzeugt. Daher ist überhaupt anzunehmen, dass der Vererbungsmechanismus<br />
selbst einer Evolution unterliegt. Denn nach mehreren Generationen wird auch die bessere Vererbungsstrategie,<br />
die eine schnellere Umweltanpassung zustande bringt, ausgelesen und weiterentwickelt. Die Evolution<br />
der Evolutionsmechanismen bedeutet somit auch eine Optimierung des zeitlichen Aufwandes, der sonst<br />
gar nicht ausreichen würde, um die Vielfalt der Organismen in der komplizierten Struktur ihrer Baupläne hervorzubringen.<br />
Daher hat schon Darwin mit einem Hinweis auf Goethe von einem universellen Ökonomieprinzip<br />
der Evolution gesprochen: „Die Natur ist gezwungen, auf der einen Seite zu ökonomisieren, um auf der<br />
anderen mehr geben zu können“ (Darwin 1859). Damit ist bereits die primäre Aufgabenstellung des heuristi-<br />
1. Darwin hat seinen Essay vor der Veröffentlichung Haeckels „Natürlicher Schöpfungsgeschichte“ geschrieben,<br />
aber erst später veröffentlicht.<br />
<strong>FORUM</strong> <strong>WARE</strong> 38 (2010) NR. 1 - 4