Gefesselte Gespenster - Jungschar.biz
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Die Erklärung war ganz einfach: André hatte seinen Schuhputzladen in unmittelbarer Nähe der Börse.<br />
Seine Stammkunden waren daher in erster Linie Börsenkaufleute; aber auch viele Rechtsanwälte und<br />
Ärzte kamen morgens zu ihm, um sich vor Dienstbeginn schnell noch die Schuhe auf Hochglanz<br />
wienern zu lassen. Nach diesen „studierten“ und daher ganz gewiss gebildeten Menschen richtete er<br />
sich. Jede Floskel, die er einmal gehört hatte, behielt er und benutzte sie bei den unmöglichsten<br />
Gelegenheiten.<br />
Die anderen Jungens lachten. Einesteils über Andrés geschwollene Ausdrucksweise, die eine ständige<br />
Quelle des Vergnügens war, was André selbst nicht zu merken schien, anderseits über die Idee, eine<br />
Spukjagd ernst nehmen zu wollen.<br />
„Ernst nehmen? Den Blödsinn? Du bist wohl nicht bei Trost, wie? Du bist imstande und machst ‘ne<br />
Beerdigung aus der Geschichte!“ erwiderte René aufgebracht. „Ich nehm‘ das als ‘ne ulkige Abwechslung,<br />
weiter nichts. Gerade das richtige für ‘n Urlaub! — Übrigens“, fuhr er fort, mit klarem Blick den<br />
wurmstichigen Punkt der Sache entdeckend, „wie kommen wir denn dahin? Wo liegt das Schloss? Für<br />
weite Reisen hab‘ ich kein Geld!“<br />
René hat recht, dachte Maurice, sagte aber vorsichtshalber zunächst mal nichts. Wie kommen wir nach<br />
Villeneuve? Wir können uns doch unmöglich das Fahrgeld schicken lassen, das sähe zu dumm aus.<br />
„Das vernünftigste wäre zweifelsohne“, begann André in seinem Schulmeisterton, „wenn wir uns<br />
zunächst mal erkundigen, wieviel die Bahnfahrt kostet. Das werde ich übernehmen. Und dann müssen<br />
wir eben sparen! Wir machen eine gemeinsame Kasse auf, und jeder bemüht sich, herbeizuschaffen, was<br />
er kann.“<br />
Ebenso feierlich wie befriedigt blickte er sich um. Renés Erwiderung hatte ihn nicht im mindesten<br />
beeindruckt. Er würde die Spukjagd ernst nehmen, da konnte der ungebildete Bauer sagen, was er<br />
wollte.<br />
„Ich glaube, Andrés Vorschlag ist der einzig richtige“, meinte Maurice, „oder ist jemand anderer<br />
Ansicht?“<br />
Es erhob sich kein Widerspruch. Maurice blickte Pipin in die Augen<br />
und hatte den Eindruck, dass diese Augen lächelten. Seltsam, dachte er. Seltsamer Kerl, dieser Gelbe.<br />
Dann blickte er Seppe an. Der lächelte bestimmt, und zwar honigsüß. Er sagte nichts, weil er wusste,<br />
dass seine Meinung nicht viel galt.<br />
Filou schlief. Stinker auf seinem Schoß ebenfalls.<br />
Also schrieb Maurice Herrn Alphonse Baharoff, er käme mit seinen fünf Freunden und der Absicht, dem<br />
Spuk den Garaus zu machen.<br />
Sparen und Spinne<br />
Sparen ist eine Beschäftigung für Leute, die wenig Geld haben. Wer viel Geld hat, braucht nicht zu<br />
sparen, wer überhaupt keines hat, kann nicht.<br />
Von den Jungens aus der Zwiebelstraße sparten zunächst nur zwei: André und René. Treu und redlich<br />
legten die jeden Franken, den sie erübrigen konnten, in die gemeinsame Reisekasse, zu deren Verwalter<br />
der gewissenhafte André ernannt worden war.<br />
„Dieser Beweis eures Vertrauens ehrt mich unmäßig!“ gackerte André stolz und verbeugte sich<br />
gemessen. „Ich werde sofort ein Heftchen kaufen und genau Buch führen!“ salbaderte er, von seiner<br />
Wichtigkeit überzeugt. Das tat er dann auch. Ständig trug er das Kontobuch bei sich, und wenn einer der<br />
Jungens auftauchte, zog er es hervor, rechnete mit sorgenzerfurchter Stirn darin herum, murmelte Zahlen<br />
vor sich hin und griff ab und zu nach dem langen Bleistift hinter dem rechten Ohr. Dabei waren erst vier<br />
ganz kleine Summen eingetragen, zwei von ihm selbst und zwei von René.<br />
„Dem schwebt ein unsichtbarer Kneifer auf der Nase“, meinte Maurice.<br />
Gar zu gern hätte sich auch Filou am Sparen beteiligt. Eines Abends quetschte er ebenso undeutlich wie<br />
unglücklich hervor: „Möcht micha wall beteiljen, geht nich weng Oma!“ Todtraurig blickte er mit seinen<br />
großen Glupschaugen von einem zum andern.<br />
Die Jungens lächelten verständnisvoll, sie kannten seine Oma.<br />
„Macht nichts, Dickerchen“, tröstete ihn Maurice, „du stiftest den Reiseproviant, das ist dein Anteil, ja?“<br />
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