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Themenheft zum Reformationstag - Evangelische Kirche in ...

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16 | Impuls<br />

Impuls | 17<br />

Bei Luther <strong>in</strong> die<br />

Schule gehen – vom Mut<br />

des Aufbruchs<br />

Mart<strong>in</strong> Luther wollte die Reformation se<strong>in</strong>er <strong>Kirche</strong> an Haupt<br />

und Gliedern, e<strong>in</strong>e Erneuerung, besser e<strong>in</strong>e Wiederherstellung<br />

der ursprünglichen <strong>Kirche</strong>. <strong>Kirche</strong>nspaltung, Konfessionssplitterung,<br />

gar Glaubenskriege waren zweifellos nicht se<strong>in</strong>e<br />

Intention, wenn auch se<strong>in</strong> heftiger Charakter vielleicht<br />

manches zur Verschärfung der Situation beigetragen hat.<br />

Aber: Luther wollte die Erneuerung der e<strong>in</strong>en <strong>Kirche</strong>, ke<strong>in</strong>e<br />

Spaltung. Und se<strong>in</strong>e Kritik an der damaligen katholischen<br />

<strong>Kirche</strong> war ke<strong>in</strong>eswegs orig<strong>in</strong>ell, genau genommen war sie<br />

sogar sehr alt, so alt wie der Erfolg des Christentums <strong>in</strong> der<br />

Welt selbst. Denn diese Kritik ist gleichsam der Schatten des<br />

christlichen Missionserfolges <strong>in</strong> der Alten <strong>Kirche</strong>. Seit das<br />

Christentum <strong>zum</strong> Mehrheitsglauben und dann auch zur<br />

Staatsreligion Ende des 4. Jahrhunderts befördert wurde,<br />

gibt es diesen Schatten der Kritik an se<strong>in</strong>em weltlichen<br />

Wesen. Von Montanus, Marcion und Tertullian im 2. Jahrhundert<br />

über die Waldenser, Bogomilen und Bettelorden des<br />

Mittelalters bis h<strong>in</strong> zu Luther, Zw<strong>in</strong>gli und Calv<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />

Reformation gibt es e<strong>in</strong>en breiten Strom von christlicher<br />

<strong>Kirche</strong>nkritik. Luther ist e<strong>in</strong>er von ihnen, allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong><br />

durchschlagkräftiger. Denn er hat die entscheidenden Punkte<br />

getroffen, er hat die Krise der <strong>Kirche</strong> als geistliche Krise<br />

erkannt, nicht nur als weltliche Managementaufgabe oder<br />

als betriebswirtschaftliches Organisationsproblem. Luther<br />

gel<strong>in</strong>gt die Reformation der <strong>Kirche</strong>, weil er zuerst geistlich<br />

argumentierte, nicht alle<strong>in</strong> strategisch oder funktional! Wenn<br />

man also für unsere heutige „<strong>Kirche</strong> im Aufbruch“ bei Luther<br />

<strong>in</strong> die Schule gehen will, dann tut man gut daran, diese<br />

geistliche Zuspitzung wahrzunehmen, sonst geht man im<br />

Pragmatismus verloren. Ich will also e<strong>in</strong> bisschen bei Luther<br />

lernen <strong>in</strong> der Hoffnung, auch E<strong>in</strong>sichten für unsere heutige<br />

Situation zu gew<strong>in</strong>nen:<br />

E<strong>in</strong>es der besten Jahre Luthers war sicher 1520; nach der<br />

Aufregung 1517 um se<strong>in</strong>e 95 Thesen an der Tür der Schlosskirche<br />

zu Wittenberg und den zweijährigen Bemühungen<br />

Luthers um e<strong>in</strong>e Reform der <strong>Kirche</strong> von <strong>in</strong>nen her durch<br />

Diskussionen mit Bischöfen, Kard<strong>in</strong>älen und Abgesandten des<br />

Papstes erhielt Luther am 15. Juni 1520 e<strong>in</strong>e Bannandrohungsbulle<br />

aus Rom mit dem Titel: „Exsurge dom<strong>in</strong>e“, <strong>in</strong> der<br />

Luther aufgefordert wurde, <strong>in</strong>nerhalb von 60 Tagen 41 se<strong>in</strong>er<br />

Thesen zurückzunehmen, sonst drohe Exkommunikation.<br />

Daraufh<strong>in</strong> hat Luther am 23. Juni 1520 se<strong>in</strong>e berühmte<br />

Reformationsschrift „An den christlichen Adel deutscher<br />

Nation“ geschrieben. Dar<strong>in</strong> konstatiert Luther zuerst, dass<br />

se<strong>in</strong>e <strong>Kirche</strong> nicht die Kraft hat, sich selbst zu reformieren;<br />

und diese Unfähigkeit analysiert er präzise mit dem H<strong>in</strong>weis,<br />

dass die damalige Papstkirche sich selbst immunisiert hat<br />

gegen Kritik. Der Papst braucht<br />

• 1. sich von den weltlichen Mächten nichts sagen zu<br />

lassen, der Papst darf<br />

• 2. ganz alle<strong>in</strong> die Bibel auslegen und nur er darf<br />

• 3. e<strong>in</strong> Konzil e<strong>in</strong>berufen.<br />

Drei Mauern der Immunisierung, es kann ke<strong>in</strong>e Kritik und<br />

deswegen auch ke<strong>in</strong>e Erneuerung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> dieses<br />

System. Natürlich muss man bei historischen Übertragungen<br />

immer vorsichtig se<strong>in</strong>, aber selbstkritische Fragen schaden<br />

nie: S<strong>in</strong>d jene drei Immunisierungsmauern nicht auch heute<br />

bei uns <strong>in</strong> der <strong>Kirche</strong> wiederzuf<strong>in</strong>den? Mitunter werden jene<br />

drei Mauern heute wohl so formuliert:<br />

• 1. Von den anderen lass ich mir sowieso nichts sagen;<br />

• 2. Was geistlich richtig ist, weiß ich am besten;<br />

Hauptsache, zwei oder drei <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Namen;<br />

• 3. Ich brauch doch ke<strong>in</strong>e Marktforschung, ke<strong>in</strong>e Unternehmensberatung,<br />

ke<strong>in</strong> „Lernen von anderen“, über die<br />

Reformbedürftigkeit me<strong>in</strong>er Arbeit, me<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de,<br />

me<strong>in</strong>er Synode, me<strong>in</strong>er <strong>Kirche</strong> entscheide ich alle<strong>in</strong>.<br />

Luther aber reagierte damals auf jene geistlich zementierte<br />

Unveränderbarkeit mit e<strong>in</strong>em Hilferuf, den man auch als<br />

unerhörte Provokation lesen kann. Luther schrieb an Kaiser,<br />

Adel, Fürsten und Bürgermeister – eben „An den christlichen<br />

Adel deutscher Nation“ – und rief um Hilfe: „Ich habe unserer<br />

Absicht entsprechend zusammengetragen etlich Stück, christlichen<br />

Standes Besserung belangend, dem christlichen Adel<br />

deutscher Nation vorzulegen, ob Gott wollte doch durch den<br />

Laienstand se<strong>in</strong>er <strong>Kirche</strong> helfen, s<strong>in</strong>temal der geistliche Stand,<br />

dem es mit mehr Recht gebührte, ist ganz unachtsam geworden.“<br />

Mit anderen Worten:<br />

Weil die <strong>Kirche</strong>nleute sich nicht zur Reform motivieren<br />

lassen, bitte ich die Fürsten dieser Welt: Helft mit bei den

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