Taunus Zeitung - Frankfurter Neue Presse
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Seite 4 MEINUNG UND HINTERGRUND Samstag, 2. Oktober 2010<br />
Cindy<br />
Pohl<br />
LEITARTIKEL<br />
Die Jugend von heute<br />
Die Jugend vonheute ist: respektlos,<br />
gewaltbereit, faul, uninteressiert, mit dem<br />
Lebenüberfordert, unzuverlässig, krank,<br />
frühreif...Ziemlich negativeEigenschaften,<br />
die unserer Jugend unterstellt werden oder<br />
nicht? Noch schockierender ist die Tatsache,<br />
dass eben diese Auflistung das Resultat einer<br />
Umfrageunter 17- bis 21-Jährigen ist. Das<br />
bedeutet: Die eigene Generation findet sich<br />
selbst, auf gut Deutsch, beschissen!<br />
Wieso? Wiekonnte es nur soweit kommen?<br />
Die Jugend ist eine Zeit im Lebeneines Menschen, in der<br />
man sich ausprobiert, Erfahrungen macht und versucht,<br />
sich über Grenzen hinwegzusetzen. Das kennen wir alle.<br />
Genauso wie wir wissen, dass die älteren Generationen<br />
gern über die jüngeren „richten“. Das warschon immer<br />
so und wirdimmer so bleiben. Dennoch fand in den letzten<br />
Jahren ein Wandel statt, der nicht direkterkannt wurde<br />
und doch nicht hätte aufgehalten werden können.<br />
Und nun besteht unser schönes Deutschland zu .........%<br />
aus unfreundlichen und verwahrlosten Jugendlichen,<br />
welche nur bedingt Lesen und Schreiben können. Ihnen<br />
ist lediglich wichtig, wo die nächste „fette“Partysteigt<br />
und sie etwaszu„saufen“herbekommen, wases<strong>Neue</strong>s bei<br />
Popstars oder DSDS gibt oder wo sie das nächste Mal mit<br />
wemwie Sexhaben werden. Ab und zu, wenn ich Jugendliche<br />
in der Öffentlichkeit beobachte, stelle ich mir die Frage:<br />
Wo sind die deutschen Tugenden geblieben? Aber keine<br />
Panik! Das gilt nur für einen Teil der Jugendlichen in<br />
unserem Land. Viele anderegehen im Schnitt ungefähr<br />
35 Stunden in der Woche zur Schule .Wenn diese Schüler<br />
dann nach Hause kommen, gibt es kurz etwaszuessen,<br />
bevorsie sich an ihreHausaufgabensetzen. Vielleicht<br />
können sie noch einem Hobbynachgehen, bevorsie völlig<br />
erschöpft ins Bett fallen, um am nächsten Taggenau die<br />
gleiche Anstrengung zu erleben.<br />
Haben wir nicht Glück? Wirkönnen uns in Deutschland<br />
entscheiden, zwischen förderungsbedürftigen Faulenzern<br />
oder an Burn-out leidenden Dauerarbeitern! Ich finde das<br />
sind mehr oder weniger düstereAussichten. Aber werist<br />
dafür verantwortlich? Die Jugendlichen selbst?<br />
Wasist mit den Familien?<br />
Man könnte hier durchaus eine Teilverantwortung an<br />
diesem Problem finden. Aber jetzt mal Hand aufsHerz:<br />
Kann man es Eltern verübeln, wenn sie es nicht ganz allein<br />
mit einem pubertierenden Jugendlichen aufnehmen<br />
können? Ich denke, viele Eltern erhoffen sich etwasmehr<br />
Unterstützung. Nurvon wem?<br />
Vielleicht müssen wir Familie künftig anders definieren.<br />
Es gibt eine Gruppevon Menschen, die wirklich etwasfür<br />
unsereJugendlichentun kann, die die Eltern unterstützen<br />
kann: die Gesellschaft! Wiralle: Freunde, Nachbarn, die<br />
Frau vomKiosk, der Typvom Klamottenladen, die<br />
Bäckereifachverkäuferin, der Frisör,der Mann an der Kasse<br />
und jeder einzelne Mensch auf der Straße. Und Du!<br />
Hauptsache, Kinder werden nicht allein gelassen!<br />
chefredaktion@fnp.de<br />
Das kleine Volk<br />
muss sich unterwerfen<br />
Zu Stuttgart 21:Friedrich von<br />
Schiller ließ in seinem Drama<br />
„Wilhelm Tell“ aus dem Jahre1804<br />
in Person des Landvogts Geßler<br />
folgende Aussagetreffen: „Dies“<br />
kleine Volk ist uns ein Stein im<br />
Weg–Sooder so –Esmuß sich<br />
unterwerfen.“ Welch’ein Gleichnis<br />
zur heutigen Situation in Stuttgart<br />
und der allgemeinen, sozialpolitischen<br />
Lage in unserer Republik.<br />
Aglef Tröger, Hofheim<br />
Projekt wurde<br />
demokratisch<br />
beschlossen<br />
Zu Stuttgart 21: Inden meisten<br />
Medien baut sich nach altem<br />
Strickmuster das bekannte<br />
Meinungsbild auf.Egalgegen was<br />
oder für was:Demonstrationen<br />
werden grundsätzlich positiv<br />
bewertet, das sind die „Guten“,<br />
und die Polizei und der Staat, das<br />
sind die „Bösen“. Auch dann,<br />
wenn wie in Stuttgart, gegenein<br />
Projektdemonstriert wird, das alle<br />
demokratischen Prozesse durchlaufen<br />
hat. Manch Lehrer,der<br />
seine Schulklasse an den Brennpunktgeführt<br />
hat, hätte mit seiner<br />
Klasse besser den Prozess gegen<br />
die RAF-Terroristin Verena Becker<br />
besuchen sollen, als Beispiel dafür,<br />
wohin überzogener Hass gegen<br />
den Staat führen kann.<br />
Wolfgang Kullmann,<br />
Bad Homburg<br />
Zum Nachteil<br />
der Bürger<br />
Zu Mieterhöhungen wegen<br />
Klimaschutz: Esvergeht kein Tag,<br />
an dem Frau Merkel nicht auf<br />
irgendeinem Sender und immer<br />
wechselnden Orten etwasvon sich<br />
gibt und meistens zum Nachteil<br />
der Bürger.Hat die Frau überhaupt<br />
eine Ahnung, wasdie<br />
Wohnungen heute zum Teil<br />
kosten? Viele Länder wissen zwar,<br />
wie man Umweltschutz schreibt,<br />
wissen aber nicht wasdas ist.<br />
Darum sollte sie sich mal kümmern.<br />
Erwin Weishäupl, Frankfurt<br />
LESERMEINUNG<br />
Auswirkungen<br />
überlegt?<br />
Zur Vorkasse vonPatienten: Der<br />
als Ziel vonGesundheitsminister<br />
Rösler genannte Plan, dass Kassenpatienten<br />
ihreArztrechnungen<br />
zuerst selbst bezahlen, liegt schon<br />
seit Jahren in den Schubladen der<br />
Bundesregierung, auch vorheriger.<br />
In der Realität wird dies schon bei<br />
den Beihilfeberechtigten des<br />
Bundes praktiziert. Ein ehemaliger<br />
Beamter des einfachen oder mittleren<br />
Dienstes (oder dessen Hinterbliebene),<br />
also mit einem vergleichsweise<br />
bescheidenen Einkommen,<br />
ist chronisch krank und<br />
benötigt regelmäßig teureMedikamente.<br />
Dafür können im<br />
Monat gut 1500 Eurofällig<br />
werden. Die muss der Betroffene<br />
sofort in der Apothekebezahlen.<br />
FürBehandlungen beim Arzt<br />
bekommt er Rechnungen mit<br />
einem Zahlungsziel von30Tagen.<br />
Fürdie beider Beihilfestelle eingereichten<br />
Rezept- und Arztrechnungen<br />
muss er eine Bearbeitungszeit<br />
vonbis zu 30 Tageneinkalkulieren,<br />
bevorerden der Höhe<br />
nach begrenzten Erstattungsbetrag<br />
erhält. Finanzielle Sorgen der<br />
Betroffenen gehören somit zur<br />
Tagesordnung. Herr Rösler,welche<br />
verheerenden Auswirkungen wird<br />
Ihr Vorhaben beiKassenpatienten<br />
auslösen? Hans-Joachim Stemper,<br />
Frankfurt<br />
Waffen nur für<br />
Einsatzkräfte<br />
Zum Waffenrecht:„Wieso eigentlich<br />
Feuerwaffen? Wasbitte<br />
spricht dagegen, tödliche Feuerwaffen<br />
nur für Polizei und<br />
Bundeswehr zu gestatten? Wäre es<br />
nach den Amokläufen nicht verantwortungsvoll<br />
und human, den<br />
Schießsport nur auf Luftdruckwaffen<br />
zu beschränken?<br />
Armin Kraft,Hofheim<br />
Wir freuen uns über jeden Leserbrief,<br />
können aber nicht alle veröffentlichen.<br />
Wir behalten uns vor zu kürzen. Ihre Zuschriften<br />
schicken Sie bitte an die:<br />
<strong>Frankfurter</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Presse</strong>,<br />
Frankenallee 71–81,<br />
60327 Frankfurt,<br />
per Fax an (069) 75 01 40 47 oder<br />
per E-Mail an leserbriefe@fnp.de<br />
Der letzte Wehrpflichtige<br />
Warum unserjunger AutorChristopher Scholz sichzum Soldat ausbilden lässt<br />
Immer weniger wollen in die<br />
Kaserne: Bundeswehrsoldaten<br />
gehören zu einer aussterbenden<br />
Gattung. „Du spinnst wohl!“,<br />
gehört noch zu den milderen<br />
Kommentaren, wenn man sich<br />
trotzdem für den Grundwehrdienst<br />
entscheidet –als Einziger<br />
an der Schule.<br />
� Von Christopher Scholz<br />
Frankfurt. Das Schreiben lag in<br />
meiner Hand. Der Postbote hatte es<br />
mir wie die vielen anderen Einschreiben<br />
der Bundeswehr persönlich<br />
übergeben. Die letzten Male<br />
konnte ich noch mit ihm über die<br />
kommende Wehrpflicht beziehungsweise<br />
über die noch zu fällende<br />
Entscheidung ausgelassen<br />
scherzen. Wir kennen uns schon<br />
länger. Als leidenschaftlicher Amazon-Kunde<br />
hat man ein enges Verhältnis<br />
zu seinem Postboten. Doch<br />
diesmal war die Lage ernst. Der<br />
Brief war ein gutes Stück dicker als<br />
die Vorigen: Das musste er sein, der<br />
Einberufungsbescheid. In jenem<br />
Moment traf ich meine endgültige<br />
Entscheidung. Ich trete meinen<br />
Grundwehrdienst (GWD) an und<br />
zwar mit allen Konsequenzen.<br />
Aus reinem Stolz<br />
Lange habe ich mit dieser Entscheidung<br />
gerungen. Mit Tricks ausgemustert<br />
zu werden war für mich<br />
undenkbar. Das war reiner Stolz.<br />
Ich hatte mehr Angst für nichttauglich<br />
(beim Bund heißt das: T3)<br />
befunden zu werden, wie es meinem<br />
großen Bruder erging, der damals<br />
auch gern zur Bundeswehr gehen<br />
wollte. Damals war das noch<br />
cool. Heutzutage greift sich der<br />
größte Teil meiner Freunde an den<br />
Kopf wenn ich denen erzähle, dass<br />
ich vorhabe den GWD anzutreten.<br />
Die Coolen heutzutage lassen sich<br />
ausmustern oder machen Zivildienst.<br />
Die richtig Coolen machen<br />
ein soziales Jahr. Sich ausmustern<br />
lassen, ist sehr einfach. Ein<br />
falsches Attest oder<br />
vor dem Termin beim örtlichen<br />
Kreiswehrersatzamt (KWEA) ein<br />
Joint durchziehen, reicht oft aus.<br />
Zur Bundeswehr<br />
(BW) zu gehen ist<br />
unüblich geworden.<br />
Es ist normal,<br />
Zivildienst<br />
zu machen.<br />
Aber warum<br />
mache ich nicht<br />
Zivildienst? In<br />
den letzten Tagen<br />
musste ich mir<br />
oft anhören, dass<br />
es noch nicht zu<br />
spät sei, ich immer<br />
noch verweigern<br />
könne.<br />
Hier muss ich erwähnen,<br />
dass ich<br />
unter 1200 Schülern<br />
meiner Schule<br />
der Einzige meines<br />
Jahrgangs und unter<br />
meinen Freunden bin,<br />
der den GWDantritt.<br />
Zugegeben: Zivildienst<br />
wird besser bezahlt,<br />
man hat mehr<br />
Freizeit und wird<br />
nicht angebrüllt.<br />
Aber erlebt man dort<br />
auch Abenteuer, wie<br />
beim Biwak, oder geht<br />
an seine mentalen und<br />
physischen Grenzen?<br />
Ich glaubeeher nicht.<br />
Für meine eigene Entscheidung<br />
war eswichtig,<br />
was ich mit dieser Zeit<br />
mache. Nicht was meine<br />
Taten für mein Vaterland<br />
bedeuten. Will ich lieber<br />
viele Monate dieselbe Tätigkeit<br />
ausüben, in meinem<br />
Umfeld bleiben und<br />
dafür ein sehr einfaches<br />
Leben haben, oder will<br />
ich lieber in ein neues<br />
Abenteuer eintreten,<br />
hart Sport treiben und<br />
abends trotz totaler<br />
Übermüdung meinen Wachdienst<br />
antreten?<br />
In der Zeit in der ich darüber geredet<br />
habe, dass ich diesen Text<br />
schreiben werde, bin ich auf unzählige<br />
Vorurteile gestoßen. Die<br />
meisten kamen jedoch von guten<br />
Freundinnen, obwohl doch<br />
genau diese am wenigsten mit<br />
dem Thema zu tun haben.<br />
Kaum eine kannte einen Wehrpflichtigen.<br />
Immer wieder hörte<br />
ich dasselbe: Du wirst Tagund<br />
Nacht nur angeschrien, du wirst<br />
nur von Idioten umgeben sein,<br />
du bekommst nur schlechtes<br />
Essen, du hast keine Privatsphäre,<br />
du hast keine<br />
Freizeit, du vergeudest<br />
deine Zeit.<br />
Kantinen-<br />
Futter<br />
Viele kann ich<br />
schon im Vorfeld<br />
entkräften. Laut<br />
einem Erfahrungsbericht<br />
eines ehemaligenGWD-Leistenden,<br />
ist das Essen<br />
zum großem Teil<br />
deutlich besser, als<br />
gemeines Kantinen-<br />
Futter. Nur ein Viertel<br />
sei nicht besonders<br />
schmackhaft, dafür<br />
seien mindestens<br />
genau so viele Mahlzeiten<br />
exzellent. Freizeit<br />
gibt es am Wochenende,<br />
an denen es<br />
mir freigestellt ist kostenlos<br />
nach Hause zu<br />
reisen. Was soll ich<br />
denn ansonsten mit der<br />
Zeit machen? Ich kann<br />
die Zeit nutzen, um mir<br />
klar zu werden, was ich<br />
später machen möchte.<br />
Wenn ich Ende März fertig<br />
bin, ist das der perfekte<br />
junge zeitung<br />
Zeitpunkt. Ich kann die nächsten<br />
Monate nutzen, um intensiv Praktika<br />
zu machen und mich um einen<br />
Ausbildungsplatz zu bewerben.<br />
Jetzt, lange nachdem ich diese<br />
Entscheidung gefällt habe und zwei<br />
Tage vor meinem Antritt, werde ich<br />
leicht nervös. Nicht weil ich vielleicht<br />
die falsche Entscheidung getroffen<br />
habe, sondern weil ich einfach<br />
extrem gespannt bin. Welche<br />
Leute werde ich treffen? Wird der<br />
Sport wirklich so hart? Vorallem:<br />
Waswird aus mir nach der Allgemeinen<br />
Grundausbildung (AGA)?<br />
Meiner Meinung nach könnte die<br />
Grundausbildung gerne länger<br />
sein. Hier bin ich mir meiner Entscheidung<br />
am Nächsten. Nicht weil<br />
es mir ums Rumgeballere geht, wie<br />
es von einem ehemaligen Ego-<br />
Shooter-Süchtigen wie mir zu erwarten<br />
wäre, sondern, da ich weiß,<br />
dass ich viel für mein Leben indieser<br />
Zeit lernen werde. Es ist wie ein<br />
gewolltes Hindernis, das ich erst<br />
überwinden muss, um mental stärker<br />
zu werden. So ein Hindernis<br />
war auch mein erster und bisher<br />
einziger,aber vollendeter Marathon<br />
vor einem Jahr. Das hat mich mental<br />
unglaublich gestärkt.<br />
Vergeudete Zeit<br />
Sport ist mir auch ein sehr wichtiges<br />
Thema. Ich habe die Erfahrung<br />
gemacht, dass mir oft die Motivation<br />
fehlt, alleine Sport zu treiben<br />
und hoffe bei der BW die nötige<br />
Motivation zu bekommen.<br />
Den größten Bammel habe ich<br />
vor der Zeit, die nach der AGA<br />
kommt. Ich werde von der Hohenbergkaserne<br />
im Nordschwarzwald<br />
voraussichtlich in die Robert-Schuman-Kaserne<br />
im Hochschwarzwald<br />
versetzt. Was ich dort jedoch machen<br />
soll, ist unklar. Lastwagen im<br />
Kreis fahren, wäre furchtbar und<br />
für mich vergeudete Zeit.<br />
Trotz vielen Ungewissheiten<br />
kann ich mir eigentlich nicht vorstellen,<br />
dass ein halbes Jahr BW so<br />
schlimm ist. Die Erfahrungen sind<br />
mindestens tausendmal wertvoller<br />
als die des Zivildienstes.<br />
„Die Bundeswehr als evolutionärer Rückschritt?“ Illustration: Philipp Burckhardt<br />
Student<br />
muss nicht<br />
zum Bund<br />
Koblenz. Ein Student muss sein<br />
Studium nicht für den Grundwehrdienst<br />
bei der Bundeswehr unterbrechen,<br />
wie das Verwaltungsgericht<br />
Koblenz entschied (Az.: 7 L<br />
1107/10.KO). Das Gericht gab dem<br />
Studenten Recht und suspendierte<br />
die Einberufung. Die streitige<br />
Rechtsfrage sei „mangels eindeutiger<br />
gesetzlicher Regelung ungeklärt“<br />
und müsse anschließend in<br />
einem Klageverfahren entschieden<br />
werden. Bis dahin aber müsse der<br />
Mann auch wegen der zu erwartenden<br />
Aussetzung der Wehrpflicht<br />
keinen Wehrdienst leisten, teilten<br />
die Richter mit. Der Beschluss ist<br />
unanfechtbar. dpa<br />
Zu wenig Geld<br />
für Bildung<br />
Berlin. Aus Sicht von 84 Prozent<br />
der Menschen stellen Bund und<br />
Länder nicht genug Geld für Bildung<br />
bereit. Dies ergab eine Forsa-<br />
Umfrage imAuftrag der Bildungsgewerkschaft<br />
VBE. Demnach glauben<br />
79 Prozent der Bürger nicht,<br />
dass das von Bundeskanzlerin Angela<br />
Merkel (CDU) vor zwei Jahren<br />
ausgerufene Ziel der Bildungsrepublik<br />
noch ernsthaft verfolgt wird.<br />
Selbst unter den Anhängern der<br />
Unionsparteien und der FDP zweifeln<br />
zwei Drittel daran. dpa<br />
Wilders kommt<br />
nach Berlin<br />
Berlin. Der niederländische Islamgegner<br />
Geert Wilders kommt an<br />
diesem Samstag nach Berlin. Wilders<br />
hält einen Vortrag zum Thema<br />
„Islam und Integration“. Eingeladen<br />
hat ihn der frühere Berliner<br />
CDU-Politiker René Stadtkewitz. Er<br />
hatte vor drei Wochen die Gründung<br />
einer eigenen Partei mit Namen<br />
„Die Freiheit“ angekündigt.<br />
Die 540 Plätze beim Wilders-Vortrag<br />
sind seit Tagenvergeben. dpa<br />
ZITAT DES<br />
TAGES<br />
„Die Steigerungsraten für<br />
die Kinder können sich<br />
sehen lassen. Hartz-IV-<br />
Familien werden besser am<br />
gesellschaftlichen Leben<br />
teilhaben können“<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
Stuttgart beschäftigt die Bundespolitik<br />
Hunderte Verletzte, öffentliche<br />
Bilder der Gewalt und kein<br />
Ende der Proteste in Sicht:<br />
Stuttgart 21 stellt das Land auf<br />
eine harte Probe.<br />
Stuttgart/Berlin. Nach den gewalttätigen<br />
Szenen in Stuttgart hat<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
(CDU) die Gegner des Bahnhofsneubaus<br />
zur Gewaltlosigkeit aufgerufen.<br />
„Ich wünsche mir, dass solche<br />
Demonstrationen friedlich verlaufen“,<br />
sagte Merkel am Freitag<br />
dem SWR. „Proteste sind natürlich<br />
erlaubt“, sagte Merkel. Aber es müsse<br />
alles vermieden werden, was zu<br />
Gewalt führen könne.<br />
Das Projekt Stuttgart 21 halte sie<br />
für sinnvoll, weil es um eine europäische<br />
Trassenführung und die<br />
Verlässlichkeit der Politik gehe, sagte<br />
Merkel. Zukunftsträchtige Großprojekte<br />
dürften nicht blockiert<br />
werden.<br />
Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte<br />
Merkel scharf: „Sie hätte ihren<br />
Appell an den Innenminister<br />
und an ihre Parteifreunde der CDU<br />
in Baden-Württemberg richten<br />
müssen –von denen geht die Gewalt<br />
aus.“ SPD-Fraktionsgeschäftsführer<br />
Thomas Oppermann sagte,<br />
Schlagstöcke gegen Jugendliche<br />
und Rentner seien der Demokratie<br />
unwürdig.<br />
Am Donnerstag war die Polizei<br />
mit Tränengas, Pfefferspray und<br />
Wasserwerfern gegen Demonstranten<br />
vorgegangen, zahlreiche Menschen<br />
wurden verletzt.<br />
Baden-Württembergs Ministerpräsident<br />
Stefan Mappus verteidigte<br />
den Polizeieinsatz. „Ich stelle<br />
mich hinter unsere Beamten.“ Die<br />
Polizisten seien von Demonstranten<br />
mit Flaschen beworfen worden.<br />
„Wir brauchen in dieser schwierigen<br />
Situation Gesprächsbereitschaft<br />
und Gesprächsfähigkeit“, sagte<br />
Mappus. Auch die Bundesregie-<br />
Heftiger Parteienstreit nach dem Polizeieinsatz gegen Demonstranten im Schlossgarten<br />
rung rief zum Dialog auf –und das<br />
ohne den geforderten Baustopp.<br />
Die Grünen warfen der Union<br />
Verlogenheit vor. Es habe nie eine<br />
ehrliche Absicht zu einem Dialog<br />
gegeben, sagte Özdemir. Grundrechte<br />
wie Versammlungs- und<br />
Meinungsfreiheit seien niedergeknüppelt<br />
worden. Der Stuttgarter<br />
Innenminister Heribert Rech wies<br />
den Vorwurf zurück, die Polizei sei<br />
brachial vorgegangen. Polizei-Gewerkschaftschef<br />
Reiner Wendt bezeichnete<br />
den Einsatz als „angemessen<br />
und vernünftig, aber eben auch<br />
energisch“.<br />
CDU-Generalsekretär Hermann<br />
Gröhe attackierte die Grünen: „Aus<br />
zahlreichen Verletzten mit abstrusen<br />
Vorwürfen an die Bundeskanzlerin<br />
politischen Vorteil ziehen zu<br />
wollen, ist zutiefst schäbig.“<br />
Im Bundestag kam eszueinem<br />
Schlagabtausch zu den Ereignissen.<br />
Union und FDP lehnten einen<br />
Grünen-Antrag ab, das Stuttgart-<br />
21-Projekt zum Thema einer Aktuellen<br />
Stunde im Bundestag zu machen.<br />
Die Linke-Politikerin Dagmar<br />
Enkelmann sagte: „Wir müssen<br />
heute und hier in einer öffentli-<br />
Unverhältnismäßiger Einsatz<br />
Entspricht Rainer Wendts verteidigende<br />
Stellungnahme, der<br />
Polizeieinsatz sei ,, nicht nur rechtmäßig,<br />
sondern auch vollkommen<br />
angemessen’’ der Wahrheit?<br />
Nach dem Landespolizeigesetz darf<br />
Gewalt gegenZivilpersonen nur<br />
eingesetzt werden, wenn die Maßnahmen<br />
dem Alter,dem Verhalten<br />
und dem Zustand des Betroffenen<br />
angemessen sind. Die Gründe,<br />
warum die Polizei Wasserwerfer<br />
und Tränengas einsetzte, warendas<br />
Auch vor dem Reichstag in Berlin ist der Polizeieinsatz gegen die Stuttgart-21-Demonstranten ein Thema. Drei<br />
Berliner äußern auf Plakaten deutliche Kritik an dem harten Vorgehen der Beamten. Foto: dapd<br />
chen Debatte über das Thema reden.“<br />
Es könne nicht sein, dass<br />
Schüler mit angegriffen würde.<br />
„Was lernen diese Kinder in einem<br />
solchen Moment über Demokratie?“<br />
fragte Enkelmann.<br />
KOMMENTAR<br />
Anbinden an Bäumen, Sitzblockaden,KletternüberAbsperrungen<br />
und Werfen mit Kastanien.<br />
Wardurch diese Verstöße die öffentliche<br />
Sicherheit und Ordnung<br />
so stark gefährdet, dass fast 200<br />
Menschen, darunter viele Schüler,<br />
Studenten und ältereMenschen,<br />
verletzt wurden? Nein! Ein Student<br />
wurde so stark am Auge verletzt,<br />
dass eine Erblindung droht. Kinder<br />
und Jugendliche wissen aufgrund<br />
fehlender Erfahrungen mit De-<br />
Die Eskalation der Auseinandersetzung<br />
um Stuttgart 21 ist nach<br />
Einschätzung des Leiters der Forschungsstelle<br />
Bürgerbeteiligung der<br />
Universität Wuppertal, Hans Joachim<br />
Lietzmann, auch mit man-<br />
monstrationen<br />
nicht, auf wassie<br />
sich einlassen und<br />
wie sich die Reaktionen<br />
der Polizei<br />
auswirken. Man<br />
fragt sich aufgrund<br />
dessen, warum die<br />
Polizei nicht zu<br />
defensiveren Maßnahmen<br />
griff oder<br />
Nadine<br />
Raida<br />
die Demonstranten nicht vonvorneherein<br />
vomGelände fernhielt.<br />
gelnder Einbindung der Bürger zu<br />
erklären. Die „extrem schludrige<br />
Weise“ der Kommunikation nach<br />
außen und fehlende Transparenz<br />
seien die Hauptgründe für die Proteste.<br />
„Man ist davon ausgegangen,<br />
dass allein die parlamentarischen<br />
Verfahren die nötige Legitimität<br />
für solch ein Projekt mit sich bringen“,<br />
sagte Lietzmann. Doch wäre<br />
es wichtig gewesen, die Bürger direkter<br />
an der Entscheidung zu beteiligen.<br />
„Es ist doch völlig berechtigt,<br />
wenn die Menschen nach<br />
zehn Jahren Planungsphase und<br />
offensichtlich extrem gestiegenen<br />
Kosten fordern, das Projekt noch<br />
einmal zur Diskussion zu stellen.“<br />
Nach Einschätzung von Meinungsforschern<br />
wird der Streit um<br />
Stuttgart 21 Auswirkungen auf die<br />
baden-württembergischen Landtagswahl<br />
im März 2011 haben.<br />
dpa/dapd