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Koolhaas nimmt in der Reihe Theorie

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sei erst durch diese Doppelseite auf se<strong>in</strong>e grundlegenden Ideen gekommen. Immerh<strong>in</strong><br />

vere<strong>in</strong>igt diese drei se<strong>in</strong>er wichtigen Begriffe: „delirious“, „maelstrom“ und den Surfer auf<br />

den Wellen.<br />

Nun wird man schnell e<strong>in</strong>wenden, dass sich kaum e<strong>in</strong> Leser beim Schmökern <strong>in</strong><br />

S,M,L,XL wie <strong>der</strong> Poe’sche Seemann fühlen wird, <strong>der</strong> im Strudel des Maelströms kreist,<br />

noch nicht e<strong>in</strong>mal wie e<strong>in</strong> Surfer auf den Wellen, auch wenn sich die Macher des<br />

Buches viel Mühe gegeben haben, durch das konsequente Anwenden von Montage-<br />

Techniken e<strong>in</strong>e Vielzahl von unvermuteten Assoziationen und Affekten hervorzurufen.<br />

Doch ab welchem Punkt erschauern wir, was braucht es, um uns <strong>in</strong> Verwirrung zu<br />

stürzen, ab wann empf<strong>in</strong>den wir Vergnügen o<strong>der</strong> Spannung? S<strong>in</strong>d die Techniken <strong>der</strong><br />

Montage und <strong>der</strong> Collage zu abgenutzt, zu formal? Schockiert <strong>der</strong> Schock nicht mehr?<br />

Braucht es vielmehr e<strong>in</strong>e story, e<strong>in</strong>en content, wie zum Beispiel e<strong>in</strong>e schön-schaurige<br />

Krim<strong>in</strong>algeschichte, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mittelalterlichen Kloster spielt, mit vielen Leichen und<br />

e<strong>in</strong>em mysteriösen, weil angeblich verschollenen antiken Text? In diesem Fall sollte<br />

man ke<strong>in</strong> Architekturbuch kaufen, weil die immer zur Fadheit tendieren. Gleichwohl ist<br />

diese Frage wichtig, weil es <strong>Koolhaas</strong> wie kaum e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Architekt auf die<br />

psychischen Dispositionen abgesehen hat. Immer wie<strong>der</strong> hat er betont, daß er das<br />

Unvorhersehbare entwerfen will. Se<strong>in</strong> Credo spielt sich deshalb aber nicht zwischen<br />

Form und Inhalt, son<strong>der</strong>n zwischen Operation und Affekt ab.<br />

Milchschwe<strong>in</strong>e<br />

Art und Mechanismus des Unvorhersehbaren unterscheiden sich bei <strong>Koolhaas</strong> zu <strong>der</strong><br />

maßgebenden Def<strong>in</strong>ition von Eco. „Das Problem“, so schreibt dieser, für „offene<br />

Kunstwerke“ sei das „e<strong>in</strong>er Dialektik zwischen Form und Offenheit“, selbstverständlich<br />

umgekehrt proportional: „Wenn man e<strong>in</strong> Maximum an Unvorhersehbarkeit anstrebt, muß<br />

man e<strong>in</strong> Maximum an Unordnung anstreben, bei dem nicht alle<strong>in</strong> die gewöhnlichsten,<br />

son<strong>der</strong>n alle möglichen Bedeutungen sich als unorganisierbar erweisen.“ 13 An<strong>der</strong>s<br />

ausgedrückt: je weniger „Form“, desto größer die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit von nicht<br />

vorhersehbaren Ereignissen. Das ist die gängige Def<strong>in</strong>ition <strong>der</strong> sechziger Jahre, gegen<br />

die <strong>Koolhaas</strong> ja schon als Student rebelliert hat.<br />

Wie wir wissen, verfügt S,M,L,XL über e<strong>in</strong>e Ordnungsstruktur, sogar e<strong>in</strong>e ziemlich rigide.<br />

Sie ist aber nicht mit <strong>der</strong> semantischen Ebene gekoppelt, zwischen Ersche<strong>in</strong>ung und<br />

Performance, zwischen Form und Inhalt gibt es ke<strong>in</strong>e dialektische Beziehung, ja, es gibt<br />

überhaupt ke<strong>in</strong>e logische o<strong>der</strong> materielle Beziehung. Tatsächlich sche<strong>in</strong>t erst die<br />

größtmögliche Autonomie <strong>der</strong> beiden Sphären die Voraussetzung für Freiheiten sowohl<br />

für Gestaltung als auch für Ereignis zu se<strong>in</strong>.<br />

Die Beziehung zwischen Form und Inhalt ist vielmehr e<strong>in</strong>e mittelbare: Der Movens für<br />

die unvorhersehbaren Ereignisse liegt nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> formalen Organisationsstruktur selbst<br />

begründet, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> dem, was diese als Bed<strong>in</strong>gung ermöglicht. Sie muss nur – wie<br />

zum Beispiel bei Projekten wie Parc de la Villette, Melun-Sénart, das Rathaus Den<br />

Haag, ZKM, die beiden großen Bibliotheken <strong>in</strong> Paris o<strong>der</strong> auch S,M,L,XL – von so<br />

allgeme<strong>in</strong>er Art se<strong>in</strong> (von so generischer Art se<strong>in</strong>), wie es Muster o<strong>der</strong> Diagramme s<strong>in</strong>d,<br />

dass sie auch numerisch wie<strong>der</strong>gegeben werden könnte, sich <strong>in</strong>sofern für die<br />

13 Umberto Eco, Das offene Kunstwerk, S. 128, 129

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