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1. Einleitung - Heiner Klug

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einen ausgebildeten Stimmer vorgegeben sind, wie die Streich- und Blasinstrumente,<br />

bei denen das Gehör eine große Rolle spielt; und hatte denn nicht<br />

auch Arbeit zu den Fortschritten und Errungenschaften des täglichen Lebens<br />

geführt?" (AUGUSTINI 1986, 57)<br />

Eine umfassende musikalische Ausbildung, wie sie zu Zeiten der Einheit von Komposition<br />

und Ausführung die Norm gewesen war, schien in diesem Streben nicht<br />

erforderlich, ja unter der Prämisse eines möglichst rationellen Lernens sogar eher<br />

hinderlich, denn die vorzutragenden Werke lagen in Form von Notentexten bereits<br />

fest. Im Geist der Rationalisierung war es nur konsequent, die Quantität und Geschwindigkeit<br />

der zu leistenden Tastenbewegungen durch körperliches Training bis<br />

zur Virtuosität zu steigern zu suchen.<br />

Im Bemühen, das inzwischen als einzig erstrebenswert erachtete Ziel der Interpretation<br />

von Meisterwerken zu erreichen, musste CZERNY missverstanden werden. Es<br />

musste nun als Zeitverschwendung erscheinen, beim Üben weiterhin durch Passagen-<br />

und Sätzchen-Spiel eigene musikalische "Gedanken" zu entwickeln. Die bereits<br />

vollbrachte Vorleistung CARL CZERNYS wurde, ähnlich wie die konstruktiven Vorleistungen<br />

der Klavierbauer mit dem Ziel einer möglichst einfach bedienbaren und<br />

trotzdem variablen Tonerzeugung, zu diesem Zweck gern in Anspruch genommen.<br />

Die Kosten für die Notenbände mit seinen Etüden schienen durch den Mehrwert rationelleren<br />

Übens und dadurch schnelleren Fortkommens mehr als ausgeglichen zu<br />

werden. Diesem Missverständnis erlag auch ADOLPH KULLAK in seiner Ästhetik des<br />

Klavierspiels, einem typischen und dem wohl bedeutendsten Beispiel für Praktikerliteratur<br />

des 19. Jahrhunderts. Er propagiert das zielgerichtete Studium anhand<br />

CZERNYscher Werke und erklärt die hohe Beliebtheit CZERNYS in der zweiten Jahrhunderthälfte:<br />

"Das Czernysche Prinzip bestand darin, in den Etüden den Geist möglichst<br />

wenig auf irgendeinen tieferen Inhalt abzuleiten, es sollte die Mechanik ausschliesslich<br />

im Vordergrunde des Interesses bleiben; dieser für das Praktische<br />

sehr ergiebige Standpunkt hat denn auch manchen Werken eine unbedingte<br />

Popularität eingetragen." (KULLAK 1876/1994, 96)<br />

In der Auflage von 1916, die von WALTER NIEMANN bearbeitet wurde, sind Ergänzungen<br />

zu finden, die die Formulierungen KULLAKS noch verschärfen. So lautet das<br />

letzte Zitat in der Auflage von 1916 (die Ergänzung ist kursiv gedruckt):<br />

"Das Czernysche Prinzip bestand darin, in den Etüden den Geist möglichst<br />

wenig auf irgendeinen tieferen Inhalt abzuleiten, durch Hinwegräumen von<br />

allem nur irgendwie geistig Erschwerendem zu flüssigem, raschen Spielen ge-<br />

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