open.med Bericht 2007 - Ärzte der Welt e.V.
open.med Bericht 2007 - Ärzte der Welt e.V.
open.med Bericht 2007 - Ärzte der Welt e.V.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Zusammenfassung<br />
Dieser <strong>Bericht</strong> basiert auf Daten, die im Jahr <strong>2007</strong> bei dem Projekt<br />
<strong>open</strong>.<strong>med</strong> von <strong>Ärzte</strong> <strong>der</strong> <strong>Welt</strong> gesammelt wurden. Das Projekt<br />
bietet Menschen ohne Krankenversicherung Zugang zur<br />
Gesundheitsversorgung in München. Aus den Daten von 343<br />
Arztkonsultationen sowie 189 sozialen Beratungen haben<br />
wir einen <strong>Bericht</strong> zusammengestellt, in dem wir zeigen wollen,<br />
wer unsere Patienten sind, woher sie kommen, welche Probleme<br />
sie haben, und welche Erfahrungen sie bei dem Versuch<br />
gemacht haben gesundheitliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.<br />
Im Jahr <strong>2007</strong> verzeichnete <strong>open</strong>.<strong>med</strong> bereits 453 Besuche in <strong>der</strong><br />
Augsburgerstraße, davon 343 Arztkonsultationen.<br />
262 Personen konnten wir außerdem Termine bei nie<strong>der</strong>gelassenen<br />
Partnerärzten o<strong>der</strong> bei unserem Partnerlabor vermitteln.<br />
Ein wesentlicher Teil <strong>der</strong> Patienten, die sich zum Zeitpunkt<br />
ihrer Vorstellung in beson<strong>der</strong>s misslichen Lebenssituationen befanden,<br />
wurde außerdem vom <strong>open</strong>.<strong>med</strong>-Team zur Krisenintervention<br />
über mehrere Wochen, manchmal auch Monate aktiv<br />
begleitet. Im Jahr <strong>2007</strong> wandten sich insgesamt 211 Personen<br />
mit <strong>med</strong>izinischen bzw. psychosozialen Fragestellungen an uns.<br />
Die Anzahl <strong>der</strong> einzelnen Klientenbesuche in diesem<br />
Jahr variiert zwischen ein bis max. fünfzehn Konsultationen.<br />
Der Anteil <strong>der</strong> Frauen (61,8 %) war wesentlich höher als <strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Männer (38,2 %). Die größte Patientengruppe bildeten Erwachsene<br />
zwischen 20 und 39 Jahren (44,6 %). 64 verschiedene<br />
Nationalitäten waren vertreten, die meisten Patienten kamen<br />
jedoch aus den neuen EU-Län<strong>der</strong>n, wie Polen o<strong>der</strong> Bulgarien<br />
(24,9 % ).<br />
4<br />
77,2 % aller Besucher gaben an, über keinerlei Krankenversicherung<br />
zu verfügen.<br />
43,9 % <strong>der</strong> Klienten sahen sich nicht in <strong>der</strong> finanziellen Lage,<br />
für ihre <strong>med</strong>izinische Versorgung selbst aufzukommen. Und<br />
auch administrative Schwierigkeiten stellten offensichtlich ein<br />
Problem dar: Sie wurden von 20,9 % <strong>der</strong> Befragten als eine<br />
entscheidende Hürde beim Zugang zur ärztlichen Versorgung<br />
eingeschätzt.<br />
Ein wesentlicher Teil unserer Patienten waren statuslos (19,6 %).<br />
Sie werden von keiner Krankenversicherung aufgenommen.<br />
In akuten Fällen haben sie einen Anspruch auf <strong>med</strong>izinische<br />
Dienstleistung. Die Kostenerstattung einer Behandlung erfolgt<br />
entwe<strong>der</strong> bar durch den Patienten selbst o<strong>der</strong> über die<br />
zuständigen Sozialämter. Das Sozialamt ist allerdings gemäß<br />
dem Aufenthaltsgesetz dazu verpflichtet, in <strong>der</strong> Illegalität<br />
lebenden Menschen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde zu melden. Die<br />
Inanspruchnahme <strong>med</strong>izinischer Hilfe kann somit zur Aufdekkung<br />
eines nicht legalen Aufenthaltes und einer anschließenden<br />
Ausweisung führen. Aus Angst vor diesen Konsequenzen<br />
gehen die meisten Menschen ohne Papiere nur dann zum Arzt,<br />
wenn sie die Behandlung auch selbst zahlen können.<br />
Eine alarmierend hohe Zahl unserer Patienten waren auch<br />
Deutsche ohne Krankenversicherung (14,8 %).<br />
Das statistische Bundesamt schätzt, dass bundesweit etwa<br />
200 000 Deutsche ohne Krankenversicherung leben. Seit dem<br />
01.04. <strong>2007</strong> ist das neue Gesundheitsgesetz in Kraft. Dieses<br />
besagt, dass sich je<strong>der</strong> gesetzlich krankenversichern muss. Viele<br />
Selbständige können allerdings aufgrund ihres niedrigen<br />
Einkommens kaum die Beiträge einer privaten Krankenversicherung<br />
zahlen. Dies betrifft auch viele aus den EU-Län<strong>der</strong>n<br />
stammende Patienten, die in gering bezahlten Arbeitsverhältnissen<br />
ihren Lebensunterhalt verdienen. Außerdem müssen<br />
die Personen, die sich wie<strong>der</strong> versichern lassen wollen,<br />
rückwirkend zum 01. 04. <strong>2007</strong> die monatlichen Beiträge nachzahlen<br />
und viele haben auch noch Schulden bei ihren alten<br />
Krankenkassen. Dies bedeutet einen enormen Kostenaufwand<br />
für die Betroffenen, den nur die wenigsten zahlen können.<br />
10,4 % aller Konsultationen fanden aus Gründen<br />
von Schwangerschaft, Geburt und Familienplanung statt.<br />
Viele unserer Patientinnen hatten keine Aufenthaltsgenehmigung<br />
in Deutschland. Zumeist kamen die Frauen in <strong>der</strong> Endphase<br />
ihrer Schwangerschaft, ohne davor einen Arzt gesehen<br />
zu haben. Mit <strong>der</strong> Schwangerschaft sind hohe Kosten verbunden.<br />
Die Voruntersuchungen, die Geburt und die Nachuntersuchungen<br />
für Mutter und Kind müssen bezahlt werden.<br />
Da die Frauen keinen Anspruch auf eine Krankenversicherung<br />
haben und ihr Recht auf Gesundheitsversorgung auf Bedürftigkeitsbasis<br />
aufgrund <strong>der</strong> Angst vor Ausweisung nicht in<br />
Anspruch nehmen, müssen sie selbst für die vollen Kosten<br />
aufkommen.<br />
Das Recht auf Gesundheitsversorgung für alle Menschen ohne<br />
Rücksicht auf ihren Aufenthaltsstatus o<strong>der</strong> ihr Einkommen,<br />
das von mehreren internationalen und europäischen Texten<br />
vorgeschrieben wird, soll in Deutschland sichergestellt werden.<br />
So sollten folgende Grundbestimmungen geachtet werden:<br />
Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle<br />
Rechte vom 19. 12. 1966, Artikel 12 (1)<br />
Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für<br />
ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit<br />
an. (2) Die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden<br />
Schritte zur vollen Verwirklichung dieses Rechts umfassen<br />
die erfor<strong>der</strong>lichen Maßnahmen (…) d) zur Schaffung <strong>der</strong> Voraussetzungen,<br />
die für je<strong>der</strong>mann im Krankheitsfall den Genuss <strong>med</strong>izinischer<br />
Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen.“<br />
Europäische Sozialcharta vom 18. 10. 1961, Artikel 11 und 13<br />
Je<strong>der</strong>mann hat das Recht, alle Maßnahmen in Anspruch zu nehmen,<br />
die es ihm ermöglichen, sich des besten Gesundheitszustands<br />
zu erfreuen, den er erreichen kann. Artikel 13: Je<strong>der</strong>mann hat das<br />
Recht auf Fürsorge, wenn er keine ausreichenden Mittel hat.<br />
In an<strong>der</strong>en EU-Län<strong>der</strong>n, wie Italien, den Nie<strong>der</strong>landen o<strong>der</strong><br />
Spanien, ist dieses Recht schon verwirklicht worden. Dort haben<br />
auch Menschen ohne Papiere Zugang zur Gesundheitsvorsorge,<br />
ohne dass sie Angst vor Ausweisung haben müssen.<br />
Auch Deutschland sollte einen Zugang zu <strong>med</strong>izinischer<br />
Behandlung und Gesundheitsversorgung für hilfsbedürftige Bevölkerungsgruppen<br />
schaffen und somit einen bedeutenden<br />
Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung <strong>der</strong> Werte <strong>der</strong> Europäischen<br />
Gemeinschaft machen.<br />
5