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1. Einleitung - Heiner Klug

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Die Fähigkeit zu präludieren war entsprechend von Beginn des Klavierunterrichts<br />

wichtiges Ausbildungsziel. CARL CZERNY forderte demgemäß:<br />

"Selbst der Anfänger kann und muss bereits in den ersten Monathen dazu angehalten<br />

werden, vor jedem Tonstück ein kleines Vorspiel auszuführen [...]."<br />

(CZERNY 1839, Bd. 3, 84)<br />

Die vor der Abspaltung der Interpretation von der Komposition übliche Praxis, die<br />

Qualitäten eines Künstlers weniger in der Perfektion der Ausführung, sondern in der<br />

Spontaneität und Fähigkeit zur Ausgestaltung einer konkreten Situation zu messen,<br />

spiegelt sich in einem von dem heutigen grundlegend abweichenden Verhältnis zwischen<br />

vorbereitender Übung von Vortragsstücken einerseits und praktischer Ausübung<br />

der Kunst andererseits wider. Vortragsstücke wurden nicht separat einstudiert,<br />

sondern ihre Ausführung erfolgte aus dem Geist der Improvisation weitgehend<br />

ohne spezifische Übung. Die Beherrschung der Klavierkunst gewährleistete vielmehr<br />

generell die Fähigkeit zur Verklanglichung von Musik, die Wiedergabe von<br />

Kompositionen eingeschlossen. So betonte FRÉDÉRIC CHOPIN in einem von<br />

FRIEDRICH NIECKS überlieferten Gespräch mit dem Kritiker WILHELM VON LENZ,<br />

dass seine Vorbereitung auf ein Konzert keineswegs in der Übung seiner Kompositionen<br />

bestand:<br />

"'Studiren Sie, wenn der Concerttag kommt?' fragte ihn Lenz. 'Es ist eine<br />

schreckliche Zeit für mich', war Chopin's Antwort. 'Ich liebe nicht die Öffentlichkeit,<br />

aber es gehört zu meiner Stellung. Vierzehn Tage schließe ich mich<br />

ein und spiele Bach. Das ist meine Vorbereitung, ich übe nicht meine Compositionen.'"<br />

(NIECKS 1890, Bd. 2, 87)<br />

Eine ähnliche Einstellung zum Üben von Werken geht auch aus der folgenden Bemerkung<br />

von FRANZ LISZT über ADOLF HENSELT hervor, von der FRIEDRICH WIECK<br />

in einem Brief berichtet:<br />

"Daß Henselt seine Kompositionen jahrelang üben kann, zeige, meinte er,<br />

durchaus ein sehr beschränktes Talent an." (FRIEDRICH WIECK an CLEMENTINE<br />

WIECK, 5. März 1838 4, abgedruckt in WIECK 1968, 93)<br />

Eine solche Musikpraxis wirkte sich zwangsläufig auch auf den Unterricht aus. In<br />

jener Zeit, in der der Vortrag vorproduzierter Werke noch nicht Hauptziel der Ausbildung<br />

war, und als noch keine gedruckte Standardliteratur existierte, die dem<br />

4 Als Datum des Briefs ist der 5. März 1832 angegeben, offensichtlich ein Druckfehler.<br />

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