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Schmetterlings- effekt

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tischen Kaufmanns und eines entflohenen<br />

Sklaven, ein erfolgreicher<br />

Komponist und ein Nachwuchsmusiker<br />

ringen 1936 um eine bahnbrechende<br />

Symphonie, eine Journalistin<br />

ist im San Fransisco der Siebziger<br />

den Machenschaften eines Atomenergiekonzerns<br />

auf der Spur, im<br />

London von heute gerät ein harmloser<br />

Verleger in einen Strudel komischer<br />

Ereignisse, im Neo-Seoul des<br />

Jahres 2144 wird eine geklonte Frau<br />

zur Symbolfigur eines revolutionären<br />

Aufstandes, und in einer postapokalyptischen<br />

Zukunft im 24.<br />

Jahrhundert herrschen blutige<br />

Stammeskriege.<br />

Die verschiedenen Erzählebenen<br />

durchdringen einander nicht nur thematisch,<br />

sondern auch personell.<br />

Tom Hanks ist mal als zwielichtiger<br />

Schiffsarzt mit Überbiss, selbstkritischer<br />

Nuklearforscher mit 70er-Jahre-Brille,<br />

als wutentbrannter Romanautor,<br />

der in der besten Szene des Filmes<br />

einen Literaturkritiker von der<br />

Hochhausterrasse wirft, und als<br />

Clanführer mit futuristischen<br />

Kopftattoos zu sehen.<br />

Die Maskeraden und die Verfremdung<br />

der Schauspielergesichter<br />

durch vehementen Latexeinsatz sind<br />

hier Teil des künstlerischen Konzepts.<br />

Schließlich geht es in Cloud Atlas<br />

um die Transzendenz von Zeit<br />

und Raum, um einen Film gewordenen<br />

<strong>Schmetterlings</strong><strong>effekt</strong>, in dem<br />

sich die Handlungen der Menschen<br />

in Vergangenheit, Gegenwart und<br />

Zukunft gegenseitig durchdringen.<br />

Mit einer hochdynamischen<br />

Schnittkomposition setzt der Film einen<br />

Mahlstrom der Ereignisse in<br />

Gang, in dem nicht nur die Zeitebenen,<br />

sondern vom Historienepos<br />

über die Komödie bis zum<br />

Science-Fiction- und Horrorfilm<br />

auch die Genres immer wieder neu<br />

übereinandergeschichtet werden.<br />

„Unser Leben gehört uns nicht allein“<br />

lautet die unüberhörbare Botschaft<br />

des Filmes, der die Konsequenzen<br />

menschlichen Handelns über die<br />

eigene Existenz hinaus beschwört.<br />

Gelungen sind dabei vor allem die<br />

Neulich im Porzellanladen: „Cloud Atlas“<br />

klassische Politthriller-Episode der<br />

siebziger Jahre und das Science-Fiction-Setting,<br />

in dem die Revolution<br />

gegen die genmanipulierte Zweiklassengesellschaft<br />

entfacht wird und<br />

die Wachowskis bei der digitalen<br />

Bildkomposition auf ihre Matrix-Erfahrungen<br />

zurückgreifen können.<br />

Die Frage, ob aus dem Strom der<br />

Bilder, Epochen und Genres ein sinnstiftendes<br />

Ganzes entsteht, muss mit<br />

einem entschiedenen „Jein“ beantwortet<br />

werden. Cloud Atlas überrollt<br />

sein Publikum förmlich mit seiner erzählerischen<br />

und visuellen Ambition,<br />

so dass man eigentlich erst beim<br />

zweiten Sehen eine Chance hat, alle<br />

Metaebenen zu erfassen.<br />

Aber im Gegensatz zu vielen anderen<br />

Filmen ist Cloud Atlas ein Werk,<br />

in dem es nach dem ersten Staunen<br />

inhaltlich und ästhetisch noch viel zu<br />

entdecken gibt, ein Rausch der Bilder,<br />

Emotionen und philosophischen<br />

Exkurse, der über die Ernüchterung<br />

hinauswirkt, ein Film, auf dessen<br />

Wucht man sich einlassen muss, um<br />

seine Qualitäten zu erkennen.<br />

Martin Schwickert<br />

D/USA/Hong Kong/Singapore 2012 172<br />

min R&B: Tom Tykwer, Andy Wachowski,<br />

Lana Wachowski nach einem Roman von<br />

David Mitchell K: Frank Griebe, John Toll<br />

D: Tom Hanks, Halle Berry, Hugh Grant<br />

IM NEBEL<br />

Keine Chance<br />

Der vermutlich langsamste Film<br />

der Welt<br />

M<br />

inutenlang stromert die Kamera<br />

durch ein russisches Dorf<br />

zur Zeit der deutschen Besatzung.<br />

Die Hühner picken, die Kinder<br />

spielen, die Erwachsenen gehen ihrem<br />

alltäglichen, ärmlichen Leben<br />

nach, streiten sich, balgen sich, erzählen<br />

sich Witze. Mitten hindurch<br />

führen deutsche Soldaten eine Gruppe<br />

Gefangene zur Hinrichtung, aber<br />

niemand nimmt Notiz. Erst recht<br />

nicht die Kamera, die geradezu ag-<br />

gressiv unbeteiligt wegguckt. Wird<br />

da die Gewalt im Ungezeigten besonders<br />

sichtbar? Oder erkennen wir an<br />

der ausbleibenden Reaktion der Bewohner<br />

ihren Gleichmut, ihre<br />

Erschöpfung, ihre Entmenschung in<br />

Zeiten des Krieges?<br />

Der Regisseur Sergei Loznitsa läßt<br />

uns immer wieder mit solchen Fragen<br />

allein vor seinen ausgeklügelten<br />

Bildern stehen, die etwa Minuten<br />

lang sonnendurchfluteten Wald zeigen,<br />

und zwei Partisanen, die aus<br />

dem Bild starren und sich einsilbig<br />

darüber unterhalten, dass sie nun ja<br />

wohl endlich ihr Ziel erreicht hätten.<br />

Welches Ziel, sehen wir nicht, und<br />

können es uns auch erst im Nachhinein<br />

zusammen reimen, wenn Loznitsa<br />

mit langen Rückblenden eine Ahnung<br />

von Konflikt unter die Atmosphäre<br />

hebt, langsam und für jeden<br />

Protagonisten getrennt.<br />

Nach einem Partisanenanschlag<br />

fangen die Deutschen ein paar Verdächtige<br />

zum Aufhängen, darunter<br />

auch einen Unbeteiligten. Perfiderweise<br />

lassen sie den aber unterm Galgen<br />

laufen, was ihn als Kollaborateur<br />

verdächtig macht und bei den<br />

Partisanen auf die Abschussliste<br />

bringt. Nun jagen also heldenhafte<br />

Widerständler irrtümlich einen, der<br />

sich weigerte, für die Deutschen zu<br />

arbeiten, also eigentlich einen von ihnen.<br />

Und kaum eine Stunde und 20<br />

Schnitte später (tatsächlich wechselt<br />

der Film über die ganze Laufzeit nur<br />

72 mal das Bild) erfahren wir, dass<br />

die rächenden Helden gar nicht so sicher<br />

zu derselben Seite gehören.<br />

MankannPartisanausMutundaus<br />

Feigheit sein.<br />

Und man kann sich einen großen<br />

Teil des Films auf einer Bühne vorstellen.<br />

Stehen drei Männer im Wald<br />

und reden darüber, wer wen warum<br />

erschießen sollte, bedrohen sich<br />

fälschlich, retten sich trotzdem und<br />

sind am Ende tot. Falls uns nicht der<br />

Nebel täuscht, in dem der sonst<br />

schmerzhaft deutlich nichts zeigende<br />

Film dann versinkt. Wing<br />

D / R / L 2012. R + B: Sergei Loznitsa K:<br />

Oleg Mutu D: Vladimir Svirski, Vlad Abashin,<br />

Sergei Kolesov<br />

FILME<br />

S<br />

HARODIM<br />

Alles Theater<br />

Die Weltverschwörung als 2<br />

Personen-Stück<br />

itzen ein Araber und ein Weißer<br />

in einem Keller zusammen. Sagt<br />

der Weiße: du bist ein Terrorist!<br />

Sagt der Araber: Ich weiß, genau dafür<br />

haben mich deine Leute bezahlt.<br />

Aus diesem mäßigen Witz<br />

schraubt sich Harodim seine 90 Minuten<br />

zusammen. Der Weiße ist ein<br />

Ex-Navy auf Rachefeldzug, der Ara-<br />

Terror-Kumpels: „Harodim“<br />

ber ein frisch abgefischter Terror-Fürst,<br />

der seinem Verhörer bei<br />

Tee und Gebäck die Welt erklärt. Zur<br />

großen Weltverschwörung gehören<br />

natürlich 9/11, der Tod Bin Ladens<br />

und überhaupt der ganze<br />

Nahost-Konflikt.<br />

Das wirklich erschütternde an diesen<br />

geistesschwachen 90 Minuten ist<br />

nicht das öde, unfilmische Kammerspiel-Setting,<br />

sind nicht die mäßig talentierten<br />

Schauspieler oder diese<br />

billige Methode, manche Sätze durch<br />

Bilderfetzen aus Nachrichtensendungen<br />

zu ergänzen. Erschütternd ist,<br />

wie groß die Bereitwilligkeit ist,<br />

solch ein durchgekochtes Labbergemüse<br />

ernst zu nehmen. Die meisten<br />

Kritiken bemängeln die Machart und<br />

äußern sich lobend zum „Gedankenspiel“:<br />

Was ist, wenn man die Bilder<br />

der Wirklichkeit solange neu<br />

Karger Problemfilm: „Im Nebel“<br />

ULTIMO 11

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