Interview von Daniela Gysling mit Dr. med. Andreas ... - HLI-Schweiz
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(K)ein Akt der Nächstenliebe <strong>von</strong> <strong>Daniela</strong> <strong>Gysling</strong><br />
Manchmal geschehen in unserem Leben auf den<br />
ersten Blick sehr banale Dinge, wie zum Beispiel eine<br />
kurze Begegnung <strong>mit</strong> einer fremden Person. Man redet<br />
über irgendetwas, nicht selten aus Langeweile oder aus<br />
Verlegenheit, um die Stille zu überbrücken. Aus etwas<br />
anfänglich Banalem ergibt sich manchmal aber auch<br />
plötzlich etwas Bedeutendes, wie auf eine geführte<br />
Weise.<br />
So erging es mir kürzlich, vor<strong>mit</strong>tags um halb elf Uhr<br />
in einem überfüllten Tearoom. Ich setzte mich an den einzigen<br />
freien Platz. Vis-à-vis sass eine Frau, ihr Blick signalisierte<br />
mir, dass ich willkommen war. Wir begannen<br />
etwas zu plaudern und irgendwann waren wir bei einem<br />
ernsteren Thema angelangt. So erzählte mir meine Tischnachbarin<br />
über ihren Ehemann,<br />
den sie vor sieben Monaten verloren<br />
hatte. Er litt seit Jahren an<br />
Alzheimer, sie war stets für ihn<br />
da, umsorgte ihn, führte ihn<br />
durch den Alltag. Dabei verlor er<br />
<strong>mit</strong> jedem Tag ein Stück mehr<br />
<strong>von</strong> seiner Selbständigkeit,<br />
brauchte überall Hilfe, Beistand<br />
und Führung. Es schmerzte sie,<br />
das <strong>mit</strong> ansehen zu müssen, doch<br />
sie nahm sich seiner an, bis zu<br />
jenem Tag, wo sie einen<br />
Zusammenbruch hatte und ihren<br />
Mann auf Rat des Arztes in ein<br />
Heim geben musste. Es wäre sehr<br />
schlimm gewesen für sie, los zu<br />
lassen und ihren geliebten Gatten<br />
anderen Menschen an zu vertrauen.<br />
„Anfänglich ging ich denn<br />
auch stundenlang zu ihm ins<br />
Heim, half bei der Pflege. Bald<br />
musste ich erkennen, dass ich keinen grossen Einfluss<br />
mehr auf die Betreuung und Pflege nehmen konnte, im<br />
Heim galten andere Regeln, andere Betreuungsgrundsätze.<br />
Das tat mir sehr weh, doch meine eigenen Kräfte<br />
waren damals zu Ende und ich war zu erschöpft, um daran<br />
etwas zu ändern“. Dann erzählte sie weiter. Nach ein<br />
paar Wochen Heimaufenthalt spürte sie das innige<br />
Bedürfnis, ihren geliebten Mann wenigstens stundenweise<br />
wieder einmal nach Hause zu nehmen. Sie erhoffte<br />
sich, dass er sich an irgendetwas erinnern möge. Doch<br />
da war nichts, der Mann kannte weder sein Zuhause, noch<br />
seine eigene Frau. Traurig musste sie das akzeptieren.<br />
Nach zwei Monaten Heimaufenthalt wurde ihr Mann <strong>von</strong><br />
seinem Leiden erlöst. Für die Hinterbliebene war dies ein<br />
Zeichen der Gnade Gottes.<br />
Sieben Monate waren seitdem Tod ihres Ehemannes<br />
vergangen: „Heute weiss ich, dass ich alles für ihn getan<br />
habe, was möglich war und jetzt kann ich da<strong>mit</strong> beginnen,<br />
mein eigenes Leben wieder in die Hand zu nehmen.“<br />
Etwas schimmerte in ihren Augen als sie ergänzte: „Ich<br />
bin so dankbar, dass ich mich solange um ihn kümmern<br />
konnte, für ihn da sein durfte, auch wenn es mich fast um<br />
meine eigenen Kräfte gebracht hat. Es war richtig so.“<br />
Einem inneren Impuls folgend stellte ich ihr eine Frage:<br />
„Gab es nie Momente, wo sie dachten, Ihrem Mann<br />
das Leiden zu ersparen, so zu sagen zu verkürzen und<br />
sich einer Sterbehilfeorganisation wie Dignitas oder Exit<br />
anzuvertrauen?“<br />
Die Frau entgegnete mir:<br />
"Wissen Sie, auch wenn es manchmal fast nicht zum Aushalten<br />
war, spürte ich, dass es einen Unterschied gibt zwischen<br />
Mensch und Tier. Ein Tier das leidet, darf erlöst<br />
werden. Das sind wir ihm schuldig. Ein Mensch hingegen<br />
steht über dem Tier und wir sind dazu berufen, uns <strong>mit</strong><br />
unseren Mitmenschen auseinander<br />
zu setzen, und gerade dann,<br />
wenn es am aller schwersten ist.<br />
Mein persönlicher Glaube an<br />
Jesus Christus und die Gewissheit,<br />
dass ER auferstanden ist<br />
nach dem Tod hat mir geholfen,<br />
meinen Mann zu pflegen und für<br />
ihn da sein. Ich bin überzeugt,<br />
dass wir einem Menschen nie so<br />
viel schenken können, wie in diesen<br />
schweren Stunden. Wenn der<br />
geliebte Mensch dann <strong>von</strong> uns<br />
gegangen ist, können wir ihn viel<br />
besser loslassen, weil wir uns<br />
gewiss sind, vorher alles für ihn<br />
getan zu haben, was in unseren<br />
Kräften stand. Derjenige der <strong>von</strong><br />
uns geht, braucht uns bis zum<br />
Ende seines Weges, vertraut uns.<br />
Eine Beihilfe zum Selbstmord<br />
oder sogar aktive Sterbehilfe ist<br />
kein Akt der Nächstenliebe, sondern einer der Eigenliebe<br />
und das Vermächtnis dieses Aktes ist eine beidseitige<br />
nicht wieder gutmachbare Schuld.“<br />
Mein Gegenüber sprach mir direkt aus dem Herzen,<br />
ich fühlte mich berührt durch ihre Antwort und gleichzeitig<br />
bestätigt. Bevor sie aus dem Tearoom ging wandte sie<br />
sich nochmals um und sagte: „Das Nächste, was ich an<br />
die Hand nehmen werde, ist in meinem Dorf einen Verein<br />
zu gründen, der das Ziel einer Sterbebegleitung hat“, und<br />
dann nach einem tiefen Atemzug „da<strong>mit</strong> solche Organisationen<br />
wie Dignitas erst gar keine Chance mehr haben,<br />
Menschen in der schwersten Stunde ihres Lebens samt<br />
ihren Angehörigen für ihre Zwecke zu kaufen.“<br />
Ein Gefühl <strong>von</strong> Dankbarkeit machte sich in diesem<br />
Moment bei mir bemerkbar und ich spürte die allgegenwärtige<br />
Führung des Hl. Geistes. Er war es, der meinen<br />
Impuls zur bestimmten Frage ausgelöst hatte und so<strong>mit</strong><br />
meinem Bedürfnis, Menschen um mich herum für das<br />
heikle Thema der Alternativen zur Sterbehilfe zu sensibilisieren,<br />
eine neue Dimension verlieh.<br />
<strong>HLI</strong>-REPORT 2/2007 7