Themenheft zum Reformationstag - Evangelische Kirche in ...
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48 | SchUle & KiRche<br />
SchUle & KiRche | 49<br />
Begegnung von<br />
<strong>Kirche</strong> und Schule am<br />
<strong>Reformationstag</strong><br />
„S<strong>in</strong>d orange, die Wiesen ...“<br />
Die Ballade vom träumenden Maulwurf<br />
E<strong>in</strong> orig<strong>in</strong>eller Impuls <strong>in</strong> Tönen, Worten und Bildern für die<br />
Begegnung von <strong>Kirche</strong> und Schule am <strong>Reformationstag</strong>:<br />
Die Geschichte ist so e<strong>in</strong>fach wie genial: e<strong>in</strong> „Maulwurf wie<br />
ich und du“ lebt zufrieden <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Maulwurfsbau, geht<br />
se<strong>in</strong>er tunnelgrabenden Arbeit nach und nährt sich von se<strong>in</strong>en<br />
Träumen. Er weiß, es gibt noch e<strong>in</strong>e andere Welt, die lichte<br />
und helle Welt über der Erde, die Wiesen, auch e<strong>in</strong> Kirchturm<br />
steht da. Der Maulwurf ist – wie alle se<strong>in</strong>er Art – zwar bl<strong>in</strong>d,<br />
aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Träumen kann er sie sehen, die paradiesischen<br />
Wiesen. Se<strong>in</strong> Weltbild kommt erst <strong>in</strong>s Wanken, als die Feldtiere<br />
bei ihm vorbeischauen. Die Maus und der Iltis halten sich für<br />
Wiesenexperten. Die Sehenden glauben zu wissen, wie die<br />
Wiesen wirklich s<strong>in</strong>d. Aber sie erzählen dem Maulwurf ganz<br />
Unterschiedliches. Zuletzt sprechen sie e<strong>in</strong>ander noch die<br />
Glaubwürdigkeit ab, bis der Maulwurf ganz verwirrt zu Bett<br />
geht. Erst durch se<strong>in</strong>en erneuten, eigenen Traum mischen<br />
sich die Farben und Aussagen der anderen. E<strong>in</strong>e ganz neue<br />
Farbe entsteht. Als er aufwacht, ist der Maulwurf sich sicher,<br />
die Wiesen s<strong>in</strong>d orange. Gibt es denn so etwas: orange<br />
Wiesen? Für den Maulwurf besteht ke<strong>in</strong> Zweifel: Die Wiesen<br />
s<strong>in</strong>d orange.<br />
Selbst der schlaue Fuchs kann den glaubensgewissen<br />
Maulwurf nicht mehr bee<strong>in</strong>drucken. Der Fuchs versucht sogar<br />
Erkenntnis zu verkaufen, <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Salbe für alle bl<strong>in</strong>den<br />
Maulwürfe, die angeblich sehend macht. Mit e<strong>in</strong>em Klecks<br />
auf den Augen laufen die Maulwürfe zwar über der Erde<br />
umher, stoßen aber dennoch vor die Bäume. Der träumende<br />
Maulwurf braucht das nicht. „Der sieht zwar nicht – und<br />
kann doch sehen“, heißt es am Schluss.<br />
Die Fabel vom träumenden Maulwurf bietet e<strong>in</strong>en außergewöhnlichen,<br />
k<strong>in</strong>dgerechten und anschaulichen religionspädagogischen<br />
Impuls für die Begegnung von <strong>Kirche</strong> und<br />
Schule <strong>zum</strong> <strong>Reformationstag</strong>. Dieser kreative Wurf <strong>in</strong> Bildern,<br />
Text und Musik, geschrieben vom Liedermacher und Popularmusikmultiplikator<br />
der Nordelbischen <strong>Kirche</strong> Hartmut Naumann<br />
und kongenial illustriert vom Grafiker Peter Bauer, hat<br />
auf den ersten Blick wenig mit e<strong>in</strong>em traditionellen Reformationsgedenken<br />
zu tun. Auf den zweiten Blick aber macht die<br />
Geschichte Wesentliches von dem klar, was Reformation <strong>in</strong><br />
evangelischer Sicht bedeutet. Die Fabel erzählt von Glaubensfreiheit,<br />
wie Gott sie uns schenkt. Dabei spiegelt die Erzählform<br />
der Fabel auch sprachlich jene Freiheit wider. Es ist die literarische<br />
Eigenart der Fabel, dass sie, <strong>in</strong>dem sie zunächst<br />
Distanz <strong>zum</strong> Geschehen herstellt durch den Abstand zwischen<br />
Mensch und Tier, ihre Botschaften nicht aufdr<strong>in</strong>glich missionarisch<br />
weitergibt, sondern auf die Erkenntnislust des Hörenden<br />
oder Lesenden setzt. E<strong>in</strong>e Fabel ist auch von daher hervorragend<br />
geeignet für die Begegnung von Glaube und Bildung<br />
im <strong>in</strong>stitutionellen Zusammenhang von Schule und <strong>Kirche</strong>.<br />
Alle Veränderung, alle geistliche Erneuerung beg<strong>in</strong>nt mit<br />
e<strong>in</strong>em Traum, zunächst mit dem Traum e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>zelnen. In<br />
unvergleichbarer Weise hat Mart<strong>in</strong> Luther se<strong>in</strong>en Zweifel ernst<br />
genommen und se<strong>in</strong>em Glaubenstraum vertraut. Etwas gänzlich<br />
Neues ist entstanden, das das Alte be<strong>in</strong>haltet. Und der<br />
Schlüssel zur Erneuerung der <strong>Kirche</strong> war unter anderem die<br />
schlichte E<strong>in</strong>sicht, dass Konzilien irren können. Schließlich<br />
hat Mart<strong>in</strong> Luther e<strong>in</strong>e Grundhaltung entwickelt, <strong>in</strong> deren<br />
Mittelpunkt die Freiheit des eigenen Glaubens, der selbstständigen<br />
geistlichen Erkenntnis stand.<br />
Ebenso wie der Maulwurf <strong>in</strong> der Geschichte, stellt auch<br />
die Fabel die Aussagen selbsternannter Autoritäten <strong>in</strong>frage<br />
und beschreibt den mühseligen Weg, se<strong>in</strong>e eigene Vision zu<br />
entwickeln. Und dann geschieht es doch über Nacht. Der<br />
Traum des Maulwurfs leuchtet ihm derart stark e<strong>in</strong>, dass er<br />
sich nicht e<strong>in</strong>mal von der Wundercreme des Fuchses bee<strong>in</strong>drucken<br />
lässt, ebenso wenig, wie Luther und die Protestanten<br />
den Ablass als für ihr Gottesverhältnis gewichtig erachtet<br />
haben. Die Schlusspassage des Liedes wirft auch e<strong>in</strong>en<br />
kritischen Blick darauf, welchen Lebenss<strong>in</strong>n Konsum sche<strong>in</strong>bar<br />
verspricht, und ist damit gesellschaftlich hoch aktuell. Nur der<br />
Maulwurf „sieht zwar nicht und kann doch sehen“.<br />
K<strong>in</strong>der der dritten und vierten Klasse ebenso wie der E<strong>in</strong>gangsstufe<br />
(57) setzt die Fabel <strong>in</strong>s Bild darüber, was es heißt, dem<br />
eigenen Traum, dem eigenen Glauben zu trauen. So wird<br />
anschaulich, was sich h<strong>in</strong>ter dem Satz Mart<strong>in</strong> Luthers aus<br />
se<strong>in</strong>er Schrift „Von weltlicher Obrigkeit“ (1523) verbirgt: „Der<br />
Seele kann niemand gebieten als Gott alle<strong>in</strong>.“<br />
Religionspädagogische Orientierungsfragen:<br />
Die Fabel lädt zur Ause<strong>in</strong>andersetzung mit K<strong>in</strong>dern über das<br />
e<strong>in</strong>, was Glauben ist. Hier seien nur e<strong>in</strong>ige religionspädagogische<br />
Anknüpfungspunkte genannt:<br />
• „ . . . e<strong>in</strong> Maulwurf wie ich und du“, heißt es <strong>in</strong> der zweiten<br />
Strophe. Wenn ich <strong>in</strong> Gottes Welt e<strong>in</strong> Tier wäre? Was für<br />
e<strong>in</strong> Tier wäre das? Biblische Tierbilder zwischen Wurm<br />
und Adler lassen sich heranziehen und ausdeuten (M1).<br />
• S<strong>in</strong>d wir wie „Maulwürfe“? Was sehen wir, wo s<strong>in</strong>d wir<br />
bl<strong>in</strong>d, welche Weltenteile und Welten gibt es wohl, die<br />
wir nicht sehen können?<br />
• Der Traum von der Wiese ist e<strong>in</strong> Paradiesbild. Die „grünen<br />
Auen“ von Ps 23 schw<strong>in</strong>gen dar<strong>in</strong> mit (M2). Ebenso wie<br />
das mystische Bild des Grases <strong>in</strong>: „Herr, De<strong>in</strong>e Liebe ist<br />
wie Gras und Ufer.“ Wenn der Himmel wie e<strong>in</strong>e Wiese<br />
wäre? Wie würde me<strong>in</strong>e, de<strong>in</strong>e und unsere Paradieswiese<br />
aussehen?<br />
• Zur Salbe vom Fuchs: Kann man S<strong>in</strong>n – <strong>in</strong> diesem Fall<br />
den Sehs<strong>in</strong>n – kaufen?<br />
• Was ist Glaube für e<strong>in</strong>e Art von Sehen? Zum Beispiel <strong>in</strong><br />
Wechselbeziehung <strong>zum</strong> Satz des Malers Paul Gaugu<strong>in</strong>:<br />
„Wer sehen will, muss die Augen schließen.“<br />
Die Ballade vom sehenden Maulwurf kann natürlich nicht alle<br />
Aspekte geistlicher Reformation berühren. Sie hat <strong>zum</strong> Beispiel<br />
nicht <strong>zum</strong> Thema, wie aus dem Traum des E<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong><br />
geme<strong>in</strong>samer Traum wird, und wie aus der geme<strong>in</strong>samen<br />
Vision etwas Neues entsteht. Im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er k<strong>in</strong>dgemäßen<br />
Elementarisierung des Themas ist die Reduktion auf e<strong>in</strong>en<br />
Aspekt allerd<strong>in</strong>gs pädagogisch geboten. Im Download s<strong>in</strong>d<br />
auch Vorschläge, das Thema <strong>in</strong> die benannte Richtung weiterzuentwickeln,<br />
mittels des Kanons „Wenn e<strong>in</strong>er alle<strong>in</strong>e träumt“<br />
(M 3), mittels der berühmten Joelprophetie Kap. 3 „Die Alten<br />
werden träumen und die Jungen werden Gesichte haben“<br />
(M 4) und mit Hilfe des Ps 126, „Dann werden wir se<strong>in</strong> wie<br />
die Träumenden“, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Übertragung von Peter Spangenberg<br />
(M 5).<br />
Zur konkreten Umsetzung:<br />
Viele Wege zur religionspädagogischen Arbeit mit diesem<br />
Lied und den dazugehörigen Bildern s<strong>in</strong>d denkbar. Ich<br />
skizziere hier nur e<strong>in</strong>en: Schulgottesdienst für die dritten<br />
und vierten Klassen oder die Unterstufe e<strong>in</strong>er weiterführenden<br />
Schule