1. Einleitung - Heiner Klug
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2.2 Werk und Rationalisierung: Das 19. Jahrhundert<br />
2.2.1 Veränderungen zur Zeit Carl Czernys<br />
Ein erster Hinweis auf einen Wertewandel weg von spontanen Äußerungsformen<br />
und die Voraussetzung für neue Unterrichtsmethoden findet sich in einer Fußnote<br />
zur vierten Auflage von C. PH. E. BACHS Versuch über die wahre Art das Clavier zu<br />
spielen aus dem Jahr 1787. Hier relativiert C. PH. E. BACH seine bereits zitierte Aussage<br />
aus der ersten Auflage, dass Veränderungen an Stücken immer dann zu billigen<br />
seien, wenn sie besser oder zumindest genauso gut seien wie das Original. In der<br />
Ergänzung betont er die Bedeutung der schriftlich fixierten Komposition an sich und<br />
mahnt bei Veränderung zur Vorsicht:<br />
"Denn man wählt bey der Verfertigung des Stückes, unter andern Gedanken,<br />
oft mit Fleiß denjenigen, welchen man hingeschrieben hat und deswegen für<br />
den besten in dieser Art hält, ohngeacht einem die Veränderungen dieses Gedanken,<br />
welche mancher Ausführer anbringt und dadurch dem Stücke viel<br />
Ehre anzuthun glaubt, zugleich der Erfindung desselben mit beygefallen sind."<br />
(BACH 1994, 14*)<br />
CARL CZERNY (1791-1857) schildert in seinen Erinnerungen ein Erlebnis mit<br />
LUDWIG VAN BEETHOVEN, das sich etwa 25 Jahre nach Erscheinen des eben zitierten<br />
BACHschen Textes zutrug. Hier spitzt sich der Konflikt zwischen Komponist und<br />
Pianist zu, aus dem der Komponist und damit indirekt das schriftliche Medium<br />
schließlich als Sieger hervorging:<br />
"Als ich z.B. einst (um 1812) in Schuppanzighs Musik das Quintett mit Blasinstrumenten<br />
vortrug, erlaubte ich mir im jugendlichen Leichtsinn manche Änderungen,<br />
–Erschwerung der Passagen, Benützung der höheren Oktave etc.–<br />
Beethoven warf es mir mit Recht [...] mit Strenge vor. Den anderen Tag erhielt<br />
ich von ihm folgenden Brief, den ich hier genau nach dem mir vorliegenden<br />
Originale abschreibe.<br />
'Lieber Czerny!<br />
Heute kann ich Sie nicht sehen, morgen werde ich selbst zu Ihnen kommen,<br />
um mit Ihnen zu sprechen. Ich platzte gestern so heraus, es war mir sehr leid,<br />
als es geschehen war, allein das müssen Sie einem Autor verzeihen, der sein<br />
Werk lieber gehört hätte, gerade, wie es geschrieben, so schön Sie auch übrigens<br />
spielten [...].'<br />
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