14.01.2013 Aufrufe

1. Einleitung - Heiner Klug

1. Einleitung - Heiner Klug

1. Einleitung - Heiner Klug

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

muss – eben als beide Bedeutungen noch vereint waren. 9 Die Tatsache, dass der<br />

weitere Begriff der Klassik bis heute den gesamten Komplex der "E-Musik" umfasst<br />

(jedenfalls ist es nicht unüblich, beispielsweise ein Werk STRAWINSKYS als klassische<br />

Musik zu bezeichnen), deutet darauf hin, dass mit der Etablierung der Klassik<br />

am Ende der klassischen Epoche im engeren Sinn gleichzeitig mit einer neuen Musikauffassung<br />

eine neue Musikgattung geschaffen wurde. Zu deren Charakteristika<br />

gehört der Anspruch, sich in überzeitlicher Perspektive mit den zu Klassikern verdichteten<br />

Kunstgrößen der Vergangenheit zu messen. In der Praxis dieser "ernsten<br />

Musik" (vgl. WÖRNER 1993, 454) gerieten "unterhaltende" Elemente in den Hintergrund,<br />

und die Musikausübung wurde allmählich zu einem transzendenten Akt der<br />

Kommunikation des Interpreten mit dem Geist des Komponisten, dem die Zuhörer<br />

im zum "Kunsttempel" gewordenen Konzertsaal schweigend beiwohnen durften.<br />

THOMAS NIPPERDEY bemerkt zu diesem Prozess der Mystifizierung der Kunst in<br />

jener Epoche:<br />

"Die Künstler sind Heilige und Märtyrer, sind wie Beethoven (im späten 19.<br />

Jahrhundert) Prometheus und Prophet, Verkünder des heroischen Evangeliums<br />

von Leid und Überwindung. Die Sprache des Quasi-Religiösen ist im Nachhinein<br />

oft fremd und mit ihrem schwülstigen Pathos oft unerträglich [...].<br />

Philosophisch gesprochen: Kunst transzendiert die Welt und ist insofern ein<br />

Stück Transzendenz. [...] Kunst hat es mit der Wahrheit zu tun, sie präsentiert<br />

Wahrheit und Sinn im Symbol für das Gefühl, sie vermittelt noch – das Ganze.<br />

[...] Der Künstler triumphiert gegenüber dem Konkurrenten, der Anspruch auf<br />

das Erbe der Religion erhebt, dem Wissenschaftler, weil er nicht der reinen<br />

Intellektualität verschrieben ist und vor allem nicht der Spezialisierung durch<br />

Fachleute." (NIPPERDEY 1988, 25f.)<br />

Die Kunstausübung verlor als Folge der Historisierung ihre Unbefangenheit, wurde<br />

gleichsam "erwachsen" und damit erstmals "problematisch". Indem nämlich "das<br />

Klassische [...] auf den Sockel gestellt" wird "oder in die Vitrine" (NIPPERDEY 1988,<br />

53), kann Musikausübung zum Problem werden:<br />

"Umgang mit Kunst steht im Schatten der Vergangenheit und ist schon dadurch<br />

pluralisiert. Damit rückt aber auch die gegenwärtige Kunst und der Umgang<br />

mit ihr in eben diesen langen Schatten der Vergangenheit. Das Verhältnis<br />

zur Tradition, ihrer Macht und Übermacht, wird zum existentiellen Problem."<br />

(NIPPERDEY 1988, 39)<br />

9 Dieser Zusammenhang bestätigt sich bei der Betrachtung der auf S. 53f zitierten Bemerkung<br />

ANTON SCHINDLERS zur "classischen" Epoche in seiner zwischen 1835 und 1840 in Aachen entstandenen<br />

Beethoven-Biographie.<br />

45

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!