01_Titel_Layout 1 - Allianz Global Corporate & Specialty
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www.agcs.allianz.com<br />
<strong>Global</strong> Risk<br />
Dialogue<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong><br />
Herbst 2<strong>01</strong>2<br />
SPECIAL TOPIC<br />
Extreme Welten<br />
Höher, tiefer, gefährlicher?<br />
Satellitenfriedhöfe im Weltall, Ölbohrungen in der Tiefsee oder Mega-Bauten<br />
in der Wüste: Viele Unternehmen betreiben ihr Geschäft in einem extremen<br />
Umfeld. In abgelegenen, lebensfeindlichen Regionen steigt das Gefahrenpotenzial,<br />
aber zugleich entwickelt sich auch das Risikomanagement weiter.<br />
10<br />
Neu starten<br />
Nicht zu erschüttern: Wie eine<br />
Fabrik zwei Erdbeben bewältigte<br />
18<br />
Lehrreich<br />
Mehr Sicherheit in tiefer See<br />
nach Deepwater Horizon<br />
24<br />
Unter Beschuss<br />
Schrottteile drohen Satellitenmissionen<br />
zu verkürzen
IMPRESSUM<br />
HERAUSGEBER<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> &<br />
<strong>Specialty</strong> AG, Fritz-Schäffer-<br />
Str. 9, 81737 München ©<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> &<br />
<strong>Specialty</strong>. Alle Rechte vorbehalten.<br />
Die Beiträge dieser<br />
Ausgabe dürfen nicht<br />
vervielfältigt werden und<br />
sind urheberrechtlich geschützt.<br />
Redaktionsschluss<br />
dieser Ausgabe war der 15.<br />
August 2<strong>01</strong>2.<br />
VERANTWORTLICHER<br />
HERAUSGEBER<br />
Hugo Kidston, <strong>Global</strong> Head<br />
of Communications,<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> &<br />
<strong>Specialty</strong>,<br />
Fritz-Schäffer-Str. 9,<br />
D-81737 München,<br />
hugo.kidston@allianz.com<br />
VERLAG<br />
Medienfabrik Gütersloh<br />
GmbH,<br />
Neumarkter Straße 22,<br />
81673 München<br />
REDAKTION<br />
Heidi Polke-Markmann<br />
ART DIRECTOR<br />
Nadine Schröder<br />
DRUCK<br />
Medienfabrik Gütersloh<br />
GmbH, Gütersloh<br />
FOTONACHWEIS<br />
AGCS, corbis, Bill<br />
Ingalls/NASA<br />
ERSCHEINUNGSWEISE<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> Risk Dialogue<br />
erscheint zweimal pro Jahr.<br />
Ohne MwSt. und Versandkosten<br />
liegt der Preis pro<br />
Heft bei 20.00 Euro.<br />
KONTAKT FÜR ABONNEMENT<br />
agcs.dialogue@allianz.com<br />
ISSN 2191-7558<br />
HINWEIS<br />
Redaktionelle Beiträge geben nicht<br />
unbedingt die Meinung des Herausgebers<br />
oder Verlegers wieder. Der<br />
Herausgeber behält sich das Recht<br />
vor, Artikel in überarbeiteter und gekürzter<br />
Form zu veröffentlichen. Die<br />
Informationen dieser Publikation bieten<br />
nur einen allgemeinen Themenüberblick<br />
und ersetzen keine<br />
individuelle Beratung. Trotz größter<br />
Sorgfalt bei der Zusammenstellung<br />
übernehmen weder Verleger noch<br />
Herausgeber die Verantwortung für<br />
Fehler oder Auslassungen sowie für<br />
irgendwelche Schäden, Verluste oder<br />
Kosten, die durch die Verwendung<br />
von hierin enthaltenen Informationen<br />
entstehen. Der Verleger übernimmt<br />
keine Verpflichtung, diese<br />
Informationen zu aktualisieren.<br />
02<br />
Inhalt<br />
Satelliten sind das Rückgrat moderner Kommunikation. Doch Weltraumschrott droht ihre Lebensdauer zu verkürzen.<br />
SPECIAL TOPIC<br />
Extreme Welten<br />
18 Tiefseebohrungen<br />
Unternehmen wappnen sich mit<br />
mehrfacher Absicherung<br />
24 Satelliten im All<br />
Natürliche Gefahren und Schrottteile<br />
gefährden Missionen<br />
08<br />
Neuland: Der Bau von Offshorewindparks stellt Betreiber,<br />
Hersteller und Versicherer vor Herausforderungen.<br />
IN BRIEF<br />
04 Neuigkeiten<br />
07 4 Fragen an ...<br />
Willy Schaugg, AGCS Country<br />
Manager in Russland<br />
REGIONAL EYE<br />
24<br />
08 Risikokomplex Windparks<br />
Technik und Logistik fordern Betreiber<br />
und Versicherer heraus<br />
RISK FUTURES<br />
10 Große Räder, kleiner Markt<br />
Erschüttert von Erdbeben: Wie Titan Italia schnell<br />
wieder die Produktion aufnahm<br />
16 Aus Schaden wird man klug<br />
<strong>Allianz</strong> Zentrum für Technologie will künftig<br />
weltweit Schäden analysieren und verhüten<br />
Die Betriebsunterbrechung begrenzen: Der Reifenfabrikant Titan Italia konnte nach zwei<br />
schweren Erdbeben im Mai 2<strong>01</strong>2 mehrere Wochen lang nicht mehr produzieren.<br />
IN CONCLUSION<br />
30 Negatives nicht überbetonen<br />
Christoffer van Tulleken hält Polarexpeditionen<br />
für wenig gefährlich – und nicht besonders kalt<br />
31 Risiko im Bild<br />
Die letzte Reise der Enterprise<br />
31 Kalender<br />
10<br />
EDITORIAL<br />
Tiefseebohrungen in mehr als 10.000<br />
Meter Tiefe, Ölförderung in der Arktis,<br />
Satelliten im Weltall. Viele Industrien<br />
agieren in einem extremen Umfeld,<br />
das schwer zugänglich, lebensfeindlich<br />
ist und auch in anderer Hinsicht die<br />
Akteure vor Herausforderungen stellt.<br />
Als Versicherer bieten wir den beteiligten<br />
Unternehmen Risikoschutz. Allerdings<br />
erfordern die enormen Wertkonzentrationen<br />
– ein Ölverarbeitungsschiff<br />
kostet fünf Milliarden US-Dollar,<br />
ein Satellit 200 US-Dollar – kollektive<br />
Lösungen.<br />
Diese Ausgabe des <strong>Global</strong> Risk Dialogue<br />
interessiert sich auch dafür, wie Ölingenieure<br />
oder Astronauten unter Extrembedingungen<br />
arbeiten. Wir haben<br />
einen Polararzt befragt. Seine<br />
Antwort: Die gründliche Auseinandersetzung<br />
mit möglichen Risiken lasse<br />
die kühnen Expeditionen letztlich<br />
überraschend gefahrlos verlaufen. Es<br />
ist nicht Risikoaversion, die sicher<br />
macht, sondern ein durchdachtes Risikomanagement.<br />
Axel Theis<br />
CEO<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong> AG<br />
03
IN BRIEF<br />
Weltrisiken auf einen Blick Neues von AGCS und <strong>Allianz</strong><br />
Weniger Naturkatastrophen<br />
Im ersten Halbjahr 2<strong>01</strong>2 blieben Unternehmen von schweren Naturkatastrophen<br />
weitgehend verschont. Laut Münchner Rück summierten<br />
sich die gesamtwirtschaftlichen Schäden aus Naturkatastrophen<br />
weltweit auf rund 26 Milliarden US-Dollar, davon waren rund<br />
zwölf Milliarden US-Dollar versichert. Die schlimmsten Ereignisse<br />
waren Tornados und Buschfeuer in den USA sowie Erdbeben in Norditalien.<br />
Im Vorjahr war die Naturkatastrophensaison weit weniger<br />
glimpflich verlaufen: Durch die Erdbeben in Japan und Neuseeland<br />
beliefen sich der Schäden in den ersten sechs Monaten 2<strong>01</strong>1 bereits<br />
auf 302 Milliarden Euro.<br />
04<br />
Neuer Standard<br />
Die Internationale Organisation für Normung (ISO) hat<br />
den ersten internationalen Standard für Business-Continuity-Management<br />
(BCM) veröffentlicht. Der Standard<br />
ISO 223<strong>01</strong> soll Unternehmen helfen, die Risiken von<br />
Betriebsunterbrechungen zu minimieren. Ein Managementsystem<br />
zeigt auf, wie man sich auf Betriebsstörungen<br />
vorbereiten kann und welche Maßnahmen im Notfall<br />
zu ergreifen sind. Der neue Standard ersetzt den bisherigen<br />
Britischen Standard BS 25999, der weltweit von<br />
Unternehmen genutzt wurde. Betriebsunterbrechungen<br />
werden immer häufiger auch indirekt ausgelöst,<br />
weil ein Lieferant ausfällt. „Daher müssten auch die Zulieferer<br />
aktiv in das BCM Management miteinbezogen<br />
werden“, rät Paul Carter, <strong>Global</strong> Head of Property Risk<br />
Consulting bei <strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong>.<br />
Jahrhundertdürre<br />
in den USA<br />
Eine Dürre wie in diesem Jahr hat es in den USA seit<br />
1956 nicht mehr gegeben. Die Hälfte der US-Bundesstaaten<br />
gelten als Trockengebiet, rund 75 Prozent<br />
der Mais- und Sojaernte sind betroffen. Die unmittelbaren<br />
Schäden für die Farmer werden größtenteils<br />
von Ernteausfallversicherungen übernommen,<br />
die private Versicherer und der Staat gemeinsam<br />
tragen. Experten befürchten Schäden in Höhe von<br />
bis zu 20 Milliarden US-Dollar. Neben Ernteausfallversicherungen<br />
interessieren sich auch immer<br />
mehr landwirtschaftliche Großbetriebe für eine Absicherung<br />
gegen unwetterbedingte Ausfälle. „Wetterversicherungen<br />
sind bisher vor allem in der Energiebranche<br />
üblich, aber sie kommen auch zunehmend<br />
in der Landwirtschaft zum Einsatz“, sagt<br />
Karsten Berlage von <strong>Allianz</strong> Risk Transfer. Der Vorteil<br />
ist laut Berlage dass Farmer nicht erst das Ende der<br />
Erntesaison abwarten müssen, um den tatsächlichen<br />
Ausfall beziffern zu können, sondern der Versicherungsfall<br />
bereits eintritt, wenn beispielsweise<br />
eine bestimmte Zahl von Hitzetagen in einem festgelegten<br />
Sommermonat eingetreten ist. Über Wetterversicherungen<br />
können sich Großbauern auch<br />
vor Frost in der Pflanzsaison oder ausbleibendem<br />
beziehungsweise zu starkem Regen in der Wachstumsphase<br />
schützen.<br />
Mehr Geschäft in Schwellenländern<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong><br />
(AGCS) möchte ihr Geschäft in aufstrebenden<br />
Schwellenländern stark ausbauen.<br />
Dabei stehen vor allem Asien,<br />
Südamerika, der Mittlere Osten, Nordund<br />
Südafrika sowie Osteuropa und<br />
Russland im Fokus. „Heute erwirtschaften<br />
wir in diesen Ländern rund 600 Millionen<br />
Euro Prämieneinnahmen im Jahr“,<br />
sagt CEO Axel Theis. „Unser Ziel ist, diese<br />
Summe in den kommenden fünf Jahren<br />
zu verdreifachen.“ Die Märkte in den<br />
Schwellenländern seien weiterhin auf<br />
Wachstumskurs und viele der dort angesiedelten<br />
Unternehmen auf dem besten<br />
Weg, sich zu künftigen Wirtschaftsriesen<br />
zu entwickeln. Zudem seien in den BRIC-<br />
Staaten enorme Infrastrukturinvestitionen<br />
geplant, die AGCS mit Versicherungsschutz<br />
begleiten könne.<br />
Ambitionen in Afrika<br />
Neue Führung für den<br />
Wachstumsmarkt Afrika:<br />
Delphine Maidou ist seit September<br />
für das Geschäft der<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> &<br />
<strong>Specialty</strong> of Africa Pty. verantwortlich.<br />
Vom Standort Johannesburg<br />
aus wollen sie<br />
und ihr Team sich vor allem<br />
auf die Subsaharazone und<br />
Südafrika konzentrieren. Afrika ist reich an natürlichen<br />
Ressourcen – und deren Erschließung wird massive Infrastrukturinvestitionen<br />
in Brücken, Häfen oder Kraftwerke<br />
erfordern. Dafür will AGCS Deckungen vor allem in den Bereichen<br />
Property, Engineering und Transport bereitstellen.<br />
Delphine Maidou, die in Burkina Faso geboren und aufgewachsen<br />
ist, studierte in den Vereinigten Staaten Wirtschaftswissenschaft<br />
und arbeitete seit 2005 als Executive<br />
Liability Underwriter bei AGCS Kanada. Dort stieg sie im<br />
Jahr 2<strong>01</strong>0 zum Head of Market Management auf.<br />
www.agcs.allianz.com<br />
<strong>Allianz</strong> Familie wächst<br />
Künftig tragen zwei Stadien in Frankreich<br />
und England den Namen der <strong>Allianz</strong>. Das für<br />
die Fußballeuropameisterschaft 2<strong>01</strong>6 neu erbaute<br />
Stadion in Nizza heißt „<strong>Allianz</strong> Riviera",<br />
und das Stadion des Londoner Rugbyclubs<br />
Saracens wird in „<strong>Allianz</strong> Park" umbenannt.<br />
Mit dem Aushängeschild der weltberühmten<br />
„<strong>Allianz</strong> Arena“ am Sitz der <strong>Allianz</strong> in München<br />
gibt es jetzt insgesamt vier <strong>Allianz</strong> Stadien.<br />
Bereits zum Jahresanfang 2<strong>01</strong>2 hatte<br />
eine der Hauptsportanlagen im australischen<br />
Sydney die Bezeichnung „<strong>Allianz</strong> Stadion“ erhalten.<br />
Positiver Ausblick<br />
Trotz Staatsschuldenkrise und eines widrigen Börsenumfeldes<br />
hat die <strong>Allianz</strong> Gruppe an den guten Start ins Jahr 2<strong>01</strong>2 angeknüpft<br />
und auch im zweiten Quartal die Erwartungen der Aktionäre<br />
übertroffen. Umsatz und Ergebnis stiegen dank des diversifizierten<br />
Geschäftsportfolios. Der operative Gewinn kletterte um<br />
2,8 Prozent auf 2,36 Milliarden Euro. „Unser operatives Geschäft<br />
ist stabil und bleibt auf Kurs", sagte Michael Diekmann,<br />
Vorsitzender des Vorstands der <strong>Allianz</strong> SE. Er bekräftigte<br />
die Prognose, im Gesamtjahr 2<strong>01</strong>2 operativ<br />
7,7 bis 8,7 Milliarden Euro verdienen zu wollen.<br />
Auch das Geschäft von AGCS entwickelte sich positiv.<br />
Die Bruttoprämieneinnahmen stiegen in der<br />
ersten Hälfte 2<strong>01</strong>2 gegenüber dem Vorjahr um zehn<br />
Prozent auf 3,1 Milliarden Euro. Die Schadenskostenquote<br />
lag bei 98 Prozent. Die Vermögensanlagen<br />
wuchsen von 10,8 auf 10,9 Milliarden Euro.<br />
AGCS investiert unverändert in ein breit diversifiziertes<br />
Portfolio und hält nur einen sehr kleinen Anteil an<br />
Staatsanleihen aus EU-Peripherieländern.<br />
05
06<br />
IN BRIEF<br />
Vor einem Jahr wurde Thailand von einer verheerenden Flutkatastrophe<br />
getroffen, die mehr als 13,6 Millionen Menschen betraf<br />
und einen Gesamtschaden in Höhe von 45,4 Milliarden US-<br />
Dollar verursachte. Es war die viertteuerste Naturkatastrophe<br />
aller Zeiten – nach dem Erdbeben und Tsunami in Japan (2<strong>01</strong>1),<br />
dem Erdbeben von Kobe (1995) und dem Hurrikan Katrina<br />
(2005). Für die Versicherer war dies keine Überraschung. Nach<br />
Angaben der UN Wirtschafts- und Sozialkommission treten Naturkatastrophen<br />
in Asien 25-mal so häufig auf wie in Europa<br />
oder Nordamerika.<br />
Asiens Wirtschaft wächst; exponierte Küstenregionen werden<br />
immer stärker besiedelt. Mit steigenden Vermögenswerten erhöht<br />
sich die Nachfrage nach Versicherungsschutz genauso wie<br />
der Bedarf für bessere Verfahren der Risikomodellierung. Vor<br />
30 Jahren wurde die Berechnung der potenziellen Schäden von<br />
Naturkatastrophen den Mathematikern überlassen. Diese nutzten<br />
historische Schadenstabellen und führten ihre Berechnungen<br />
noch manuell durch. Heute hingegen gibt es ausgefeilte<br />
Computerprogramme, die wissenschaftliche, technische und<br />
finanzielle Daten so kombinieren, dass die Versicherer die Risiken<br />
besser identifizieren und quantifizieren können.<br />
Viele weiße Flecken<br />
Obwohl stärker ins Bewusstsein gerückt, ist die Modellierung<br />
von Naturkatastrophen in Asien unverändert schwierig. Drehund<br />
Angelpunkt ist die Datenqualität. Die Entwicklung und Kalibrierung<br />
von Simulationstools erfordert detaillierte Daten zu<br />
möglichen Gefahren. Zudem werden Informationen zu Schadensfällen<br />
und Vertragsbedingungen benötigt. Angesichts des<br />
fortwährenden Wandels der Demografie und Versicherungs-<br />
dichte sind solche Daten jedoch nicht immer verfügbar. Und<br />
selbst wenn sie es sind, muss eine akkurate Modellierung auch<br />
noch weitere Parameter berücksichtigen – zum Beispiel den genauen<br />
Risikoort und die heterogenen Baustandards in Asien.<br />
Daher wundert es wenig, wenn es für viele Regionen Asiens noch<br />
keine Schadensmodelle gibt. „Wir brauchen alternative Ansätze<br />
zur Bewertung der Risiken und zur Akkumulationskontrolle“, betont<br />
Ali Shahkarami, Head of Catastrophe Risk Research & Analytics<br />
bei <strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong> (AGCS).<br />
Hand in Hand arbeiten<br />
Von einer hohen Datenqualität profitieren auch die Versicherten.<br />
Je detaillierter die bereitgestellten Informationen sind,<br />
desto besser kann der Versicherer reale Risiken identifizieren<br />
und eine Police mit einer angemessenen Deckung bereitstellen.<br />
Der Versicherungsnehmer mag besorgt sein, dass ein Mehr an<br />
Daten auch zusätzliche Risiken ans Tageslicht bringt. Tatsächlich<br />
ist er aber nun in der Lage gezielte Gegenmaßnahmen einzuleiten<br />
und den Versicherungsschutz auf seinen individuellen Bedarf<br />
anzupassen. „Wenn eine Versicherung mit ihren Kunden beim<br />
Datenaustausch eng zusammenarbeitet, entsteht eine ‚Winwin‘-Situation,<br />
von der beide Seiten profitieren“, meint Tina Butzbach,<br />
<strong>Global</strong> Head of Catastrophe Risk Management bei AGCS.<br />
4 Fragen an ...<br />
Mit dem Unerwarteten rechnen Willy Schaugg<br />
Country Manager – <strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong> in Russland<br />
Die Flut in Thailand hat die Grenzen der Modellierung von Naturereignissen in<br />
Asien aufgezeigt. Trotz Verbesserungen bleibt die Datenqualität ein Problem.<br />
TINA BUTZBACH<br />
<strong>Global</strong> Head of Catastrophe Risk Management<br />
tina.butzbach@allianz.com<br />
ALI SHAHKARAMI<br />
Head of Catastrophe Risk Reseach & Analytics<br />
ali.shahkarami@allianz.com<br />
Virtual Desk, Real Business: Seit April 2<strong>01</strong>2 ist <strong>Allianz</strong><br />
<strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong> (AGCS) eine eigenständige<br />
Einheit innerhalb der <strong>Allianz</strong> Russia. Willy<br />
Schaugg erklärt, wie sich AGCS im Wachstumsmarkt<br />
Russland positioniert.<br />
Was sind die Besonderheiten des russischen Versicherungsmarktes?<br />
Schaugg: Der russische Versicherungsmarkt ist gerade<br />
einmal 20 Jahre alt und der Wettbewerb zwischen<br />
den rund 500 Gesellschaften ist sehr stark. Die Konsolidierung<br />
schreitet rasch voran, am Ende werden<br />
wohl nur rund 200 Versicherer überleben. Die <strong>Allianz</strong><br />
Russia ist als eine der sieben großen Versicherer in einer<br />
hervorragenden Position. Was die Industrieunternehmen<br />
angeht, sind gerade einmal 20 Prozent versichert<br />
und viele haben Captives. Doch die Zeichen<br />
stehen klar auf Wachstum: Der russische Industrieversicherungsmarkt<br />
soll bis 2<strong>01</strong>6 um sieben Prozent<br />
jährlich zulegen, und wir wollen unsere Prämieneinnahmen<br />
verdoppeln.<br />
Was treibt das Wachstum?<br />
Schaugg: Da spielen verschiedene Faktoren zusammen.<br />
Die russische Wirtschaft wächst, wir können<br />
uns also mit dem Markt entwickeln. Dann orientieren<br />
sich immer mehr russische Unternehmen am westlichen<br />
Modell des Risikomanagements, in dem Versicherungsschutz<br />
ein fester Bestandteil ist. Die Erwartungen<br />
westlicher Investoren und gesetzliche Regelungen<br />
tun ein Übriges. So werden russische Unternehmen<br />
seit Kurzem verpflichtet, für Personenschäden<br />
an Dritten aufzukommen, folglich entwickelt<br />
sich der Haftpflichtmarkt. Auch der WTO-Beitritt<br />
Russlands und das Privatisierungsprogramm der russischen<br />
Regierung fördern das Wachstum. Und nicht<br />
zuletzt sind für die Olympischen Winterspiele in<br />
Sotschi 2<strong>01</strong>4 und die Fußball-WM 2<strong>01</strong>8 enorme Infrastrukturprojekte<br />
geplant, die die Nachfrage nach<br />
Transport- und Bauversicherungen steigern werden.<br />
AGCS Russia ist etwa am Bau des Eishockeystadions,<br />
des olympischen Dorfes und der Verkehrsinfrastruktur<br />
in Sotschi beteiligt und auch am Bau des Zenith-<br />
Fußballstadions in St. Petersburg.<br />
Wo setzt AGCS Schwerpunkte?<br />
Schaugg: Wir konzentrieren uns zunächst auf den<br />
weiteren Ausbau unserer Geschäftslinien Energy,<br />
Aviation, Marine und Financial Lines, hier sind wir<br />
schon eine feste Größe im russischen Markt. Zusätzlich<br />
wollen wir uns auch in den Sparten Property, Engineering<br />
und Liability etablieren. Als global tätiger<br />
Versicherer bieten wir Know-how, innovative Produkte,<br />
Kapitalstärke und Kapazität. Unsere russischen<br />
Kunden, die zunehmend auch im Ausland expandieren,<br />
schätzen das solide S&P-Rating der<br />
<strong>Allianz</strong> und auch unsere Kompetenz bei internationalen<br />
Versicherungsprogrammen. Am Ende ist Versicherung<br />
aber immer ein People Business, es sind<br />
die Menschen, die den Unterschied machen. Daher<br />
bin ich stolz auf mein Team, das qualifiziert und sehr<br />
engagiert ist.<br />
Sie waren lange in Südamerika tätig. Fiel die<br />
Eingewöhnung in Russland schwer?<br />
Schaugg: Die Temperaturen sind sicher unterschiedlich.<br />
Aber davon einmal abgesehen sind Südamerikaner<br />
und Russen im Geschäftsleben ähnlicher,<br />
als man auf den ersten Blick vielleicht vermuten<br />
würde. Sie arbeiten hart, sind karriere- und erfolgsorientiert,<br />
mitunter emotional, aber immer auf der<br />
Suche nach pragmatischen Lösungen.<br />
WILLY SCHAUGG<br />
Willy Schaugg ist seit<br />
April 2<strong>01</strong>2 für das Industrieversicherungsgeschäft<br />
der AGCS in<br />
Russland verantwortlich.<br />
Der 48-Jährige ist<br />
seit über 25 Jahren in<br />
verschiedenen Underwriting-<br />
und Managementfunktionen<br />
in<br />
der Versicherungsbranche<br />
tätig – bislang auf<br />
drei Kontinenten. Nach<br />
beruflichen Stationen in<br />
München startete er<br />
1997 in Paris im Programmgeschäft<br />
bei der<br />
AGF (später <strong>Allianz</strong><br />
Frankreich) und ging<br />
dann 1999 als Underwriter<br />
Property zur<br />
<strong>Allianz</strong> South Amerika<br />
nach Sao Paulo. 2003<br />
trat er in die Geschäftsführung<br />
der <strong>Allianz</strong> Venezuela<br />
in Caracas ein<br />
und wechselte 2006 als<br />
Mitglied der Geschäftsführung<br />
zur <strong>Allianz</strong> Russia<br />
IJSC.<br />
07
REGIONAL<br />
EYE<br />
Den gesamten<br />
Risikokomplex<br />
im Blick<br />
Offshorewindparks spielen eine zentrale Rolle bei der Energiewende in<br />
Deutschland. Die Technik und Logistik dieser Wachstumsbranche stellen Hersteller,<br />
Betreiber, aber auch die Versicherungsbranche vor Herausforderungen.<br />
DR. GUNDULA HERMES<br />
08<br />
Die Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien sind ehrgeizig:<br />
Bereits 2022 will Deutschland auf die Nutzung der Kernkraft verzichten<br />
und 2050 soll die Energieversorgung zu mindestens 80 Prozent<br />
durch erneuerbare Energien gewährleistet sein. Der Offshorewindenergie<br />
kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, denn nur sie ist in der<br />
Lage, konventionelle Großkraftwerke zu ersetzen. Vor allem die<br />
Nordsee bietet gute Voraussetzungen: Es gibt ausreichend und in<br />
konstantem Maße Wind. Allerdings stellt das maritime Umfeld hohe<br />
Anforderungen an die sich ständig weiterentwickelnde Offshoretechnik-<br />
und -logistik in der noch jungen Branche. Zudem kommt<br />
der dringend notwendige Ausbau der Netzanschlüsse nur langsam<br />
voran, was die zügige wirtschaftliche Nutzung der entstehenden<br />
Windparks hemmt. Wie gehen Versicherer mit der Energiewende um?<br />
„Wir unterstützen unsere langjährigen Kunden wie Energieversorger<br />
oder Turbinenhersteller, die sich jetzt im Bereich Offshorewind<br />
engagieren“, sagt Robert Maurer, Head of Engineering bei<br />
<strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong> (AGCS) – in Deutschland und<br />
weltweit für die Versicherung von Offshorewindparks verantwortlich.<br />
„Wir wollen aber auch neue Kunden gewinnen, denn die Branche<br />
wird weiter wachsen.“ Im Bereich Offshorewindenergie werden<br />
in den nächsten Jahren europaweit mehrere Milliarden Euro investiert.<br />
Das ist mit entsprechenden Risiken für Investoren und Betreiber<br />
verbunden. „Hier kommen wir als Versicherer ins Spiel, indem<br />
wir diverse Versicherungslösungen anbieten und so entscheidend<br />
an der Realisierung dieser Projekte mitwirken“, so Maurer.<br />
Klare Regelung für Ausfallschäden<br />
Wie sieht das konkret aus? Beispiel Ausfallschaden: Ein betriebsfähiger<br />
Windpark kann seinen Strom vorübergehend nicht einspeisen,<br />
da das Netzanschlusskabel beschädigt ist. Den dadurch entstandenen<br />
Vermögensschaden würde die AGCS dem Windparkbetreiber<br />
im Rahmen seiner Betriebsdeckung erstatten. Gerade in<br />
Sachen Ausfallrisiko gibt es nach wie vor Rechtsunsicherheit. Doch<br />
wer kommt für den Ausfallschaden auf, wenn es zu Verzögerungen<br />
im Bau oder zu Störungen beim Betrieb der Netzanbindungen<br />
kommt, ohne dass ein Sachschaden vorliegt?<br />
Hier will der Gesetzgeber künftig eine klare Regelung schaffen: Es<br />
gibt Überlegungen der Bundesregierung, den (Übertragungs-)Netzbetreibern<br />
eine Haftungsverpflichtung aufzuerlegen, wonach sie an<br />
betriebsbereite Windparks ab einer bestimmten Frist der Nichteinspeisung<br />
einen pauschalierten Schadensersatz leisten müssen. Der<br />
Bedarf für eine entsprechende Haftpflichtdeckung wäre damit vorgezeichnet.<br />
„Für ähnliche Fälle bei Windanlagen an Land bieten wir<br />
bereits spezielle Deckungsmodule an“, so Carsten Krieglstein, Leiter<br />
Liability bei der AGCS in Deutschland. „Hier geht es darum, Einbußen<br />
bei der Einspeisevergütung nach einer verspäteten Inbetriebnahme<br />
zu decken, für die ein Zulieferer aufgrund eines fehlerhaften<br />
Teils zu haften hat.“ Natürlich werde AGCS die Entwicklung der Gesetzeslage<br />
für Offshorewindparks weiter verfolgen und, wo sinnvoll,<br />
für kalkulierbare Risiken Lösungen finden.<br />
Die Spartenchefs an einem Tisch: Carsten Krieglstein (Liability), Ulrich Kütter<br />
(Marine) und Robert Maurer (Engineering) bieten verschiedene Versicherungslösungen<br />
für Offshorewindparks an.<br />
Risikomanagement vor Ort<br />
Solange ausreichende Erfahrungen und verbindliche Standards in<br />
der Windindustrie fehlen, kommt dem Risikomanagement eine entscheidende<br />
Rolle zu. Jede Anlage ist ein Pilotprojekt, das von den<br />
Risikoingenieuren der AGCS sorgfältig geprüft und sicherheitstechnisch<br />
begleitet wird. Die Spezialtransporte großer Bauteile für Windparks<br />
auf See werden fast immer von einem ‚Marine Warranty Surveyor’<br />
überwacht. „Hier betreiben wir Vor-Sorge im wahrsten Sinne<br />
des Wortes“, erklärt Ulrich Kütter, Leiter Transportversicherungen<br />
bei AGCS Deutschland. „Der Surveyor beurteilt zum Beispiel, ob die<br />
Wellenhöhe für den Transport einer Offshoreanlagenkomponente<br />
akzeptabel ist oder nicht.“<br />
Die prototypischen Risiken im Bereich Offshorewindenergie sind für<br />
alle Sparten eine Herausforderung. „Deshalb arbeite ich mit meinen<br />
Underwriting-, Schadens- und Risk-Consulting-Kollegen eng zusammen“,<br />
so Maurer. „Wir entwickeln Lösungen immer mit Blick auf<br />
den gesamten Risikokomplex und in engem Austausch mit der versicherungsnehmenden<br />
Offshorewindindustrie.“<br />
ROBERT MAURER<br />
Head of Engineering AGCS Germany & CE und weltweit für die<br />
Versicherung von Offshorewindparks verantwortlich<br />
robert.maurer@allianz.com<br />
CARSTEN KRIEGLSTEIN<br />
Head of Liability AGCS Germany & CE<br />
carsten.krieglstein@allianz.com<br />
ULRICH KÜTTER<br />
Head of Marine AGCS Germany & CE<br />
ulrich.kuetter@allianz.com<br />
WWW.AGCS.ALLIANZ.COM/SECTORS<br />
09
RISK<br />
FUTURES<br />
10<br />
Große Räder,<br />
kleiner Markt<br />
Im Mai haben zwei Erdbeben die Region Emilia-Romagna in Norditalien<br />
erschüttert. Auch eine Fabrik des Unternehmens Titan Italia, Marktführer bei Traktorrädern,<br />
wurde stark beschädigt. Wochenlang stand die Produktion still.<br />
Schadensregulierer Joachim Hufenreuter war vor Ort.<br />
HEIDI POLKE-MARKMANN<br />
Drei Felgen, jede mit knapp einem Meter Durchmesser,<br />
liegen am Boden. Eine magere Ausbeute, normalerweise<br />
laufen täglich knapp 2.000 Stück vom Band. Doch<br />
Massimo Columbini, Group Health & Safety Director<br />
von Titan Italia, ist zufrieden. Die drei Felgen, die probeweise<br />
gefertigt wurden, haben die Qualitätsprüfung bestanden.<br />
Offenbar haben die beiden Erdbeben die exakt<br />
justierten Produktionsroboter nicht durcheinandergerüttelt.<br />
Ein gutes Zeichen, denn in Kürze soll die Fertigung<br />
wieder anlaufen.<br />
Fast sechs Wochen lang standen die Maschinen im<br />
Werk von Titan Italia in Finale Emilia still. Dort fertigt<br />
der im europäischen Markt führende Zulieferer Räder<br />
für Traktoren und landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge.<br />
Zwei schwere Erdbeben mit der Stärke von 6,0 und 5,9<br />
auf der Richterskala hatten im Mai die Provinz Emilia-<br />
Romagna erschüttert, das Epizentrum lag nicht weit<br />
von Finale Emilia entfernt. Nach dem zweiten Beben am<br />
29. Mai untersagten die Behörden aus Sicherheitsgründen<br />
den Zutritt zur Fabrik. Teile des Dachs waren herabgestürzt,<br />
viele Stützsäulen beschädigt. Die Einsturzgefahr<br />
für die 250 Arbeiter wäre zu groß gewesen. Verletzt<br />
wurde glücklicherweise keiner der Beschäftigten. Aber<br />
die Belastung von bis zu 60 Nachbeben am Tag war<br />
enorm: Viele schliefen in ihren Autos oder in der Zelt-<br />
Die Schadensregulierer Joachim Hufenreuter (links) und Francesco Cincotti begehen<br />
das Titan-Werk in Finale Emilia, Italien. Die starken Erdbeben im Mai 2<strong>01</strong>2<br />
haben Teile des Fabrikdaches und viele der tragenden Betonsäulen stark beschädigt.<br />
Aus Sicherheitsgründen blieb die Fabrik wochenlang gesperrt.<br />
stadt, weil sie sich nicht mehr in ihre Häuser trauten<br />
oder diese zerstört waren. Sie sorgten sich um ihren Arbeitsplatz<br />
und mussten zeitweise Gehaltseinbußen<br />
durch Kurzarbeit hinnehmen.<br />
Neustart nach dem Schock<br />
Ein Erdbeben in der Emilia-Romagna kam für Seismologen<br />
nicht überraschend. Denn die Erde in Italien<br />
wackelt immer wieder, allerdings galt die flache Gegend<br />
um Modena, die Teil der Po-Ebene ist, als eher wenig gefährdet.<br />
„Wir waren natürlich geschockt“, sagt Maria Cecilia<br />
la Manna, Geschäftsführerin von Titan Italia. „Aber<br />
wir sind sofort aktiv geworden und haben mit aller Kraft<br />
daran gearbeitet, dass wir so schnell wie möglich wieder<br />
produzieren können.“<br />
Bereits Anfang Juli ist das Werk wieder so sicher, dass<br />
sich Joachim Hufenreuter, Schadensregulierer bei <strong>Allianz</strong><br />
<strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong> (AGCS), einen Eindruck<br />
der Lage verschaffen kann. Ihn begleitet der von<br />
AGCS beauftragte Loss Adjuster Francesco Cincotti, der<br />
seit Wochen das Titan-Management unterstützt und<br />
berät. Als Sachversicherer der Muttergesellschaft Titan<br />
Europe wird AGCS für Sach- und Betriebsunter -<br />
brechungsschäden bei deren italienischer Tochter aufkommen.<br />
Hufenreuter begutachtet weltweit indus -<br />
FINANZIELLE<br />
VERLUSTE<br />
Versicherungen für<br />
Betriebsunterbrechungen<br />
decken<br />
den Vermögensverlust,<br />
den ein Unternehmen<br />
erleidet,<br />
wenn seine Anlagen<br />
infolge eines Feuers,<br />
einer Explosion oder<br />
einer Naturkatastrophe<br />
repariert oder<br />
neu errichtet werden<br />
müssen und die Produktion<br />
daher ruht.<br />
Eine reine Sachversicherung<br />
dagegen<br />
kommt nur für den<br />
physisch entstandenen<br />
Schaden am<br />
Gebäude auf.<br />
11
12<br />
TITAN ITALIA<br />
Titan Italia ist europaweit führend bei Design,<br />
Entwicklung, Produktion und Vertrieb<br />
von Rädern und Bremsen für landwirtschaftliche<br />
Nutzfahrzeuge, Traktoren,<br />
Erntemaschinen und spezielle Bewässerungs-<br />
und Sprühgeräte. An den drei<br />
Standorten in Crespellano (Bologna), Finale<br />
Emilia (Modena) und Jesi (Ancona)<br />
sind über 500 Mitarbeiter beschäftigt. Titan<br />
Italia ist Teil von Titan Europe Plc, einem<br />
internationalen Unternehmen, das<br />
Räder, Fahrwerke und Aggregate für kettenbetriebene<br />
und bereifte Offroadfahrzeuge<br />
entwickelt und herstellt. Die Gruppe<br />
hat ein weltweites Produktions- und<br />
Vertriebsnetz mit Niederlassungen in<br />
Großbritannien, Italien, Frankreich,<br />
Deutschland, Spanien, Türkei, Südafrika,<br />
den USA, Brasilien, Chile, Peru, Australien,<br />
Indonesien, China und Japan.<br />
Erfolgreicher Probelauf: Massimo<br />
Columbini, Group Health and Safety<br />
Director von Titan Italia, prüft die<br />
Qualität der ersten Felgen, die nach<br />
dem Erdbeben gefertigt wurden.<br />
trielle Großschäden und ist häufig mit den Folgen von<br />
Naturkatastrophen konfrontiert. Er weiß: „Nach einem<br />
Erdbeben geht es zunächst immer um die provisorische<br />
Stabilisierung der Gebäude, erst dann können die<br />
eigentlichen Reparaturen beginnen.“<br />
Titan Italia hat in Sachen Gebäudesicherung buchstäblich<br />
das Werk eines Riesen vollbracht: In kurzer Zeit wurden<br />
126 dreibeinige Eisenträger aufgestellt, diese übernehmen<br />
die Traglast der teilweise nicht mehr mit dem<br />
Fundament verbundenen Betonpfeiler. An einigen der<br />
Betonstützen lässt sich schon sehen, wie die langfristige<br />
Lösung aussehen soll: Ein zusätzlicher Stahlbetonmantel<br />
wird das untere Viertel jeder Säule umschließen und<br />
auf diese Weise stabil mit dem Untergrund verbinden.<br />
Zusätzlich sollten die Betonpfeiler und das Dach tragende<br />
Querbalken nicht nur formschlüssig verbunden, sondern<br />
mit speziellen Halterungen verzahnt werden. Das<br />
schreiben die aktuellen Regularien vor, die die italienische<br />
Regierung nach den Erdbeben erlassen hat.<br />
Der Sachschaden für die Reparatur des Gebäudes und<br />
der Maschinen beläuft sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag.<br />
Größere Sorgen bereitet dem Titan-Ma-<br />
MITTEN INS HERZ<br />
Die Produkte der Emilia-Romagna gelten als Inbegriff von<br />
Italianitá und sind Exportschlager des Landes: In der<br />
fruchtbaren Tiefebene nördlich des Apennin werden Parmesan<br />
und Grana Padano ebenso hergestellt wie Parma-<br />
Schinken, Balsamessig und Lambrusco.<br />
Nach einer Schätzung des Landwirtschaftsverbandes Coldirette<br />
beläuft sich der Erdbebenschaden auf 500 Millionen<br />
Euro. Rund 300.000 Laibe Parmesan wurden zerstört, ein<br />
Zehntel der Jahresproduktion. Die turmhohen Regale, auf<br />
denen die bis zu 40 Kilogramm schweren Laibe reifen,<br />
waren umgestürzt. Auch zahlreiche Essigfabriken wurden<br />
beschädigt. Viele Fässer mit mehrjährig gereiftem<br />
Aceto balsamico sind ausgelaufen.<br />
Neben der Landwirtschaft ist auch die produzierende Industrie<br />
betroffen. In der Po-Ebene sind große Standorte<br />
von Automobilherstellern und -zulieferern angesiedelt –<br />
nicht umsonst trägt die Region auch den Beinahmen<br />
„Terri di Motori“. Fabriken und Warenhäuser wurden besonders<br />
stark in Mitleidenschaft gezogen, da eine erdbebensicherere<br />
Bauweise in der Region erst seit 2003 vorgeschrieben<br />
ist.<br />
Dagegen hielten private Wohnhäuser den Erschütterungen<br />
besser stand. Gleichwohl wurden 15.000 Menschen<br />
zumindest vorübergehend obdachlos und es gab 25 Tote.<br />
Die versicherten Schäden schätzt die Branchenorganisation<br />
der italienischen Versicherer ANIA auf 700 bis 800<br />
Millionen Euro.<br />
In der Provinz Emilia-Romagna in Norditalien sind viele landwirtschaftliche<br />
Firmen, aber auch zahlreiche Industriebetriebe angesiedelt. Sie alle wurden<br />
schwer vom Erdbeben getroffen.<br />
13
„Wir taten alles, um so schnell wie möglich<br />
wieder produzieren zu können.“<br />
14<br />
Maria Cecilia la Manna, Geschäftsführerin von Titan Italia<br />
Joachim Hufenreuter untersucht eine<br />
beschädigte Betonsäule (oben) und die ersten<br />
Reparaturarbeiten (unten). Ein zusätzlicher<br />
Stahlbetonmantel verbindet die Säulen<br />
wieder mit dem Fundament.<br />
DEN SCHADEN<br />
ERFOLGREICH MANAGEN<br />
Was sollte ein Unternehmen<br />
tun, wenn der Betrieb infolge eines<br />
Feuers oder einer Naturkatastrophe<br />
stillsteht? Dies erläutert<br />
Dr. Andreas Shell, AGCS <strong>Global</strong><br />
Head of Claims Short-tail:<br />
„Wichtigstes Ziel ist die rasche Wiederherstellung<br />
der Betriebsabläufe. Denn die Versicherung<br />
kann nicht alle Aspekte des finanziellen Gesamtschadens<br />
oder von Marktanteilsverlusten abdecken.<br />
Entscheidend für ein erfolgreiches Notfallmanagement<br />
ist ein gut durchdachter und im<br />
Vorfeld getesteter Business-Continuity-Plan.<br />
Selbstverständlich wünschen sich betroffene<br />
Unternehmen eine schnelle und unkomplizierte<br />
Schadensregulierung. Dieser Erwartung entsprechen<br />
wir auch gerne, indem wir so schnell<br />
wie möglich mit eigenem oder beauftragtem<br />
Personal Hilfe leisten und regelmäßig vor Ort die<br />
Umsetzung der ersten Maßnahmen begleiten.<br />
Idealerweise haben sich der Kunde und unsere<br />
Experten schon beim Vertragsschluss – und<br />
nicht erst im Schadensfall – kennengelernt.<br />
Die Schadensregulierung wird durch eine enge<br />
Kooperation zwischen Versicherungsnehmer<br />
und unserem Unternehmen ganz wesentlich<br />
beschleunigt. Einigt man sich schnell auf gemeinsame<br />
Sachverständige, die für beide Partner<br />
den Ausfallschaden transparent berechnen,<br />
hilft dies enorm. Außerdem sollten Unternehmen<br />
besondere Schadenkostenstellen einrichten,<br />
auf die alle im Zusammenhang mit dem<br />
Schaden stehenden Kosten gebucht werden<br />
können, und beschädigte Gegenstände auf alle<br />
Fälle aufbewahren.“<br />
ERDBEBENKARTE ITALIEN<br />
Emilia-Romagna<br />
nagement indes der Betriebsausfall. Das Werk in Finale<br />
Emilia ist das Herzstück des Produktionsverbunds aus<br />
drei Werken: Es ist alleiniger Produzent der Felgen, die<br />
an den Nachbarstandorten in Crespellano und Jesi mit<br />
Innenscheiben verschweißt und dann bereift werden.<br />
„Große Räder sind ein kleiner Markt. Unsere Wettbewerber<br />
stehen schon in den Startlöchern“, erklärt Gary<br />
Chesteron, Group Financial Director von Titan Europe.<br />
„Daher tun wir alles, um unsere bestehenden Kunden<br />
weiterhin beliefern zu können, koste es, was es wolle.“<br />
Die Lücke schließen<br />
Eine Taskforce hat eine Reihe von Maßnahmen entwickelt,<br />
um den Produktionsstopp zu begrenzen. Teile der<br />
Felgenproduktion – und auch der Belegschaft – wurden<br />
an die beiden anderen Standorte verlagert, wo nun in drei<br />
Schichten rund um die Uhr gearbeitet wird; zudem liefern<br />
die Titan-Niederlassungen in der Türkei und Frankreich<br />
ebenfalls Felgen zu. Die üblichen Betriebsferien im August<br />
sind gestrichen. Doch damit lässt sich die Lücke noch<br />
nicht ganz schließen, einen kleinen Teil der Felgen muss<br />
Titan extern zukaufen. Und da sich der Wiederaufbau der<br />
Lackiererei bis in den Herbst ziehen wird, erhalten die<br />
Traktorräder ihre sonnengelbe Farbe bis dahin von Dritten.<br />
Geschäftsführerin la Manna stellt Hufenreuter die<br />
einzelnen Maßnahmen ausführlich vor; außerdem beziffert<br />
sie die damit verbundenen Mehrkosten mit einem<br />
prall gefüllten Ordner voller Bilanzen. Die Fakten sprechen<br />
für sich und Hufenreuter kann noch vor Ort eine<br />
Zahlung in Aussicht stellen.<br />
Wahrscheinlichkeit<br />
für Erdbeben (in %)<br />
in 50 Jahren<br />
2<br />
4<br />
8<br />
1.6<br />
2.4<br />
3.2<br />
4.0<br />
4.8<br />
9.8<br />
Alle Länder der mediteranen<br />
Region von Italien bis zur Türkei<br />
sind von Erdbeben<br />
bedroht. Denn hier grenzen<br />
zwei tektonische Platten – die<br />
Afrikanische und die Eurasische<br />
Platte – aneinander.<br />
„Nicht alle Unternehmen werden nach dem Schaden<br />
selbst so schnell und professionell aktiv“, meint Hufenreuter.<br />
Dabei lasse sich meist nur ein Teil des Ausfallschadens<br />
– durch entgangenen Umsatz, höheren Mehraufwand<br />
für Ersatzbeschaffungen oder Kundenverlust – über<br />
Versicherungen decken. Abgesehen davon, dass einmal<br />
verlorene Marktanteile ein Unternehmen langfristig<br />
schwächen können. „Eine aktive Schadensbegrenzung<br />
dient also beiden Seiten – dem Versicherer wie dem Unternehmen.“<br />
JOACHIM HUFENREUTER<br />
AGCS Senior Loss Adjuster<br />
joachim.hufenreuter@allianz.com<br />
DR. ANDREAS SHELL<br />
<strong>Global</strong> Head of Claims Short-tail<br />
andreas.shell@allianz.com<br />
FRANCESCO CINCOTTI<br />
CEO vrs Studio cincotti<br />
francesco.cincotti@cincotti.com<br />
WWW.AGCS.ALLIANZ.COM/SERVICES/CLAIMS<br />
TRANSPARENZ ZÄHLT<br />
Was tun bei einer Betriebsunterbrechung?<br />
Wie arbeitet man mit<br />
dem Versicherer zusammen?<br />
Maria Cecilia la Manna, Geschäftsführerin<br />
von Titan Italia,<br />
gibt ihre Erfahrungen weiter:<br />
„Aus dem Erdbeben in Finale Emilia habe ich vor<br />
allem eines gelernt: Mit viel Energie und dem unbedingten<br />
Willen, nicht aufgeben zu wollen, kann<br />
man auch Herausforderungen bewältigen, die zunächst<br />
unüberwindbar erscheinen. Diese Einstellung<br />
ist das Allerwichtigste. Meine Gedanken<br />
konzentrierten sich voll auf unser Geschäft, auf<br />
unsere Kunden, auf die Mitarbeiter, und ich tat alles,<br />
was möglich war, um so schnell wie möglich<br />
wieder in den Normalbetrieb zurückzukehren.<br />
Zweitens ist es sehr wichtig, alle Maßnahmen sehr<br />
gründlich zu planen und als Team eng zusammenzuarbeiten.<br />
Wir hatten täglich Meetings mit<br />
allen wichtigen Funktionen wie Finance, HR und<br />
der Werkssicherheit. Dabei tauschten wir laufend<br />
Informationen und Pläne aus und brauchten uns<br />
gegenseitig auf den neuesten Stand.<br />
In der Zusammenarbeit mit dem Versicherer ist es<br />
wichtig, belastbare Fakten weiterzugeben und<br />
genau darüber zu informieren, was bereits getan<br />
wurde und was noch geplant ist. Gegenüber dem<br />
Versicherer gilt dasselbe wie gegenüber Kunden<br />
oder Lieferanten: Man muss klar, ehrlich und<br />
transparent kommunizieren. So einfach ist es!“<br />
BAUSTANDARDS<br />
Erdbeben sind in Italien<br />
häufig, und entsprechend<br />
wurden<br />
die Bauvorschriften<br />
immer wieder verschärft.<br />
Gleichwohl<br />
war in den meisten<br />
Teilen Norditaliens bis<br />
2003 keine erdbebensichere<br />
Bauweise<br />
vorgeschrieben.<br />
Daher blieb die strukturelle<br />
Integrität vieler<br />
Industriegebäude<br />
in dieser Region anfällig.<br />
15
RISK<br />
FUTURES<br />
Aus Schaden<br />
wird man klug<br />
80 Jahre forensische Untersuchungen: Das <strong>Allianz</strong> Zentrum für<br />
Technik will seine Leistungen in der Schadensanalyse und -<br />
prävention künftig weltweit anbieten.<br />
DAN HARRIMAN<br />
16<br />
Die Ergebnisse ihrer Arbeit beeinflussen den Umgang<br />
mit millionenschweren Schäden. Doch Johannes Stoiber<br />
und Stefan Thumm, die das <strong>Allianz</strong> Zentrum für<br />
Technik (AZT) gemeinsam leiten, sind erstaunlich ruhig.<br />
Zusammen mit ihrem 14-köpfigen Expertenteam<br />
ermitteln sie als eine Art unabhängige Instanz die Ursachen<br />
technischer Schäden. Als Spezialist für angewandte<br />
Forschung und ingenieurtechnische Untersuchungen<br />
übernimmt das AZT Schadensanalysen für die <strong>Allianz</strong><br />
<strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong> (AGCS) sowie die<br />
<strong>Allianz</strong> Gruppe und gelegentlich auch Auftragsforschungsarbeiten.<br />
Von hoher Bedeutung ist die AZT-Expertise nicht nur für<br />
die Beilegung von Schadensansprüchen, sondern auch<br />
für die Schadensverhütung. Häufig bieten die Untersuchungsergebnisse<br />
wertvolle Einblicke in technische Prozesse<br />
und konstruktionstechnische Details, die helfen<br />
können, teure Reparaturen oder Totalschäden zu vermeiden.<br />
Analysen der Schäden, des Reparaturaufwands<br />
und der betrieblichen Prozesse sind von großer Bedeutung<br />
für die Schadensverhütung. Das AZT führt umfangreiche<br />
Arbeiten in all diesen Bereichen durch und unterstützt<br />
unterschiedliche Branchen mit den eigenen Forschungsergebnissen.<br />
Das AZT hat sich den Ruf erarbeitet, auch schwierigste<br />
technische Fragen beantworten zu können – egal ob es<br />
darum geht, die Ursache für den Motorenausfall in einer<br />
großen Gasturbine oder den Schaden an einem Wind-<br />
Arne Bohl, Experte für Schadensanalysen am <strong>Allianz</strong> Zentrum für Technik, untersucht ein beschädigtes Getriebe (links). AZT findet Antworten<br />
oft mithilfe des Mikroskops: An den dunklen Rändern lässt sich so erkennen, dass der Riss in einem Stück Stahl bereits vor längerer<br />
Zeit entstanden ist (Mitte). Ein berühmter Schadensfall war die Explosion einer Turbine im Kraftwerk Irsching in Bayern. Teile der<br />
Turbine wurden kilometerweit in ein Feld geschleudert.<br />
rad zu ermitteln. Häufig finden sich die Antworten auf<br />
mikroskopischer Ebene. Das gemeinsam mit der Gesellschaft<br />
für Werkstoffprüfung (GWP) betriebene Labor in<br />
der Nähe von München ähnelt den forensischen Laboren<br />
aus Fernsehkrimis. Ein Blick auf die sorgsam mit<br />
Hightechgeräten hantierenden Mitarbeiter in Labor -<br />
kitteln zeigt, wie wichtig und sensibel die hier stattfindenden<br />
Materialanalysen sind.<br />
Zum Jubiläum in neue Märkte<br />
In diesem Jahr feiert das AZT seinen 80. Geburtstag.<br />
Über die Jahrzehnte durchlief das Zentrum eine Reihe<br />
von Veränderungen und bearbeitete viele spannende<br />
Fälle – von der Hindenburg-Katastrophe im Jahr 1937<br />
über die Irsching-Welle im Jahr 1989 bis zum Problemwerkstoff<br />
T24 in heutigen Kraftwerkskesseln. Über die<br />
Vergangenheit gäbe es vieles zu berichten, aber das<br />
AZT-Team blickt vor allem nach vorn. „Dem AZT bietet<br />
sich die große Chance, sich stärker international an<br />
Schadensregulierungen zu beteiligen“, sagt Stoiber.<br />
„Wir möchten schrittweise auch Zukunftsmärkte wie<br />
Brasilien, Asien und Osteuropa erschließen.“ Dabei beschränken<br />
sich die Wachstumsambitionen nicht nur<br />
auf neue Regionen. Neue Technologien im Bereich der<br />
erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarkraft sowie<br />
Geothermie eröffnen dem Zentrum ebenfalls spannende<br />
neue Möglichkeiten. „Wir verfügen über eine weitreichende<br />
Expertise und genauso, wie sich verschiedene<br />
Industriezweige auf neue Technologien einstellen, tun<br />
wir das auch“, erklärt Stoiber.<br />
Die <strong>Global</strong>isierung des Serviceangebots bringt neue<br />
Herausforderungen mit sich – zum Beispiel ein notwendiges<br />
Verständnis der lokalen Anforderungen, Bedin-<br />
gungen und Prozesse. „Der Umgang mit Schäden ist von<br />
Land zu Land unterschiedlich. Daher brauchen wir in allen<br />
diesen Bereichen Experten vor Ort, die wissen, wie<br />
vorgegangen werden muss und welche Rolle das AZT<br />
spielen kann“, erläutert Stoiber.<br />
Ratgeber zu neuen Technologien<br />
Schadensanalysen sind zwar ein wichtiger Aspekt der<br />
Arbeit des Zentrums, doch die technische Unterstützung<br />
durch AZT-Experten ist für die AGCS mindestens<br />
ebenso wichtig. In beratender Funktion bietet das Zentrum<br />
Audits, Workshops und Vortragsveranstaltungen<br />
zur Bewertung der potenziellen Risiken von Prototypen<br />
und neuen Technologien an. Zudem stellt die umfangreiche<br />
AZT-Datenbank mit verschiedensten Fallbeispielen<br />
eine wichtige Informationsquelle innerhalb von<br />
AGCS dar. Mit seiner umfassenden Erfahrung hat sich<br />
das Zentrum auch zu einer wichtigen Institution für die<br />
Versicherungswirtschaft entwickelt.<br />
Seitdem das AZT im Jahr 2007 vollständig in AGCS integriert<br />
wurde, ist das Auftragsvolumen für AGCS-Kunden<br />
um rund 45 Prozent gestiegen – eine Zahl, die sich angesichts<br />
der globalen Ambitionen des AZT sicher noch erhöhen<br />
wird. Kein Zweifel: Die Aussichten für die nächsten<br />
80 Jahre sind vielversprechend.<br />
DR. JOHANNES STOIBER<br />
Head of <strong>Allianz</strong> Center for Technology<br />
johannes.stoiber@allianz.com<br />
STEFAN THUMM<br />
Head of <strong>Allianz</strong> Center for Technology<br />
stefan.thumm@allianz.com<br />
WWW.AGCS.ALLIANZ.COM/RISK-CONSULTING<br />
SCHADEN-<br />
PRÄVENTION<br />
AZT-Forschung trug<br />
dazu bei, Condition-<br />
Monitoring-Systeme<br />
bei Offshorewindparks<br />
zum Standard<br />
zu machen. Diese ermöglichen<br />
es, die<br />
Wartungszeiträume<br />
genauer zu berechnen<br />
und tragen<br />
damit dazu bei, kostspieligeGetriebeschäden<br />
zu<br />
vermeiden.<br />
17
SPECIAL<br />
TOPIC<br />
Geringe<br />
Fehlertoleranz<br />
Der Energiehunger wächst weltweit. Das lässt die Öl- und Gasunternehmen<br />
in immer tieferen Gewässern nach neuen Vorkommen suchen. Die Förderung<br />
wird anspruchsvoller, entsprechend wichtig ist das Risikomanagement.<br />
Nach der Ölpest im Golf von Mexiko haben Unternehmen und<br />
Regierungen die Sicherheitsstandards weiter verbessert.<br />
JAMES TULLOCH<br />
Das Zeitalter der sprudelnden Energiequellen ist<br />
vorbei. Das gilt insbesondere für Öl. Die leicht zugänglichen<br />
Reserven schwinden oder sind größerer<br />
politischer Instabilität unterworfen. Bis 2035 wird<br />
sich allein die Zahl der Autos weltweit um 850 Millionen<br />
auf 1,7 Milliarden verdoppeln, so die International<br />
Energy Agency. Die Welt braucht neue Funde.<br />
Ölunternehmen suchen mittlerweile auch unter extremen<br />
Bedingungen nach neuen Vorkommen, die<br />
zuvor als nicht erschließbar galten. Vorreiter dieser<br />
Entwicklung sind Tiefseebohrplattformen. Diese<br />
produzierten in den 1980er-Jahren noch so gut wie<br />
kein Öl, brachten es jedoch 2<strong>01</strong>0 bereits auf acht Millionen<br />
Barrel pro Tag – und deckten damit fast zehn<br />
Prozent des Weltbedarfs ab. Und das trotz der Deep-<br />
18<br />
water-Horizon-Katastrophe im Macondo-Ölfeld, bei<br />
der im April 2<strong>01</strong>0 4,9 Millionen Barrel Öl in den Golf<br />
von Mexiko flossen. Nur zwei Jahre später hat die US-<br />
Regierung mit der jüngsten Versteigerung von Bohrlizenzen<br />
im Golf von Mexiko 1,7 Milliarden US-Dollar<br />
eingesammelt, mehr als fünfmal so viel wie 2<strong>01</strong>1.<br />
Die Tiefseeförderung ist wieder gefragt. „Offshoreprojekte<br />
bieten ein enormes Potenzial für zusätzliche<br />
Ressourcen“, bestätigt Paul O’Neill, <strong>Global</strong> Head of<br />
Energy bei <strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong><br />
(AGCS). „Und Tiefseebohrungen leisten hier einen<br />
wichtigen Beitrag.“<br />
Als Tiefseebohrungen gelten Bohrungen in mehr als<br />
300 Meter Wassertiefe; bei mehr als 1.500 Metern unter<br />
dem Meeresspiegel spricht man von Ultratiefseebohrungen.<br />
Der aktuelle Rekord liegt bei 3.107 Metern<br />
vor der indischen Ostküste.<br />
Die ersten Tiefseebohrungen fanden 1975 und 1986<br />
im Golf von Mexiko statt. Dortige Felder und weitere<br />
entlang der westafrikanischen und brasilianischen<br />
Küste haben zur Konzentration des Bohrbooms in<br />
diesem geologischen „goldenen Dreieck“ geführt.<br />
Riesige Erdgasvorkommen wurden zudem vor der<br />
Küste Australiens und im östlichen Mittelmeer entdeckt<br />
und auch China, Indonesien, die Philippinen<br />
und Indien gelten als vielversprechende Regionen.<br />
Eine verbesserte seismische Kartierung, Fortschritte<br />
in der Bohrtechnik und größere Bohrinseln bzw.<br />
-schiffe haben die Erdölförderung deutlich vereinfacht.<br />
Zu den Innovationen in der Produktionstechnik<br />
gehören die direkt auf dem Meeresboden installierten<br />
Förderplattformen, die Öl, Gas und Wasser trennen,<br />
sowie riesige Rohölverarbeitungsschiffe. Solche<br />
sogenannten FPSO-Schiffe (Floating Production Storage<br />
and Offloading) sind häufig umgerüstete Tanker.<br />
Rasanter Technologiefortschritt<br />
Derart rasante technologische Fortschritte eröffnen<br />
Chancen, bergen aber auch neue Risiken für Ölkonzerne,<br />
Bohrunternehmen, lokale Ökosysteme und<br />
Bevölkerungen. Für die Energie- wie auch die Versicherungsindustrie<br />
ist es von größter Bedeutung,<br />
diese Risiken zu verstehen und zu mindern. Je tiefer<br />
und je entlegener gebohrt wird, desto größer sind die<br />
19
20<br />
vielfältigen Explorationsrisiken und desto geringer ist<br />
die Fehlertoleranz.<br />
An der Oberfläche stellen starke Winde, Wellen und<br />
Strömungen Gefahren dar. Sie erschweren es den<br />
schwimmenden Förderplattformen, ihre Position und<br />
eine stabile Verbindung zum Meeresboden zu halten.<br />
So brachen während eines Wintersturms vier der zehn<br />
Verankerungsketten, die das FPSO-Schiff von Maersk<br />
Gryphon sicherten, der Schaden belief sich auf mehr<br />
als eine Milliarde US-Dollar.<br />
Viel hängt vom Typ der Plattform sowie den Verankerungssystemen<br />
ab. Moderne Schiffe nutzen GPS-gestützte<br />
Bugstrahlruder, um ihre Position zu halten.<br />
Neue, stets gespannte Tiefseeseile sichern deutlich<br />
besser als konventionelle Stahldrähten und -ketten.<br />
Unter der Meeresoberfläche können der extreme Druck<br />
und Wassertemperaturen knapp über dem Gefrierpunkt<br />
zur Bildung kristalliner ‚Hydrate‘ aus Erdgas und Wasser<br />
führen, welche die Pipelines verstopfen. Lösungen für<br />
dieses Problem reichen von der Beheizung mithilfe von<br />
Stromkabeln bis zum Entzug des Wassers aus dem Gas<br />
durch Unterwassergeräte.<br />
Schwierige Wartung<br />
Das kalte Wasser und der hohe Druck kann die eingesetzten<br />
Maschinen beeinträchtigen. Deren Überwachung,<br />
Wartung und Reparatur ist schwierig. Alle Geräte,<br />
auch die für die Sicherheit kritischen Druckregelventile<br />
sowie die Abstellventile, die einen unkontrollierten<br />
Ölaustritt (Blowout) verhindern sollen, sind<br />
nicht mehr für Taucher zugänglich. Sie können nur mittels<br />
ferngesteuerter Fahrzeuge repariert werden.<br />
Im Bohrloch selbst geht es in erster Linie darum, den ‚Porendruck‘<br />
zu steuern, der Kohlenwasserstoffe aus den<br />
Felsformationen in das Bohrloch drückt, wobei sich das<br />
Volumen beim Anstieg zum Bohrloch ausdehnt. Ein unkontrollierter<br />
Anstieg ist zu vermeiden, da er zu einem<br />
Blowout führen kann. Der Porendruck wird kompensiert,<br />
indem das Bohrloch während des Vorgangs mit<br />
Bohrflüssigkeit oder ‚Bohrschlamm‘ ausgefüllt wird, der<br />
einen hydrostatischen Gegendruck erzeugt. Ist das Gewicht<br />
der Flüssigkeitssäule zu hoch, kann es in den Gesteinsmassen,<br />
die das Bohrloch umgeben, jedoch zu<br />
Rissen kommen, was wiederum das Risiko eines unterirdischen<br />
Blowouts birgt.<br />
Hohe Wertkonzentration<br />
Je tiefer sie bohren, desto mehr müssen die Ölkonzerne<br />
daher den Außendruckgradienten mit dem Porendruck<br />
abgleichen. „Eine korrekte seismische Kartierung ist von<br />
größter Bedeutung“, sagt Pete Connors, <strong>Global</strong> Offshore<br />
Product Leader bei AGCS. „Wenn der Techniker eine bestimmte<br />
geologische Schicht erwartet und plötzlich auf<br />
eine andere trifft, kann das zu Problemen führen.“<br />
” Bei Tiefseebohrungen brauchen wir Bestin-Class-Management<br />
und eine dreifache<br />
Absicherung der Betriebssysteme.“<br />
ÖLRESERVEN<br />
Am Jahresende 2008<br />
beliefen sich die Offshorerohölreserven<br />
auf 213 Milliarden<br />
Barrel, so die Internationale<br />
Energie Agentur.<br />
Davon befinden<br />
sich 25 Milliarden<br />
Barrel in Tiefseevorkommen.<br />
David Robertson,<br />
<strong>Global</strong> Head of Energy Risk Consulting<br />
Angesichts dieses massiven Einsatzes teurer Technik ist<br />
klar: Tiefwasserbohrungen erfordern enorme Skaleneffekte.<br />
Diese verbessern die Effizienz, bringen jedoch ein<br />
neues Risiko mit sich, sagt David Robertson, <strong>Global</strong><br />
Head of Energy Risk Consulting bei AGCS: eine gefährlich<br />
hohe „Wertekonzentration“ in milliardenschweren<br />
Anlagegütern.<br />
Allerdings scheint die Wertkonzentration auch das Risikobewusstsein<br />
geschärft zu haben. Laut Robertson ist<br />
die langfristige Schadensbilanz bei Tiefseebohrungen<br />
positiv. Vor Deepwater Horizon waren Lloyds zufolge<br />
weltweit rund 14.000 Tiefseebohrlöcher entstanden,<br />
ohne dass es zu größeren Öllecks gekommen sei. Und<br />
nach der Ölkatastrophe haben sich die Industrie und die<br />
Regierungen um eine Risikominderung bemüht (siehe<br />
Infokasten „Deepwater Horizon“).<br />
Die Versicherungsbranche bleibt offen für die Versicherung<br />
von Tiefseeprojekten. „Wir schrecken nicht<br />
vor Tiefseebohrungen zurück. Wir decken alle Arten von<br />
Risiken ab“, sagt Connors und fügt hinzu, dass Versicherer<br />
seit 2<strong>01</strong>0 mehr forensische Analysen der Risikoma-<br />
TIEFSEEBOHRINSELN<br />
nagementsysteme von Ölunternehmen durchführen.<br />
Robertson verweist auf fünf wesentliche Säulen des<br />
Risikomanagements: eine sichere Plattformkonstruktion;<br />
redundante Sicherheitssysteme; solide Test- und<br />
Prüfprozesse; mechanische Integrität und vor allem ausgereifte<br />
Managementsysteme. „Je gefährlicher das Geschäft,<br />
desto mehr Sicherheitsnetze braucht es“, sagt er.<br />
„Im Tiefseebereich erwarte ich Best-in-Class-Management<br />
und eine dreifache Absicherung der Betriebssysteme.“<br />
„Am Ende kommt es darauf an zu wissen, wer die Arbeit<br />
macht, ob diejenigen über die richtigen Mitarbeiter und<br />
die richtige Ausrüstung verfügen und ob sie die besten<br />
Sicherheitspraktiken und passende Risikomanagementpraktiken<br />
anwenden“, betont auch O’Neill. Nicht<br />
zuletzt führte der Untersuchungsausschuss von US-Prä-<br />
sident Barack Obama die Deep-water-Horizon-Ölpest<br />
auf „Managementfehler in der Industrie“ zurück.<br />
Trends in der Offshoreversicherung<br />
Bei aller grundsätzlichen Bereitschaft: Die hohen Investitionen<br />
bei Tiefseebohrungen übersteigen die Kapazitäten<br />
der Versicherer. Allein ein FPSO-Schiff mit entsprechender<br />
Verankerung kann bis zu fünf Milliarden US-<br />
Dollar kosten. „Das Problem besteht in der Höhe einiger<br />
Limits“, erklärt O’Neill.<br />
Versicherungslösungen werden daher im Verbund angeboten:<br />
Die Captives der Ölfirmen sowie brancheneigene<br />
Versicherungsvereine kooperieren mit kommerziellen<br />
Anbietern. O’Neill sieht dies nicht als Bedrohung. „Es<br />
ist nichts anderes als ein vernünftiger Ansatz zur Handhabung<br />
sehr großer Risiken in einem extremen Umfeld,<br />
21
VERFÜGBARE<br />
KAPAZITÄT<br />
22<br />
TIEFSEEÖLFELDER<br />
Experten schätzen,<br />
dass kommerzielle<br />
Versicherer zwischen<br />
3,5 und 4 Milliarden<br />
US-Dollar für Off-<br />
Shore-Risiken zur<br />
Verfügung stellen<br />
können. Diese theoretisch<br />
verfügbare<br />
Kapazität variiert jedoch<br />
je nach Risiko<br />
und Prämie.<br />
12<br />
Golf von Mexiko<br />
Mauretanien<br />
UK<br />
1<br />
in dem die Technologie weiter an ihre Grenzen gehen<br />
wird. Wir bieten unseren Kunden sogar Unterstützung<br />
bei der Einrichtung hauseigener Versicherer an.“ Weitere<br />
Chancen sieht er in einigen der riesigen Offshorebauprojekte<br />
sowie im „unvermeidbaren“ künftigen Bedarf<br />
für Versicherungen gegen Umweltschäden.<br />
Versicherungstechnisch wurden bisher „Leckage und<br />
Umweltverschmutzung“ mit Elementen wie „Bohrloch-<br />
Überwachung“ und „Wiederaufnahme einer Bohrung“<br />
in Zusatzkostenversicherungen unter einem Limit von<br />
bis zu rund 500 Millionen US-Dollar kombiniert. Doch<br />
seit Deepwater Horizon erscheinen diese Limits nicht<br />
mehr ausreichend, um die ökologischen und ökonomischen<br />
Schäden durch eine Ölpest zu decken. Daher diskutieren<br />
die Versicherer darüber, wie sich Umweltschäden<br />
durch ein eigenständiges Produkt mit höheren<br />
Limits decken lassen.<br />
„Unsere Kunden wollen mehr Deckungsschutz“, hat<br />
O’Neill registriert. Und das Potenzial ist groß: Douglas-<br />
Westwood prognostiziert, dass von 2<strong>01</strong>2 bis 2<strong>01</strong>6 rund<br />
232 Milliarden US-Dollar in Tiefseeprojekte investiert<br />
15<br />
Brasilien<br />
1<br />
1<br />
2<br />
Elfenbein- Nigeria & Äquatorialguinea<br />
küste<br />
Angola & 6<br />
Kongo<br />
Tiefseeentwicklungsgebiete »Goldene Triangel« Anzahl an Tiefseeölfeldern unter 400 Meter<br />
werden. „Wir müssen unsere bestehenden Produkte<br />
überprüfen und uns fragen, ob wir unseren Kunden das<br />
bieten, wonach sie verlangen“, so O’Neill. Kein Zweifel:<br />
Das Zeitalter der Energieknappheit eröffnet für alle Beteiligten<br />
Risiken, aber auch neue Chancen.<br />
PAUL O’NEILL<br />
<strong>Global</strong> Head of Energy<br />
paul.oneill@allianz.com<br />
1<br />
Indien<br />
PETER CONNORS<br />
<strong>Global</strong> Offshore Product Leader<br />
peter.connors@agcs.allianz.com<br />
STEVE HANLEY<br />
<strong>Global</strong> Head of Energy Claims<br />
steve.hanley@allianz.com<br />
Indonesien<br />
DAVID ROBERTSON<br />
<strong>Global</strong> Head of Energy Risk Consulting<br />
droberts@aic-allianz.com<br />
WWW.AGCS.ALLIANZ.COM/SECTORS<br />
1<br />
Quelle: Lloyds, Petroleum Economist<br />
Im April 2<strong>01</strong>0 wurden bei Explosion der Ölbohrplattform „Deepwater Horizon“ elf Arbeiter<br />
getötet. 4,9 Millionen Barrel Öl flossen in den Golf von Mexiko.<br />
DEEPWATER HORIZON:<br />
LEHREN AUS DER<br />
KATASTROPHE<br />
Notfallschutz: Die großen Ölkonzerne haben<br />
eine Milliarde US-Dollar für die Gründung der<br />
Marine Well Containment Company bereitgestellt,<br />
ein Konsortium der großen Anbieter, das<br />
über eine eigene Schiffsflotte und geeignete Geräte<br />
für Notfalleinsätze bei Blowouts und Öllecks<br />
im Golf von Mexiko verfügt.<br />
Notfallkontrollen am Bohrloch: Die Branche<br />
hat eine neue Generation von „Capping Stacks“,<br />
speziellen Abdeckungen für Leckagen, entwickelt.<br />
Bei Versagen des Blowout-Preventers können<br />
diese auf das lecke Bohrloch aufgesetzt werden<br />
und es den Betreibern so ermöglichen, lecke<br />
Bohrlöcher zu reparieren oder zu isolieren.<br />
Regulierung: Neue Vorgaben für die Erteilung<br />
von Bohrlizenzen in den USA legen fest, dass Betreiber<br />
von Offshorebohrlöchern Belege für die<br />
effektive Kontrolle von Öllecks vorlegen müssen.<br />
Konsensstandards: Die Empfehlungen des<br />
American Petroleum Institute zur Konstruktion<br />
von Bohrlöchern und „Capping Stacks“ wurden<br />
angepasst. Ebenso wurden die Prüf- und Konstruktionsvorgaben<br />
für Blowout-Preventer<br />
verschärft.<br />
23
SPECIAL<br />
TOPIC<br />
Ausweichen<br />
im All<br />
Satelliten sind im All vielen natürlichen Gefahren ausgesetzt. Die zunehmende „Vermüllung“<br />
der Erdumlaufbahn durch Schrottteile macht ihre Missionen noch gefährlicher.<br />
Die Situation spitzt sich zu, obwohl Raumfahrtagenturen und Satellitenbetreiber<br />
an Lösungen für die Entsorgung von Weltraumschrott arbeiten.<br />
ISABELLE CAMINADE & DAN HARRIMAN<br />
24<br />
Extreme Temperaturen, schwankende Druckverhältnisse<br />
und unberechenbares Weltraumwetter – daran,<br />
dass das Weltall ein gefährliches Umfeld für Satelliten<br />
ist, kann kein Zweifel bestehen. Dabei sind die Menschen<br />
dafür verantwortlich, dass die ohnehin rauen Bedingungen<br />
nochmals gefährlicher geworden ist: Seit<br />
Beginn der Raumfahrt im Jahr 1957 hat die Menschheit<br />
in der Erdumlaufbahn eine Spur von Schrottteilen hinter<br />
sich gelassen – darunter sind ausgebrannte Raketenstufen<br />
ebenso ausgediente Satelliten und Forschungsausrüstung.<br />
Selbst kleinste Schrottteilchen<br />
können beim Zusammenprall mit aktiven Satelliten zu<br />
Betriebsstörungen oder schweren Beschädigungen<br />
führen. In der Studie Space-Risks: „A new generation of<br />
challenges“ untersucht ein Expertenteam von <strong>Allianz</strong><br />
<strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong> (AGCS), mit welchen Risiken<br />
Satelliten im Weltraum konfrontiert sind.<br />
Die Risiken beginnen schon, bevor die Satelliten ins<br />
Weltall geschickt werden. Während des Starts sind sie<br />
Temperatur- und Druckschwankungen ausgesetzt.<br />
Einmal in der Erdumlaufbahn angekommen, müssen<br />
sie extremen Temperaturen standhalten. Dabei variiert<br />
die Belastung der einzelnen Komponenten je nach<br />
KONTAKT VERLOREN<br />
Am 8. April 2<strong>01</strong>2 hat die European Space<br />
Agency (ESA) den Kontakt mit Envisat<br />
verloren, einem acht Tonnen schweren<br />
Erdbeobachtungssatelliten.<br />
Als riesiges Stück Weltraumschrott stellt<br />
Envisat eine Bedrohung dar. Gelingt es<br />
nicht, wieder Verbindung aufzunehmen,<br />
wird es rund 150 Jahre dauern, bis der<br />
Satellit beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre<br />
auf natürliche Weise zerstört<br />
wird. Laut ESA beträgt die Wahrscheinlichkeit<br />
einer Kollision zwischen Envisat<br />
und einm anderen Weltraumschrottteil<br />
während dieser Zeit rund 30 Prozent,<br />
auch deshalb weil Ausweichmanöver<br />
nicht länger möglich sind. Bei einem solchen<br />
Zusammenprall würde eine Trümmerwolke<br />
entstehen, die die Bedrohung<br />
für andere aktive Satelliten durch Weltraumschrott<br />
massiv erhöhen würde.<br />
Envisat, der seinerzeit leistungsfähigste<br />
Erdbeobachtungssatellit, wurde 2002<br />
ins All geschickt. Ursprünglich war seine<br />
Lebensdauer auf fünf Jahre veranschlagt<br />
worden, aber er erfüllte mehr als doppelt<br />
so lange seinen Dienst.<br />
Ein Satellit auf dem<br />
Weg ins All: Die Raumfähre<br />
Ariane V bei<br />
ihrem Start im Kourou<br />
Space Center, Französisch<br />
Guayana.<br />
25
„Ein Sonnensturm könnte den Kontrollverlust<br />
für einen oder mehrere Satelliten auslösen.“<br />
26<br />
ihrer Ausrichtung zur Sonne<br />
und ihrer Nähe zu anderen<br />
Bauteilen mit einer hohen<br />
Wärmeabgabe. Für die Temperaturregelung<br />
an Bord des Satelliten<br />
werden für jedes Teilsystem<br />
angepasste Methoden<br />
der Ein- und Abstrahlung angewandt.<br />
Zudem wird die Ummantelung<br />
der Satelliten teilweise<br />
mit speziellen Schutzmaterialien<br />
beschichtet.<br />
Auch die Erdatmosphäre stellt<br />
die Satelliten vor Herausforderungen.<br />
Das gilt besonders für<br />
Satelliten, die sich in erdnahen<br />
Umlaufbahnen bewegen,<br />
den sogenannten Low Earth<br />
Orbits (LEO). Durch die ständige<br />
Expansion und Kontraktion<br />
der Atmosphäre variiert die<br />
Sonnenaktivität sehr stark. In<br />
Phasen maximaler Sonnenaktivität,<br />
auch Solar Maxima genannt,<br />
dehnt sich die Erdatmosphäre<br />
aus und steigt auf.<br />
In der Folge sehen sich die<br />
Satelliten unterschiedlichen<br />
Luftwiderständen ausgesetzt,<br />
die bremsend wirken. Daher<br />
müssen die Satelliten Kurskorrekturen<br />
durchführen, um<br />
ihre festgelegten Koordinaten in der Umlaufbahn beizubehalten.<br />
Bedrohung durch Sonnenstürme<br />
Sonneneruptionen sind ein weiteres Risiko. Diese unvorhersehbaren<br />
koronalen Massenauswürfe setzen<br />
eine enorme Strahlung frei, die die Funkübertragung<br />
stört. Das wirkt sich auf Satelliten aus und kann in extremen<br />
Fällen zum Ausfall bestimmter Funktionen<br />
führen. Man weiß heute sehr viel mehr über die Erosi-<br />
KOSMISCHE MÜLLABFUHR<br />
Nach Angaben von NASA, ESA und CNE müssten jedes<br />
Jahr zehn große Trümmerteile beseitigt werden,<br />
um den Müll im All auf ein stabiles, nachhaltiges<br />
Niveau zu begrenzen. Bei der Entwicklung neuer<br />
Technologien zur Schrottbeseitigung im Orbit<br />
setzen die Raumfahrtagenturen auf eine enge Zusammenarbeit<br />
mit der Industrie. Die Konzepte reichen<br />
von Laserkanonen bis zu sogenannten Space<br />
Tethers. Allen diesen Konzepten gemein ist, dass<br />
sie sehr teuer sind.<br />
Eine der wohl praktikabelsten Ideen ist der Space-<br />
Tether. Dabei handelt es sich um ein mehrere Kilometer<br />
langes, elektrodynamisches Kabel, mit dem<br />
ausgediente Satelliten versehen werden. Das Kabel<br />
bewegt sich durch das magnetische Feld der Erde<br />
und verursacht eine Strömung, die ein automatisches<br />
Deorbiting-Manöver des Satelliten auslöst.<br />
Diese Technik würde kaum Veränderungen in der-<br />
Satellitenkonstruktion und auch keine zusätzliche<br />
Energie erfordern.<br />
Ein weiteres Verschrottungsverfahren sind sogenannte<br />
Gossamer Orbit Lowering Devices, leichte<br />
Sonnensegel, die sich am Ende der Einsatzdauer<br />
des Satelliten entfalten. Durch den erhöhten Widerstand<br />
in der Restatmosphäre würde der Satellit<br />
wesentlich stärker abgebremst und so schneller in<br />
Richtung Erdatmosphäre sinken, in der er dann verglüht.<br />
Ideen gibt es zuhauf, zum Beispiel auch das<br />
Konzept mobiler Reparaturstationen, die defekte<br />
oder alte Satelliten wieder funktionstüchtig machen<br />
oder ausgediente Satelliten – zum Beispiel<br />
mithilfe eines großen Netzes – einsammeln und<br />
dann in andere Umlaufbahnen befördern.<br />
Thierry Colliot, Managing Director of SpaceCo<br />
on der Solarkollektoren eines<br />
Satelliten und berücksichtigt<br />
dies bereits im Vorfeld.<br />
Dennoch bleibt dies<br />
eine ständige Gefahr, die<br />
die Lebensdauer eines Satelliten<br />
deutlich verkürzen<br />
kann. Eine große Sonneneruption<br />
kann zum kompletten<br />
Kontrollverlust<br />
über einen oder mehrere<br />
Satelliten führen.<br />
Zum Schutz der Satelliten<br />
werden die Solarkollektoren<br />
auf dem Weg ins All<br />
schrittweise geöffnet und<br />
die Bordelektronik entsprechend<br />
ausgelegt. „Diese Risiken<br />
werden engmaschig<br />
überwacht, da sie potenziell<br />
katastrophal sein und<br />
eine große Zahl von Satelliten<br />
betreffen können“, sagt<br />
Thierry Colliot, Managing<br />
Director of SpaceCo und<br />
Head of Aviation Underwriting<br />
bei AGCS France, die<br />
für Satellitenversicherung<br />
verantwortlich ist. „Allerdings<br />
ist die Wahrscheinlichkeit<br />
einer großen Sonneneruption<br />
nach wie vor<br />
gering.“ Die Experten gehen davon aus, dass rund 40<br />
Satelliten als direkte Folge eines geomagnetischen<br />
Sturms kritische Schäden oder sogar einen Totalschaden<br />
davongetragen haben.<br />
Abgesehen von Sonneneruptionen ist die Solarstrahlung<br />
in den mittleren Umlaufbahnen am stärksten, wo<br />
diese den Van-Allen-Strahlungsgürtel kreuzt. Dieses<br />
Phänomen setzt sich auch in LEOs fort, vor allem in der<br />
sogenannten Südatlantischen Anomalie. Hier gibt es<br />
16.000 Objekte bestehen aus:<br />
62 % Fragmente<br />
16 % ausgediente Satelliten<br />
6 % aktive Satelliten<br />
8 % Raketenteile<br />
8 % andere Objekte aus Missionen<br />
häufig strahlungsbedingte Vorfälle mit Satelliten, die jedoch<br />
im Allgemeinen keine gravierenden Folgen haben.<br />
Vielleicht noch bedrohlicher als natürliche Gefahren ist<br />
das Risiko eines Zusammenstoßes mit Schrottteilchen.<br />
Seit dem Beginn der Raumfahrt wurden unzählige Objekte<br />
im All zurückgelassen. Schätzungen zufolge kreisen<br />
mehr als 16.000 frei fliegende Fragmente mit einem<br />
Durchmesser von zehn Zentimeter oder mehr um die Erde.<br />
Schäden durch Schrott<br />
„Das Weltall wird zur Müllhalde“, sagt Colliot. „Die Zahl<br />
der Schrottteile ist inzwischen so hoch, dass sie sich<br />
nicht mehr durch die natürliche Zerstörung beim Eintritt<br />
in die Erdatmosphäre verringert. Stattdessen gibt<br />
es immer mehr Bruchstücke, weil Objekte zusammenstoßen<br />
und neue Teile produzieren, die wieder mit anderen<br />
kollidieren. Diese endlose Kettenreaktion wird<br />
auch als Kessler-Syndrom bezeichnet.“<br />
Im All sind Flugkörper mit großen Geschwindigkeiten –<br />
von rund zehn Kilometer pro Sekunde – unterwegs.<br />
Jedes Objekt, das mehr als zehn Zentimeter bemisst,<br />
kann erhebliche, sogar katastrophale Schäden an aktiven<br />
Satelliten verursachen. Deutlich gezeigt hat dies<br />
Schrottteile in LEO<br />
8.100 Objekte und Fragmente<br />
1.600 ausgediente Satelliten<br />
400 aktive Satelliten<br />
900 Raketenteile<br />
1.000 diverse Objekte<br />
Schrottteile in GEO<br />
480 ausgediente Satelliten<br />
370 aktive Satelliten<br />
190 Raketenteile<br />
Ungefähr 60 diverse Objekte aus Raumfahrtmissionen<br />
die Kollision zwischen zwei Nachrichtensatelliten im<br />
Jahr 2009 – dem ausgedienten Kosmos 2251 und dem<br />
noch in Betrieb befindlichen Iridium 33. Kleinere Objekte<br />
mit einem Durchmesser von ein bis zehn Zentimeter<br />
stellen sogar eine noch größere Gefahr dar – schlichtweg<br />
aufgrund ihrer bloßen Zahl von schätzungsweise<br />
300.000 Stück. Noch wesentlich höher ist die Zahl von<br />
Miniteilchen, die kleiner als ein Zentimeter sind, mehr<br />
als 35 Millionen sollen im All kreisen; bei einem Aufprall<br />
können sie Oberflächen buchstäblich durchlöchern.<br />
In den ruhigen Friedhofsorbit<br />
Nach Ablauf ihrer Lebensdauer werden Satelliten in<br />
eine andere Umlaufbahn befördert. Dabei werden sie in<br />
einen neuen ‚Friedhofsorbit‘ 300 km oberhalb des geostationären<br />
Orbits (GEO) gebracht, der weniger stark<br />
frequentiert ist. Solche Deorbiting-Manöver werden<br />
auch mit Satelliten in LEOs durchgeführt. Satellitenbetreiber<br />
sind heute verpflichtet, die dort befindlichen Satelliten<br />
innerhalb von 25 Jahren nach Ende der Lebensdauer<br />
zurückzuholen. Statt sie jedoch in einen weniger<br />
kollisionsgefährdeten Orbit zu verlegen, werden diese<br />
in die Erdatmosphäre zurückgesteuert, wo sie aufgrund<br />
ALLTOURISMUS:<br />
BALD EINE REALITÄT?<br />
Bereits 2<strong>01</strong>5 könnte<br />
es jährlich mehr<br />
300.000 Urlaubsflüge<br />
ins Weltall geben.<br />
Unternehmen wir<br />
Virgin Galactic haben<br />
bereits 450 Tickets<br />
für eine Reise ins<br />
Weltall verkauft. Für<br />
solche Hobbyastronauten<br />
gibt es spezielle<br />
Formen der<br />
Reiseversicherung.<br />
27
November 2<strong>01</strong>0: Bewohner des Dorfes Jiulongshan, Shibing County, entsorgen die Trümmer der ausgebrannten Raketenstufe der „Long March 3-C“ Satelliten.<br />
28<br />
VERSICHERUNG FÜR SATELLITEN<br />
Die Raumfahrt ist eine besondere Branche mit hohen Risiken,<br />
die einen besonderen Versicherungsschutz für Unfallschäden<br />
und Zivilhaftung voraussetzen. Während der<br />
Startphase und des Betriebs sind Satelliten im Rahmen<br />
von All- Risks-Except-Policen versichert. Die gesetzlich<br />
vorgegebene Haftpflichtversicherung unterstützt den Eigentümer<br />
oder Betreiber, dessen Satellit oder Schrott<br />
Schäden verursacht hat.<br />
Im Jahr 2<strong>01</strong>1 verfügten nur 21 LEO-Satelliten über Versicherungsschutz,<br />
im Gegensatz zu den 167 GEO-Satelliten.<br />
Ludovic Arnoux, Aviation & Space Technical Referral<br />
bei AGCS France, betont: „Die meisten versicherten Satelliten<br />
sind kommerzielle Telekommunikationssatelliten im<br />
geostationären Orbit.“ Derartige Satelliten kosten je rund<br />
200 Millionen US-Dollar und haben eine Lebensdauer von<br />
bis zu 15 Jahren.<br />
In LEOs kommen vor allem Erdbeobachtungssatelliten<br />
zum Einsatz. „Ihr Wert liegt durchschnittlich bei 40 Millionen<br />
US-Dollar und die Lebensdauer bei fünf Jahren“, so<br />
Arnoux. In der Regel werden diese Satelliten von Regierungen<br />
auf Basis von Eigenversicherungen betrieben, obwohl<br />
auch immer mehr Unternehmen Erdbeobachtungssatelliten<br />
einsetzen, etwa für Mappingdienstleistungen.<br />
GEPLANTE WELTRAUMMISSIONEN<br />
VON 2<strong>01</strong>2 BIS 2020 (LEO/MEO)<br />
Launches<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
2<strong>01</strong>2 2<strong>01</strong>3 2<strong>01</strong>4 2<strong>01</strong>5 2<strong>01</strong>6 2<strong>01</strong>7 2<strong>01</strong>8 2<strong>01</strong>9 2020<br />
Telekommunikation (kommerziell)<br />
Erdbeobachtung (kommerziell)<br />
Wissenschaft und Technik<br />
Fracht -und Crewtransporte<br />
Andere Ladegüter<br />
des Luftwiderstands, der eine extreme Wärme erzeugt,<br />
größtenteils verglühen. Die übrig gebliebenen Bruchstücke<br />
fallen zumeist in unbewohnte Teile der Welt, typischerweise<br />
in den südlichen Pazifik.<br />
Abwehrschirme und Ausweichmanöver<br />
Bei der Planung von Satellitenmissionen wird die Konzentration<br />
des Weltraumschrotts im erdnahen Raum<br />
berücksichtigt. Die Risiken werden anhand von Beobachtungen<br />
und Messungen, Bodenradardaten und<br />
theoretischen Modellen der Raumfahrtagenturen bewertet.<br />
Im Fall kleinerer Kollisionen können die Schäden<br />
durch mehrlagige Schutzschilde oder spezielle Abwehrschirme<br />
begrenzt werden. Zudem können Satelliten<br />
durch Ausweichmanöver an riskanten Objekten<br />
vorbeigesteuert werden. Voraussetzung dafür ist jedoch<br />
eine rechtzeitige und präzise Bahnberechnung.<br />
Solche Ausweichmanöver gehören auch zum Alltag der<br />
bemannten Raumfähre „International Space Station“,<br />
die sich in einer sehr tiefen Umlaufbahn bewegt, wo<br />
die Schrottkonzentration am höchsten ist. Bereits<br />
zweimal, 2<strong>01</strong>0 und 2<strong>01</strong>1, mussten die Astronauten<br />
kurzfristig evakuiert werden, als ein Objekt der Station<br />
gefährlich nahekam und zu spät bemerkt wurde.<br />
Wird die Vermüllung des Alls nicht reduziert, könnten<br />
derart gefährliche Begegnungen künftig häufiger vorkommen.<br />
THIERRY COLLIOT<br />
Managing Director of SpaceC und Head of Aviation Underwriting,<br />
AGCS France<br />
thierry.colliot@allianz.com<br />
LUDOVIC ARNOUX<br />
Aviation & Space Technical Referral, AGCS France<br />
ludovic.arnoux@allianz.com<br />
WWW.AGCS.ALLIANZ.COM/SERVICES/AVIATION<br />
Botschaften aus dem All: Ein Satellit sendet<br />
Signale zur Erde (links). Mehr als<br />
41.000 Meteoriten sind gelistet (unten).<br />
” Die neuesten Satelliten sind extrem widerstandsfähig<br />
und halten auch Strahlung,<br />
Hitze, Druck und Sogkräften stand.“<br />
Ludovic Arnoux, Aviation & Space Technical Referral<br />
SEIT 50 JAHREN<br />
Die Satellitenversicherung<br />
wurde<br />
1965 mit dem<br />
Launch von Intelsat 1<br />
eingeführt, dem allererstenkommerziellenTelekommunikationssatelliten.<br />
Sie<br />
etablierte sich bereits<br />
in den 70er-Jahren,<br />
als All-Risk-Policen<br />
für jegliche Schäden<br />
an Satelliten eingeführt<br />
wurden.<br />
29
IN<br />
CONCLUSION<br />
Negative Aspekte nicht überbetonen<br />
Christoffer van Tulleken hält die Polarregionen für weniger gefährlich – und kalt – als man gemeinhin vermuten<br />
würde. Mit moderner Ausrüstung und gründlicher Vorbereitung lassen sich die besonderen Risiken bewältigen.<br />
DR. CHRISTOFFER VAN<br />
TULLEKEN<br />
Dr. Christoffer van Tulleken<br />
(34) ist als Academic<br />
Registrar und Research<br />
Fellow am University<br />
College London Hospital<br />
im Bereich Infektionskrankheiten<br />
und Tropenmedizin<br />
tätig. Er hat an<br />
sechs Arktisexpeditionen<br />
teilgenommen. Als Arzt<br />
hat er mehrfach in entlegenen<br />
Gebieten gearbeitet<br />
– vom Himalaja<br />
bis zum Kongo, – war<br />
dort auch mit Notfallsituationen<br />
konfrontiert.<br />
Er war maßgeblich an<br />
mehreren BBC-Dokumentarfilmen<br />
beteiligt<br />
und ist ein Förderer der<br />
medizinischen Hilfsorganisation<br />
Merlin.<br />
30<br />
Die legendären Expeditionen Anfang des 19. Jahrhunderts<br />
haben unsere Wahrnehmung der Risiken in extremen<br />
Umgebungen stark beeinflusst. Spektakuläre Expeditionen<br />
wie das Kopf-an-Kopf-Rennen von Scott und Amundsen<br />
waren nach allen Maßstäben äußerst gefährlich.<br />
Heute sind Touren in die Polargebiete genauso wie das Leben<br />
dort deutlich weniger riskant. Neben einer wachsenden<br />
Zahl von Touristen zeigen auch immer mehr Unternehmen<br />
großes Interesse an diesen rohstoffreichen Gebieten.<br />
Die Stressfaktoren, denen Menschen in entlegenen,<br />
lebensfeindlichen Gegenden ausgesetzt sind, lassen<br />
sich am Beispiel der Polarregionen jedoch weiterhin gut<br />
illustrieren – sie gelten genauso für Wüsten, die Tropen<br />
oder den Weltraum. Generell unterscheidet man drei<br />
wesentliche Stressfaktoren: physische, psychologische<br />
und psychosoziale, die je nach Art der Expedition unterschiedlich<br />
ins Gewicht fallen.<br />
mäßigten Klima. Tatsächlich räumen viele britische Nordpolforscher<br />
unter vorgehaltener Hand ein, dass sie vor allem<br />
während der Vorbereitung gefroren haben – im regnerischen<br />
Schottland.<br />
Das psychosoziale Umfeld der meisten Expeditionen ist<br />
durch Isolation und Enge geprägt. Die Teams sind von der<br />
Außenwelt abgeschnitten, weil Dunkelheit und Wetter die<br />
Kommunikations- und Reisemöglichkeiten stark begrenzen.<br />
Sie sind von Familie und Freunden getrennt. Und eine<br />
Privatsphäre gibt es kaum. Dies hat Wahrnehmungs- oder<br />
Schlafstörungen, Gereiztheit, zwischenmenschliche<br />
Spannungen und Konflikte zur Folge. Dagegen helfen eine<br />
Sensibilisierung im Vorfeld, eine ausgewogene Zusammenstellung<br />
des Teams und klare Routinen.<br />
Letztlich gibt es die genannten Phänomene auch im normalen<br />
Stadtleben. Und man sollte nicht übersehen, dass<br />
es sich schlichtweg um die negativen Begleiterscheinun-<br />
„Sogar traumatische Erfahrungen auf einer Expedition<br />
können eine positive Wirkung entfalten.“<br />
Es gibt drei Arten von Polarexpeditionen, bei denen Kälte,<br />
Mangelzustände oder physische Strapazen zu bewältigen<br />
sind. Die erste sind Touren in die Polargebiete, die die Erfahrungen<br />
der frühen Forscher nacherleben oder Rekorde<br />
brechen wollen. Die zweite sind Sommercamps, die meistens<br />
wissenschaftliche oder kommerzielle Zwecke verfolgen.<br />
Die dritte sind längere Aufenthalte in einer Polarstation<br />
wie in der Antarktis, wo 20 Nationen ganzjährig 47 Forschungsteams<br />
unterhalten.<br />
Die größte Herausforderung stellen häufig Expeditionen<br />
der ersten Kategorie dar, da die zumeist kleinen Teams die<br />
größten physiologischen Strapazen zu überstehen haben.<br />
Viele meinen, die Kälte sei am schlimmsten. Tatsächlich<br />
helfen hier jedoch die richtige Kleidung und eine gründliche<br />
Vorbereitung. Zwar gibt es einige körperliche Belastungen,<br />
die nur in diesen Höhen auftreten, wie lichtbedingte<br />
Störungen des Biorhythmus (der ‚inneren Uhr‘).<br />
Aber größtenteils sind die Herausforderungen nicht größer<br />
als bei einer vergleichbaren Expedition in einem ge-<br />
gen der vielfältigen positiven Wirkungen handelt. Negative<br />
und positive psychologische Symptome schließen sich<br />
nicht aus, und selbst traumatische Erfahrungen während<br />
einer Expedition können eine positive Wirkung auf die Persönlichkeit<br />
haben. Zum Beispiel durch die Stärkung der<br />
Problemlösungsfähigkeit, der Widerstandskraft oder der<br />
Selbstachtung. Am besten zeigt dies eine Studie über eine<br />
Schiffscrew, die einen Winter in der Antarktis verbrachte.<br />
Nach ihrer Rückkehr waren die Besatzungsmitglieder bei<br />
besserer Gesundheit und beruflich erfolgreicher als eine<br />
Kontrollgruppe, die nicht an diesem Einsatz teilgenommen<br />
hatte.<br />
Grundsätzlich werden die Risiken von Einsätzen in einem<br />
extremen Umfeld überbetont, während die positiven Auswirkungen<br />
unterbewertet werden. Letztlich ist es jedoch<br />
wahrscheinlich genau diese detaillierte Auseinandersetzung<br />
mit potenziellen Gefahren, die dafür sorgt, dass viele<br />
Expeditionen nicht nur extrem sicher verlaufen, sondern<br />
ihre Ziele auch sehr effektiv erreichen.<br />
Die letzte Reise der Enterprise<br />
Mit dem Ende des Spaceshuttle-Programms der NASA machte sich die Raumfähre<br />
Enterprise auf ihre letzte Reise. Der ursprüngliche Orbiter-Prototyp aus<br />
den 70er-Jahren hat im Intrepid Sea, Air & Space Museum in New York City<br />
seine finale Heimat gefunden. <strong>Allianz</strong> <strong>Global</strong> <strong>Corporate</strong> & <strong>Specialty</strong> (AGCS)<br />
versicherte den spektakulären Transport. Auf dem Rücken eines speziell konstruierten<br />
NASA-Flugzeugs wurde die Raumfähre von Washington nach New<br />
2<strong>01</strong>2/2<strong>01</strong>3 Kalender<br />
York geflogen. Am John F. Kennedy International Airport wurde sie von zwei<br />
Kränen in einen schützenden Enteisungshangar gehoben, ehe sie auf einem<br />
Frachtkahn den letzten Reiseabschnitt auf dem Hudson River antrat. „Es war<br />
ein ganz besonderes Projekt für uns“, sagt Richard Lawson, Marine Senior Risk<br />
Consultant bei AGCS. „Die Enterprise war ein einzigartiges Transportgut, es<br />
waren viele Beteiligte zu koordinieren und die Logistik war herausfordernd.“<br />
Datum/Ort Veranstaltung Information<br />
29. Oktober–2. November East Asian Insurance Congress www.eaic2<strong>01</strong>2kl.com<br />
Kuala Lumpur, Malaysia<br />
13.–14. November European Captive Forum www.eciroa.org<br />
Luxemburg<br />
9.–12. Dezember SRA 2<strong>01</strong>2 Annual Meeting www.sra.org<br />
San Francisco, USA Society for Risk Analysis<br />
6.–8. Februar AMRAE Rencontres 2<strong>01</strong>3 www.amrae.fr<br />
Lyon, Frankreich Association pour le management des risques et des assurances de l'enterprise<br />
21.–25. April RIMS 2<strong>01</strong>3 www.rims.org<br />
Los Angeles, USA Risk and Insurance Management Society<br />
10.–12. Juni Airmic Conference 2<strong>01</strong>3 www.airmic.com<br />
Brighton, Großbritannien Association of Insurance and Risk Managers<br />
13.–14. Juni Rendez-Vous de l'Assurance Transports 2<strong>01</strong>3 www.cesam.org<br />
Paris, Frankreich CESAM Annual Conference<br />
29. September–2.Oktober Ferma Risk Management Forum 2<strong>01</strong>3 www.ferma.eu<br />
Maastricht, Niederlande Living and Working in a Riskier World<br />
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