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WIRTSCHAFT – GESELLSCHAFT - NATUR 73<br />
WIRTSCHAFTEN MIT DARWIN – EVOLUTION UND ÖKONOMIE<br />
Franz M. Wuketits*<br />
Zu den Verdiensten Charles Darwins gehört die Verabschiedung des tief in unserer Geistesgeschichte verwurzelten<br />
typologischen Denkens, dem die Auffassung zugrunde liegt, dass es starre, unwandelbare Typen<br />
oder „Wesenheiten“ in der Natur gibt (vgl. Mayr 2003). Dieses Denken ist zu einer Ideologie stilisiert worden<br />
und dient als Legitimation von Machtansprüchen, welche die tatsächlichen Verhältnisse verschleiern sollen.<br />
Politiker übersehen gern, dass „der Staat“ auch nur eine abstrakte Kategorie darstellt und bloß die Menschen,<br />
die in einem als Staat abgegrenzten Territorium leben, real sind. Aber eine Handlung, die „im Namen des<br />
Staates“ vollzogen wird, hat etwas gleichsam Sakrales, vergleichbar mit der Handlung von Priestern, die den<br />
Willen unsichtbarer Götter exekutieren.<br />
Auch „Wirtschaft“ ist eine abstrakte Kategorie, real sind bloß die Menschen, die Wirtschaft betreiben; und in<br />
gewissem Sinn tun wir das alle. Daher lautet meine These: „Geht’s uns allen gut, geht’s der Wirtschaft gut.“<br />
Wobei „die Wirtschaft“ nichts weiter ist, als die Gesamtheit der Aktivitäten unzähliger Akteure, denen in erster<br />
Linie ihr eigenes Wohlergehen am Herzen liegt. Dabei ist dem Individuum sein Recht auf Wertschöpfung<br />
zu garantieren (vgl. Riedl 1987). Die Entwicklung ökonomischer Institutionen ist ein Nebeneffekt spezifischer<br />
Strategien von Machthabern oder „Staaten“ zur Aneignung von Ressourcen für militärische Zwecke (Herrmann-Pillath<br />
1991). Im Vorfeld dazu ist der Mensch, wie alle Organismenarten, zum individuellen Überleben<br />
programmiert, und sein Wirtschaften steht im Dienste seiner Eignung zum Überleben. Darunter ist kein platter<br />
Biologismus zu verstehen. Allerdings können wir unser wirtschaftliches Verhalten nicht losgelöst von biologischen<br />
Antrieben betrachten. Auch in der Wirtschaftsethik, soll sie nicht bloß Luftschlösser bauen, ist diesen<br />
Antrieben Rechnung zu tragen (vgl. z. B. Frederik 2002, Wuketits 2008a). Gleichzeitig sollten wir längst eingesehen<br />
haben, dass der Erfolg unserer Ökonomie von ökologischen Rahmenumständen abhängt. Wir können<br />
nicht an der Natur einfach vorbeiwirtschaften. Im Gegensatz zu einer unter Ökonomen lange Zeit verbreiteten<br />
Auffassung, wonach wirtschaftliche Optimalität ohne Rücksicht auf natürliche Bedingungen erreicht werden<br />
könne, erscheint es notwendig, das Leben in die Ökonomie zurückzubringen (Hodgson 1993), das Primat der<br />
physis für ein Verständnis des Wesens der Wirtschaft wieder zu erkennen (Seifert 1993). Ebenso ist Abschied<br />
zu nehmen von dem (neoklassischen) Paradigma, das auf der Überzeugung beruht, der Wirtschaftsprozess sei<br />
mit statischen (Gleichgewichts-) Modellen erfassbar (vgl. Seifert 2006).<br />
Ein dynamisches Weltbild<br />
Darwin hat mit seiner Theorie der Evolution durch natürliche Auslese oder Selektion (zur Übersicht siehe<br />
etwa Wuketits 2005) das lang gehegte statische Weltbild endgültig zugunsten eines dynamischen Weltbildes<br />
verabschiedet. Nichts sei beständiger als der Wandel, meinte er. Doch selten ist eine (natur-)wissenschaftliche<br />
Theorie so häufig und so gründlich missverstanden worden wie die Selektionstheorie, mit der Darwin eine<br />
plausible Erklärung für jenen Wandel einführte. Seine Formel struggle for life wurde – leider – buchstäblich<br />
als „Kampf ums Dasein“ übersetzt und auch so verstanden, während er selbst ausdrücklich darauf verwies,<br />
dass er „diesen Ausdruck in einem weiten und metaphorischen Sinne gebrauche“ (Darwin 1859 [1988, S. 82]).<br />
Natürlich finden in der Natur Kämpfe zwischen Artgenossen statt, aber Darwins Metapher umschreibt einen<br />
natürlichen Wettbewerb, der sich durchaus unblutig abspielen kann. Der Engländer hob dabei hervor, dass ja<br />
auch Pflanzen ums Dasein „kämpfen“, wenngleich ihnen keine „Waffen“ (wie Hörner, Zähne und Klauen) zur<br />
Verfügung stehen. Struggle for life hätte man daher besser etwa als „Ringen ums Dasein“ übersetzen sollen<br />
(vgl. Heberer 1959).<br />
Missverständnisse entstanden auch hinsichtlich der Metapher survival of the fittest. Es ist ärgerlich, wenn –<br />
was nach wie vor gelegentlich geschieht – hierbei vom „Überleben des Stärksten“ die Rede ist. Das ist blanker<br />
Unsinn. Nicht jener Riese, der seine Feinde zertrampelt oder in Stücke reißt, ist der „fitteste“, sondern jenes<br />
Individuum einer Art, das über die relativ beste Eignung zum Überleben verfügt. Überleben bedeutet dabei<br />
stets genetisches Überleben, also erfolgreiche Fortpflanzung. Die Eignung dazu definiert sich aus Merkmalen,<br />
die dem Individuum gegenüber seinen Artgenossen Vorteile verschaffen. Beispielsweise wird die Gazelle, die<br />
schneller laufen – und daher schneller vor einem Löwen fliehen – kann, mit höherer Wahrscheinlichkeit länger<br />
am Leben bleiben (und sich erfolgreicher fortpflanzen) als langsamere Gazellen. Nicht der furchtlose Draufgänger<br />
ist also gefragt, sondern der, welcher über die jeweils klügsten Überlebensstrategien verfügt, sich zum<br />
Beispiel effektiv zu verstecken oder zu verstellen weiß. Man kann survival of the fittest daher ohne weiteres<br />
auch mit „Überleben der Feiglinge“ übersetzen (Wuketits 2008b).<br />
Die Selektionstheorie wurde im Sozialdarwinismus ideologisch verzerrt. Darwin selbst verstand seine Theorie<br />
ausdrücklich im naturwissenschaftlichen Sinn und missbilligte ihre ideologischen Interpretationen (siehe<br />
auch Desmond et al. 2008). Er war alles andere als ein Sozialdarwinist (vgl. z. B. Pfahl-Traughber 2009,<br />
<strong>FORUM</strong> <strong>WARE</strong> 38 (2010) NR. 1 - 4