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Sweet about me

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4 ULTIMO<br />

ORTSERKUNDUNGEN:<br />

D<br />

ie Bahn ist heute erstaunlich pünktlichundauchdasWetterzeigtsich<br />

von seiner schönen Seite. Nun<br />

aber runter vom Bahnsteig und ab in<br />

Richtung Ausgang. Da dröhnt uns plötzlich<br />

ein kräftiges „So, jetzt aber!” entgegen.<br />

Da kann man schon mal erschrocken<br />

zusam<strong>me</strong>nfahren, denn dieser<br />

Satz wurde bestimmt auch regelmäßig<br />

bei dem inzwischen zu Recht abgeschalteten<br />

Abzock-Sender 9Liveverwendet.<br />

Senden die jetzt wieder vom Bahnhof<br />

Bielefeld und sind wir in eine<br />

Call-In-Show geraten? Nein, es sind<br />

nur zwei kräftig gebaute, lautstarke<br />

Propagandisten von namhaften Tagesund<br />

Wochenzeitungen, die rufen. Strategisch<br />

geschickt haben sie ihren Stand<br />

am Fuße der Treppe zur Bahnhofshalle<br />

aufgebaut und versuchen, den durch<br />

das Gebrüll überraschten Passanten<br />

Probe-Abos aufzuschwatzen. Der Hinweis,<br />

dass man bereits eine Tageszeitung<br />

beziehe, interessiert sie nicht.<br />

Kaum haben wir die Treppe hinter<br />

uns gelassen, sehen wir uns schon dem<br />

nächsten Stand gegenüber. Jetzt möchten<br />

nette und hübsche junge Da<strong>me</strong>n<br />

über Mobilfunkverträge informieren<br />

und uns anschließend natürlich welche<br />

verkaufen. Da man uns nicht anbrüllt,<br />

entgegnen wir freundlich, dass wir lieber<br />

nicht möchten.<br />

Da nur Faulpelze die eine Station<br />

zum Jahnplatz mit der U-Bahn fahren,<br />

wenden wir uns nach rechts. Nachdem<br />

wir die Feilenstraße überquert haben,<br />

befinden wir uns dann wirklich in der<br />

Fußgängerzone. Nach kaum 100<br />

Metern taucht schon wieder so ein<br />

Stand auf. Hier will man uns keine Verträge<br />

oder Abos aufschwatzen, sondern<br />

auf das Schicksal irgendwelcher<br />

Nagetiere auf<strong>me</strong>rksam machen, Unterschriften<br />

und Spenden sam<strong>me</strong>ln. Und<br />

schon hüpft uns ein Öko-Aktivist mit<br />

offener und flatternder Regenjacke entgegen.<br />

Der Frage, ob wir einen Augenblick<br />

hätten, begegnen wir mit einem<br />

Hinweis auf leider fehlende Zeit.<br />

Obwohldassogarstimmt,<strong>me</strong>ldetsich<br />

kurz das schlechte Gewissen. Hier geht<br />

es doch um Naturschutz und eine<br />

eigentlich gute Sache.<br />

mix<br />

Slalom auf der Bahnhofsstrasse<br />

So in Gedanken vertieft, kom<strong>me</strong>n<br />

wir einige Schritte voran, nur um<br />

unversehens erneut auf aggressive,<br />

wie Banker gekleidete Werber zu treffen.<br />

Die haben zwar keinen Stand,<br />

dafür kom<strong>me</strong>n sie extra aus Mobilfunkläden<br />

oder Filialen von Kabelnetzbetreibern<br />

und suchen den direkten Kontakt<br />

zu ihren Mit<strong>me</strong>nschen, die sie in<br />

ihre Ladenlokale lotsen möchten.<br />

Links liegt der Eingang der City-Passage<br />

in greifbarer Nähe. In uns keimt<br />

der Gedanke, dass es da drinnen aller<br />

Wahrscheinlichkeit keine Informationsstände<br />

gibt. Wenn man also da hinein<br />

ginge, könnte man weitere Stände<br />

umgehen und in der Stresemannstraße<br />

wieder ins Freie stoßen. Das ver<strong>me</strong>intlich<br />

geschickte Manöver erweist sich<br />

leider als völlig sinnlos, denn gegenüber<br />

dem angepeilten Ausgang befindet<br />

sich auch schon ein Stand. Dort<br />

informieren Vertreter irgendeiner Religionsge<strong>me</strong>inschaft<br />

über sich selbst, bieten<br />

Schriften und Erlösung an und sind<br />

bereit, einen theologischen Diskurs mit<br />

Interessierten zu führen. Dazu fehlt es<br />

uns jetzt allerdings an Kraft, Geduld<br />

und Lust.<br />

Das urbane Wegelagererwesen ist<br />

damit keineswegs erschöpfend geschildert.MankannananderenTagenauf<br />

Stände von Automobilclubs, bekannter<br />

und unbekannter Organisationen, zahlreicher<br />

Vereine und Mobilfunkanbietern<br />

treffen.<br />

Wie aber damit umgehen? Durch<br />

Nebenstraßen oder Kaufhäuser<br />

huschen und die Fußgängerzone <strong>me</strong>iden?<br />

Da wird man nicht im<strong>me</strong>r rasch<br />

und zielführend vorwärtskom<strong>me</strong>n.<br />

Oder soll man dem Stand-Unwesen lieber<br />

durch den täglichen Gebrauch<br />

angeeigneter und verfeinerter urbaner<br />

Ignorierungskunst begegnen?<br />

Nun könnte man einwenden, dass<br />

die auch nur ihren Job machen würden.<br />

Aber wenn deren Job darin<br />

besteht, das einzige zu stehlen, was<br />

wirklich unwiederbringlich dahin ist,<br />

nämlich <strong>me</strong>ine Zeit, muss ich ihnen ja<br />

nicht noch dabei helfen. Einbrechern<br />

hilft man ja auch nicht, die Wertsachen<br />

zu finden. Olaf Kieser

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