Aktuelle Ausgabe - Schweizerischer Gewerbeverband sgv
Aktuelle Ausgabe - Schweizerischer Gewerbeverband sgv
Aktuelle Ausgabe - Schweizerischer Gewerbeverband sgv
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Schweizerische Gewerbezeitung – 21. Dezember 2012 WIRTSCHAFT&POLITIK 7<br />
WELTKLIMA-KONFERENZ – Der <strong>sgv</strong>-Umwelt- und Energieexperte Henrique Schneider, der die Tagung vor Ort als Delegationsmitglied<br />
miterlebte, zieht – anderes als die meisten Schweizer Medien – keine vernichtende Bilanz.<br />
Doha-Gipfel war besser als sein Ruf<br />
Was tun circa 17 000 Menschen aus<br />
allen Ländern der Welt in Doha, Katar?<br />
Sie treffen sich zum Weltklimagipfel<br />
unter der UN-Ägide. Und<br />
nicht nur Länder sind vertreten,<br />
sondern auch Nichtregierungsorganisationen<br />
wie der WWF oder die<br />
Industrie. In zwei Wochen wird Tag<br />
und Nacht intensiv verhandelt. Das<br />
Ergebnis? Es ist zwar nicht die Rettung<br />
des globalen Klimas doch immerhin<br />
eine zweite Kyoto-Periode<br />
– für etwa 14 Prozent der ausgestossenen<br />
Menge an CO 2 . Leicht entsteht<br />
damit der Eindruck, dass in<br />
Doha «viel Lärm um nichts» gemacht<br />
wurde. Die Schweizer Presse<br />
bemängelte schon während der<br />
Konferenz die ungenügende Ergebnisorientierung.<br />
Lächerlich schien<br />
auch, eine Klimakonferenz just in<br />
einem Staat zu organisieren, der die<br />
meisten CO 2 -Emissionen pro Kopf<br />
verzeichnet. Und trotzdem trügt dieses<br />
Bild: Der Weltklimagipfel war<br />
besser als sein Ruf!<br />
Die Agenda steht<br />
Eigentlich handelt es sich um ein<br />
dreistufiges Prozedere. Die Weltklimakonferenz<br />
in Durban 2011 hat die<br />
Ziele für das globale Klimaregime<br />
nach 2020 gesetzt, Doha hätte die<br />
Prozesse klären müssen, und Warschau<br />
soll im 2013 die Ziele operationalisieren.<br />
Allen Unkenrufen zum<br />
Trotz: Diese Agenda steht, und Doha<br />
hat das Seinige getan, um eben die<br />
Prozesse der Entscheidungsfindung<br />
zu beschleunigen. Das mag wohl<br />
dem einen oder anderen zu wenig<br />
sein, doch vor allem innerhalb eines<br />
Die Doha-Konferenz war zwar eine monströse Tagung mit vielen Leerläufen und Tiefpunkten, die Resultate zeigen dennoch einen möglichen Weg in die Zukunft.<br />
UN-Zusammenhangs nehmen die<br />
Prozesse eine zentrale Stellung ein.<br />
Auf der inhaltlichen Ebene waren<br />
drei Themen wichtig: Die Verlängerung<br />
des Kyoto-Protokolls um eine<br />
weitere Periode; die Aufstellung des<br />
globalen Klimafonds; die Finanzhilfe<br />
an Entwicklungsländer. Aus schweizerischer<br />
Perspektive sind auch hier<br />
die Signale mehrheitlich positiv. Die<br />
zweite Kyoto-Etappe ist mit der Dau-<br />
er von acht Jahren beschlossen worden,<br />
und einige Lücken im Zertifikate-Handel<br />
sind geschlossen worden.<br />
Das ist eine wichtige Bedingung, damit<br />
sich die CO 2 -Preise erholen können.<br />
Erfolge und Fragezeichen<br />
Der globale Klimafonds wurde auf<br />
die Beine gestellt und die Beiträge in<br />
groben Zügen geklärt. Vielen Ent-<br />
wicklungsländern war das nicht genug,<br />
denn sie wollten mehr Direktzahlungen<br />
bekommen. Während einige<br />
Staaten freiwillig zusätzliche<br />
Mittel in Aussicht stellten, machte<br />
die internationale Gemeinschaft klar,<br />
dass die Finanzierung von sauberer<br />
Entwicklung in den Südländern primär<br />
über die Generierung von Zertifikaten,<br />
neue Marktmechanismen<br />
und den Klimafonds laufen. Alle die-<br />
REVISION DES RAUMPLANUNGSGESETZES (RPG) – Im Kampf gegen die Zubetonierung sind<br />
sanftes verdichtetes Bauen und gezielter Landschaftschutz die wirksameren Instrumente.<br />
Was bedeutet eigentlich «Zersiedelung»?<br />
Es trifft zwar zu, dass seit Jahrzehnten<br />
pro Sekunde ein Quadratmeter<br />
Land verbaut wird; gemäss der<br />
Schweizerischen Vereinigung für<br />
Landesplanung VLP sind es sogar<br />
1,3 Quadratmeter. Schuld daran sind<br />
weder das geltende Raumplanungsgesetz<br />
noch die Zuwanderer, sondern<br />
es ist hauptsächlich eine Konsequenz<br />
unseres Wohlstandes und geänderter<br />
gesellschaftlicher Lebensformen: Der<br />
Wohnbedarf pro Kopf der Bevölkerung<br />
ist seit 1950 von 24 auf heute<br />
schätzungsweise 50 Quadratmeter<br />
angestiegen und die Zahl der Personen<br />
pro Wohnung nimmt ab. Oder<br />
auf eine Kurzformel gebracht: Ungefähr<br />
70 Prozent des Wachstums der<br />
überbauten Fläche sind auf die zunehmenden<br />
Platzbedürfnisse zurückzuführen,<br />
weitere 20 Prozent auf die<br />
steigende Wohnbevölkerung und lediglich<br />
10 Prozent auf andere Faktoren<br />
wie Fehlplanungen.<br />
Begriff ohne Definition<br />
Wenn man den Begriff Zersiedelung<br />
in der Suchmaschine Google eingibt,<br />
erscheint er 78 700-mal. Nirgends<br />
findet man eine klare Definition, was<br />
Zersiedelung genau bedeutet. Dieser<br />
Begriff muss für alles und nichts her-<br />
halten und wird vor allem von den<br />
Befürwortern des indirekten Gegenvorschlags<br />
instrumentalisiert, um eine<br />
zentralistische Raumplanung zu<br />
rechtfertigen. Zersiedelung könnte<br />
daher zum Mode- oder noch besser<br />
Unwort des Jahres erkoren werden.<br />
Wo beginnt die Zersiedelung und wo<br />
hört sie auf? Ist etwa die historisch<br />
gewachsene Streusiedlung-Bauweise<br />
im Toggenburg und in Appenzell Innerrhoden<br />
mit Zersiedelung gleichzusetzen<br />
und daher des Teufels?<br />
Wohl kaum, selbst militante Landschaftsschützer<br />
dürften hier nichts<br />
zu meckern haben.<br />
Darf man im Zusammen mit dieser typischen (Appenzeller Landschaftsgestaltung ugeniert von «Zersiedelung» sprechen?<br />
Der richtige Weg ist bekannt<br />
Zurück zum berühmten Quadratmeter<br />
Land, der pro Sekunde überbaut<br />
wird: Auch das Referendumskomitee<br />
ist einverstanden, dass es so nicht<br />
weitergehen kann und wirksame Lösungen<br />
gefunden werden müssen.<br />
Der Landschaftsverschleiss ist aber<br />
in zweifacher Hinsicht zu relativieren:<br />
Erstens nimmt die Waldfläche<br />
kontinuierlich zu, und zweitens gibt<br />
es immer mehr Schutzgebiete in der<br />
Schweiz: Die 16 bereits realisierten<br />
Pärke (Stand 1.1.2013) machen insgesamt<br />
11,6 Prozent der Fläche der<br />
Schweiz aus, das sind immerhin<br />
4779 Quadratkilometer.<br />
Und viele Beispiele von gelungenen<br />
und originellen Projekten von sanftem<br />
verdichtetem Bauen, ohne die<br />
Menschen in Wohnsilos zu pferchen,<br />
haben gezeigt, dass es die<br />
missratene RPG-Revision nicht<br />
braucht, um haushälterischer mit<br />
dem unvermehrbaren Gut Boden<br />
umzugehen. Auf diesem Weg ist<br />
kontinuierlich weiterzuschreiten –<br />
ohne das eigentumsfeindliche und<br />
dirigistische Raumplanungsdiktat<br />
aus Bern. Ein Nein am 3. März 2013<br />
ist dafür unerlässlich.<br />
Rudolf Horber,<br />
<strong>sgv</strong>-Ressortleiter Raumplanung<br />
LINK<br />
www.rpg-revision-nein.ch<br />
se Ergebnisse sind konsistent mit der<br />
Schweizer Sicht.<br />
Selbstverständlich gibt es auch Probleme.<br />
Das Wichtigste ist die Erhöhung<br />
der CO 2 -Emissionsminderungsziele.<br />
Die Industrieländer – darunter<br />
die Schweiz – haben sich bereiterklärt,<br />
ihre Ziele ab 2015 nochmals zu<br />
überprüfen. Für die Schweiz mit ihren<br />
Inlandszielen käme dies einer<br />
nochmaligen Erhöhung gleich. Ein<br />
anderes Problem ist die Verringerung<br />
der Länder, die am Kyoto-System beteiligt<br />
sind: Neuseeland, Japan und<br />
Kanada sind ausgeschieden.<br />
Der Hit hinter den Kulissen<br />
In den Klimakonferenzen nimmt die<br />
Schweiz eine besondere Stellung ein.<br />
Sie ist freiwillig in einer Gruppe mit<br />
u.a. Südkorea und Mexiko und zeigt<br />
sich offen für die Vorschläge aus Lateinamerika<br />
und Asien. Gleichzeitig<br />
gelingt es ihr, die ambitiösen Vorstellungen<br />
unserer Klimapolitik in jenen<br />
Ländern zu verankern. Der wahre Hit<br />
hinter den Kulissen sind jedoch die<br />
Instrumente der Schweizer Wirtschaft:<br />
die Stiftung Klimarappen und<br />
die Energieagentur der Wirtschaft<br />
(EnAW). Während Mexiko vorhat,<br />
eine ähnliche freiwillige Stiftung wie<br />
den Klimarappen einzuführen, basiert<br />
die gesamte Energieeffizienz-<br />
Politik Südkoreas auf einer «Kopie»<br />
der EnAW. Auch andere Länder fragen<br />
aktiv nach und zeigen sich bereit,<br />
das wirtschaftliche Instrumentarium<br />
zu implementieren. Dieses Erfolgserlebnis<br />
zeigt, dass die Schweizer<br />
Wirtschaft nicht nur im Inland<br />
vorbildlich ist, sondern dass sie auch<br />
sehr wohl im Ausland als Vorreiterin<br />
wahrgenommen wird.<br />
Die quicklebendige Maus<br />
Darin liegen auch die Chancen der<br />
ambitionierten Klimapolitik für unsere<br />
KMU. Einerseits geht es darum,<br />
die Schweiz nicht unilateral zu verpflichten,<br />
denn der Klimawandel ist<br />
eine globale Herausforderung. Andererseits<br />
können marktliche Mechanismen<br />
dazu beitragen, Gutes für das<br />
Klima zu tun und für Schweizer KMU<br />
neue Produkte global zu positionieren.<br />
Das Fazit? Der Berg hat eine Maus<br />
geboren, aber die Maus ist quicklebendig.<br />
Henrique Schneider,<br />
<strong>sgv</strong>-Ressortleiter