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Koolhaas nimmt in der Reihe Theorie

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das <strong>in</strong> völliger Logik die e<strong>in</strong>gebildete Verfolgung andauernd bestätigt, somit die Neurose<br />

als aktiv und nicht als passiv def<strong>in</strong>iert wird. (Für Dalí wird damit <strong>der</strong> Kern künstlerischen<br />

Schaffens def<strong>in</strong>iert.) An<strong>der</strong>s ausgedrückt: <strong>der</strong> Paranoiker dreht die übliche Schrittfolge<br />

von A und B um, er schafft Beweise für unbeweisbare Hypothesen, die anschließend –<br />

und das macht es methodisch und kritisch – <strong>der</strong> Welt ungefragt aufgedrückt werden, die<br />

sie aber wegen <strong>der</strong> <strong>in</strong>newohnenden sophistischen Logik akzeptieren muss. (Auf diese<br />

Weise, wen wun<strong>der</strong>t es, kommt überhaupt Architektur zustande.) In den Worten<br />

<strong>Koolhaas</strong>’: „Der Paranoiker trifft den Nagel immer auf den Kopf, egal, woh<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Hammer schlägt.“ Als „Eroberung des Irrationalen“ ist die PKM für <strong>Koolhaas</strong> die letzte<br />

wirklich rationale Methode <strong>der</strong> Aufklärung, und zugleich <strong>der</strong>en Kritik, weil sie Analyse<br />

und Entwurf <strong>in</strong> e<strong>in</strong>s setzt.<br />

Der tautologische Mechanismus dieser Methode wird <strong>in</strong> Delirious New York durch e<strong>in</strong><br />

Diagramm erklärt, dessen Ähnlichkeit mit dem aufwändigen und komplizierten Tragwerk<br />

<strong>der</strong> Maison à Floirac mehr als nur <strong>in</strong> die Augen spr<strong>in</strong>gt. Tatsächlich bilden die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Tragelemente – die auf nur e<strong>in</strong>em Balken gelagerten U-förmigen Wände des<br />

Obergeschosses, <strong>der</strong> asymmetrisch liegende Stahlträger, das Gegengewicht – e<strong>in</strong><br />

System von gegenseitigen „Begründungen“ und „Stabilisierungen“, bei dem ke<strong>in</strong>e<br />

<strong>Reihe</strong>nfolge von Anfang und Ende erkennbar ist und bei dem schon aus re<strong>in</strong><br />

physikalischen Gründen ke<strong>in</strong> Teil h<strong>in</strong>zugefügt, weggenommen o<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>t werden<br />

könnte, ohne die Sache zum E<strong>in</strong>sturz zu br<strong>in</strong>gen: e<strong>in</strong>e völlig aberwitzige Konstruktion,<br />

die aber dennoch funktioniert – wie beim berühmten „Lügenbaron“ von Münchhausen,<br />

<strong>der</strong> auf Kanonenkugeln reitet o<strong>der</strong> sich selbst am Schopf aus dem Morast zieht.<br />

[Bild 10: Wohnraum Maison à Floirac]<br />

Die eigentliche Provokation dieser Luxusvilla auf e<strong>in</strong>em Hügel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe von<br />

Bordeaux liegt aber <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Programm: e<strong>in</strong> unterschwelliger Familienkonflikt,<br />

verursacht von dem als Haustyrann imag<strong>in</strong>ierten Familienvater, <strong>der</strong> im Rollstuhl sitzt,<br />

wird hypothetisch, also durch paranoisch-kritische Aktivität angenommen und im<br />

Worts<strong>in</strong>n als Drama, also als Theaterstück architektonisch aufgeführt. Deutlicher könnte<br />

die Abwehrhaltung gegenüber <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne, gegenüber <strong>der</strong> „Architektur <strong>der</strong> guten<br />

Absichten“ (Col<strong>in</strong> Rowe), kaum ausfallen. Deren Wohnbaugrundrisslösungen basierten<br />

ausnahmslos auf <strong>der</strong> als heil angenommen Welt <strong>der</strong> bürgerlichen Kle<strong>in</strong>familie, <strong>der</strong>en<br />

<strong>in</strong>ternen Abläufe als klar und wun<strong>der</strong>sam harmonisch aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> abgestimmte<br />

Funktionen zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> dieser Idealprojektion identifiziert werden konnten (ebenfalls<br />

e<strong>in</strong>e Tautologie), während doch bereits damals durch die <strong>Theorie</strong>n Freuds offenbar<br />

wurde, dass <strong>der</strong> Schoß <strong>der</strong> Familie e<strong>in</strong>e Brutstätte von Neurosen, unbewältigter<br />

Konflikte, Traumata und psychischer Ambivalenzen ist.<br />

Die im Haus dom<strong>in</strong>ante fahrbare Plattform ist se<strong>in</strong> Arbeitszimmer und se<strong>in</strong> Mittel, um<br />

Zugänge zu bestimmten Räumen im Haus zu kontrollieren, die nur über die Plattform<br />

erreichbar s<strong>in</strong>d. Das heißt, die Plattform fungiert als architektonisches Oxymoron <strong>der</strong><br />

ambivalenten Beziehungen <strong>der</strong> Familie zu ihrem Haupternährer. Überall wo die<br />

Plattform nicht ist, bleibt e<strong>in</strong> riesiges Loch im Boden, das die Anwesenheit <strong>der</strong><br />

Abwesenheit des Familienvaters unmittelbar vor Augen führt. Bildet sie umgekehrt e<strong>in</strong>e<br />

durchgehende Fläche mit dem Fußboden <strong>der</strong> restlichen Grundrissfläche, verschw<strong>in</strong>det<br />

<strong>der</strong> Vater gleichsam durch se<strong>in</strong>e reale Anwesenheit.

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