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Koolhaas nimmt in der Reihe Theorie

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europäischen avantgardistischen Kultur <strong>der</strong> zwanziger und dreißiger Jahre. Die<br />

Entdeckung <strong>der</strong> Abstraktion <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kunst, das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Montage im Film und <strong>der</strong><br />

Surrealismus sche<strong>in</strong>en erst <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Amerika ihr operationelles und<br />

experimentelles Potential entwickeln zu können.<br />

Abstraktion<br />

Das Potential <strong>der</strong> Leere ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbarsten Deutung das Potential des abstrakten<br />

Plans o<strong>der</strong> Fläche, die den Code Manhattans und se<strong>in</strong>er Hochhäuser festlegen (‘typical<br />

plan’). Abstraktion bedeutet zweierlei: <strong>in</strong>härenter Prozess <strong>der</strong> kapitalistischen<br />

amerikanischen Gesellschaft, die zunehmend auf Rationalisierung und Ökonomisierung<br />

drängt, und (europäischer) künstlerischer Versuch, Grenzen zu überschreiten, um mehr<br />

Freiheit zu erlangen und unerforschte Potentiale freizulegen. In <strong>Koolhaas</strong>’ Interpretation<br />

von Manhattan verschmelzen beide Bewegungen, <strong>in</strong>dem er die amerikanische<br />

Ökonomisierung des architektonischen o<strong>der</strong> städtebaulichen Plans gleichstellt mit se<strong>in</strong>er<br />

eigenen methodischen Lesart <strong>der</strong> Stadt, die sich auf die manifestartigen<br />

Radikalisierungen <strong>der</strong> europäischen Architekten- und Künstleravantgarde bezieht. Le<br />

Corbusiers Dom<strong>in</strong>o-Modell und die Idee vom freien Grundriss, <strong>der</strong> freien Fassade und<br />

den zurückgesetzten ‘Pilotis’ war nicht e<strong>in</strong>fach nur e<strong>in</strong> konkreter konstruktiver Vorschlag<br />

für Wohnungsbau <strong>in</strong> Stahlbeton, es enthält auch die erste formulierte <strong>Theorie</strong>, die<br />

abstrakte Fläche als reales Potential (und nicht als geheimes geometrisches Schema)<br />

zu betrachten. Ob es sich um e<strong>in</strong> architektonisches Potential handelt, mag vorerst e<strong>in</strong>e<br />

offene Frage bleiben, <strong>in</strong> Manhattan jedenfalls handelt es sich zunächst um e<strong>in</strong><br />

programmatisches Potential. Erst die neutrale und nüchterne Rationalität <strong>der</strong> Pläne<br />

erlaubt die brodelnde Wildheit von Manhattan, wobei allerd<strong>in</strong>gs nur die e<strong>in</strong>fachste,<br />

unmittelbarste und roheste Form von Rationalität (die auch nur <strong>in</strong> dieser Form präzise<br />

ist) wirksam se<strong>in</strong> kann. Jede Differenzierung auf zweiter und dritter Ebene, jede<br />

bewusste Übertheoretisierung würde das Potential wie<strong>der</strong> zunichte machen, würde<br />

Aktionen kanalisieren und e<strong>in</strong>engen. Abstraktion bedeutet hier nicht ideelle Überhöhung,<br />

son<strong>der</strong>n das Zurückführen und Verallgeme<strong>in</strong>ern von Strukturen und Plänen auf<br />

e<strong>in</strong>fachste, neutrale Muster, die ungefähr dieselbe Funktion haben wie <strong>der</strong> iambische<br />

Trimeter für das griechische Epos o<strong>der</strong> <strong>der</strong> 4/4-Takt für die Musik – sie rhythmisieren<br />

das ‘Stück’ mit e<strong>in</strong>em simplen und durchgängigen Takt, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Trance versetzen kann<br />

und soll.<br />

Diese Muster s<strong>in</strong>d zum Teil aus den Plänen <strong>der</strong> Stadt direkt zu lesen, zum an<strong>der</strong>en<br />

‘erf<strong>in</strong>det’ sie <strong>Koolhaas</strong> <strong>in</strong> analytisch-hypothetischer Weise. Dabei geht er sogar weiter<br />

als Le Corbusier, <strong>in</strong>dem er re<strong>in</strong>e abstrakte Schnitte vor<strong>nimmt</strong>, die die konventionelle<br />

architektonische Bezeichnung Grundriss, Ansicht, Quer- und Längsschnitt nicht mehr<br />

benötigen, da diese immer noch zu viel ‘architektonische’ Information enthalten. Wie e<strong>in</strong><br />

Pathologe seziert er nach e<strong>in</strong>em simplen rationalistischen Verfahren den Körper<br />

Manhattans: jeweils zwei Horizontal- und Vertikalschnitte br<strong>in</strong>gen das<br />

‘Koord<strong>in</strong>atensystem’ Manhattans ans Licht. (zwei vorgegeben, zwei erfunden)<br />

Der erste Horizontalschnitt identifiziert das Raster Manhattans. Er ist noch sche<strong>in</strong>bar<br />

konventionell und wird gewöhnlich Grundriss o<strong>der</strong> Stadtplan genannt. Jedoch<br />

<strong>in</strong>teressiert sich <strong>Koolhaas</strong> nicht für dessen gestalterische Informationen, die<br />

Beziehungen zwischen Gebäudemassen und öffentlichen Räumen, son<strong>der</strong>n er lenkt<br />

den Blick auf das neutrale Flächenmuster des Rasters selbst, das lediglich aus e<strong>in</strong>er

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