Aktuelles Wissen nutzen - Ärztekammer Bremen
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© Peter Maszlen/Fotolia.com<br />
BREMER ÄRZTEJOURNAL 09| 11 Morbus parkinson 13<br />
erhebliche Konsequenzen. Durch die unregelmäßige<br />
Symptomatologie wird es<br />
schwierig für die Patienten ihr Leben zu<br />
planen. Die Arbeitsfähigkeit wird durch<br />
wechselnde Beweglichkeit und begleitende<br />
nichtmotorische Symptome wie<br />
Apathie, Depression und Konzentrationsschwierigkeiten<br />
deutlich eingeschränkt.<br />
Auch zu Hause wird es schwieriger. Der<br />
Patient benötigt zunehmend mehr Unterstützung.<br />
Die normalen Familienaktivitäten<br />
wie Reisen und Hobbys werden weniger.<br />
Man erlebt, dass sich die Persönlichkeit<br />
des Patienten verändert. Dies führt<br />
zu einer zunehmenden Belastung für den<br />
Betroffenen und die ihm Nahestehenden.<br />
Morbus Parkinson führt zu einer signifikant<br />
verschlechterten Lebensqualität für<br />
den Patienten und seine Angehörigen.<br />
Therapiemöglichkeiten bei<br />
fortgeschrittener Erkrankung<br />
Bei ungefähr 15 bis 20 Prozent der Pa-<br />
tienten reicht eine perorale/transdermale<br />
Therapie nicht aus, um die Wirkungsfluktuationen<br />
und die Dyskinesien adäquat<br />
zu behandeln. Manchen dieser Patienten<br />
kann mit einer intensivierten Therapie<br />
geholfen werden. Hier handelt es sich<br />
um:<br />
■■Tiefenhirnstimulation:<br />
Hochfrequenter Strom wird von einem<br />
subkutan implantierten Schrittmacher<br />
über dünne Elektroden für eine konti -<br />
nuierliche Stimulation im Nucleus<br />
subthalamicus, Globus pallidus internus<br />
oder Thalamus/VIM eingesetzt.<br />
■■Apomorphin-Infusionen:<br />
Der Dopamin-Agonist „Apomorphin“<br />
wird mit tragbaren Medika mentenpumpen<br />
subkutan kontinuierlich<br />
verabreicht.<br />
■■Duodopa-Infusionen:<br />
Levodopa/Carbidopa-Gel wird mit<br />
tragbaren Pumpen über eine PEG/<br />
J-Anlage in den proximalen Dünndarm<br />
kontinuierlich infundiert.<br />
Alle diese Therapien für den fortgeschrittenen<br />
M. Parkinson bauen auf dem<br />
Hauptprinzip einer kontinuierlichen Stimu-<br />
lation auf und führen dabei oft zu einer<br />
erheblicher Stabilisierung von Wirkungsfluktuationen<br />
und einer verbesserten Lebensqualität.<br />
Indikationen für eine dieser<br />
Therapien sind ausgeprägte motorische<br />
Fluktuationen trotz optimierter peroraler/<br />
transdermaler Therapie (vgl. Tab 1, 2).<br />
Welche Therapie individuell am besten<br />
geeignet ist, wird oft durch Kontraindikationen<br />
und den Patientenwunsch entschieden.<br />
Diese Entscheidungen, bei denen<br />
selbstverständlich auch Risiken und<br />
Nebenwirkungen berücksichtigt werden<br />
müssen, sollten wenn möglich in einem<br />
Zentrum mit unfassenden Erfahrungen in<br />
diesem Bereich stattfinden. Die nichtmotorischen<br />
Symptome fordern nicht selten<br />
eine spezifische Therapie, zum Beispiel<br />
eine antidepressive Behandlung bei Depression,<br />
eine antidementive Therapie bei<br />
Demenz und Hypnotika bei Schlafstörungen.<br />
Es ist aber auch so, dass eine Optimierung<br />
der dopaminergen Therapie zu<br />
Verbesserungen in mehreren nichtmotorischen<br />
Symptombereichen führen kann.<br />
Zum Beispiel können folgende nichtmotorische<br />
Symptome dopaminerg beeinflusst<br />
werden: Verstopfung, Urge-Inkontinenz,<br />
Kontraindikationen<br />
Apomorphin-Infusion<br />
1. Ausgeprägte Demenz<br />
2. Starke Tendenz zu Halluzinationen<br />
3. Schlechte Compliance<br />
Duodopa<br />
1. Ausgeprägte Demenz<br />
2. Kontraindikationen für Abdominalchirurgie<br />
3. Schlechte Compliance<br />
Tiefenhirnstimulation (in STN)<br />
1. Biologisches Alter über<br />
70–75 Jahre<br />
2. Demenz<br />
3. Ausgeprägte Depression, Angst<br />
4. Kontraindikationen für Gehirnchirurgie<br />
Tab. 2<br />
Impotenz, Depression, Apathie, Anhedonie,<br />
Angst, Schlafstörungen, Schmerz und<br />
Fatigue. Somit sollten nichtmotorische<br />
Symptome bei der Auswahl einer Parkinsontherapie<br />
berücksichtigt werden.<br />
Wann sollte eine intensivierte<br />
Therapie überlegt werden?<br />
Die bisherigen klinischen Erfahrungen<br />
spre chen dafür, dass die Tiefenhirnstimulation<br />
und die Pumpentherapien einen<br />
besseren Effekt zeigen, wenn diese im<br />
Verlauf etwas früher eingesetzt werden,<br />
als dies bisher oft der Fall ist. Zurzeit laufen<br />
Studien, die diesen Aspekt erneut<br />
beleuchten. Man untersucht, ob man durch<br />
eine frühere Stabilisierung von motorischen<br />
und nichtmotorischen Symptomen,<br />
auch Effekte auf die Arbeitskapazität und<br />
Funktionen im Familienleben darstellen<br />
kann.<br />
Wie sieht die Zukunft aus?<br />
Im Bereich experimentelle und klinische<br />
Forschung gibt es sehr interessante Entwicklungen,<br />
zum Beispiel im Bereich<br />
krank heitsmodifizierende (bremsende)<br />
und reparative/restaurative Therapien. Es<br />
handelt sich zum einen um neue pharmakologische<br />
Ansätze und zum anderen auch<br />
um Transplantationen von Zellen (zukünftig:<br />
stammzellderivierte Zellen) als Ersatz<br />
für die gestorbene/beschädigte patienteneigene<br />
Nervenzellen. Desweiteren<br />
prüft man Gentherapie, um zum Beispiel<br />
Wachstumsfaktoren und Dopamin zuzuführen.<br />
Bis solche Maßnahmen allgemein<br />
klinisch nutzbar werden, wird es höchstwahrscheinlich<br />
noch mehrere Jahre oder<br />
Jahrzehnte dauern. Somit sind die Pumpentherapien<br />
und Tiefenhirnstimulation<br />
für die kommenden Jahre die effektivsten<br />
Therapien, die wir für schwerkranke<br />
Parkinson-Patienten anbieten können.<br />
Dr. Holger Honig,<br />
Oberarzt, Neurologische Klinik,<br />
Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide<br />
Prof. Dr. Per Odin,<br />
Chefarzt, Neurologische Klinik,<br />
Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide